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E-Book

Wittgenstein als politischer Philosoph

Wittgensteins Philosophie als Grundlage für eine politische Philosophie

AutorPhilipp Höhler
VerlagDiplomica Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl95 Seiten
ISBN9783836607735
FormatPDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis33,00 EUR

Was hat der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein mit rechter Politik zu tun? War seine Philosophie anti-dogmatisch, theoriefeindlich und konservativ? Und wieso kann man ihn dann als Anarchisten bezeichnen? Wie kann der Kopf eines Hasen dazu beitragen, neue (Be)deutungen der Begriffe Freiheit, Gerechtigkeit oder Macht zu erlangen? 

Die Antworten auf diese Fragen sind um so interessanter, da er in seinen Werken weder explizit eine politische Meinung äußerte, noch sich dazu berufen fühlte, sich als politischer Philosoph zu positionieren. Betrachtet man seine Philosophie – angefangen beim systematisch-atomistischen Frühwerk, dem “Tractatus logico-philosophicus“, bis hin zu den deskriptiven „Philosophischen Untersuchungen” – etwas genauer, so kann man erkennen, dass diese nicht weniger als die Möglichkeit der Grundlage einer politischen Philosophie bietet, die aktuellen politischen Diskursen mitunter hilfreich sein könnte. Der Wittgensteinschen Philosophie wurde lange Zeit von einzelnen einflussreichen Philosophen und einem großen Teil der späten Sprachphilosophie ausschließlich Relevanz für die Weiterentwicklung der Sprachphilosophie zugesprochen, da sie nicht zeitgenössisch genug für ein politisches Philosophieren gewesen sei. Der Zugang zu einer möglichen Nutzbarkeit seiner Philosophie für das Politische blieb damit lange Zeit versperrt. Vor allem aber wurde dabei verkannt, wie Wittgensteins Philosophie die Grenzen zwischen Handlung und Sprache aufhebt. 

Seit ein paar Jahren jedoch werden seine philosophischen Ausführungen – wenn gleich noch vereinzelt – auch über die bloße Sprachphilosophie hinausgehend betrachtet. Da Weltkonzeption bzw. -auffassung durch Sprache strukturiert ist, ist es wichtig, endlich den Versuch zu unternehmen, Wittgensteins An- und Absichten seines umfangreichen philosophischen Schaffens in einem politischen Licht zu betrachten. In diesem Buch soll vor allem klargemacht werden, warum Begriffe wie „Lebensform“, „Sprachspiel“ und „Aspektblindheit“ als wichtige Säulen einer Wittgensteinschen politischen Philosophie herausgestellt werden müssen, und warum sie als jeweils unverzichtbares Politikum dazu beitragen, Probleme, die auf Missverständnissen der Logik der Sprache beruhen, auflösen zu können. Es geht dabei in der Methode jedoch - im Sinne Wittgensteins - nicht um einen eindeutigen Wahrheits-, sondern vielmehr um einen Klarheitsanspruch.

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Leseprobe

4. Wittgensteins Philosophie als Grundlage für eine politische Philosophie

In diesem Abschnitt soll untersucht werden, ob (und wenn ja, wie) man Wittgensteins philosophische Gedanken für den Bereich der politischen Philosophie verwerten kann. Als Grundlage für diesen Versuch dienen hier die Ausführungen aus den vorangegangenen Kapiteln dieses Buches. Jedoch handelt es sich hierbei nicht um eine in sich geschlossene Theorie - ganz im Sinne des anti-theoretischen Wittgensteins -, sondern vielmehr um ein für Veränderungen und Erweiterungen offenes Konzept mit Überlegungen und Ideen, die sich einer Weiterentwicklung nicht verschließen.

Zunächst soll auf den Regelbegriff eingegangen werden, um im Anschluß daran die Ideen u.a. auf diese Ausführungen zu stützen.

Welche Regeln wir übernehmen, hängt von den herrschenden Konventionen ab. Dieser Aspekt ist das potentiell Politische an den Regeln. In dem Moment, da wir der Regel folgen, spielt ersteres jedoch keine Rolle mehr: „what counts as correctly following the rule is fixed by the rule itself.“ (Bloor 1997: 5) Die Art und Weise des Regelfolgens ist für eine Untersuchung der Gesellschaft als politischer Aspekt zu betrachten. Die Fragestellung ist nicht, welche Regeln befolgt werden, sondern wie sie befolgt werden. Wie schon angemerkt worden ist , dienen die Sprachspiele dabei als Instrument zur Untersuchung von Sprache. So sind wir durch die Substanz der Regeln, die wir angewendet haben, politisch eingeschränkt. Unsere Art des Regelfolgens beschließt unsere Fähigkeit der Veränderung unserer Verhaltensweisen. Wichtig an dieser Stelle ist Janiks Anmerkung der Nichtuniversalität der Regeln - sie sind also nicht prädeterminiert. Wie die Regeln erlernt werden, ist in jedem gesellschaftlichen Kontext einer sozialen Gruppe unterschiedlich, nicht jedoch, was für Regeln erlernt werden. Da also für die Sprache der Kontext des regelkonformen und ebenso -befolgenden Handelns entscheidende Wirkung hat, ist es kompliziert, kontextunabhängige Kriterien für die Lösung politischer Konflikte ausfindig zu machen. Es existiert also eine untrennbare Verbundenheit der Politik mit der Fähigkeit, eine Sprache zu sprechen.

Die Beispiele und Illustrationen beim Lernen von Regeln müssen endlich, finit sein – wie z.B. das Alphabet. Doch das entscheidende Moment ist der Schritt darüber hinaus, der gemacht werden muß, ausgehend von der Basis der gelernten Regeln, in den infiniten Bereich, was durchaus problematisch, da nicht per se definiert ist. Es geht darum, von bekannten zu unbekannten Fällen des Regelfolgens übergehen zu können. Diese Erweiterung des Regelhorizonts ist von zentraler Bedeutung: Der Konsens darüber entspringt bzw. ergibt sich aus dem Bereich des Sozialen. Wittgenstein beschreibt diese Fähigkeit des regelkonformen „next step beyond“ als eine instinktive (aber sozial ausgebildete) Reaktion oder ein instinktives Ausbauen der erlernten Regelbeispiele. Der Konsens macht Normen objektiv. Dies erklärt Wittgensteins „blindes Regelfolgen“. Passend dazu bemerkt Trigg: „Nothing I think or say about myself and the world is determinate until it has been mediated by the rule-governed practices of our shared life.” (Trigg 1991: 210) Es gibt für das blinde Regelfolgen keine rationale Basis. Wittgenstein lehnt bekanntermaßen eine etwaige Nötigkeit, die genauen Schritte eines Regelfolgens im Vorhinein für die Zukunft zu wissen, ab. Denn wenn wir automatisch und instinktiv handeln, brauchen wir kein Vorabwissen.

Als besonders relevant und zentral für eine moderne politische Philosophie ist Wittgensteins Betonung des Bewußtwerdens von Unterschieden - Tully spricht von der “diversity awareness” (Tully 1995: 111): Da das Politische als ein Sprachspiel betrachtet werden soll , muß im politischen Diskurs jede Stimme erhört werden, wenn es zur angestrebten öffentlichen und gemeinschaftlichen Übereinstimmung und Akzeptanz des Sprachspiels kommen soll. “Speech is what makes man a political being” (Arendt 1958: 4), so Hannah Arendt. “[...] wherever the relevance of speech is at stake, matters become political by definition.” Politische Handlung „[…] in so far as it remains outside the sphere of violence, is [...] transacted in words” - “speech is itself political action” (ebd.). Oder, wie es bei Wittgenstein in “Culture and Value” nachzulesen ist: “Words are Deeds.” (Wittgenstein 1981: 46) Von eminenter Bedeutung ist hier die Prämisse, daß das Sprachspiel, also das Politische, nicht unhinterfragbar und unveränderbar ist – vielmehr noch ist diese Flexibilität die Grundvoraussetzung, eben gerade durch eine multipel variierbare Auslegung und Benutzung der Sprachspiele ist die Möglichkeit ihrer Hinterfragbarkeit eingeschlossen. Der fundamentale Gedanke beim politischen Diskurs ist die Abwendung von den limitierten und limitierenden universalistischen Prinzipien und Politikauslegungen, die die Unterschiede und Besonderheiten ignorieren. Warum sollten wir auch annehmen, daß es nur eine Möglichkeit des Handelns, also nur ein Prinzip, in einer bestimmten Situation gibt - und daß ebendiese eine richtige Entscheidung gefunden werden kann?

Ein grundsätzliches Problem bei Handlungen sind Erklärungen, die pauschalisiert werden. Durch diese Theoretisierung der Generalisierung von Handlungsdeskriptionen übersehen wir die distinktiven Möglichkeiten der Handlungsdeskription.

Diese Abwendung, also die Bereitschaft zur absoluten Hinterfragung, drückt sich bei Wittgenstein u.a. in der Hervorhebung der Partikularität (statt der Generalität, statt unserem natürlichen „Streben nach Allgemeinheit“ (Wittgenstein 1984a: 37)) aus. Er betont den Blick auf das Spezielle oder Partikulare deshalb, da er davon überzeugt ist, daß das Streben nach Allgemeinheit vieles verdeckt: Letzteres sei „[…] das Ergebnis einer Anzahl von Bestrebungen, die mit bestimmten philosophischen Verwirrungen verbunden sind.“ (ebd.). Diese Hervorhebung der Partikularität soll in diesem Buch im Kontext des Politischen als Zentrum der Gesellschaft betrachtet werden. Dadurch kann man sich Einsicht in die Natur von politischen Phänomenen verschaffen, die „[…] obtained from meticulously examining individual real and imaginary cases“ (Janik 1985a: 152) befindlich wäre. Die Folge dieser Fokussierung ist die von Wittgenstein hervorgehobene Transferierung hin zur Partikularität auch im Fall des Regelfolgens. Demnach ist eine Generalisierung der Fälle von Regelfolgen ausgeschlossen. Ziel dieses öffentlichen Diskurses ist eine „communication about future collective action“ (Pitkin 1993: 205), die sich durch eine Beschäftigung mit der Heterogenität der Akteure, also mit den Unterschieden, auszeichnet - der Idealfall wäre eine Nivellierung selbiger. Diese Art der Auseinandersetzung mit den Meinungen und Vorstellungen der Individuen führt zu Interesse, Dialog und Toleranz, was für das Politische unumgänglich ist. Zwangsläufig treten damit auch Widersprüche der einzelnen Existenzen auf. Die Einbeziehung ebendieser Widersprüche, also die grundsätzliche Konfliktorientiertheit, ist ein Grundpfeiler einer Wittgensteinschen politischen Philosophie und daher entscheidend für die (Weiter-)Existenz der Gemeinschaft. Um eine einvernehmliche Lösung für die mitunter kontroversen Meinungen aller Akteure im Diskurs zu finden, soll das Wittgensteinsche Instrument der übersichtlichen Darstellung eingesetzt werden, das alle Positionen berücksichtigt und vor allem auch ihre etwaige Widersprüchlichkeit aufzeigt:„Then a simultaneous contemplation of what is right in each view might produce a new synthesis, or at least a perspicious overview of why we are torn between the two positions. And if the conceptual controversy has gotten in the way of substantive work on some theoretical or practical problem, such a perspicuous overview may release us from the controversy to concentrate our attention on the problem.” (ebd.: 315)

Jedoch muß dabei beachtet werden: Es geht weder ausschließlich um die Erlangung eines Zweckkompromisses um jeden Preis, noch um die bedingungslose Zweckakzeptanz und Zweckberücksichtigung jeder (willkürlichen) Meinung und jeder (willkürlichen) Perspektive.

Grundsätzlich befähigt uns das Instrument dazu, Klarheit in unsere konzeptuelle oder grammatikalische Verworrenheit zu bringen. Jedoch ist es nicht nur dafür nützlich, wie im Kapitel 3 dieses Buches erläutert, kann es uns helfen, unsere Verhaftetheit in (politischen) Aspekten und Bildern offenzulegen und zu beheben. Einmal als Instrument öffentlich anerkannt, kann die übersichtliche Darstellung bei Bedarf ad hoc entwickelt werden, von Fall zu Fall – im Sinne der Wittgensteinschen Betonung der Partikularität. Man kann also von einer (Rück)besinnung auf Individualität statt Akzeptanz der Universalisierung sprechen. Ein solch großer Stellenwert der Partikularität und damit des Individuums kann eine politische Sozialisierung bzw. soziale Politisierung eben der Individuen zur Folge haben: Dies könnte sich derart gestalten, daß durch die neue Gewichtung und dem gestiegenen Einfluß (durch die Berücksichtigung) des Individuums das Interesse aller Partizipanten der Gemeinschaft an der Mitgestaltung der Gesellschaft bzw. Gemeinschaft und der Politik steigt. Den Aspekt der Partikularität ausdifferenzierend, ist das mithin zentrale Wittgensteinsche philosophische Anliegen und zugleich eine seiner bedeutendsten Errungenschaften anzuführen: gezeigt zu haben, daß es in unserer Sprache keine Tendenz zur Vereinheitlichung gibt, Wittgenstein gemäß ist es nicht möglich, daß die verschiedenartigsten sprachlichen Phänomene unter einen Begriff zu fassen sind. Aus seiner Darstellung des Familienähnlichkeitenbegriffs geht hervor, daß es höchstens Similaritäten untereinander sind. Das bedeutet für eine Wittgensteinsche politische Philosophie, daß es vonnöten ist, die Vielfalt und Verschiedenartigkeit politischer Phänomene herauszuarbeiten und zu etablieren. Janik spricht von „political games“ (Janik 1985a: 152): “Further, a Wittgensteinian political philosophy would emphasize how different ‘political games’ are rooted in different ‘forms of life’.” (ebd.: 153) Diese verschiedenen Lebensformen genauer betrachten zu können, ist dadurch möglich, daß die Beobachtung der Gesellschaft aus der partizipierenden Perspektive geschieht. Die Aufgabe bestünde also darin, die verschiedenen Arten, wie Gemeinschaften durch (politische) Sprachspiele konstituiert sind, zu erfassen. Die Gesellschaft repräsentiert demnach die verschiedenen politischen Phänomene - sie sind inkorporiert. Eine solche Betrachtung würde damit beginnen, diese Phänomene auf ihre Charakteristika zu prüfen - also auf die Ausdrucksweisen, Gestiken, Sprachgebräuche, etc., die sich für die divergierenden Sozialisierungsweisen diverser sozialer Gruppen verantwortlich zeichnen -, um die Komplexität ebendieser Phänomene herauszuarbeiten. Entscheidend ist dabei jedoch, diese gesellschaftskonstituierenden Unterschiede im Interesse des Politischen zu berücksichtigen und ihnen gerecht zu werden. Das Besondere an einer solchen Wittgensteinschen politischen Philosophie wäre, daß sie offenlassen würde, wie genau sich die Gesellschaft unterscheidet. Sie konstituiert sich also über die Sprachmuster der Akteure, ohne deren Natur und Anzahl dezidiert zu analysieren. Das quietistische Charakteristikum läßt sich an dieser Stelle feststellen...

Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis3
1. Einleitung4
2. Wittgensteins „Philosophische Untersuchungen“5
2.1. Wittgensteins Methode5
2.2. Sprachspiele10
2.3. Regeln, Lebensform und Familienähnlichkeit13
2.4. Aspekt21
2.5. Institutionen25
3. Politische Assoziationen27
3.1. Methode27
3.2. Sprachspiele38
3.3. Regeln, Lebensform und Familienähnlichkeit49
3.3.1. Regeln49
3.3.2. Lebensform54
3.3.3. Familienähnlichkeit60
3.4. Aspekt62
3.5. Institutionen67
4. Wittgensteins Philosophie als Grundlage für eine politische Philosophie71
5. Abschließende Bemerkungen84
6. Literaturverzeichnis88

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