Kapitel 3., Chinas WTO-Beitritt und das Auslaufen des Agreement on Textiles and Clothing (ATC)
Die WTO ist wohl die bedeutendste Organisation für den weltweiten Handel (146 Staaten). Sie wurde am 01.Jan.1995 mit Sitz in Genf gegründet und verfolgt die Idee der Liberalisierung des Handels und des Abbaus von tarifären (z.B. Zölle) und nichttarifären Handelshemmnissen (z.B. Importlizenzen, Industrie- und Sicherheitsstandards, Verpackung). Die WTO entstand, nachdem in der Uruguay-Runde (1986-94) die Mitglieder der GATT-Abkommen (General Agreement on Tariffs and Trade) sich auf deren Errichtung geeinigt hatten. Sie stellt gewissermaßen die Institutionalisierung der GATT-Abkommen dar.
Mit dem Beitritt Chinas zur WTO am 11.Dez.2001 und dem Auslaufen des Agreement on Textiles and Clothing (ATC, Welttextilabkommen) am 31.Dez.2004, unterliegt der internationale Textil- und Bekleidungshandel nun weitgehend den allgemeinen Regeln der WTO (Handelsliberalisierung, Meistbegünstigung und Reziprozität). Zuvor regulierten Importquoten den Handel, die anhand bilateraler Abkommen für die unterschiedlichen Produktkategorien festgelegt wurden. 1995 ging das ATC letztendlich aus dem mehrmals verlängerten Multi Fibre Agreement (MFA, Multifaserabkommen) von 1974 hervor.
In diesem wurden die Quoten und Zölle auf mehrere verschiedene textile Produktkategorien ausgedehnt, nachdem bis dahin nur eine Reglementierung von Baumwollprodukten vorgenommen wurde (Long Term Agreement on Cotton Textiles von 1962). Das primäre Ziel dieser Ausnahmeregelungen war der Schutz des heimischen Textil- und Bekleidungsgewerbes der Industrieländer vor Billigimporten aus dem Ausland.
Das ATC legte erstmals einen Plan für eine schrittweise Liberalisierung des internationalen Handels fest, welche in vier Stufen (1995, 1998, 2002 und 2005) vorgenommen werden sollte. Die größte Liberalisierungsstufe trat am 01.Jan.2005 ein, weil die Abnehmerländer bis zu diesem Zeitpunkt nur Produkte in den freien Handel gebracht hatten, die kaum von Quotenregelungen betroffen waren. In sensiblen Produktgruppen wie Hemden, Hosen, T-Shirts und Unterwäsche hielten die Länder die Quoten bis zum Ende des ATC aufrecht. So waren Ende 2004 noch 167 der 218 EU-Importquoten für elf WTO-Mitgliedsstaaten (darunter auch China) gültig.
Dies war ein Grund, warum der Aufschrei mancher Länder groß war, als die Quoten am 01.Jan.2005 fielen und China innerhalb kürzester Zeit den europäischen Markt mit importierten Textilien überschwemmte.
Auf Intervention von z.B. Italien, Frankreich, Portugal und Griechenland wurde zwischen China und der EU beschlossen, die Quotenregeln erst 2008 auszusetzen. Vor allem in Südeuropa (z.B. Italien) wurde versäumt, auf größere Produktionseinheiten zu setzen und dies obwohl die Textil- und Bekleidungsindustrien sich 10 Jahre auf den Quotenfall vorbereiten konnten. Deutschland steht im internationalen Vergleich besser da, weil die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie schon Anfang der Siebziger begonnen hat, ihre Produktionsstätten ins Ausland zu verlegen. Mittlerweile werden 90% im Ausland produziert. In Deutschland verbleibt nur noch die Musterfertigung, Design, Vertrieb und Verwaltung. Der technologie- und kapitalintensive Teil der Textilindustrie konzentriert sich auf qualitativ hochwertige Nischenprodukte. Zeichen dafür ist, dass sie mittlerweile 40% ihres Umsatzes mit technischen Textilien macht.
Die Einführung des sog. Quotenregimes beschleunigte die Globalisierung der Textil- und Bekleidungsproduktion, denn aufgrund der hohen Arbeitskosten in Deutschland und der Importbeschränkungen mussten die Unternehmen ihren Einkauf internationalisieren und zunehmend ihre Produktion ins billigere Ausland verlegen. Damit wurde das Ziel der Quoten, die heimischen Arbeitsplätze in der Textil- und Bekleidungsindustrie zu sichern, weitgehend verfehlt. Die Umstrukturierung wurde einfach nur hinausgezögert.
Als weitere Folge der Quoten haben sich andere Entwicklungsländer wie Bangladesch, Vietnam oder Burma, durch ihre künstlich verbesserte Wettbewerbsposition als Standorte für die Bekleidungsproduktion hervorgetan. In diesen Ländern gab es zwar meist keine Quoten, wenn doch, waren sie selten ausgeschöpft. Die Hersteller waren jedoch oft auf Importe von Vorleistungen (z.B. Stoffe oder Zutaten wie Knöpfe) angewiesen. Das beinhaltet ein zusätzliches Währungsrisiko für die Unternehmen. Die Importquoten hatten damit eine ineffiziente Allokation von Ressourcen zur Folge. Daraus resultierten Wohlfahrtsverluste sowohl für die Entwicklungsländer als auch für die Konsumenten der Industrieländer. Nach Schätzungen des International Monetary Fund und der Weltbank lagen die Einbußen für die Entwicklungsländer bei jährlich über 20 Mrd. US$. Für die Konsumenten in den Abnehmerländern führten die Zölle und Quoten zu bis zu 20% erhöhten Verkaufspreisen. Grund dafür war, dass die Quoten in manchen beliebten Produktgruppen (z.B. T-Shirts, Hemden, Hosen, BH`s) versteigert wurden und diese Kosten oft höher als die Herstellungskosten des Produktes waren. Für Hosen bspw. waren die Quotakosten mitunter doppelt so hoch wie die Kosten der Herstellung. Kurz nach dem Fall der Quoten im Januar 2005 kosteten die Hosen in der Herstellung nur noch 61 Cent, ein Jahr zuvor waren es noch 2,70 Euro. Für Strick-Artikel sanken die Preise von 6,80 Euro auf 4,03 Euro.
Damit gehören nach dem Wegfall der Quoten, neben den Verbrauchern in Deutschland und Europa, die Chinesen (auch Indien) selbst zu den Gewinnern, da sie aus dem Stand ihre Produktion und damit die Exporte erheblich erhöhen konnten.
Andere Entwicklungsländer die durch die Quoten einen Standortvorteil gegenüber China hatten, gehören hingegen zu den Verlierern. Ihre Wirtschaft ist zumeist stark von den Bekleidungsexporten, die in nur wenige Abnehmerländer bzw. -regionen (meist USA und die EU) gehen und von Zulieferungen textiler Vorprodukte, abhängig. So machen bspw. die Bekleidungsausfuhren in Bangladesch etwa drei Viertel der Exporte aus. Nach Schätzungen des Washingtoner National Council of Textile Organizations werden 30 Mio. Textilarbeiter außerhalb Chinas ihre Jobs verlieren.