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E-Book

Wofür wir kämpfen

Wie der Krieg in Afghanistan unser Leben veränderte

AutorAntje Käßner, Tino Käßner
VerlagIrisiana
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783641059934
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Das Schicksal einer Soldatenfamilie: intim, facettenreich und ohne falsche Sentimentalität erzählt
Was als humanitärer Einsatz der Bundeswehr begann, wird heute offen als Krieg in Afghanistan bezeichnet. Die Opfer auf deutscher Seite wurden jahrelang tabuisiert. Eines von ihnen ist Tino Käßner. Durch einen Selbstmordanschlag hat er seinen rechten Unterschenkel verloren. Doch er nimmt die Herausforderung an, das Beste daraus zu machen. Heute ist er Botschafter der Kriegsopferfürsorge und begeisterter Radleistungssportler. Zusammen mit seiner Frau Antje gewährt er uns einen Einblick in ihren Alltag. Sie zeigen, dass der eigentliche Lebenskampf erst nach dem Anschlag an der Front begonnen hat. Nach und nach wird deutlich, dass hier nicht ein Einzelschicksal beschrieben wird, sondern wie die Gesellschaft insgesamt mit diesem Thema umgeht. Tod oder Versehrtheit gehören zum Berufsrisiko eines Soldaten dazu. Für einen Außenstehenden kaum verständlich. Wie entscheidet man sich, dieses Risiko auf sich zu nehmen, und wie geht man damit um, wenn man mit den Konsequenzen leben muss?

Tino Käßner, geboren 1974, trat nach seiner Tätigkeit als Installateur im Jahr 2000 der Bundeswehr bei, da er im Beruf des Soldaten seine Zukunft sah. Nach seiner Ausbildung zum Feldjäger, Fallschirmspringer und Personenschützer wurde er im Sommer 2004 zum Berufssoldaten ernannt. Im September 2003 ging er das erste mal in einen Auslandseinsatz nach Afghanistan. Weitere folgten im Herbst 2004 und 2005. Am 14. November 2005 wurde er bei einem Sprengstoff-Anschlag in Kabul so schwer verwundet, dass ihm der rechte Unterschenkel amputiert werden musste. Trotz seiner Behinderung beschloss er, sein neues Leben selbst in die Hand zu nehmen und positiv in die Zukunft zu schauen. Dabei hat ihm besonders der Sport geholfen. Mit viel Ehrgeiz, Energie und Trainig fuhr er 2007 zu seinen ersten Titeln im Behindertenradsport und nahm im selben Jahr an der Weltmeisterschaft der Behinterdensportler in Bordeaux teil. Sein nächstes Ziel sind die Paralympics 2012. 2006 heiratete er seine Frau Antje. Ihre gemeinsame Tochter kam im September 2007 zur Welt.

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Leseprobe
Die Druckwelle erreicht Murnau (S. 172-173)

In der Heimatkaserne unserer Männer in Murnau hatten die Ereignisse tiefe Betroffenheit ausgelöst. Spieß Markus Eng machte sich zunächst Sorgen um die Moral der Truppe, entdeckte dann aber, dass das Leid, das auch mich und Tino näher zueinander brachte, die Einheit zusammenschweißt. Für uns war es später ein ganz besonderer Trost, als er über seine Erfahrungen berichtete: »Ich war insgesamt drei Tage in Koblenz.

Als ich nach all dem Bangen und Hoffen Stefan und Tino auf der Intensivstation sehen konnte, hat mich das am stärksten berührt. Man hatte ja alle möglichen Befürchtungen, was da auf einen zukommt, wie schlimm sie zugerichtet sind. Einerseits war ich erleichtert, dass die beiden lebten und in Sicherheit waren. Andererseits habe ich zum ersten Mal unmittelbar erfahren, was es bedeutet, das ›heiße Ende‹ eines nicht gerade gewöhnlichen Berufs zu erreichen: Verletzung, Invalidität – und Tod.

Bis heute erinnere ich mich an das erste Telefonat, das ich nach dem Besuch auf der Intensivstation in Koblenz am Abend des 15. 11. 2005 mit meiner Frau Daniela in Murnau führte, nachdem wir die grausame Wahrheit über die Verletzungen der beiden erfahren hatten. Es waren fast zwei Stunden des Weinens, der Hoffnung sowie des Mitgefühls für die beiden, in denen ich mit meiner Frau versucht habe, diese Flut von Gefühlen, meine Wut und meine Trauer zu bewältigen. Und nicht nur wir waren tief berührt. Als ich am nächsten Tag mit meinem Stellvertreter in der Werdenfelser Kaserne in Murnau telefonierte, klang der besorgt: ›Du, die gehen gar nicht mehr heim – die sitzen den ganzen Tag bis spät in die Nacht zusammen, reden, liegen sich in den Armen und weinen.

Der Aufenthaltsraum ist gesteckt voll, keiner will weg und irgendeine Nachricht verpassen, wie es in Koblenz um die verletzten Kameraden steht.‹ Alle waren aufgewühlt von den Ereignissen. Die fünfte Kompanie war im Bataillon schon immer als ein sehr eingeschworener Haufen bekannt gewesen mit einem sehr guten Zusammenhalt. Dass da zwei Kollegen und Freunde um ihr Leben kämpfen, musste natürlich eine tiefe Wirkung zeigen in unserem Team, aber das hatte es so noch nicht gegeben. Als Soldat und Vorgesetzter muss man natürlich auch auf die Moral der Truppe schauen. Da macht man sich als Spieß der Kompanie dann doch Gedanken: Was passiert da? Bröckelt da etwa die Moral? Werden wir erleben, dass viele den Dienst quittieren?

Durch das Telefonat mit meiner Frau hatte ich selbst erfahren, wie wichtig es jetzt sein würde, Trauer einfach mal zuzulassen, zuzuhören, aufzufangen, was mir anfangs innerhalb einer solchen militärischen ›Spezialtruppe‹ wie den Feldjägern mit ihren Personenschützern, Diensthundeführern und Ermittlern nicht einfach erschien. In der Vorstellung der meisten Menschen sind Soldaten nur harte Kerle. Aber so war es nicht. Bei jedem spürte man eine so tiefe Betroffenheit, eine Nachdenklichkeit, wie ich sie vorher nie erlebt hatte. Unser Aufenthaltsraum wurde zu einer Art Krisencenter, in dem die neuesten Nachrichten aus Koblenz ankamen und besprochen wurden. Aus der ganzen Bundesrepublik kamen Anfragen der anderen Feldjägerstandorte, Hilfsangebote und Grüße. Wir entdeckten, dass die Bundeswehr eine große Familie sein kann, die hilft, wenn einer von uns in Not ist. Das war ein starker Trost.
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