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Worauf wartest du noch?

Eine Ermutigung zum Aufbruch in der Lebensmitte

AutorAntje Gardyan
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783644575417
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Midlife-Chance statt Krise und Resignation. Antje Gardyan macht Mut, Veränderungen in der Lebensmitte aktiv anzugehen und zu gestalten. Mit vielen Fallbeispielen aus der Coachingpraxis und praktischen Anregungen für den Neuanfang. Antje Gardyan hat bereits zahlreiche Menschen in Umbruchsituationen begleitet. Aus jahrelanger Coachingerfahrung weiß sie: «Natürlich kann man eine Krise abarbeiten, die Scheidungspapiere unterschreiben, die tote Mutter begraben oder versuchen, noch mal einen ähnlichen Job in der Branche zu bekommen und dann zur Tagesordnung überzugehen. Oftmals reicht das aber nicht. Wochen und Monate später merkt man, dass es damit nicht getan ist, weil die Trennung innerlich nicht gelingt, die Trauer nicht aufhört, der neue Job sich nicht findet oder einen nach kurzer Zeit schon wieder anödet. Die Folge: Wir fühlen uns miserabel und missverstanden. Es ist erstaunlich, wie wenig über all das offen geredet wird. Jeder kämpft sich irgendwie im Stillen durch.» Eigentlich wollten wir mit 30 oder 40 angekommen sein, spätestens mit 50. Doch das Gegenteil ist der Fall: Wir sind noch immer unterwegs - und zwar auf der Buckelpiste des Lebens. Eine innere Sehnsucht nach Veränderung treibt uns um, oder wir werden durch radikale Einschnitte gezwungen, uns neu aufzumachen. Fest steht: Die Lebensmitte ist eine besondere Zeit in der Biographie eines jeden Erwachsenen. Und sie steckt voller Chancen, neue Wege für die eigene Zukunft zu finden. Dieses Handbuch reflektiert zehn verschiedene Perspektiven auf die Lebensmitte und ebnet mit 50 klugen Wegweisern den Pfad für den eigenen Aufbruch: Lebensnah. Überraschend. Klar.

Antje Gardyan, Jahrgang 1967, in der ersten Karriere langjährige Führungskraft in mehreren großen Medienunternehmen, arbeitet nun seit vielen Jahren als systemische Beraterin, Business Coach und Organisationsentwicklerin und hat zahlreiche Menschen in beruflichen und privaten Umbruchssituationen begleitet. Seit 2007 leitet sie ihr eigenes Beratungsunternehmen für Veränderungsmanagement.

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Leseprobe

Irrtum 1: Du bist angekommen!


«Sie sind an Ihrem Ziel angekommen.» Diesen Satz sagt Uschi – wie ich die Stimme meines Navis im Auto getauft habe – fast jeden Tag zu mir. Angekommen. Schön wäre es, liebe Uschi, denke ich.

Ein anderer Satz, den ich in meinem Leben oft gehört habe, ist: «Jetzt fängt der Ernst des Lebens an!» Das sagte mein Großvater Anton früher immer wieder zu mir: zum Start in den Kindergarten, zum Beginn des Gymnasiums, später nach dem Abitur, dann wieder bei Aufnahme meines Studiums. Er hörte nicht auf, diesen Satz zu sagen, und ich wartete auf das Ankommen des Ernstes des Lebens. 1989 starb er als 84-jähriger Mann, und ich hatte keine Chance mehr, seinem Verständnis davon auf die Spur zu kommen.

Ich wartete also darauf, dass ich ankomme. Im Ernst des Lebens, an irgendeinem Ziel. Da es im Studium auch noch nicht so weit war, war es für mich zutiefst plausibel zu glauben: Ach ja, als Erwachsene nach der Ausbildung, mit einem Mann an der Seite, nach Familiengründung ist man angekommen. Es hat mir auch nie jemand widersprochen.

Heute weiß ich: Das Leben ist ein Prozess, kein Zustand. Ankommen? Fehlanzeige. Seltsamerweise halten wir das Erwachsensein aber oft für etwas Statisches, nachdem man irgendwo angekommen ist. Warum eigentlich?

Vielleicht ist es das überlieferte Bild des Erwachsenseins, das uns das denken lässt. Als Kinder und Jugendliche dachten wir, mit Anfang, Mitte 40 sei man steinalt und mit Sicherheit erwachsen. Wer erwachsen war, der musste sich auskennen und über das Leben Bescheid wissen, hatte Antworten auf alle Fragen und war am Ziel angekommen. Am Ziel aller Bemühungen der Kindheit und Jugend mit ihren vielen Stationen und Anforderungen: Schule, Ausbildung, Herzensbildung, das Bemühen, ein guter Mensch zu werden, eine gute Tochter oder Sohn, ein guter Schüler, eine gute Studentin, ein guter Arbeitnehmer, ein hoffnungsvolles Talent, eine gute Freundin oder ein guter Freund, eine liebenswerte Partnerin oder ein liebenswerter Partner, dann in Folge vielleicht selbst eine gute Mutter oder ein cooler Vater.

Die Liste der Anforderungen war lang, aber irgendwie zu machen, so unsere jahrelange Annahme. Darin wurden wir ja auch bestätigt und ermutigt: «Du musst dir nur Mühe geben» (Irrtum 2).

Als Erwachsene sollten wir also die Lebensleiter mit all ihren Aufgaben erklommen haben und endlich angekommen sein. Und als Belohnung sollte eine Art bequemer Gipfel auf uns warten, den wir uns verdient hatten und zu eigen machen wollten. Wir wollten zurückblicken auf den Weg, der unter und hinter uns lag, und eine große, verheißungsvolle, glückbringende, reichgedeckte Spielfläche für unser Leben vor uns sehen, auf der wir endlich, endlich angekommen sind: den Tafelberg des Glücks. Hier gehöre ich hin. So soll es sein. Immer. Herrlich!

So weit die Idee.

Die gute Nachricht ist: Das ist in Teilaspekten des Lebens auch wirklich so – oder zumindest für eine gewisse Zeit. Dann aber kommt der buckelige Spielverderber dieses Leitbildes. Er sagt: «Guten Tag, Sie haben mich nicht gerufen, aber hier bin ich. Gestatten, mein Name ist echtes Leben.»

Der Tafelberg ist in Wirklichkeit, so entdecken wir, eine Zwischenstation auf unserem Lebensweg. Der Tafelberg ist keine Endstation des Glücks. Der Erwachsene ist in der Lebensmitte entgegen dem weitläufigen Leitbild mitnichten fertig und erwachsen. Er ist in der Lebensmitte nicht angekommen, sondern unterwegs. Die Reise geht weiter.

Das ist heute, in einer Phase des großen gesellschaftlichen, technologischen und wirtschaftlichen Wandels, vielleicht mehr denn je der Fall. Veränderungen gehören dazu, sie sind die Regel und machen vor unserer Wohnungstür keinen Halt, sondern tangieren jeden in seiner Lebensplanung. Branchen stehen vor dem Umbruch, Anforderungen im Job ändern sich, die Spielregeln für Ehe, Partnerschaft und Familie werden neu ausgehandelt, die Digitalisierung erfordert und ermöglicht eine neue Art zu arbeiten. Das sind nur einige Beispiele.

In der Lebensmitte treffen uns diese Veränderungen in einer Phase besonderer Verantwortung. Zuallererst sind wir verantwortlich für uns selbst. Wir sind in der Tat erwachsen – auch wenn wir uns nicht immer so fühlen. Wir sind aber auch in der Sandwichposition zwischen zwei Generationen, in der wir zunehmend Verantwortung für die älter werdenden Eltern haben und gleichzeitig auch für unsere nachwachsenden Kinder.

Die Veränderungen, auf welcher Ebene auch immer, führen dazu, dass das ausbalancierte Lebensmobile mit den verschiedenen Teilen des bisherigen Lebens zuweilen heftig in Bewegung kommt.

Diese Teile heißen: mein Beruf und die Organisation, für die ich arbeite, meine Beziehung oder Ehe, meine Kinder, meine alternden Eltern, Freunde, Sport, Körper und Gesundheit, eigene Interessen oder der Verein, in dem ich mich engagiere.

Wenn sich eine größere Veränderung einstellt, ist es so, als würde man ein Teil des Mobiles abnehmen oder ein neues Gewicht dranhängen. Alles gerät aus der Balance und gleichzeitig in Rotation. Kein Aspekt des Lebens bleibt an seinem gedachten Platz. Das ist verwirrend und anstrengend. Wo bleibt der Tafelberg des Glücks?

Dieses unerbetene Lebensgefühl kommt meist überraschend, und wir mögen es nicht, denn es ist ungewohnt, unbequem und anstrengend. Die Ursache für das Gefühl sind übrigens weitere Leitbilder, denen wir auf den Leim gegangen sind. «Das sind die besten Jahre deines Lebens» (Irrtum 3), «Du musst dir nur Mühe geben» (Irrtum 2) und «Du erntest die Früchte deiner Arbeit» (Irrtum 4).

Zetern und Hadern ist verständlich, hilft aber nicht. Egal, wie wir die neue Situation finden, wie stark wir uns wehren und aufregen: Am Ende dieser berechtigen Gefühle schauen wir auf die Unordnung in unserem Leben. Wir sind gefordert, die Teile im Lebensmobile in ein neues Gleichgewicht zu bringen.

Die Frage ist nun: Welches Teil meines Lebens braucht jetzt welchen Platz? Was muss bleiben, weil es gut und wichtig ist? Was kann ich loslassen und muss abgenommen werden? Wo kann ich anfangen oder ein neues Teil hinzufügen, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen? Schaffe ich das überhaupt alleine? Wer kann mir helfen?

Dabei hilft es, sich folgendes gedankliche Konzept vor Augen zu führen: Es gibt einen Lebenszyklus, der sich im Leben fortlaufend wiederholt, nur sind wir uns dessen nicht immer bewusst. Es ist ein Kreislauf von drei Phasen:

  1. Lassen und loslassen

  2. Bleiben und bewahren

  3. Neu anfangen

Die eine Phase löst die nächste ab. Immer wieder.

Besonders in der Lebensmitte befinden wir uns gleichzeitig in allen diesen Phasen – je nach Aspekt des Lebens. Ich kann beispielsweise im Beruf etwas Neues ausprobieren und neu anfangen, gleichzeitig in meiner langjährigen Beziehung – trotz aller Reibereien – bleiben und mich vom gewohnten Bild meines starken Vaters verabschieden, weil er sehr gebrechlich geworden ist. Diese Gleichzeitigkeit aller Phasen macht die Lebensmitte sehr intensiv und in Teilen so anstrengend.

Kinder, zum Beispiel Grundschüler, sind mehrheitlich konzentriert auf den Neuanfang: eine neue Schule, sie lernen neuen Stoff, probieren neue Hobbys aus und schließen neue Freundschaften. Sie müssen in der Regel wenig loslassen, denn es kommt mehrheitlich Neues hinzu. Neuanfang ist das Prinzip ihrer Lebensphase.

Die Generation der eigenen Eltern wiederum ist mit dem Bleiben und Bewahren von möglichst vielen Lebensaspekten beschäftigt oder auch mit dem Loslassen. Der Neufang ist ein eher seltener Gast geworden – und dann oft ein ungebetener, zum Beispiel nach dem Tod des Partners.

In der Lebensmitte ist das anders, und es ist nicht immer klar – das ist die Krux –, welche Aspekte des Lebens zur Kategorie «Bleiben und bewahren», «Loslassen» oder «Neu anfangen» gehören. Wir surfen auf allen drei Wellen gleichzeitig.

Größere Veränderungen in der Lebensmitte fordern uns dazu auf, diese Wellenbewegungen für uns zu prüfen. Im Rückblick, wenn man wie im Zeitraffer die eigene Geschichte überblickt, erscheint übrigens vieles sonnenklar. Da sind wir alle Meister der Nachanalyse, denn im Rückblick können Lebenserfahrungen eher ausgedrückt werden, und die notwendigen Konsequenzen scheinen nur zu offensichtlich. Søren Kierkegaard, dänischer Philosoph, hat dazu den folgenden, schönen Satz geprägt: «Verstehen kann man das Leben nur rückwärts. Leben muss man es aber vorwärts.»

Eine kleine Präambel zu den Geschichten, die ich in diesem Buch erzähle und weitergebe: Es sind die Geschichten von Menschen in der Lebensmitte, die diese in den letzten Jahren an mich herangetragen haben. Natürlich habe ich die Namen, Orte und Rahmendaten so verändert, dass man keine Rückschlüsse auf die echte Identität der Person ziehen kann. Es ist auch gar nicht wichtig, ob, wie in der folgenden Geschichte, Alexandra wirklich «Alexandra» heißt und in Aachen oder Amsterdam lebt. Wichtig ist die Essenz ihrer Geschichte, und diese ist hier unverfälscht festgehalten. Die Geschichten zeigen uns, wie vielschichtig die Situationen und Gefühle sind, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Die Antworten, die die Protagonisten auf ihre Fragen gefunden haben, sind dabei sehr individuell und nicht als Handlungsanleitung gedacht. In meiner Beratungspraxis sehe ich, dass Menschen in vergleichbaren Situationen durchaus zu sehr unterschiedlichen Lösungen kommen.

Eine Geschichte vom Loslassen


Alexandra wollte immer viele Kinder haben....

Blick ins Buch

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