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E-Book

Witz und Psychoanalyse

Internationale Sichtweisen - Sigmund Freud revisited

AutorKarl Fallend
VerlagStudienverlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783706558204
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
'... Witze, die im Volke umlaufen, sind vortreffliche Hilfsmittel zur Erforschung des unbewussten Seelenlebens, ganz ähnlich wie die Träume und die Mythen und Sagen ...' Sigmund Freud benannte damit schon sehr früh wesentliche Aufgabenfelder der Psychoanalyse, die heute immer weniger Beachtung finden. 1905 verfasste Sigmund Freud seine außergewöhnliche Studie 'Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten'. Hundert Jahre später motivierte der Herausgeber PsychoanalytikerInnen und SozialwissenschaftlerInnen aus verschiedenen Ländern und Kontinenten, diese Pionierarbeit analytischer Sozialpsychologie noch einmal mit Muße zu lesen und aktuell zu reflektieren. Eignet sich die Analyse des Witzes zur Erforschung des Unbewussten? Sozialpsychologische, historische und theoretische Ergebnisse sowie Erfahrungen aus der therapeutischen Praxis werden in diesem Sammelband vorgestellt.

Karl Fallend, Univ. Doz. Dr., geb. 1956; freiberuflich wissenschaftlich tätig; lehrt Sozialpsychologie am Institut f. Psychologie an der Universität Innsbruck. Mitherausgeber der Zeitschrift WERKBLATT. Zeitschrift für Psychoanalyse und Gesellschaftskritik. Zahlreiche Publikationen zur Geschichte der Psychoanalyse, Psychologie und Menschenrechte und der Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Er lebt in Wien und Linz.

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Leseprobe

Peter Schneider

Der Witz und seine Beziehungen zur Psychoanalyse


I.


„Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“, bemerkt Ernest Jones, werde „von allen Büchern [Freuds, Anm. d. Verf.] am wenigsten gelesen, vielleicht weil es am schwersten ist, richtig zu verstehen.“ Parallel zum „Witz“-Buch habe Freud an den „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ gearbeitet: „Freud hielt beide Manuskripte auf zwei nebeneinanderstehenden Tischen und schrieb je nach Laune bald an dem einen, bald an dem anderen. Es war meines Wissens das erstemal, dass Freud an zwei Abhandlungen gleichzeitig arbeitete, woraus man ersieht, wie eng für ihn diese beiden Themen zusammenhingen.“ Beide Bücher seien ihrerseits „direkt aus den Ideen der großen ‚Traumdeutung‘ herausgewachsen. So sieht man, dass die Entwicklung von Freuds Gedanken und Studien in den ersten Jahren des Jahrhunderts ganz kontinuierlich vor sich ging.“1

Bekanntlich hatte Freud sich bereits während der Arbeit an der „Traumdeutung“ mit dem Witzthema beschäftigt: Aus seinen Ferien in Aussee schreibt er am 26.8.1898, dass er sich „in das Studium von Lipps versenkt habe“, dessen im gleichen Jahr erschienenes Buch über „Komik und Humor“ ihm also bereits viele Jahre vor der Fertigstellung des „Witz’“ nicht entgangen sein dürfte. Am 11.9.1899 teilt er Fließ die Erkenntnis mit, warum die Träumer in ihren Träumen so oft „unausstehlich witzig“ seien: „… sie sind es aus Not, weil sie im Gedränge sind, ihnen der gerade Weg versperrt ist. … Der scheinbare Witz aller unbewussten Vorgänge hängt intim mit der Theorie des Witzes und des Komischen zusammen.“

Gewiss also besteht ein „Zusammenhang“ – wie Jones mutmaßt – zwischen der „Traumdeutung“, den „Drei Abhandlungen“ und dem „Witz“, doch ebenso gewiss zeichnet sich dieser, wie ich zeigen möchte, nicht vor allem durch Kontinuität aus.

In der „Einleitung“ zum „Witz“ (im ersten, „analytischen“ Teil des Buches) lässt Freud – ähnlich wie im Literaturkapitel der „Traumdeutung“ – die Bestimmungen des Komischen und des Witzes Revue passieren, die er bei anderen Autoren gefunden hat. Dabei hebt er u.a. folgende Punkte hervor2:

• Der Witz enthüllt „Ähnlichkeiten zwischen Unähnlichem“, er ist der „verkleidete Priester, der jedes Paar traut“ (Jean Paul).

• „Wir leihen einer Aussage einen Sinn und wissen, dass er ihr logischerweise nicht zukommen kann. Wir finden in ihr eine Wahrheit, die wir dann doch wiederum den Gesetzen der Erfahrung oder allgemeinen Gewohnheiten unseres Denkens zufolge nicht darin finden können. Wir gestehen ihr eine über ihren wahren Inhalt hinausgehende logische oder praktische Folge zu, um eben diese Folge zu verneinen, sobald wir die Beschaffenheit der Aussage für sich ins Auge fassen. In jedem Falle besteht der psychologische Prozess, den die witzige Aussage in uns hervorruft und auf dem das Gefühl der Komik beruht, in dem unvermittelten Übergang von jenem Leihen, Fürwahrhalten, Zugestehen, zum Bewusstsein oder Eindruck relativer Nichtigkeit.“ (Theodor Lipps)

• Der Witz wirkt durch „Verblüffung und Erleuchtung“ (Gerardus Heymans), sein Charakter ist gekennzeichnet durch Knappheit und Verkürzung (Lipps) und dadurch, dass er „etwas Verborgenes oder Verstecktes“ hervorholt (Kuno Fischer).3

Der Wert dieser Einsichten in die Funktionsweise des Witzes sei nicht zu unterschätzen, und dennoch, so Freud, blieben sie „disiecta membra, die wir zu einem organisch Ganzen zusammengefügt sehen möchten“4. Disiecta Membra – zerstreute Bestandteile, das ist das, was Horaz zufolge (Sermones I, 4, Z. 625) übrig bleibt, wenn man Poesie in Prosa übersetzt6, der Dichtung also ihrer spezifische Form raubt. Freud will diese zerstreuten Bestandteile zu einer der Sache getreueren Theorie des Witzes zurückübersetzen. Als rhetorische Figur leuchtet die Absichtserklärung, die Bestandteile zu einem „organisch Ganzen“ zusammenzufügen, ein, doch auf dem Hintergrund der „Traumdeutung“ gelesen, widerspricht sie dem Prinzip der deutenden Aufklärung, das gerade auf Zersetzung des plausiblen Zusammenhangs als hartnäckigster Form der Täuschung beruht. Woher der synthetische Furor Freuds? Ich glaube, die „Traumdeutung“, die „Drei Abhandlungen“ und der „Witz“ sind nicht kontinuierliche Emanationen einer in ihrem Kern bereits angelegten Theorie, sondern selbst zerstreute Bestandteile einer erst noch ausstehenden (und wohl immer noch ausstehenden und auch für die Zukunft ausstehend beleibenden) Theoretisierung des Psychischen.

Auch Karl Marx greift den Terminus der „disiecta membra“ auf, dort wo er im „Kapital“ die Entstehung und die Funktionsweise der Manufaktur beschreibt. Stellen wir uns Freud in dieser Passage bei seiner von Jones geschilderten Arbeit an zwei Schreibtischen als eine Art Ein-Personen-Manufaktur vor, bei der die rechte Hand des Chefs Freud nicht immer weiß, was die Linke tut und der Chef selbst noch nicht, wie er die Arbeiten zu einem „organisch Ganzen“ fügen kann. Bei Marx heißt es: „Ein Handwerker, der die verschiednen Teilprozesse in der Produktion eines Machwerks nacheinander ausführt, muss bald den Platz, bald die Instrumente wechseln. Der Übergang von einer Operation zur andren unterbricht den Fluss seiner Arbeit und bildet gewissermaßen Poren in seinem Arbeitstag. Diese Poren verdichten sich, sobald er den ganzen Tag eine und dieselbe Operation kontinuierlich verrichtet, oder sie verschwinden in dem Maße, wie der Wechsel seiner Operation abnimmt. … Aus dem individuellen Werk eines Nürnberger Handwerkers verwandelte sich die Uhr in das gesellschaftliche Produkt einer Unzahl von Teilarbeitern … Nur wenige Teile der Uhr laufen durch verschiedne Hände, und alle diese membra disjecta sammeln sich erst in der Hand, die sie schließlich in ein mechanisches Ganzes verbindet.“7 Die Maschine, in die Freuds Bauteile passen, muss erst noch erfunden werden. Die Poren des Freudschen Arbeitstages sind noch nicht geschlossen. Und das Ziel unserer Lektüre Freuds kann es auch nicht sein, an der Verdichtung dieser Poren zu arbeiten.

Kein anderes „membrum“ der Freudschen Theorie ist derart explizit auf die Bedeutung des Anderen für das Ich ausgerichtet wie der „Witz“. In diesem Sinne bildet es eine unverbundene Ergänzung zu den „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ (oder man könnte auch sagen: die Pointe, die den „Drei Abhandlungen“ erst den echten Witz verleiht), welche über weite Strecke als Versuch einer psychologischen Entwicklungstheorie (in Form einer Quasi-Biologie) des Sexualität erscheinen. Man muss die „Drei Abhandlungen“ anhand vereinzelt in ihr selbst schon angelegten Kontrapunkten gehörig gegen den Strich lesen, um sie aus der Sackgasse des Konzepts einer endogen sich formierenden Sexualität zu befreien.

II.


„Durch Worte kann ein Mensch den anderen selig machen oder zur Verzweiflung treiben, durch Worte überträgt der Lehrer sein Wissen auf die Schüler, durch Worte reißt der Redner die Versammlung der Zuhörer mit sich fort und bestimmt ihre Urteile und Entscheidungen. Worte rufen Affekte hervor und sind das allgemeine Mittel zur Beeinflussung der Menschen untereinander“, sagt Freud in den „Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse“8. Und im Witz zeigt er – am Beispiel dessen, wie man mit Worten Andere lachen macht –, worin die performative Kraft von Worten besteht. Sinn und Trieb sind im „Witz“ auf eine Art enggeführt, die es überhaupt ermöglicht, einen Bezug zwischen der Sinn- und Wunsch-Theorie der „Traumdeutung“ einerseits und der Trieb-Theorie der „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ andererseits zu erahnen. Und man muss den „Witz“ und die „Abhandlungen“ zusammenlesen, um die auseinanderlaufenden Linien Sexualität und Verführung wieder zusammenzubringen. Der Witz, so kann man pointiert sagen, betont die Notwendigkeit der „Verführung“ (in diesem Fall: der Verführung zum Lachen) für die Ökonomie des psychischen Apparats, der des Umwegs über den (lachenden) Anderen nicht entbehren kann, wenn er selber Lust aus seiner Tätigkeit ziehen will.9

Freud bringt die zahlreichen von ihm untersuchten Witzbeispiele und Witztechniken auf einen einzigen Nenner: Sowohl der „harmlose“ Witz (das Spiel mit Sinn und Unsinn) als auch der „tendenziöse“ Witz (der verborgene sexuelle oder aggressive Impulse zum Ausdruck bringt) erzielen ihre Wirkung durch die Ersparung von psychischem Aufwand. Dieser Aufwand kann (beim tendenziösen Witz) der sonst gegen die verpönten sexuellen und aggressiven Tendenzen gerichtete „Hemmungsoder Unterdrückungsaufwand“ sein oder aber (beim harmlosen Witz) jener psychische Aufwand, der erforderlich ist, das „wilde“, unbewusste,...

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