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Wörterbuch der Philosophie

Wörter, mit deren Hilfe wir eine Erkenntnis der Wirklichkeit fassen

AutorFritz Mauthner
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl1850 Seiten
ISBN9788026828020
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Dieses eBook: 'Wörterbuch der Philosophie' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Aus dem Buch: 'Es gibt endlich Gespenster, welche erst aus philosophischen Systemen und aus der Logik in die Seele des Menschen eingedrungen sind und die ich die Gespenster des Theaters nenne; denn so viele philosophische Systeme erfunden und angenommen worden sind, ebenso viele Fabeln sind damit erfunden und aufgeführt worden. Die Philosophen haben aus der Welt eine Dichtung und eine Schaubühne gemacht. Ich meine nicht bloß die Welterklärungen der alten und neuen philosophischen Sekten, nicht bloß die Wortgebäude, die man gewöhnlich zur Philosophie rechnet; ich meine auch manche Prinzipien der Naturwissenschaften, die durch Nachsprechen, Leichtgläubigkeit und Schlendrian Geltung erlangt haben. Denn die menschliche Vernunft setzt nach der Natur der Sprache eine größere Regelmäßigkeit oder Gesetzlichkeit in den Dingen voraus, als man nachher in ihnen findet. Und obgleich in der Natur vieles nur einmal vorkommt oder voller Ungleichheiten ist, so legt die Sprache doch den Dingen viel Gleichlaufendes, Übereinstimmendes und Beziehungen bei, die es nicht gibt. Solch eitles Spiel wird nicht bloß mit Urteilen getrieben, sondern auch mit einfachen Begriffen.' Fritz Mauthner (1849-1923) war ein deutschsprachiger Philosoph und Schriftsteller.

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Leseprobe

V.



Bei den Wanderungen der Spiele mischen sich Entlehnungen oder Nachahmungen von Sachen, Worten und Bewegungen. Man denke nur an das Ballspiel und seine vielen Formen; man erinnere sich, wie Spielgeräte, bestimmte Bewegungen und außer dem Namen des Spiels auch die herkömmlichen Zurufe während des Spiels aus der Fremde eingewandert sind, oft genug die Zurufe unverändert in französischer oder englischer Sprache. Man denke an die Tänze, die vielleicht ursprünglich in Polen (Polka, nicht von polacca, sondern wahrscheinlich soviel wie pulka, Halbschritt) oder Ungarn (Csardas, soviel wie Kneipentanz) zuhause waren, dann aber mit französischen Regeln ihren Eroberungszug um die Welt antraten.

Von Volk zu Volk wandern die Reize des Spiels und mit ihnen sogar die symbolischen Deutungen der Spielmöglichkeiten; die Spielregeln wandern von Volk zu Volk und mit ihnen die Namen der Spielgeräte und der spielerischen Tätigkeiten, in Entlehnungen oder Lehnübersetzungen. Das berühmteste Beispiel einer solchen Wanderung bietet die Geschichte des Schachspiels, aus der ich noch einige Beispiele gebe. (Nach der Dissertation »Die mittelalterliche Schachterminologie des Deutschen« von Ewald Eiserhardt und andern allgemeinem Darstellungen.)

Die Erfindung des Schachspiels läßt sich bis nach dem alten Indien zurückverfolgen; ich kann nicht glauben, daß der indische Name Tschaturanga, das Vierteilige, wirklich auf die 4 Waffen des indischen Heeres und auf die nach ihnen genannten 4 Figuren (Fußsoldat, Pferd, Wagen und Elefant) sich bezogen habe; eine Beziehung auf die Vierecke des Feldes würde mir mehr einleuchten. Der indische Name ging als Tschatrang zu den Persern, als Shatrandsch zu den Arabern über. Unser Name Schach ist persisch, nach der Hauptfigur, dem König. Die Spielausdrücke wurden von den Persern, den Arabern, dann über Spanien oder Italien von den abendländischen Völkern bald als Lehnworte übernommen, bald übersetzt.

Shah heißt im Persischen König. Alle abendländischen Sprachen übersetzten den Namen der Hauptfigur in ihrer Weise, so daß das ursprüngliche Wort (Schach, sp. xaque, fr. échec, it. scacco) für alle Figuren verwendbar wurde und das ganze Spiel neulateinisch ludus scachorum heißen konnte, das Schachspiel.

Nicht so einfach liegt die Sache bei der Königin, die ja in ältester Zeit viel geringere Bewegungsfreiheit hatte, für die Spieler also nicht die gleiche Wichtigkeit wie heute. Im Persischen hieß die Figur fersan, der Ratgeber, Feldherr, Wessir. Die Araber übernahmen das Lehnwort, und die Spanier sagten, mit Beibehaltung des semitischen Artikels: alferza. Daß dieses Fremdwort, wie man behauptet hat, über fierge zu franz. vierge geworden, nun weibliches Geschlecht angenommen habe, als die Königin, ist eine hübsche Hypothese.

Unser Läufer bietet in seiner Wortgeschichte ein wunderliches Gemisch von Volksetymologien und Lehnübersetzungen. Die Figur hieß auf Neupersisch pil, der Elefant, auf Arabisch danach alfil, das in neulat. alphilus, sp. alfil, it. alfino, altfrz.

aufin wiederzufinden ist. Durch Mißverständnis oder durch einen witzigen Einfall (oder durch beides) kam es zu it. delfino, frz. dauphin; der Kronprinz schien ja der Nächste beim Könige und der Königin. Später hieß unser Läufer franz. fou; Littré scheint zu glauben, daß dieser Name frei verliehen wurde, weil der Narr dem Könige nahe stände; er zitiert aus Regnier (Sat. 14): »Elle (la fortune) avance un chacun sans raison et sans choix, les fous sont aux échecs les plus proches des rois«. Wahrscheinlicher ist wohl, daß vom sp. alfil die erste Silbe, der Artikel, fortfiel und aus fil (vielleicht nicht ohne Bewußtsein des Scherzes) fou wurde; Littré bemerkt trotz seiner Ablehnung der Möglichkeit eines solchen Vokalwandels, daß auch aus filix fougère (Farn) geworden sei. Jedenfalls ist die andere Erklärung, die beiden Elefantenzähne, die die Figur in der Zeichnung darstellten, hätten an eine Narrenkappe erinnert, nicht ganz so gewagt, wie die, die gleiche Zeichnung hätte in England an eine Bischofsmütze erinnert und so zu der englischen Bezeichnung bishop für diese Schachfigur geführt. Sollte wirklich der frühere deutsche Name für diesen schwächsten aller Schach-Offiziere umgekehrt so entstanden sein, daß unsere Form von alfil, altvil, die zweite Silbe eingebüßt hätte? Schwer glaublich. Aber der Läufer hieß lange Zeit der Alte; und im Scherze wenigstens steht dafür (Carmina Burana 246) die lateinische Lehnübersetzung senex.

Ganz einfach liegt die Sache bei unserm Rössel; im Persischen (und Arabischen) hieß die Figur faras, das Pferd; die abendländischen Sprachen, anthropomorphischer, nahmen für das Pferd einen Reiter und sagten lat. eques (oder miles), frz. chevalier, it. cavaliere, deutsch Ritter (einst gleichbedeutend mit Reiter); nur die Spanier hätten wörtlich cavallo übersetzt, sagt die Disscration. (Das stimmt nicht; erstens heißt das Wort caballo; und zweitens nennt der Spanier auch den Reiter caballo, in militärischer Sprache: c. coraza heißt Kürassier, c. ligero heißt soviel wie chevauléger.)

Für den vierten Offizier, den roch, ist die persische Etymologie nicht mit Sicherheit erschlossen; daß rokh ein mit Bogenschützen besetztes Kamel bedeutet habe und so zum Namen der Figur geworden sei, muß ich auf die Autorität von Diez hersetzen. War aber dieser Glaube zu der Zeit der neuen Namengebung schon vorhanden, so konnte die geschnitzte Spielfigur gar wohl für einen von Schützen besetzten Turm gehalten werden; wir haben jetzt den Namen engl. tower, frz. tour, deutsch: Turm; zwei davon sind jedenfalls Lehnübersetzungen desjenigen von den drei Worten, das zuerst aufkam.

Interessant ist, daß der unschuldige roch zu einem Fluchworte werden konnte. Wie der Ruf Schach mißverständlich zu einer Warnung geworden war (worauf gleich zurückzukommen), so gab es auch den Warnruf Schachrock, sobald der Turm, früher der wichtigste Offizier, bedroht war. (Die Deutung, daß es »Schach dem König durch den Turm« bedeutete, ist offenbar falsch; auch die Deutung, gleichzeitige Bedrohung des Königs und Turmes, scheint mir sprachwidrig; als ich Schach spielen lernte, vor 50 Jahren, wurde ich noch gelehrt: Schach dem König, Schach der Königin, Schach dem Turm zu sagen.) Es scheint wirklich, als ob der Ruf schachroch zu roch verkürzt, ein Fluchwort geworden wäre; anders lassen sich Stellen wie »das unschuldige Blut Jhesu des Herrn wirt aber nun roch rufen ewiglich« (Passionsspiel vom Ende des 14. Jahrh.) schwer deuten, man wollte sie denn sehr einfach von Rache herleiten. (Das D. W. notiert für »Rache« die Änderung a in o.)

Was wir heute Bauer, etwas altmodisch Pion, nennen, das kommt durch Lehnübersetzung aus dem Persischen; dort heißt die Figur zum Unterschied von den hochtrabenden Offizieren baidak, Fußsoldat; dies ist genau übersetzt im lat. pedes, im sp. und frz. peon, im it. pedona und im mittelalterlich Deutschen vende, Fußsoldat, Kerl; woraus dann, weil man das alte Wort nicht mehr verstand, durch Übersetzung unser Bauer geworden ist. Häufig ist in jener Zeit die Redensart »ein roch um ein venden« geben (der Wolf gar gibt beim Schachzabel, d. i. beim Schachspiel »beidiu roch umb einen venden«, da er ein Lamm verreißen will) im Sinne von »einen schlechten Tausch machen«.

Bei vende darf noch erwähnt werden, daß diese »kleinen Steine« das gemeine Volk, populäres, das Povelî, einst (bei dem Schachgelehrten Cessoles vom Ende des 13. Jahrh.) verschiedene Namen hatten, jeder Bauer – wie vielfach noch heute – nach seiner Stellung vor seinem Offizier; so hieß der Bauer vor dem rechten Turm agricola, was dann mit Ackermann oder Baumann übersetzt wurde. Nur die Hypothese, daß von diesem rechten Eckbauern der Name auf die andern Bauern überging, ist überflüssig (trotz v. d. Linde), weil – wie gesagt – die Lehnübersetzung aus dem persischen baidak zur Erklärung vollkommen genügt.

Unübersetzt blieb in allen abendländischen Sprachen der Name des Spiels selbst und sein Ziel: den König, den Schah, matt zu setzen. Beide Worte sind internationale Schach mit nationalen Umformungen, matt ganz unverändert. Es ist schon bemerkt worden, daß Schach, der Name der Hauptfigur, nachdem er mit König usw. übersetzt wurde, für die Bezeichnung aller Steine frei wurde; scacchi hießen die Schachfiguren; das Brett, worauf gespielt wurde, hieß deutsch Schachzabel (tabula), wohl auch verdorben zu Schafzabel. (Zabel bedeutet überhaupt das Spielbrett, wie Wurfzabel das ausruhsame und doch leidenschaftlich getriebene Trictrac; daß Zabel außerdem, wohl unter slawischem Einfluß, auch eine der vielen Formen des Wortes diabolus war, kommt dabei doch höchstens für Predigerwortspiele in Betracht.) International ist Schach auch geblieben als Warnungsruf dessen, der den König bedroht, wobei just der alte Sinn des Wortes, König, offenbar völlig vergessen war, da man auch Schach der Königin, dem Turm zu »tun, sagen, sprechen« sich gewöhnte. Unklar ist der Zusammenhang mit einem angeblich alten...

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