Hopp Schwiiz
Die Sehnsucht heisst Viertelfinal
Vladmir Petkovic geht seine erste Weltmeisterschaft mit hohen Erwartungen an.
Inzwischen gehört die Schweiz zum »festen Inventar« bei WM- und EM-Endrunden. In Russland soll und kann der ganz grosse Durchbruch gelingen. Ex-Nationalcoach Rolf Fringer hat das Team von Vladimir Petkovic in der Qualifikation genau beobachtet – und traut der Mannschaft im Sommer 2018 sehr viel zu.
Der Nervenkrimi in den (erfolgreichen) Playoffs gegen Nordirland hat Spuren hinterlassen. Nicht nur am Rasen im St. Jakob-Park in Basel, der nach der 0:0-Regenschlacht runderneuert werden musste. Auch die Gemüter der Schweizer Fussballfans waren noch Tage danach voller Adrenalin. »Genau diese Emotionen machen den Fussball so faszinierend«, findet Rolf Fringer, der bis zur letzten Sekunde mit dem Team mitfieberte.
Der ehemalige Schweizer Nationaltrainer und heutige TV-Experte hat die WM-Qualifikation seines Landes auch unter sportlichem Aspekt genau beobachtet. 12 Spiele, 10 Siege, ein Remis und nur eine Niederlage (0:2 bei Europameister Portugal). Das tönt ganz nach der Bilanz einer europäischen Spitzenmannschaft. Und auch in der Fifa-Weltrangliste stand die Schweiz im August 2017 schon mal auf Platz 4. Das kleine Land mit nur 8,3 Millionen Einwohnern als Fussballgrossmacht? Da hakt Fringer gleich mal ein. So dürfe keiner die Fifa-Weltrangliste überbewerten, moniert der 60-Jährige. »Wenn du da ein paar Mal gegen San Marino gewinnst, bist du schnell oben«, sagt Fringer leicht sarkastisch.
Ex-Nationaltrainer und TV-Experte Rolf Fringer
Was der Schweiz-Österreicher jedoch damit ausdrücken will, ist vielmehr, dass man in der Schweiz weiterhin eine gewisse Demut haben sollte vor solch einer Leistung wie der Qualifikation für eine WM-Endrunde. Zum bereits vierten Mal in Folge haben sich die Eidgenossen nun für das Weltturnier qualifiziert. Weitaus renommiertere Nationen wie Italien oder Holland dürfen das Sommer-Highlight nur am TV verfolgen. »Auf diese Leistungen dürfen wir Schweizer Stolz sein«, sagt Fringer mit Selbstbewusstsein. Und genau diese Charaktereigenschaft ist eine der Stärken der aktuellen eidgenössischen Spielergeneration. Auch zu Zeiten von Fringer als Nationaltrainer (1996/1997) gab es schon starke Spieler wie Ciriaco Sforza, Stéphane Chapuisat oder Alain Sutter. Doch waren es eben nur ein paar wenige Akteure, die sich im Ausland durchsetzten und ein gewisses Selbstverständnis vorlebten. Heute agiert der Grossteil der Schweizer Nationalspieler bei internationalen Clubs. »Die Jungs kommen mit breiter Brust zur Nationalmannschaft und haben einen grossen Erfolgshunger. Und bringen eben die Qualitäten der ausländischen Liga in die Nationalmannschaft mit ein. Es tut der Mannschaft gut, dass Spieler wie Granit Xhaka oder Stephan Lichtsteiner eine grosse Selbstüberzeugung haben. Nur wer an sich glaubt, hat auch Erfolg«, weiss Fringer.
Die positive Entwicklung des Trainers
Dabei spielt im oft schwierigen Konstrukt einer Profifussballmannschaft natürlich der Trainer eine grosse Rolle. Dieser muss dafür sorgen, dass das Team technisch und taktisch perfekt eingestellt ist. Und bei allen Rivalitäten auch der Teamgedanke nie zu kurz kommt. Daran seien zuletzt auch wieder die Holländer gescheitert, weiss Fringer. »Die sind keine Einheit, da herrscht ein grosser Egoismus vor.« In der Schweiz sind die Spieler auch nicht die früher immer propagierten »elf Freunde«. Aber Nationaltrainer Vladimir Petkovic hat es geschafft, dass alle am gleichen Strang ziehen und als Einheit funktionieren. So hatte der gebürtige Bosnier einen schweren Einstand im Herbst 2014 als Nachfolger von Trainerlegende Ottmar Hitzfeld. Immer wieder mokierte sich der 54-Jährige über zu wenig Respekt und zu viel Kritik. Selbst nach der zwar harzigen, aber erfolgreichen Qualifikation zur EM 2016 in Frankreich forderte Petkovic mehr Freude im Land über den Erfolg. Das Standing des Nationaltrainers hat sich inzwischen aber komplett gewandelt. Petkovic wird nun als Baumeister dieser erfolgreichen Equipe angesehen, allerorten wird ihm der vormals gewünschte Respekt entgegengebracht. Fringer hat dafür eine einfache Erklärung. »Wenn du Erfolg hast, hast du als Trainer automatisch ein anderes Ansehen.« So lapidar diese These daherkommt, so genau hat Fringer den Nationaltrainer beobachtet – und findet lobende Worte. »Er hat ein System und eine Linie. Die Spieler vertrauen ihm, die Leistungen sprechen für sich. Ausserdem finde ich es gut, dass er hohe Ziele hat.« Bisher war es an Endturnieren obligatorisch, dass die Schweizer Zielsetzungen relativ tief waren. Das Überstehen der Vorrunde war oberstes Gebot. Wurde das dann geschafft, waren die Spieler schon zufrieden. Vielleicht zu zufrieden? Denn sowohl an den Weltmeisterschaften 2006 (gegen die Ukraine) und 2014 (gegen Argentinien) als auch an der Europameisterschaft 2016 (gegen Polen) kam das Aus in den Achtelfinals. Der letzte Kick, der erhoffte Sprung in die absolute Weltspitze, blieb doch immer verwehrt.
Auch deshalb sagt Petkovic: »Wir wollen in Russland mehr erreichen und setzen uns höhere Ziele.« Genau definiert der 54-Jährige diese »höheren Ziele« nicht. Es soll aber mehr herauskommen als die Achtelfinals. Die Grenze nach oben ist offen. So sehen es auch seine Spieler. »Wenn ich zu einer WM fahre, dann will ich auch den Titel holen«, ist das selbstbewusste Credo des Mittelfeldstrategen Granit Xhaka. So weit, den Turniersieg zu fordern, geht Fringer nicht. Er wolle die Schweiz auch nicht als Geheimfavorit taxieren, sagt der TV-Experte. »Denn wenn man ein Land benennt, dann ist der Tipp ja nicht mehr geheim», sagt Fringer mit einem Augenzwinkern. Und: «Ein sogenannter Geheimfavorit hat auch noch nie etwas gewonnen.«
DANKE! MERCI! GRAZIE! THANK YOU! Mit diesem Plakat verabschiedete sich die Mannschaft in Basel von ihren Fans nach der erfolgreichen Qualifikation.
DER HOFFNUNGSTRÄGER: Breel Embolo will in Russland da anknüpfen, wo er vor seiner Verletzung aufgehört hat.
Die WM-Qualifikation hat gezeigt, dass die Schweiz in ihren Spielstrukturen inzwischen sehr gefestigt ist. Und in den Playoffs gegen Nordirland es nun auch mal geschafft hat, ein »Showdown-Duell« erfolgreich für sich zu entscheiden. So scheiterten die Eidgenossen an der Direktqualifikation für Russland im entscheidenden Spiel in Portugal mal wieder an ihren Nerven. Nach zuvor neun Siegen waren in Lissabon die Knie zittrig und die Leistung holprig. Die 0:2-Schlappe war eine arge Enttäuschung – die Scharte wurde aber sogleich in den beiden Matches gegen Nordirland ausgemerzt. Zwar waren beide Partien keine Spiele für Ästheten, aber am Ende zählt in so einer Affiche nur das Weiterkommen. Das könne für einen neuen Geist sorgen, weiss auch Fringer. »Wenn du dich in so einer Drucksituation durchsetzt, bringt dich das als Mannschaft enorm weiter.«
So kann die Schweiz auf ein Team zurückgreifen, dass qualitativ und quantitativ hervorragend besetzt ist. Selbst die als vermeintliche Schwachstelle ausgemachte Innenverteidigung wirkt inzwischen stabil. In den Playoffs überzeugten Fabian Schär (Deportivo La Coruna) und Manuel Akanji (FC Basel) mit ihrer Performance. Dazu profitieren die zentralen Abwehrspieler auch vom Captain direkt an ihrer Seite. Rechtsverteidiger Stephan Lichtsteiner geht als Leader voran. »Du kannst dich als Trainer glücklich schätzen, so einen Spieler in deinen Reihen zu haben«, weiss Fringer. »Lichtsteiner hat einen enormen Ehrgeiz und will immer gewinnen. Der treibt seine Mitspieler an.« Dazu hofft Fringer, bis zur WM auch offensiv noch zulegen zu können. Topstürmer Breel Embolo ist nach langer Verletzung auf dem Weg zurück. »Ein fitter Embolo kann den Unterschied ausmachen. Bis Russland hat er noch genügend Zeit, so richtig in Fahrt zu kommen«, sagt Fringer. Und auch den zuletzt dauerverletzten Josip Drmic will der Ex-Nationaltrainer noch nicht abschreiben. Eine Rückkehr des 25-jährigen Gladbach-Stürmers wäre sehr wertvoll, weiss Fringer. »Die offensiven Qualitäten würden steigen.«
Die üblichen »Verdächtigen«
Insgesamt 32 Mannschaften werden wiederum an der WM in Russland teilnehmen. Doch wer sind die grossen Favoriten?
»Ich habe da so ein paar Ideen, aber es kann auch anders kommen, ein Hellseher bin ich nicht«, sagt Fringer mit einem Lachen. Für den 60-Jährigen stehen die üblichen »Verdächtigen« an der Spitze der Favoritenliste. Dazu gehören Deutschland, Spanien und Brasilien. »Und Argentinien. Für Lionel Messi ist es wohl die letzte Gelegenheit, seine Karriere mit dem WM-Titel zu krönen. Solch eine Situation hat schon Cristiano Ronaldo an der letzten EM angetrieben, als er sich mit dem Titel belohnte.« Dahinter haben sich einige Teams in den Vordergrund gespielt, die mit Chancen in das Turnier einsteigen werden. So können die Belgier an guten Tagen jeden schlagen. »Bei den Franzosen ist abzuwarten, ob diese vielen...