WAS IST EIGENTLICH GLÜCK?
Wenn von Glück die Rede ist, dann denken die meisten Menschen wahrscheinlich daran, ausgelassen oder total zufrieden zu sein und keine Sorgen mehr zu kennen. Ein glückliches Leben ist für viele von uns gleichbedeutend mit einem Leben in Freude und Sicherheit: ein sorgenfreies Leben, in dem wir nicht leiden und uns nicht leer und unzufrieden fühlen, sondern Ruhe, Gelassenheit und nährende Beziehungen erfahren.
Mit der Frage, was das Glück sei, beschäftigen sich Philosophen und Schriftsteller seit Hunderten von Jahren. Und es sind die Dichter, die uns die sinnlichsten und intensivsten Beschreibungen von Glück schenkten und schenken. Im alltäglichen Leben ist Glück ein Begriff, den jeder Mensch ganz selbstverständlich seit seiner Kindheit verwendet. Wir haben Glück, wenn wir an einer misslichen Situation gerade noch vorbeischlittern. Rückblickend sprechen wir von Zeiten in unserem Leben, in denen wir richtig glücklich waren. Oder wir empfinden in einem bestimmten Augenblick so große Freude, dass wir sagen: »Ich bin richtig glücklich.«
Glück existiert in unserer Erinnerung an Vergangenes und im Erleben der Gegenwart, aber nie in der Zukunft. Für die Zukunft wird Glück gewünscht – für die Ehe, für das neugeborene Kind, zum Geburtstag oder für eine Prüfung –, aber planen können wir es scheinbar nicht.
Glück scheint ein facettenreiches Phänomen zu sein zwischen Erinnerung, Erleben und Ersehntem. Was also ist Glück? Das Wort Glück hält erst sehr spät – ab dem 12. Jahrhundert – Einzug in den deutschen Wortschatz, und bis heute ist man sich nicht hundertprozentig sicher, wovon es sich herleitet. Seine Urform scheint wohl das niederhochdeutsche »gelucke« oder »lucke« gewesen zu sein; dessen ursprüngliche Bedeutung war »gelingen«, »gut ausgehen«, »gut enden« oder auch »passen«. Alle diese Bedeutungen legen nahe, dass wir Glück nicht machen können, sondern dass uns vielmehr etwas glückt (also gelingt) oder dass etwas einen glücklichen Ausgang nimmt, weil wir eben Glück gehabt haben.
Da das Wort Glück also keine lange Tradition in der deutschen Sprache hat, wundert es auch nicht, dass wir es recht undifferenziert gebrauchen. Wir benutzen dasselbe Wort für »Glück haben« (Zufallsglück), »Glück erfahren« (Glücksmoment) und »Glück durch Wachstum, wenn etwas gelingt und Freude macht« (Glück der Fülle). Im Englischen wird demgegenüber mit den Begriffen »luck« (das zufällige Glück), »happiness« (Zustand des Glücks, Freude) und »enjoyment« (Genießen des Glücks, Vergnügen) genauer unterschieden. In Frankreich kennt man sogar vier umgangssprachliche Differenzierungen »le bonheur« (Glück in jeder Form: ewig, vergänglich und so weiter), »la chance« (Glück haben), »la fortune« (Glück bezogen auf Besitz) und »le hasard« (das zufällige Glück).
Obwohl die deutsche Sprache in nur einem Wort alles bündelt, was an Glückserfahrungen möglich ist, ist unser Wortschatz in seinen Redewendungen zu dem, was wir als Glück empfinden, dann doch sehr facettenreich. Hier unterscheiden wir genau zwischen »glücklicherweise«, »glücken«, »glückhaft« und »glückselig«. Wir wissen, dass »wir unserem Glück nicht hinterherrennen können«, sondern dass vielmehr »das Glück uns gewogen sein muss«. Dann können »wir von Glück sagen« und »uns glücklich schätzen«. Vielleicht stellen wir auch fest, dass wir »unser Glück gemacht haben«, weil »das Glück mit dem Tüchtigen ist« und wir »unseres Glückes Schmied« waren. Diese Redewendungen zeigen zweierlei: zum einen, dass das Glück zufällig zu sein scheint, zum anderen, dass wir aktiv dazu beitragen können, glücklich zu werden. Für diesen zweiten Aspekt interessiert sich dieses Buch.
Warum sind wir nicht dauernd glücklich?
Schon seit der Antike ist das geflügelte Wort belegt, dass »jeder seines Glückes Schmied« sei. Das Schmieden des Glücks lässt uns an harte, kraftvolle und ausdauernde Arbeit denken, die Wissen und Konzentration erfordert. Die Idee des Schmiedens von Glück, die dem römischen Konsul Appius Claudius Caecus (um 340–273 v. Chr.) zugeschrieben wird, weist darauf hin, dass die Menschen seit jeher dafür und daran arbeiten müssen, glücklich zu werden und glücklich zu bleiben.
GLÜCK IST NICHT GLEICH ZUFRIEDENHEIT
Glück wird häufig auch mit Zufriedenheit gleichgesetzt. Beide, so empfinden es viele Menschen, bedingen einander, und es gibt Glück nicht ohne Zufriedenheit beziehungsweise umgekehrt. Doch mit dem Glück und der Zufriedenheit verhält es sich, wie mit den zwei Seiten einer Medaille. Wissenschaftliche Studien aus den letzten Jahren beschreiben, dass Menschen Glück vor allem als eine Augenblickserfahrung empfinden, von der sie aber auch gar nicht erwarten, dass sie dauerhaft ist, sonst wäre es ja kein Glück.
Zufriedenheit dagegen sei zwar nicht so eine emotionale Gipfelerfahrung wie Glück, halte dafür aber länger. Einige Glückspsychologen verwenden beide Begriffe synonym, andere differenzieren: So ist Zufriedenheit eher das Ergebnis eines kognitiven Bewertungsprozesses, Glück dagegen ein intensiver Gefühlszustand. Wir können demnach zufrieden sein, wenn wir auf Gelungenes und positiv Erlebtes zurückblicken, ohne dass wir dabei zwangsläufig körperliche Glücksgefühle empfinden.
Der Psychologieprofessor Martin Seligman arbeitet in seinem Konzept der Positiven Psychologie an der Stelle, wo es um die Unterscheidung von Glück und Zufriedenheit geht, mit einem dritten Begriff, dem Wohlbefinden. Seiner Ansicht nach ist Wohlbefinden ein System aus mehreren Elementen, mit dem es gelingt, Glück von unterschiedlichen Seiten her zu bestimmen und zu beschreiben. Diese Elemente sind: positive Gefühle, Engagement, Beziehungen, Sinn und Zielerreichung (Erfolg). Glücklich sein und Lebenszufriedenheit werden in dieser Systematik den tief empfundenen positiven Gefühlen zugeordnet. Keines dieser Elemente definiert für sich allein Wohlbefinden; jedes einzelne trägt vielmehr dazu bei.
DEN GLÜCKSMYTHEN AUF DER SPUR
Doch bevor wir den Zusammenhang von Glück und Wohlbefinden näher untersuchen, noch einige Worte zu den irrigen Vorstellungen darüber, was das Glück sei. Glücksmythen gibt es viele, und bestimmt kennen Sie welche. Die Psychologin Sonja Lyubomirsky beschreibt in ihrem Buch Glücklich sein drei Hauptmythen von Glück, mit denen Menschen aufgewachsen sind, die in der westlichen, christlichen Gesellschaft sozialisiert und erzogen wurden.
Mythos 1: Das Glück muss man suchen
Wer glaubt, das Glück müsse erst draußen in der Welt gefunden werden, der meint, allein die äußeren Umstände seien dafür verantwortlich, dass wir glücklich werden. Nur im Außen, in dem Traumpartner, in der Traumwohnung, im Traumurlaub findet man angeblich sein ganz persönliches, vorherbestimmtes Glück. Das ganz persönliche Glück ist also irgendwo in der Welt, und man muss sich sein ganzes Leben lang bewegen und danach suchen. Diese Haltung schützt in ganz wunderbarer Weise davor, sein Glück selbst in die Hand zu nehmen. Sollten Sie irgendwann zufällig irgendwo in der Welt Ihr Glück finden, dann haben Sie trotz Ihrer intensiven Bemühungen schließlich doch nur Glück gehabt.
Mythos 2: Um glücklich zu werden, muss sich einiges ändern
»Wenn ich nur dieses oder jenes täte oder wenn sich doch nur dieses und jenes änderte, dann würde ich automatisch glücklich werden.« Glaubenssätze wie dieser suggerieren, dass Veränderung bestimmter Lebensumstände in der Zukunft zum Glück führt. Es gibt nicht wenige Menschen, die es sogar unglücklich macht, wenn sie sich an frühere Glücksmomente erinnern, weil sie davon überzeugt sind, das Glück von damals nicht noch einmal erleben zu können. Gedanken wie diese halten uns davon ab, all das zu erkennen und aus dem zu schöpfen, was wir jetzt in diesem Moment zum Glücklichsein in uns tragen. Tatsächlich zeigen Studien, etwa von Sonja Lyubomirsky, dass die Änderung äußerer Umstände nur zehn Prozent unseres Glücksniveaus ausmacht, bewusste klare Entscheidungen und ihre aktive Umsetzung dafür aber bis zu 40 Prozent. Immerhin 50 Prozent unseres persönlichen Glücksniveaus werden durch einen sogenannten Glücksfixpunkt (siehe >) genetisch festgelegt. Und das bringt uns zum dritten Mythos.
Mythos 3: Glück hat man, oder man hat es eben nicht
Sehr verbreitet ist die Meinung, dass manche Menschen quasi mit einem Gen zum Unglücklichsein auf die Welt kommen. Unglück ist demnach etwas Angeborenes, das man nicht mehr abschütteln kann. Menschen mit dieser Überzeugung können sich kaum vorstellen, dass sie selbst etwas dafür tun können, um Glück und Freude zu empfinden.
IHR PERSÖNLICHER GLÜCKSFIXPUNKT
Die Zwillingsforschung jedoch wiederlegt diese Mythen. Vergleiche von genetisch identischen Menschen zeigen, dass jeder Zwilling über einen individuellen Glücksfixpunkt verfügt – also ein Basisgefühl von Glück, das im Kern nicht veränderbar ist. Es bestimmt, wie glücklich ein Mensch werden kann. Auf diesem Punkt pendelt sich der Gemütszustand nach Enttäuschungen und Krisen, aber auch nach Triumphen und Hochstimmungen immer wieder ein. Viele weitere wissenschaftliche Untersuchungen kamen zu demselben Ergebnis: Auch wenn Freud und Leid sich abwechseln – stets kommen wir zwischen den Höhen und Tiefen unseres Lebens wieder auf der Ebene unseres persönlichen Glücksfixpunkts an.
Positiv verändern können Sie Ihren Glücksfixpunkt nicht, denn er ist genetisch festgelegt. Und doch haben Sie die Möglichkeit, Ihr Glücksempfinden zu steigern, denn der Glücksfixpunkt...