Einleitung
Dieses Buch richtet sich an alle, die den Weg des Yogalehrers gehen und einem sicheren, nachhaltigen und transformativen Unterricht verpflichtet sind. Allein in Nordamerika gibt es 100.000 Yogalehrer, und fast täglich kommen neue Ausbildungsprogramme hinzu. In der Folge wächst die Zahl der Yogaunterrichtenden schneller als die der Yogaschüler. Man könnte versucht sein, darin einen Segen für die Schüler zu sehen, die nach dem richtigen Lehrer suchen. Allerdings gibt es durchaus auch berechtigte Bedenken bezüglich der Kernkompetenzen von Lehrern, die vielleicht selbst noch Anfänger sind oder deren Erfahrung und Wissen anderweitig begrenzt sind. Die Zeiten, in denen die meisten Lehrer jahrelang oder gar jahrzehntelang bei einem erfahrenen Mentor in die Lehre gegangen waren, sind längst vorbei. Auch die Tage vieler altgedienter Lehrer könnten gezählt sein, die mit den vielen Entwicklungen und Verbesserungen der Technik und Methodik des Yogaunterrichts nicht Schritt halten. Dies gilt vor allem angesichts gemeinsamer Bemühungen, die Vermittlung von Yoga zu einem echten und allgemein anerkannten Beruf mit hohen Ausbildungs- und Kompetenzstandards zu machen.
In meinem ersten Buch für Yogalehrer, Yoga unterrichten: Grundlagen und Techniken, legte ich den Schwerpunkt darauf, mit einem umfassenden Werk die wichtigsten Elemente des Yogaunterrichts abzudecken, zum Beispiel Geschichte und Philosophie des Yoga, allgemeine Techniken und Methoden zur Vermittlung von Asanas, Vermittlung verschiedener pranayama- und Meditationstechniken sowie Grundlagen der Gestaltung von Übungsfolgen und der Arbeit mit Schülern mit besonderen Bedürfnissen. Dabei sah ich mir genauer an, wie Lehrer ihren Unterricht planten, und hörte zu, wenn sie über ihre größten Schwierigkeiten sprachen. Dies inspirierte mich zu meinem zweiten Buch, Yoga-Workouts gestalten. Es beschäftigt sich mit der einfachen Frage, die jeder vernünftigen Yogastunde zugrunde liegt: Warum erst dieses und dann jenes? Es präsentiert die Philosophie, Prinzipien und Techniken der Planung des Yogaunterrichts, betrachtet die Abfolge der Übungsanweisungen, bietet siebenundsechzig Beispiel-Übungsfolgen für Schüler mit den unterschiedlichsten Bedürfnissen und Zielen sowie praktische Informationen für die vernünftige Gestaltung individueller Yogastunden.
Gerade als es in Druck ging, schlug der von William J. Broad verfasste und in der New York Times veröffentlichte provokante Artikel »How Yoga Can Wreck Your Body« (dt. »Wie Yoga Ihren Körper ruinieren kann«) wie eine Bombe ein. Wie viele Mitglieder der Yogagemeinschaft reagierte ich ebenso schnell wie instinktiv auf Broads Behauptungen. Es fühlte sich an wie ein Schlag unter die Gürtellinie, und wie viele andere verfasste ich eine leidenschaftliche Antwort. Ich wandte mich auch direkt an Broad, um seine Bedenken und seine Quellen besser verstehen zu können. Er schickte mir die umfangreiche Sammlung von Daten über yogabedingte Verletzungen, die das nationale elektronische Überwachungssystem für Verletzungen (NEISS) der US-Kommission für die Sicherheit von Verbraucherprodukten (CPSC) zusammengetragen hatte. Ich stellte zwar fest, dass in einigen Fällen umweltbedingte Fehlschlüsse oder andere Integritätsprobleme vorlagen. Doch Broads Grundaussage, dass man sich beim Yoga körperlich ruinieren könne, wurde davon bestens gestützt.1 Ich setzte mich intensiv mit den Daten, mit Broads im Anschluss erschienenen Buch The Science of Yoga: Was es verspricht – und was es kann und vielen ähnlichen Artikeln auseinander, die in den letzten zwanzig Jahren in der Presse erschienen waren. Gleichzeitig hörte ich die Erzählungen unzähliger Lehrer, die bereits angesichts einfacher Sonderfälle bei ihren Schülern mit Verwirrung reagieren. Dies führte mir die Notwendigkeit des vorliegenden Buches mehr als deutlich vor Augen.2
Es ist ausschließlich den Nuancen bei der Vermittlung von Asanas und der Frage gewidmet, wie wir die Haltungen für die Menschen, die sie in unseren Stunden üben, so zugänglich und nachhaltig wie möglich machen können. Im Unterricht haben wir in erster Linie drei Möglichkeiten, unsere Schüler anzuleiten: Demonstration, Erklärung und Berührung. Je klarer Ihnen als Lehrer ist, was Sie einem Schüler mitteilen möchten, desto besser können Sie ihm mit diesen drei Methoden helfen, sein Vorgehen so anzupassen und zu verbessern, dass seine Praxis sicherer, nachhaltiger und transformativer wird. Dies ist auch das Mantra unseres Buches: sicher, nachhaltig und transformativ. Wir beschäftigen uns mit dem angemessenen und ausgewogenen Einsatz dieser Anleitungsmöglichkeiten und richten unsere volle Aufmerksamkeit auf die Frage nach ihrem individuellen Zusammenspiel bei der Vermittlung bestimmter Asanas.
Als Yogalehrer haben wir die Aufgabe, unsere Schüler in der persönlichen Praxis anzuleiten und zu inspirieren, bis sie in der Lage sind, ein Leben lang selbstständig unter der Führung des besten Lehrers weiterzuüben, den sie je haben werden – des Lehrers in ihrem Inneren. Dazu bedarf es eines offenen, klaren und respektvollen Verhältnisses zwischen Lehrer und Schüler. Es ist weder unsere Aufgabe, mit kraftvollen Handgriffen Haltungskorrekturen vorzunehmen, noch den Schülern mit unseren Hilfestellungen zu ermöglichen, weit über das hinauszugehen, wozu sie eigenständig in der Lage wären. Wir sind allenfalls sachkundige und inspirierende Führer und idealerweise von der Kenntnis des Terrains sowie der Umstände und Ziele unserer Schüler beseelt – und vielleicht sogar von etwas Größerem, das uns anspornt, uns voll und ganz der sinnvollen Vermittlung dieser Praxis zu widmen.
Auf meinem eigenen Lern- und Entwicklungsweg hatte und habe ich das große Glück, Lehrern zu begegnen, die einen besonderen Einblick in verschiedene Bereiche haben und deren starkes persönliches Engagement für die Praxis, die Kunst und die Wissenschaft des Unterrichtens nicht nur ansteckend, sondern auch die Quelle der hier dargelegten Grundlagen ist. Mein erster Yogalehrer war Erich Schiffmann. Er lehrte mich, Zusammenhänge zwischen den praktischen Korrekturen, den Ausrichtungsprinzipien und den energetischen Abläufen der Asanas herzustellen. Von Chuck Miller lernte ich, in den immer gleichen fließenden Übungsfolgen des Ashtanga Vinyasa Yoga Hilfestellung zu geben. Im Rahmen meiner sechsmonatigen Ausbildung ließ mich Jasmine Lieb an ihrem großen Wissen über den Unterricht mit Anfängern und Schülern mit körperlichen Einschränkungen teilhaben, das sie selbst bei Indra Devi, in der eigenen Praxis und in einer physiotherapeutischen Ausbildung erworben hatte. Nachdem Shiva Rea Anfang der 1990er Jahre in Ashtanga-Vinyasa-Yoga-Stunden, Iyengar-Seminaren und ihren eigenen zukunftsweisenden Vinyasa-Flow-Kursen meinen Weg gekreuzt hatte, assistierte ich ihr in Unterrichtsstunden, bei Seminaren und Retreats. Dabei offenbarte sie effektive Möglichkeiten, die Praxis auf inspirierende Weise im Spiel der Rhythmen und Phasen des Lebens zu vermitteln. Viele andere Lehrer veranlassten mich durch Workshops, die hier zusammengefassten, ausgeführten und vertieften Erkenntnisse und Fähigkeiten weiterzuentwickeln: Kofi Busia, Tim Miller, Lisa Walford, Dona Holleman, Rodney Yee, Judith Lasater, Ramanand Patel, Richard Freeman, Patricia Walden, die Teilnehmer meiner Seminare zur Vermittlung praktischer Haltungskorrekturen in den letzten fünfzehn Jahren sowie meine erstaunlichen Schülerinnen und Schüler, von denen ich stets am meisten lerne. Ihnen allen bin ich dankbar.
Auch bei diesem Buch war es wieder eine Freude, mit dem Team von North Atlantic Books zusammenzuarbeiten. Viele von ihnen gehen selbst den Weg des Yoga oder sind Gleichgesinnte, die wie ich Bewusstsein und Werden erforschen. Doug Reil ermutigte mich, mich diesem Projekt zu widmen, wenn ich zuweilen auch mit anderen Ideen spielte. Seine Vorschläge halfen mir, das Buch zu schreiben, das nun vor Ihnen liegt. Meine Lektorin Leslie Larson begleitete den gesamten Vorgang vom Manuskript zum veröffentlichten Buch. Christopher Church sorgte wieder einmal dafür, dass mein Text zusammenhängender und meine Worte klarer wurden. Die grafische Gestaltung der Titel- und der Innenseiten durch Suzanne Albertson spricht wunderschön für sich selbst.
Viele Freunde und Kollegen lieferten wertvolle Hinweise zu den verschiedenen Fassungen des Originalmanuskripts: Anne Tharpe, Daniel Stewart, Darren Main, Elise Oliphant, Ganga White, Joanna Bechuza, Karen Dunn, Max Tarjan, Megan Burke, Melinda Bukey, Richard Rosen, Sean Lang, Sarah Finney und Todd Tuholke.
Einige meiner Schülerinnen und Schüler sowie Absolventinnen und Absolventen meiner Lehrerausbildungsprogramme standen geduldig für die Aufnahmen der Asanas Modell: Amy Hsiung, Andreas Kahl, Anne Tharpe, Erika Abrahamian, Jennifer Lung, Marcia Charland, Max Tarjan, Michelle Naklowycz, Nadja Lewis, Pat Tao, Ray Charland, Samantha Rae Boozer, Sean Lang, Shannon McQuaide und Tom Simpkins. Die Bilder von allen Asanas und praktischen Korrekturen...