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E-Book

Wirtschaftsgeschichte der Antike

AutorMichael Sommer
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2013
ReiheBeck'sche Reihe 2788
Seitenanzahl129 Seiten
ISBN9783406654817
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Rund 10.000 Jahre Wirtschaftsgeschichte werden in diesem schlanken Buch konzise zusammengefasst - von der Sesshaftwerdung des Menschen und den Anfängen des Ackerbaus bis in die Spätantike. Je komplexer die Gesellschaftsformen wurden, die der Mensch hervorbrachte, umso wichtiger wurde die Sicherstellung der Versorgung der Gemeinschaft, aber umso reizvoller auch die Beschaffung von Gütern, die der sozialen Distinktion dienten. Handel und Handwerk erfuhren im Laufe der Jahrtausende neue Impulse, und es entstand der Typ des Entrepreneurs, der bereit war, hohe Risiken in Kauf zu nehmen, wenn er seine Waren mit Karawanen über Land oder mit Schiffen zur See transportiere, um sie am Bestimmungsort mit großem Gewinn zu verkaufen.

Michael Sommer, Professor für Alte Geschichte in Oldenburg, erzählt in diesem Buch eine ebenso facettenreiche wie spannende Geschichte der antiken Wirtschaft. Von demselben Autor ist im Verlag C.H.Beck lieferbar: Die Phönizier. Geschichte und Kultur (2008).

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Leseprobe

I. Einleitung: Szenarien


Am Anfang allen Übels war der Apfel. Er wuchs am Baum der Erkenntnis, von dem zu essen Gott Adam und Eva, seinen Kreaturen, verboten hatte. Doch zu verlockend waren die Früchte des Baumes: Eva erlag der Versuchung und gab auch Adam von dem Apfel zu kosten. Die Strafe folgte auf dem Fuß: «Weil du auf deine Frau gehört und von dem Baum gegessen hast, von dem zu essen ich dir verboten hatte: So ist verflucht der Ackerboden deinetwegen. Unter Mühsal wirst du von ihm essen.» Im Garten Eden, in den Gott Adam und Eva gesetzt hatte, wuchsen allenthalben Früchte. Die ersten Menschen hatten sich nur der Opulenz bedienen müssen, mit der Gott sie umgeben hatte. Jetzt verfügte ihr Schöpfer: «Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du zurückkehrst zum Ackerboden; von ihm bist du ja genommen.» Gott vertrieb den Menschen aus dem Paradies; Tod und Mühsal waren in die Welt gekommen (Genesis 3:17 und 19).

Von Krisen und Konjunkturen


Wer antike Wirtschaftsgeschichte schreiben möchte, muss buchstäblich bei Adam und Eva anfangen. Zwar lädt die Episode ein zu theologischen und psychologischen Deutungen, doch ist sie, vom Standpunkt des Historikers, vor allem eines: eine Erzählung vom Goldenen Zeitalter, wie die antike Welt sie zu Dutzenden kannte. Zuerst taucht bei Hesiod, in griechischer Sprache verschriftlicht, der Mythos von einem «goldenen Menschengeschlecht» auf, das einst unter Zeus’ Vater Kronos ein sorgenloses Dasein geführt habe, ohne Arbeit und Hungersnöte. Auf das «goldene» sei ein «silbernes» Geschlecht gefolgt, darauf die Heroen, die schließlich, in der Gegenwart, eine Gattung «eiserner» Menschen abgelöst habe: «Völlig verderbt; auch senden die Götter noch lastende Sorgen» (Hesiod, Werke und Tage 176). Mit jeder Stufe habe sich der Abstieg der Menschheit zu einem immer mühevolleren, freudloseren und moralisch minderwertigeren Dasein fortgesetzt. Für die Zukunft prognostiziert Hesiod noch Schlimmeres: Zeus wird die Menschheit vernichten, «zurück wird bleiben der sterblichen Menschen/Düsterer Jammer, und Hilfe sich nirgends zeigen im Elend» (ebd. 200f.).

Den Mythos griff später die griechische Philosophie in unterschiedlichen Varianten auf. Stets wird ein idealer Urzustand in eine ferne Vergangenheit projiziert. Die Gegenwart wird als Produkt eines längeren Verfallsprozesses gedeutet, auf den aber Regeneration folgen kann. Die meisten Lehren erweitern das mythische Modell um eine zyklische Komponente: Der im 5. Jh. v. Chr. lebende Vorsokratiker Empedokles meinte, die Menschheit habe anfänglich in Frieden, Liebe und Harmonie – éros – gelebt, bis éris, Streit, Einzug gehalten und der Eintracht ein Ende gesetzt habe. Wie später auch Platon und Aristoteles wähnte Empedokles die Menschheit seiner Zeit auf dem absteigenden Ast: Éris greife immer mehr um sich, bis einst, auf dem Höhepunkt ihrer Macht, die Umkehr zum éros einsetzen werde.

Man erkennt auf den ersten Blick, dass die Menschen der Antike die Entwicklungsperspektiven ihrer Welt elementar anders wahrnahmen als wir heute. Die Moderne ist tief geprägt vom Wachstums- und Fortschrittsaxiom des Industriezeitalters. «Unsere Kinder sollen es besser haben» ist seit Jahrhunderten das eigentliche Glaubensbekenntnis der industriellen Gesellschaft. Technologischer Fortschritt und ein stetig steigender Lebensstandard gelten – oder galten doch bis vor kurzem – als alternativlose Grundlagen der conditio humana. Tatsächlich wurzelt der Mythos vom ewigen, grenzenlosen Wachstum wohl noch tiefer: Seit den Anfängen von Landesausbau und intensiver Landwirtschaft in der mittelalterlichen Île-de-France ging es in Europa fast jeder Generation besser als der vorhergehenden. Unterbrochen nur von gelegentlichen Rezessionen, Seuchen und Kriegen, ist die Geschichte des Westens eine präzedenzlose Erfolgssaga, deren Fortsetzung für alle Zukunft wir selbstverständlich erwarten.

Freilich reagiert eine vom Fortschrittsgedanken beseelte Gesellschaft besonders empfindlich auf Ereignisse, die ihrem optimistischen Weltbild zuwiderlaufen. Sie empfindet selbst Stagnation und schon gar wirtschaftliche Rückschläge regelmäßig als Katastrophen. Der «Gründerkrach» 1873, die Depression ab 1929 und der doppelte Ölpreisschock, mit dem 1973 und 1979 das deutsche Wirtschaftswunder endete, lagerten sich im kollektiven Gedächtnis ganzer Generationen ab. Starr vor Schreck verfolgt eine verunsicherte Welt heute die sich überschlagenden Hiobsbotschaften, mit denen die Wirtschafts- und Finanzredaktionen die Öffentlichkeit buchstäblich im Sekundentakt bombardieren. Wir haben, nicht erst seit Euro- und Bankenkrise, ein fast schon pathologisches Krisenbewusstsein entwickelt, dessen Gradmesser Börsenkurse und Anleiherenditen sind.

Ein solches Krisenbewusstsein war der Antike fremd, weil es ihrem Weltbild widersprach. Wohl gab es das Gefühl, dass Dinge im Argen lagen, und gewiss gab es Ansätze, daran etwas zu ändern. Das wohl beste Beispiel für einen pragmatischen Ansatz, eine in wirtschaftliche Schieflage geratene Gesellschaft wieder aufzurichten, ist wohl Xenophons um 355/54 v. Chr. entstandene Schrift Über die Staatseinkünfte. Der Autor geht in dieser Schrift der Frage nach, wie die Stadt nach der Niederlage im Bundesgenossenkrieg (357–355 v. Chr.) und dem Verlust der maritimen Hegemonie dennoch ihren Wohlstand behaupten kann. Durch und durch pragmatisch analysiert er, wie die Ressourcen Athens und vor allem das Potential seiner Menschen effizienter nutzbar gemacht werden können. Xenophon argumentiert, Athen könne die Verluste mehr als wettmachen, wenn es den Handel stimuliere, die bisher als Metoiken diskriminierten ansässigen Nichtathener rechtlich besser stelle und Investitionen in die wirtschaftliche Infrastruktur tätige. Vor allem ruft er dazu auf, mehr öffentliches Geld in die Wirtschaft fließen und den Staat eine aktivere ökonomische Rolle spielen zu lassen.

Der Text mutet in seiner analytischen Geradlinigkeit geradezu modern an. Nüchtern lässt sich Xenophon von Nützlichkeitserwägungen leiten, um Athen einen Weg aus der Krise zu weisen. Freilich hatte die Wirtschafts- und Finanzkrise der Stadt einen konkreten politischen Auslöser: den verlorenen Bundesgenossenkrieg. Der Gedanke, verlorenes außenpolitisches Terrain durch die Mobilisierung von Ressourcen im Innern zu kompensieren, lag also nahe. Dennoch ist Xenophons Traktat Über die Staatseinkünfte in seiner Prägnanz und Komplexität ein Solitär in der antiken Literatur: Ökonomische Theorie, die es wohl gab, war sonst fast immer Betriebswirtschaftslehre, bezogen auf den oíkos, den Haushalt. Volkswirtschaftliches Denken hingegen war Mangelware, schon weil man für die großen gesellschaftlichen Notlagen, zu denen eben auch wirtschaftliche Probleme gehörten, in der Regel moralische Missstände verantwortlich machte.

Wenn wir von Krisen in der Antike sprechen, dann legen wir einen modernen, keinen antiken Maßstab an. Dabei kommt «Krise» von einem griechischen Wort: krínein bedeutet unter- oder entscheiden. Eine Krise ist also eine Entscheidungssituation, der Wendepunkt einer meist potentiell gefährlichen Entwicklung. Solche Krisen erlebten die Gesellschaften der alten Welt immer wieder, und meist waren wirtschaftliche Faktoren mit im Spiel. Die Ursachen waren ebenso vielfältig wie die Erscheinungsformen: Anpassungskrisen waren die sozialen Verwerfungen, die sich in der frühen Polis der griechischen Archaik um 600 v. Chr. (S. 52ff.) und in der römischen Republik zu Beginn der Expansion außerhalb Italiens ab ca. 200 v. Chr. bemerkbar machten. Beide Male öffnete sich die soziale Schere, und immer größerer Reichtum konzentrierte sich in immer weniger Händen, während breite Massen in Armut absanken. Eine politische Krise, die sich zur Fiskal- und Legitimitätskrise des Prinzipats auswuchs und regional auch die Wirtschaft schwer in Mitleidenschaft zog, war die unruhige Periode, die das Imperium Romanum im 3. Jh. n. Chr. durchlitt, in der Zeit der sogenannten Soldatenkaiser. Zweimal wuchsen sich multifaktorielle Systemkrisen zu – gemessen an den geographischen Dimensionen der antiken Welt – globalen Katastrophenszenarien aus: am Ende der Bronzezeit (ca. 1200 v. Chr.) mit dem Zusammenbruch der großen Palastzentren von Mykene über Hatti bis Assyrien (S. 42f.), und am Ende der klassischen Antike mit dem Zerfall des Weströmischen Reiches. Auch unter ökologischen Krisen litt bereits die Antike. Ab dem 5. Jh. v. Chr. versumpfte die zuvor fruchtbare Pontinische Ebene im südlichen Latium, nachdem Kahlschlag im umliegenden Hochland die Fähigkeit der Berge, Wasser zu absorbieren, drastisch vermindert hatte. Und in Mesopotamien hinterließen Jahrhunderte des Bewässerungsfeldbaus ihre Spuren in Gestalt fortschreitend versalzender Ackerfluren; bereits in der Frühdynastischen Zeit (ca. 2900–2340 v. Chr.) zwang Versalzung Teile der Landbevölkerung zur Flucht in die auch deshalb rapide wachsenden...

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