DIE KINDER VOM KAFF
Hey, wir sind Die Lochis – Heiko und Roman Lochmann –, aber das weißt du ja schon. Was nicht jeder weiß, wir sind krasse Dorfkinder. Wir kommen wirklich voll aus ’nem Kaff. Und da sind wir stolz drauf. Dorf ist nämlich nicht scheiße, sondern geil. Das hat seinen ganz eigenen Charme. Von wegen hinter den Bergen, bei den wie viel auch immer Zwergen … Das ist Bullshit! Uns hat es auf jeden Fall nicht geschadet.
Mit der U-Bahn fahren – Ticket am Automaten ziehen, Fahrplan kapieren, erst aussteigen lassen, bevor du einsteigst –, glaub uns, das kann man immer noch lernen. Wir haben es zumindest gelernt und sind seitdem in vielen Städten und Metropolen U-Bahn gefahren, von Berlin bis New York. Aber diesen ganz eigenen Charme, den so ein Dorf, ja, wir nennen es immer liebevoll Kaff, hat, den kannst du nur verstehen, wenn du da aufgewachsen bist.
Wir sind mit knapp zwei Jahren in so ein Dorf gezogen, also unsere Eltern mit uns. Nach Riedstadt, um genau zu sein, nach Leeheim, was ein Stadtteil davon ist. Der Grund des Umzugs war ganz einfach: Die Miete war da günstiger, für weniger Geld mehr Platz. Außerdem wollten unsere Eltern, dass wir auf Bäume klettern, Buden bauen und alleine mit Freunden im Ort rumtoben konnten. Unsere Eltern sind selbst Dorfkinder und wollten diese Freiheit auch für uns. Das klingt logisch und hat sie überzeugt, all ihre Sachen und uns Jungs zusammenzupacken. Das war jetzt nicht unbedingt von Tag eins an megageil.
Wenn man in so eine Dorfgemeinschaft kommt, ist man ja erst mal ein Außenseiter. Letztendlich ist in so einer Gemeinschaft ja irgendwie jeder mit jedem bekannt, wenn nicht sogar verwandt (das soll jetzt bitte nicht nach Inzucht klingen, aber es ist Fakt) – da wohnt die Cousine vom Heinz, der der Bruder vom Micha ist, dem Mann der Schwester vom Bäcker gegenüber, der wiederum mit der Tochter vom Klempner …
„Als Zwilling hast du das große Glück, mit deinem besten Freund zur Welt zu kommen.“
1a-Aussicht hier. Und niemals Langeweile, denn als Zwilling hast du deinen besten Kumpel immer dabei.
Urlaub in Florida, USA, Weihnachten 2002/3. Auf Alligatorenjagd mit unserer Mutter auf dem Fluss hinterm Haus.
Du weißt, was wir meinen, wenn nicht – auch egal! Auf jeden Fall kannten wir gerade mal niemanden und waren erst recht nicht mit irgendwem verwandt. Die coole Dorf-Gang hat nicht gerade auf uns gewartet … Aber ey, wofür sind wir Zwillinge? Denn eins ist klar: Als Zwilling hast du das große Glück, mit deinem besten Freund zur Welt zu kommen. Du bist niemals allein (selbst dann nicht, wenn du es ganz gerne mal wärst).
Das hat den großen Vorteil, wenn du der Außenseiter bist – wie wir eben damals in unserem Kaff –, dann hast du einen anderen Außenseiter, deinen Bruder, an deiner Seite. Und wir wissen ja alle: Geteiltes Leid ist halbes Leid.
Allerdings haben wir uns dieses Leid nicht allzu lange teilen müssen. Aus den Lochmännern, diesen Rotzbengels, wie wir anfangs nicht ganz zu Unrecht genannt wurden, sind ziemlich schnell die Anführer der Clique geworden. Denn eins waren wir schon immer – sehr, sehr selbstbewusst.
Wir sind aber nicht etwa durch unseren You-Tube-Fame beliebt geworden, der kam erst viel später. Weil, ehrlich gesagt, waren wir ziemliche Spätzünder, was das Internet angeht. Wir durften erst mit neun oder zehn Jahren das erste Mal an den Computer unserer Eltern, von ’nem Smartphone ganz zu schweigen.
Das war aber auch egal, wir waren eh viel lieber draußen! Eigentlich haben wir die ersten zehn Jahre in der freien Natur verbracht.
Wir tobten uns nach der Schule immer im Freien aus. Keine Ahnung, wie viele Baumhäuser wir gebaut haben – zusammen mit Papa, das war das Größte.
Best Buddies auch beim Wandern
Wenn das bei uns mit der Musik nicht hingehauen hätte, hätten wir auch glatt ’ne Karriere als Architekt in Angriff nehmen können. Na gut, nicht gleich übertreiben, aber Tischler, Schreiner, Zimmermann – so was wäre schon drin gewesen, so viel, wie wir mit Holz gemacht haben, gesägt, gehämmert, geschraubt.
Heute sind wir allerdings handwerklich nicht mehr so begabt. Eher im Gegenteil ... Man muss sich uns so vorstellen: Gib uns ein Brett und ein paar Nägel, und zwei Sekunden später fängt es ohne Grund an zu brennen.
Baumhäuser waren und sind einfach klasse. Rückzugsort, Geheimversteck, Cliquen-Treffpunkt. Und Ausgangspunkt für alles andere, was draußen stattfand. Also ab in den Skatepark, raus auf den Bolzplatz am See.
ROMAN: Und ganz wichtig, immer war mein Schweizer Taschenmesser mit dabei.
HEIKO: Stimmt, ohne das bist du nicht rausgegangen. Konnten wir ja auch immer gut gebrauchen.
ROMAN: Wenn ich überlege, wie viele Zuckerrüben, die wir von den Feldern geklaut haben, damit zerlegt worden sind.
HEIKO: Sag doch nicht geklaut, das gibt nachher noch Ärger.
ROMAN: Ach was, das wird ja wohl verjährt sein und unter Jugendsünde verbucht werden.
HEIKO: Eigentlich hatten wir Glück, dass wir nie erwischt wurden.
ROMAN: Na ja, ich nicht, du schon, wenn ich dich erinnern darf.
HEIKO: ???
ROMAN: Deine ersten Rauchversuche … Da hat dich die Polizei nach Hause gebracht.
HEIKO: Fuck, stimmt. So blöd muss man auch erst mal sein. Also, ich war mit Kumpels draußen …
ROMAN: Und ich bin heute noch froh, dass ich nicht mit dabei war!
HEIKO: Jaja, du Glückspilz, das hätte dir genauso gut passieren können. Tu also mal nicht so … Wir waren elf, glaube ich. Erste Rauchversuche. Da ist man ja über das Alter mit Schoko- oder Kaugummi-Zigaretten hinaus, will mal was ausprobieren, was wirklich qualmt. Zwei Freunde und ich haben gedacht, wir versuchen es mal mit Stroh. Also ab aufs Feld. Wir haben uns dann auf so einen großen Heustapel gesetzt und Strohhalme angezündet …
ROMAN: Mein Bruder, der Schlauberger. Stroh auf einem Heuballen qualmen, echt clever. So blöd kann man ja eigentlich nicht sein – außer Heiko. Das kannst du nicht erfinden.
HEIKO: Ja, war jetzt nicht so megaschlau, ich hab da irgendwie nicht eins und eins zusammengezählt. War echt ’ne Dummheit. Ich meine, es war mitten im Sommer, das Heu trocken, Feuer, hätte man sich denken können. Aber wir haben in dem Moment eben null gedacht, sondern einfach gemacht. Schön blöd! Auf jeden Fall war alles scheiße. Die Halme gingen immer wieder aus, waren zum Rauchen natürlich komplett ungeeignet, aber geglommen haben die noch, als wir die wegschmissen. Tja, und dann stand auf einmal der ganze Heustapel in Flammen. Insgesamt brannten sechzig Heuballen ab. Wir sind dann natürlich so schnell wie möglich gelaufen, haben uns wortwörtlich vom Acker gemacht. Kurze Zeit darauf hörten wir die Sirenen.
ROMAN: Ich auch. Ich war nämlich mit einem Freund in der Stadt, und wir sahen, wie Polizei und Feuerwehr durch den Ort bretterten. Da hatte ich aber noch keine Ahnung, dass DU, Heiko, was mit der Sache zu tun hast.
HEIKO: Ich bin dann mit meinen Freunden wieder mit den Fahrrädern zurück. Wir haben uns da einfach an den Rand gestellt und zugeguckt, wie der Brand gelöscht wurde. Da standen ja viele rum, wie das eben so ist, wenn auf dem Kaff mal richtig was los ist. Wir standen da also rum und gafften, als auf einmal ein Polizist neben uns war und uns fragte, ob wir irgendwas gesehen hätten. Wir so: Äh, nein, wieso, nichts gesehen. Aber lügen war nie so unsere große Stärke. Lange Rede, kurzer Sinn – einer meiner Kumpels hat es dann zugegeben. Tja, das war’s dann. Ab in den Polizeiwagen.
ROMAN: Die sind dann sogar noch mit dem Polizeiwagen an meinem Freund und mir vorbeigefahren. Ich konnte nicht sehen, dass Heiko da drinsitzt, aber er hat mich gesehen.
HEIKO: Stimmt. David und ich hockten also auf dem Rücksitz und haben ganz schön geschwitzt. Es ging direkt nach Hause zu unseren Eltern. Kannst dir vorstellen, wie groß die Begeisterung bei Papa war, als er mich von einem Polizisten in Empfang nehmen durfte. „Tag Herr Lochmann, Ihr Sohn Heiko hat gerade ein halbes Feld abgefackelt.“ Da kommt Freude auf!
ROMAN: Ich weiß nur noch, dass unsere Haftpflichtversicherung uns danach gekündigt hat.
HEIKO: Echt? Weiß ich gar nicht mehr.
ROMAN: Ja, echt.
HEIKO: Ist halt scheiße gelaufen. Wir haben dann jahrelang auch keine Zigarette, geschweige denn qualmende Strohhalme, angefasst. Ich bin eben ein echt gebranntes Kind! Eigentlich irre, wenn ich mir überlege, dass wir nie Hausarrest bekommen haben.
Camping-Urlaub im Allgäu
Unsere Eltern sind zum Glück eh ziemlich gechillt. Unser Papa ist gelernter Schreiner, aber eigentlich war er für uns immer Vollzeitpapa.
So betrachtet waren und sind unsere Eltern ultramodern, was die Arbeitsaufteilung angeht. Mama ging eigentlich immer arbeiten, Papa hat sich um uns gekümmert. Mama hat oft nach der Arbeit mit uns gespielt. Sie war eher für die Drinnen-Sachen zuständig, hat mit uns gebastelt, zum Beispiel Eier angemalt für den Osterstrauch. Ach ja, ganz wichtig, sie ist ein großer Halloween-Fan. Wir haben jedes Jahr einen Kürbis ausgeschnitten. Das war richtig eklig, mit den Händen da so reinzugreifen, um die Pampe rauszuholen. Sie ist dann verkleidet mit uns durch die Gassen gelaufen.
Mama ist in Amerika aufgewachsen. Später...