II. DIE ERSTEN WOCHEN UND MONATE
Gut für sich selbst sorgen
Die erste Zeit mit einem Baby – vor allem dann, wenn es das erste Baby ist – kann durchaus turbulent und emotional schwierig für die kleine, neue Familie sein. Mit einem Baby bzw. Kleinkind zu leben bedeutet, sich in einer »anderen« Zeit zu befinden, in einem »anderen« emotionalen Klima zu leben. Zeit, als wesentlicher Bestandteil unseres Lebens, die uns mehr oder weniger beeinflusst und bestimmt, wird plötzlich, vor allem kurz nach der Geburt, unwichtig. Wir befinden uns außerhalb von ihr, in einem Vakuum – eingehüllt in unsere eigene kleine Welt, in die Faszination die unser Baby auf uns hat. Die Erlebnisse der Geburt müssen verarbeitet werden, die Eltern entdecken sich neu. Sie sind jetzt nicht mehr nur Partner, sondern Vater und Mutter. Zu all diesen neuen Erfahrungen kommt die anscheinend ständige Müdigkeit, die Angst oder der Zweifel nicht zu genügen, etwas nicht richtig zu machen, der Schlafmangel, der 24-Stunden-Dienst und die vielen Signale und Zeichen des Babys, die nicht immer gleich gedeutet werden können, was traurig, enttäuscht oder gar wütend machen kann.
Die erste Zeit mit einem Baby lässt sich nicht ausprobieren. Auch wenn man sich noch so genau darauf vorbereitet, sie kommt einfach, und sie kommt garantiert anders als man sich vorgestellt hat.
Um ein Baby optimal versorgen zu können, um seine Bedürfnisse erkennen und erfüllen zu können, ist es zunächst einmal notwendig, gut für sich selbst zu sorgen! Ohne sich selbst wohl zu fühlen, ist es unmöglich, dem Baby all seine Bedürfnisse zu erfüllen, ohne dabei in Stress zu geraten, sich unter Druck gesetzt zu fühlen oder Angst, Zweifel und Unsicherheit an die Oberfläche kommen zu lassen. Es ist wichtig, sich selbst zu kennen und zu akzeptieren, Gefühle anzunehmen und Bedürfnisse zu respektieren. Wesentlich ist auch, sich Zeit zu lassen und die Ruhe zu gönnen, die gebraucht wird. Sicher kann es auf den ersten Blick schwierig sein, genügend Zeit zum Ausruhen zu finden, wenn das Baby erst einmal da und die erste Zeit nach der Geburt, in der beide Eltern noch zu Hause waren, vergangen ist.
Je weniger die Mutter jedoch von sich selbst verlangt und nicht mehr von sich erwartet als das sie für sich selbst sowie für ihr Baby sorgt, desto mehr Zeit verschafft sie sich zum Ausruhen. Es ist vollkommen unwichtig, ob das Geschirr jetzt oder später abgewaschen wird, die Wäsche noch etwas länger auf der Wäscheleine hängt oder das Bett einmal erst gegen Mittag gemacht ist. Erstaunlich, wie viel plötzlich geschafft werden kann, trotz der für sich selbst heraus genommenen Zeit. Es kann durchaus notwendig werden, um Hilfe zu bitten. Wir alle neigen dazu, lieber zu schweigen, als Anderen Umstände zu machen oder ihnen zur Last zu fallen. Eine gute Freundin, die Schwester oder Schwägerin, eine Nachbarin zu der ein gutes Verhältnis besteht, die »frischgebackenen« Großeltern können eine wertvolle Unterstützung in dieser ersten mitunter turbulenten Zeit mit dem Baby sein.
Die Voraussetzung für eine funktionierende Kommunikation mit dem Baby und eine intensive, intuitive Eltern-Kind-Beziehung sind entspannte, ruhige Eltern. Sie sind mit sich selbst im Reinen, kennen ihre Bedürfnisse und wissen ungefähr, wie sie in gewissen Situationen reagieren. Wenn eine Mutter beispielsweise weiß, dass sie gereizt reagiert, wenn sie müde wird, dann soll sie sich einen Augenblick Ruhe gönnen, sich mit ihrem Baby an einen ruhigen Ort legen, einen Moment die Augen schließen und den Augenblick genießen, ohne an zu erledigende Dinge zu denken, auch wenn das manchmal schwierig ist.
Nur wer für sich selbst gut sorgt, kann dies auch für sein Baby tun!
Der Anfang
Ich werde oft gefragt, ob Neugeborene nicht noch zu klein wären für die Windelfreiheit, ob es ihnen in Windeln nicht besser gehe und ob sie nicht ihre Ruhe bräuchten. Es erscheint mir unmöglich, dass sich ein Neugeborenes, das neun Monate uneingeschränkten Körperkontakt mit sich selbst, sowie mit der Mutter hatte, das seinen Körper vollkommen und ganz wahrnehmen, erfahren und spüren konnte, in Windeln wohl fühlt und dass es ihm darin besser gehen sollte als ohne Windeln. Die Ruhe, die ein Säugling braucht ist, den vertrauten Herzschlag von Mutter und Vater zu hören und möglichst wenigen Reizen ausgesetzt zu sein. Das heißt, möglichst selten (am Besten gar nicht) mit lauten Geräuschen, grellem Licht und vielen Menschen konfrontiert zu werden.
Ein Baby kommt in der Erwartung seiner 100 %igen Bedürfnisbefriedigung (Nahrung, Schlaf, Ausscheidung, Liebe/Nähe/Körperkontakt) und mit Liebe und Vertrauen in seine Umgebung auf die Welt. Um seine Bedürfnisse zu signalisieren, setzt es Laute und Signale ein in der Erwartung, dass diese auch erfüllt werden. Diese Erwartung ist instinktiv und sichert ihm das Überleben, denn ohne die schützenden Arme seiner Mutter, wäre ein Neugeborenes vor Jahrtausenden verloren gewesen. Bleibt die Erfüllung dieser (über)lebensnotwendigen Bedürfnisse aus, stirbt ein Baby.
Ein Neugeborenes ist zum Zeitpunkt seiner Geburt vollkommen schutzlos und auf Hilfe angewiesen. Diese Schutzbedürftigkeit nimmt von Jahr zu Jahr ab und endet etwa mit dem siebenten Lebensjahr eines Kindes. Mit sieben Jahren ist ein Kind theoretisch fähig, selbstständig zu überleben (Nahrung, Unterschlupf), wobei damit lediglich die Aufrechterhaltung des Lebens gemeint ist. Die Hilfsbedürftigkeit des Säuglings äußert sich im Signalisieren der verschiedenen Bedürfnisse, das immer drängender wird (wimmern – weinen – brüllen) und der Erwartung (z. B. offener Mund, der die Brustwarze sucht und Saugbewegungen macht), dass die signalisierten Bedürfnisse erfüllt werden. Selbst bei Frühgeborenen ist dieses Signalisieren mehr oder weniger stark ausgeprägt – wobei es darauf ankommt, um wie viele Wochen das Baby zu früh zur Welt gekommen ist.
Ebenso wie Hungergefühl, Schläfrigkeit, Unwohlsein, Kälte oder Wärme wird auch das Ausscheidungsbedürfnis des Babys durch verschiedene Zeichen/Signale angezeigt, die ihm die Möglichkeit bieten, uns seine Bedürfnisse mitzuteilen. Jedes Baby hat einen bestimmten »Signalschatz«, der von Baby zu Baby unterschiedlich ist und auch verschieden angewendet wird. Um die Signale des Babys kennen zu lernen und deuten zu können, braucht es bei Körperkontakt, Tragen und viel Nähe ein paar Tage bis wenige Wochen, je nachdem, um welches Signal es sich handelt. Da dieser individuelle »Signalschatz« sehr stark mit der jeweiligen Entwicklungsstufe im Zusammenhang steht, kann er sich im Laufe des ersten Lebensjahres sehr schnell (manches Mal scheinbar über Nacht) ändern, aber auch über einen längeren Zeitraum anhalten.
Nimmt ein Baby ein Bedürfnis wahr, spürt es zum Beispiel, dass seine Blase voll ist, so beginnt es ein bestimmtes Signal zu verwenden (meist jenes, worauf wir am besten ansprechen), das mit zunehmender Dringlichkeit des Bedürfnisses deutlicher und stärker wird. Wird auf diese Signale eingegangen und reagiert, so entsteht eine Art von Kommunikation, ein Zusammenspiel, ein Geben und Nehmen. Das Baby wächst in dem Bewusstsein seines Körpers und seiner Bedürfnisse auf. Es lernt auf sich zu hören und seinen Empfindungen und Wahrnehmungen zu vertrauen. Wann genau sich die Fähigkeit des Babys, sein Ausscheidungsbedürfnis wahrzunehmen und es zu signalisieren, verliert, wenn nicht darauf reagiert wird, lässt sich nicht genau sagen und ist stark vom gesamten Umgang mit dem Baby abhängig. Tatsache ist, dass, wenn auf die Signale des Babys nicht eingegangen wird, die Sensibilität gegenüber dem Ausscheidungsbedürfnis sowie den Ausscheidungen von Monat zu Monat abnimmt und mehr und mehr in den Hintergrund rückt.
Viele Eltern, die meine Seminare besuchen oder von dieser Methode erfahren und deren Babys schon älter als fünf Monate sind, glauben, dass es zu spät für den Beginn mit der Kommunikation über die Bedürfnisse und Gefühle sei. Natürlich verliert sich die Sensibilität des Babys für die eigenen Ausscheidungen mit jedem Lebensmonat, der vergeht, ohne dass auf seine Signale eingegangen wird. Dennoch ist es nie zu spät, mit der intensiven und intuitiven Kommunikation zu beginnen. Ganz im Gegenteil. Vor vier Jahren lernte ich bei einem unserer »Windelfrei-Treffen« eine Mutter kennen, deren Sohn zehn Monate alt war als sie von der Möglichkeit erfuhr, mit dem Baby über seine Ausscheidungen zu kommunizieren und gleich darauf damit begonnen hat. Mit Erfolg: Kurz darauf funktionierte ihre Kommunikation und sie konnte auf Windeln verzichten.
Selbst wenn das Baby schon über sechs Monate alt ist, so ist es zu diesem Zeitpunkt noch viel eher möglich, die Sensibilität wieder zu wecken als eineinhalb oder zwei Jahre später, wenn sie höchstwahrscheinlich bereits gänzlich verloren gegangen ist. Es dauert im Vergleich Monate, wenn nicht sogar Jahre, bis annähernd das erreicht wird, was wir als gesunde Körperwahrnehmung bezeichnen könnten – die in Wahrheit nie bis selten erreicht wird. Ein sechs Monate altes Baby hat vielleicht schon aufgegeben, Signale zu senden, ist aber noch sensibel genug seine Ausscheidungen wahrzunehmen. Natürlich ist es nicht so leicht, wie mit einem Neugeborenen, das nichts anderes erwartet, als dass auf seine Signale reagiert wird. Und natürlich wird es längere Zeit und viel Geduld von den Eltern erfordern, um die Kommunikation zu beginnen, da es auch für sie eine enorme Umstellung bedeutet. Zumal sich das Baby in einer Phase des Entdeckens seiner Umgebung und seiner eigenen Mobilität befindet, was die Kommunikation teilweise erschweren kann. Wie mir viele Erfahrungsberichte von Eltern gezeigt haben, ist es...