Abb. 1: Der Rote Scheckenfalter (Melitaea didyma) kommt in Österreich in drei verschiedenen Unterarten vor. Foto: Peter Buchner.
DNA-BARCODING DER TAGFALTER
(LEPIDOPTERA, PAPILIONOIDEA) ÖSTERREICHS
Unbekannte genetische Vielfalt im Zentrum Europas
Peter Huemer & Benjamin Wiesmair
ABSTRACT
DNA barcodes of 200 different butterfly species from Austria were successfully generated, encompassing 94.5 % of the 211 species ever found in Austria. Sequences of 1263 specimens of the barcode region, the mitochondrial COI gene, longer than 500 bp were recovered and 1224 were fully barcode compliant. 172 species (86.0 % of the inventory) can be identified correctly with the barcode. In 28 species barcode sharing or overlap was found, which may be due to introgression, hybridisation or phylogenetic young species. 164 species or 77.4 % of the Austrian butterfly fauna have unique Barcode Index Numbers (BINs). 13 species cover more than 1 BIN and likely include cryptic diversity, e.g. in Melitaea didyma and Melitaea cinxia. The morphologically hardly separable sister species Leptidea sinapis/Leptidea juvernica, Colias hyale/Colias alfacariensis, Boloria napaea/Boloria pales and Aricia artaxerxes/Aricia agestis are unequivocally separated by their DNA barcodes. M. athalia celadussa is recorded for Austria based on DNA barcode sequences, which are probably reflecting intogression. In Lycaena tityrus, L. alciphron and Euphydryas aurinia the disputed alpine subspecies cluster separately from lowland populations, thus supporting different taxonomic status.
1. EINLEITUNG
Österreich ist mit knapp 84.000 km2 ein flächenmäßig kleines, zentraleuropäisches Land. Dank der einzigartigen Lage, die von den Alpen bis ins Pannonikum reicht, ist die Republik jedoch biologisch ausgesprochen divers. Die Vielfalt spiegelt sich in einer breiten Fülle von 813 Pflanzengesellschaften und damit einhergehend fast 3000 Farn- und Blütenpflanzen, etwa 1000 Moos-, 2300 Flechten-, 5000 Algen- und etwa 10.000 Pilzarten wider. Die Tierwelt umfasst sogar geschätzte 45.000 Arten (PAAR 2004), ist aber in vielen Gruppen wie z. B. Zweiflüglern oder Hautflüglern noch sehr unzureichend erforscht. Schmetterlinge sind mit etwa 4070 bisher nachgewiesenen Arten (HUEMER 2013) eine der megadiversen Gruppen des Landes. Besonders gut untersucht wurden die Tagfalter. Seit etwa 250 Jahren werden sie in Österreich erhoben, kartiert, gezählt und beobachtet, mit einem beachtlichen Ergebnis. Die Alpenrepublik ist mit insgesamt 211 (ehemals) nachgewiesenen Tagfalterarten für europäische Verhältnisse ein ausgesprochen diverses Land. Die Artenzahl übertrifft beispielsweise jene der viel größeren Bundesrepublik Deutschland mit 193 Arten (SETTELE et al. 1999). Der Bestand ist sowohl faunistisch als auch ökologisch und taxonomisch weitgehend erforscht, umfassende Buchprojekte wie über die Tagfalter Wiens (HÖTTINGER et al. 2013) belegen den hohen Kenntnisstand. Auch die Gefährdung der Gruppe ist in der rezenten Roten Liste mit einer Gefährdungskategorie für mehr als 50 % des Artenbestandes (HÖTTINGER & PENNERSTORFER 2005) gut dokumentiert.
Umso erstaunlicher erscheint daher der gravierende Mangel an Daten zur genetischen Vielfalt österreichischer Tagfalter, ist diese doch ein wesentliches Kriterium für Anpassungsmechanismen der Arten an regionale Besonderheiten wie Klimafaktoren etc., Studien mit europäischem Schwerpunkt, wie DINCĂ et al. (2011a, 2015), deuten darüber hinaus, trotz eines bisher postulierten guten Kenntnisstandes, auf ein überraschendes Ausmaß an potentieller kryptischer Diversität bei Tagfaltern, und genetische Daten haben bereits wichtige Hinweise zur Beschreibung kryptischer Arten geliefert z. B. HERNANDEZ-ROLDAN et al. (2016).
DNA-Barcoding hat sich in den letzten Jahren als effektive Methode für eine erste Abschätzung der genetischen Vielfalt etabliert. Es basiert auf einer lediglich 658 Basenpaare (Bp) umfassenden Region der mitochondrialen Cytochrom C Oxidase I (COI 5´), welche bei mehrzelligen Tieren als einheitlicher Standard verwendet wird. Aufgrund der hohen Zuverlässigkeit in der Unterscheidung von Arten, der Reproduzierbarkeit sowie der relativ geringen Sequenzierungskosten liegen inzwischen große Mengen an öffentlichen Vergleichsdaten auch und gerade für Schmetterlinge vor.
Da sich die Tiroler Landesmuseen bereits seit 2010 intensiv und sehr erfolgreich an der globalen DNA-Barcoding Initiative iBOL (International Barcode of Life) beteiligen, war die Methodik somit vorgegeben.
2. METHODIK
2.1. Sampling
Ziel unserer Studie war es, möglichst zumindest vier Barcodes jeder einzelnen Tagfalterart aus Österreich zu generieren. Um eine ausgewogene geografische Abdeckung zu gewährleisten, wurde das Land in einem pragmatischen und weitgehend nach Bundesländern gegliederten Ansatz in drei Regionen geteilt: Nordostösterreich (Oberösterreich, Niederösterreich, Wien, Burgenland), Westösterreich (Vorarlberg, Nordtirol, Salzburg) und Südösterreich (Osttirol, Kärnten, Steiermark). Für jede Region wurde, basierend auf vorhandenen Meldungen (HUEMER 2013), versucht, Samples zu organisieren und nachfolgend sequenzieren zu lassen. Dabei wurde überwiegend auf bereits bestehendes Sammlungsmaterial zurückgegriffen, woraus sich gewisse Ungleichgewichtungen im geografischen Sampling ableiten lassen (Abb. 2). Um die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Sequenzierung zu erhöhen, wurde Material jüngeren Sammeldatums präferiert. Die Belege stammen weitaus überwiegend aus den Naturwissenschaftlichen Sammlungen der Tiroler Landesmuseen, weiteres aus dem Landesmuseum Kärnten (Klagenfurt) und dem Haus der Natur (Salzburg). Einige Belege standen aus den Arbeitssammlungen Kurt Lechner, Wolfgang Stark und Patrick Gros zur Verfügung. Schließlich wurde eine beachtliche Zahl von Sequenzen aus rezenten Beprobungen im Rahmen des Projektes EUGENMAP generiert.
Die Bestimmung der einzelnen Belege erfolgte grundsätzlich nach morphologischen Merkmalen und wurde mittels der Zuordnung zu vorhandenen Sequenzen in der globalen Datenbank BOLD (Barcode of Life Data Systems) überprüft. Jeder Beleg ist in der Datenbank BioOffice der Tiroler Landesmuseen digital erfasst und georeferenziert. Darüber hinaus wurden sämtliche Belege im Rahmen der Probenübermittlung fotografisch dokumentiert und Bilder samt allen Daten in der Datenbank BOLD hochgeladen.
2.2. DNA-Sequenzierungen/Datenanalysen
Gewebeproben, im Fall der Lepidoptera ein Teil eines Beines oder ein vollständiges Bein, wurden in standardisierte Mikrotiterplatten à 95 Proben überführt und an das Canadian Center for DNA Barcoding (CCDB, University of Guelph, Ontario, Kanada) versendet. Die Gewebeproben bzw. die DNA-Extrakte werden dort als permanente Leihgabe für weitere Untersuchungen gelagert. Die Extraktion, Isolation, Amplifikation wie auch die anschließende Sequenzierung der DNA wurde am CCDB durchgeführt und erfolgte nach den bei DE WAARD et al. (2008) beschriebenen Standardprotokollen.
Die Artbestimmung mittels DNA-Barcode basiert im Wesentlichen auf der Annahme von konstanten interspezifischen Divergenzen zwischen Schwesterarten, auch bei Berücksichtigung intraspezifischer Variation. Das bedeutet, dass ein Exemplar einer Art näher beim nächsten Tier derselben Art gruppiert, als bei der nächst stehenden Art und keine genetischen Überlappungen zwischen den beiden Arten vorkommen. Die Performance der Bestimmung wurde einerseits über Barcode Gaps, andererseits über Barcode Index Numbers getestet. Die Berechnung der intra- und interspezifischen Distanzen basiert auf den durch BOLD zur Verfügung gestellten Algorithmen.
Die Barcode Gap Analyse ermittelt die Verteilung von Distanzen innerhalb einer Art sowie zum nächsten Nachbarn. Alle Arten wurden mit Hilfe der Funktionen in BOLD auf die Präsenz eines Barcode Gaps getestet. Die Tests basieren mit wenigen Ausnahmen auf Sequenzen >500 Bp. Für wenige Arten, die in unserem Material ausschließlich mit kürzeren Sequenzen vorlagen, wurden zusätzlich zur Bewertung eines Barcode Gaps auch weitere Sequenzen aus BOLD herangezogen.
Das Barcode Index Nummer (BIN) System clustert Sequenzen in sogenannte Operational Taxonomic Units (OTUs), und zwar unabhängig von ihrer bisherigen taxonomischen Zuordnung. Es beruht auf einem zweistufigen Algorithmus, der die Sequenzen in einem Cluster gruppiert und neue Sequenzen automatisiert zuordnet (RATNASINGHAM & HEBERT 2013). Dabei werden alle Sequenzen >500 Bp und einige weitere Qualitätsansprüche unabhängig von der Projektherkunft erfasst und einem BIN zugeordnet. Das BIN-System ist letztlich ein probates Mittel zur Prüfung der Konkordanz zwischen morpho-taxonomisch basierten Artbestimmungen und COISequenzdaten.
Neighbor-Joining Trees wurden mit dem Kimura-2-Parameter (K2P) Distanzmodell berechnet und mittels des Programmes MEGA 6 (TAMURA et al. 2013) dargestellt.
Eine Fundpunktkarte wurde mit dem Programm Simple-Mappr erstellt (SHORTHOUSE 2010).
Die Datenanalyse basiert grundsätzlich auf Sequenzen österreichischer Proben. Für insgesamt 11 Arten der nationalen Fauna konnten jedoch keine genetischen Daten ermittelt werden. In diversen Analysen zur Artabgrenzung fließen aber auch Daten dieser Arten aus anderen...