Das Pflanzenkleid der Erde ändert sich fortlaufend im großen Maßstab und auch im kleinen Gartenraum. Pflanzen breiten sich im Zuge von klimatischen Änderungen aus oder ziehen sich zurück. Sehr viele Faktoren sind dafür verantwortlich, wie sich Pflanzenbestände an einem bestimmten Ort (auf Wiesen, an Wegrändern und in Wäldern) zusammensetzen. Einen starken Einfluss übt der Mensch durch sein Siedeln und Wirtschaften, also durch die Inanspruchnahme des Landes aus. Und er greift aktiv durch das Einbringen von Pflanzen aus anderen Weltregionen und durch züchterische Bearbeitung ein.
Einheimische und eingebürgerte Gewächse
In diesem größeren räumlichen und gesellschaftlichen sowie im zeitlichen Zusammenhang muss auch der Begriff „Wildpflanzen“ geklärt werden. Im Prinzip handelt es sich um Einjährige, Zweijährige, Stauden und Gehölze, die in der freien Natur wachsen. Doch welche Pflanzenherkünfte dazuzählen und ob auch durch die Züchtung bearbeitete Wildpflanzen dazugehören, das kommt auf die Sichtweise an. Botaniker verstehen unter dem Begriff nämlich etwas anderes als Staudengärtner. Für die Gärtner sind Wildstauden solche, die nicht züchterisch bearbeitet worden sind und durchaus aus anderen Weltregionen stammen können, während Botaniker darunter einheimische Arten verstehen.
Urwüchsig oder Neophyt?
Als urwüchsig gelten Pflanzen, die vor der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus, also vor 1492, in unserem Gebiet vorkamen und sich eigenständig fortgepflanzt haben. Viele dieser Pflanzen sind vorher aus dem Mittelmeerraum oder aus dem angrenzenden Westasien in unser Gebiet gelangt. Diese Pflanzengruppe der sogenannten Archäophyten wird nach allgemeiner Übereinkunft – etwas vereinfacht – auch als einheimisch bezeichnet.
Alle Arten, die danach in unser Gebiet gelangten, werden demgegenüber als Neophyten bezeichnet. Im üblichen Sprachgebrauch wird der Begriff jedoch etwas anders verwendet, eher mit negativem Beiklang für Pflanzen mit starkem Ausbreitungsdrang, die die heimische Flora bedrängen, also invasive Arten wie Drüsen-Springkraut oder Herkulesstaude.
Unter den Überbegriff Neophyten fallen nicht nur eingewanderte Arten, sondern auch Gartenflüchtlinge, die ursprünglich als Zier- oder Nutzpflanzen in Gärten kultiviert worden sind und sich in der freien Natur ausbreiten, zum Beispiel die Kanadische Goldrute oder die Nachtkerzen, die wir in unseren Gärten nicht missen wollen. Diese Gartenflüchtlinge haben sich auf Dauer in der heimischen Flora eingebürgert. Invasive Arten wie die Goldrute sollten dennoch im Garten nur mit Vorsicht verwendet werden.
Küchenschelle am Naturstandort.
Züchterisch bearbeitete Küchenschelle.
Dieses Buch stellt ursprünglich in Mitteleuropa heimische Arten sowie Neophyten vor, die in etwa im Gebiet von den Alpen bis zur Nord- und Ostsee, vom Plattensee bis zum Rhein vorkommen. Die ausgewählten Ein- und Zweijährigen, Stauden und Gehölze sind so anpassungsfähig, dass sie in den meisten Gärten kultiviert werden können. Auf Pflanzen mit speziellen Standortansprüchen, beispielsweise auf alpine Pflanzen oder Wasserpflanzen, sowie auf Arten, die sich stark vermehren, wurde verzichtet. Allerdings ist nicht jede mitteleuropäische Wildpflanze auch überall in Mitteleuropa heimisch – etwa viele Arten aus dem Osten Mitteleuropas sind im Westen als Exoten zu werten und umgekehrt.
Zuchtformen von Wildpflanzen
In großen Wildpflanzenbeständen sieht man gelegentlich einzelne Exemplare mit abweichenden Wuchseigenschaften oder andersfarbenen oder gefüllten Blüten, beispielsweise weiß blühende Duft-Veilchen, Glockenblumen, Wiesen-Salbei oder Wiesen-Storchschnabel. Pflanzenkenner und -züchter haben solche „Abweichler“ von jeher in gärtnerische Kultur genommen, sodann weitervermehrt und als Sorten in den Handel gebracht. Solche Gärtnerauslesen wachsen etwas größer, tragen mehr und größere Blüten, zeigen ausgeprägtere Farben oder duften intensiver. Besonders deutlich sieht man den Unterschied bei der Küchenschelle. Die wild wachsenden Exemplare auf Trockenwiesen sind relativ klein und unscheinbar gegenüber den Zuchtformen im Handel, die zur selben Art gehören, aber doch eben züchterisch bearbeitet sind. Ein größeres Problem für Naturgärtner stellen jene Pflanzen dar, die zwar unter dem Namen einer heimischen Art angeboten werden, aber Kreuzungen mit oder ausschließlich von exotischen Arten sind, wie etwa bei der Sibirischen oder Wiesen-Schwertlilie.
Was in unseren Gärten grünt und blüht, hängt also zum Teil von der Verbreitung der Pflanzen in den Naturräumen beziehungsweise von der Pflanzenzüchtung und dem Angebot der Gärtnereien ab. Nicht zu vernachlässigen sind allerdings die sehr speziellen Standortbedingungen jedes einzelnen Gartens.
Verschiedene Gartenbereiche
Jeder Garten hat seine eigene Topografie, seine eigene Geländeform und Exposition. Hinzu kommt die landschaftsgärtnerische Grundgestaltung, die Terrassierung und Gliederung durch Bauwerke und Wege. An diese baulichen Gegebenheiten muss sich die Bepflanzung anpassen.
Gärten setzen sich aus verschiedenen Bereichen zusammen, wobei nicht alle in jedem Garten vorhanden sein müssen: Es gibt Grünflächen und Wiesen, flache Beete und Rabatten, Böschungen und Mauern, halbschattige Partien im Gebäudeschatten und am Gehölzrand, völlig schattige Flächen unter Bäumen sowie trockene Bereiche unter Dachtraufen und unter Hecken. Und – nicht zu vergessen – die Vertikale an Wänden, Zäunen, Bögen und Pergolen.
Im Laufe der Zeit, mit dem Älterwerden des Gartens, verschieben sich die Anteile der Bereiche. Durch den Gehölzaufwuchs werden schon länger angelegte Gärten zunehmend schattig. Dem passt sich die Vegetation an.
Königskerzen entwickeln sich auch bei geringstem Platzangebot.
Standortgerechte Bepflanzung
Die natürliche Vegetation bietet für alle erwähnten Bereiche und Gestaltungssituationen im Garten eine reiche Auswahl an Pflanzen mit hohem Zierwert. Wildstauden lassen sich in sonnige Beete und Rabatten mit Prachtstauden und Rosen integrieren. Auf halbschattigen und schattigen Standorten unter Sträuchern und Bäumen sowie bei speziellen Bodenvoraussetzungen sind Wildpflanzen die bestmögliche Besetzung. Interessant ist eine Bepflanzung an Rändern und Säumen, entlang von Hecken, Wegen oder Zufahrten. Ideal sind sie ebenfalls für sehr große Grundstücke oder für Wochenendgrundstücke, die nur extensiv bewirtschaftet werden können.
In jedem Garten gibt es andere Standortbedingungen. Ein Garten mit durchlässigem Sandboden wird ein anderes Pflanzenkleid tragen als einer mit schwerem Lehmboden oder einer mit dünner Bodenkruste über Muschelkalkfelsen. Eine große Rolle spielt auch die Bodenreaktion, die neutral, sauer oder alkalisch sein kann und anhand des pH-Werts bestimmt wird. Ebenso große Unterschiede gibt es bei Gärten mit hohem Baumbewuchs und solchen in freier Lage mit Trockenheit und Hitze. Naturgemäß sind in jedem Garten selbst auch kleinräumig die Standortvoraussetzungen sehr unterschiedlich, vor allem was die Sonneneinstrahlung angeht.
Die Kunst des Gärtnerns besteht also darin, für jeden Bereich und für jeden Standort die passenden Gewächse auszuwählen. Man sollte nicht versuchen, auf einem kalkhaltigen Muschelkalkverwitterungsboden säurelieben- den Rhododendron anzupflanzen oder einen Magerrasen auf nährstoffreichem Boden anzulegen. Oder den Feuchtigkeit liebenden Wasserdost auf einen trockenen Boden zu verbannen. Wer diesen Grundsatz des standortgerechten Pflanzens beherzigt, wird viel Freude an den Gartengewächsen haben.
Blutweiderich und Rainfarn gedeihen am passenden Standort prächtig.
Die wichtigsten Standortfaktoren
•Sonneneinstrahlung (sonnig, absonnig, halbschattig, schattig)
•Boden: Bodenart (sandig, lehmig, tonig)
•Bodenfeuchtigkeit (trocken, feucht, frisch)
•Boden: pH-Wert 1-14 (sauer, neutral, alkalisch)
•Boden: Humusgehalt
•Boden: Nährstoffgehalt
•Wind
•Temperatur
•Niederschlag
Gartenglück durch Wildpflanzen
Viele positive Eigenschaften verbinden sich mit der Anpflanzung und Ansaat von Wildpflanzen. Mit etwas Glück ergeben sich stabile Pflanzkombinationen, die kaum Pflege und so gut wie keine Düngung brauchen, außer eventuell gelegentlichen Kompostgaben. Man muss die Wildgewächse kaum stutzen und schneiden. Ein Wildpflanzengarten spart also Zeit.
Und noch etwas spricht für Wildpflanzen: Die Stauden und Gehölze sind auf Dauerhaftigkeit angelegt, sie brauchen nicht zu jeder Saison ausgewechselt zu werden, sondern sollen möglichst lange überdauern. Viele von ihnen lassen sich leicht selbst...