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Zeichen und Geist

Eine semiotisch-exegetische Untersuchung zum Geistbegriff im Markusevangelium

AutorStefan Eckhard
VerlagNarr Francke Attempto
Erscheinungsjahr2018
ReiheNET ? Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie 27
Seitenanzahl271 Seiten
ISBN9783772000836
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis54,40 EUR
Die Habilitationsschrift profiliert am Beispiel des Markusevangeliums das neutestamentliche Offenbarungsverständnis, das untrennbar mit dem Begriff des Geistes Gottes verbunden ist, anhand der Zeichentheorie des US-amerikanischen Naturwissenschaftlers und Philosophen Charles Sanders Peirce (1839-1914). Nach Peirce lässt sich der Zeichenprozess, der ein Erkenntnisprozess ist, als triadische Struktur der Kategorien von 'Objekt' ('Ding'), 'Zeichen' und 'Interpretant' ('Bedeutung') beschreiben. Dieses semiotisch-triadische Kommunikations- und Erkenntnisgeschehen korreliert nun mit und konvergiert im christlichen Offenbarungsgeschehen, das sich in den Taten und Worten des mit dem Geist Gottes begabten und daher in Vollmacht handelnden Gottessohnes Jesus realisiert. Der Geist zeigt sich aus dieser semiotisch-triadischen Perspektive als dynamisch-relationaler und daher offenbarend-schöpferisch zu bestimmender Aspekt. Zudem strukturiert, fundiert und dominiert die Geistthematik das Markusevangelium als Offenbarungsschrift in viel stärkerem Maße, als dies gemeinhin angenommen wird.

PD Dr. theol. Stefan Eckhard ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neues Testament der Katholisch-Theologischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen.

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Leseprobe

2. Erscheinung und Zeichen


2.1. Phänomenologie und Semiotik


Die sogenannte „Kategorienlehre“ ist ein Kernstück in Peirces Philosophie,1 denn sie bildet die normative Grundlage seines semiotischen Entwurfs. Peirce hat seine kategoriale Semiotik in jungen Jahren entwickelt und in dem Vortrag On a New List of Categories von 1867 (zu Deutsch: Über eine neue Kategorientafel, kurz: New List)2 erstmalig vorgestellt. Auch wenn der späte Peirce einige Modifikationen an seinem Zeichenmodell vorgenommen hat, so tastet er doch dessen Grundstruktur nicht an3 (vgl. markant der Syllabus of Certain Topics of Logic – deutsch: Zusammenstellung einiger Themen der Logik, abgekürzt: Syllabus [1903]). Peirces semiotisches Konzept lässt sich – resümierend gesehen – einerseits sowohl als einfach und damit einsichtig wie andererseits als umfassend und daher allgemeingültig charakterisieren. Seiner Zeichentheorie gelingt es, Konkretes und Abstraktes, Wahrnehmen und Erkennen, Empirie und Logik4 auf überraschende wie zugleich überzeugende Weise miteinander zu verbinden und somit eine auf formalen Gesetzmäßigkeiten gegründete Erkenntnislehre, die das Zeichen zum Fundamentalbegriff menschlicher Denk- und Erkenntnisfähigkeit macht, zu entwickeln.5 Die Vielheit der Wahrnehmungen wird darin zur Einheit des Denkens geführt. Deswegen gilt Peirce zu Recht als Begründer der modernen Semiotik. Seit der Rezeption seiner Schriften konnte sich die Semiotik auch als normative Grundlagenwissenschaft im wissenschaftlichen Fächerkanon etablieren. Die „Zeichenlehre“ oder „Semiotik“6 (von altgr. σῆμα und σημεῖον – „Zeichen“; daher: σημειωτική – „Lehre vom Zeichen“ bzw. „Zeichenlehre“) beschreibt den Zusammenhang zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem – also zwischen dem Zeichen und dem Ding. Das nichtsprachliche wie das sprachliche Zeichen und seine jeweilige Funktion bzw. seine jeweiligen Funktionen bilden somit den Untersuchungsgegenstand dieser Geisteswissenschaft. Die Entwicklung der Semiotik als Wissenschaftszweig lässt sich bis in den antiken Stoizismus zurückverfolgen; dort wird die Semiotik bereits als Erkenntnislehre definiert. Ein Neueinsatz ist dann in der Moderne mit John Locke zu verzeichnen, der für diese philosophische Disziplin den Terminus „Semiotik“ (vgl. σημειωτική) wiederbelebt und Zeichen in ihrer Stellvertreterfunktion analysiert, so dass die Semiotik zur Grundlagenwissenschaft für kommunikative Zusammenhänge wird.

Diese Erkenntnis macht sich Peirce zunutze und entwirft in seiner späten Lebensphase eine Wissenschaftsklassifikation,7 in der er zum einen die Semiotik8 in ihr wissenschaftstheoretisches Verhältnis zur Mathematik, zur Philosophie und zur Phänomenologie setzt und zum zweiten gegenüber den anderen Einzelwissenschaften – den Natur- und Geisteswissenschaften – abgrenzt.9 Für die Strukturierung der genannten Wissenschaftsmatrix gilt folgender Grundsatz: Allgemeine und deswegen übergeordnete Disziplinen bestimmen weniger allgemeine und daher untergeordnete Fächer, so dass zwischen den Wissenschaften Abhängigkeitsverhältnisse entstehen.10 Die somit entstehende Hierarchisierung verweist auf die beiden Leitprinzipien, die Peirce von seinem Lehrmeister Immanuel Kant übernimmt. Peirces philosophische Konzeption ist zum einen architektonisch angelegt – allgemeine Wissenschaften bestimmen besondere Wissenschaften – und zum zweiten epistemologisch gegliedert – allgemeine Begriffe beschreiben besondere Begriffe.11 Dadurch erhält das weitgespannte Peirce‘ sche Denken – formal gesehen – ein zentrierendes Moment, das seinem Gesamtwerk Systemqualität verleiht.12 Diese Sichtweise erneuert – ganz im Gegensatz zur modernen und erst recht postmodernen Auffassung – den alten holistischen Wissenschaftsanspruch der Philosophie.

Nach der Wissenschaftsklassifikation13 gehört die „Phänomenologie“, die Peirce auch „Phaneroskopie“ oder „Ideoskopie“ (abgeleitet von ἰδέα – „Beschaffenheit“, „Vorstellung“; σκοπέω – „prüfen“, „untersuchen“) nennt, neben der „Normativen Wissenschaft“ und der „Metaphysik“ zur „Philosophie“. Ihr vorgeordnet ist die „Mathematik“; ihr nachgeordnet sind die verschiedenen besonderen Wissenschaften („Idioskopie“ – von ἴδιος – „einzeln“). Die „Normativen Wissenschaften“ wiederum setzen sich aus „Ästhetik“, „Ethik“ und „Logik“ zusammen, wobei sich die Logik14 in die Wissensbereiche „Spekulative Grammatik“, „Kritik“ sowie „Methodeutik“ aufspaltet. Die Semiotik erscheint hier mit dem aus der philosophischen Tradition entlehnten Begriff „Spekulative Grammatik“ („grammatica speculativa“, „speculative grammar“15) als Logik im engeren Sinn.16 Daneben kennt Peirce auch einen weiter gefassten Sinn von „Semiotik“, wenn er Semiotik mit Logik insgesamt identifiziert.17 Ob man nun das engere oder das weitere Verständnis des Semiotikbegriffs heranzieht – der entscheidende Zusammenhang wird in beiden Fällen deutlich: Die Semiotik ist für Peirce eine formal-logische Wissenschaft. Sie ist Erkenntnistheorie. Dass sie zudem unter der Rubrik „Normative Wissenschaft“ geführt wird, zeigt ihre grundlegende Ausrichtung für die Begründung der übrigen Einzelwissenschaften auf. In der wissenschaftstheoretischen Systematik von Peirce verbindet sich also die Phänomenologie mit dem semiotisch-logischen Ansatz. Dass die „Reine Mathematik“ der Phänomenologie dabei noch vorausgeht, weist darauf hin, dass mathematische Formen die phänomenologische und damit die semiotische Wissenschaft bestimmen.18 Die Mathematik sieht Peirce im Sinne der Allgemeingültigkeit als oberste Wissenschaft an, die die logischen Voraussetzungen bereitstellt und die logischen Zusammenhänge prüft.19

Die Phänomenologie oder Phaneroskopie bzw. Ideoskopie20 erschließt also in mathematischer Weise die vor dem menschlichen Geist unwillkürlich erscheinenden, aber von ihm noch nicht analysierten Objekte der Erfahrung – die unteilbaren Bestandteile des „Phaneron“21 (die „Phanera“) (φανερός – „vor aller Augen Sichtbares“, „Offenbares“, „Offenkundiges“) –, um sie in Objekte des Denkens zu übertragen.22 Empirie und Logik verknüpfen sich miteinander.23 Diese logische Abstraktion erfolgt nach einem doppelten Schlussverfahren: auf der einen Seite durch die „phänomenologische Abstraktion“ – die empirische Eingrenzung („vorstellen“ – „dissoziieren“ –, „abgrenzen“ – „präzisieren“ – und „darstellen“ – „diskriminieren“)24 – sowie auf der anderen Seite mittels der „hypostatischen Abstraktion“ – der logischen Abgrenzung über die Kategorien der „Erstheit“ („firstness“), „Zweitheit“ („secondness“) und „Drittheit“ („thirdness“).25 Mit dem letztgenannten relationenlogischen Schritt erreicht man in vergleichender Verallgemeinerung abstrakte Begriffe – Universalien –, mit denen man die Erfahrung intellektuell erschließen kann.26 Peirce ist studierter Chemiker. Er kommt daher auf den Gedanken, die vorgenannten drei Kategorien, die die universalen intellektuellen Begriffe repräsentieren, mit dem Modell der „Valenz“ – also der „Wertigkeit“ – von chemischen Elementen zu vergleichen,27 die sich in der molekularen Struktur abbildet.28 Chemische Elemente haben die Eigenschaft, mit bestimmten anderen Elementen Verbindungen einzugehen, um einen Zustand der chemischen „Sättigung“ herzustellen, die strukturelle Festigkeit verleiht. Wann diese Sättigung erreicht wird, kann in Form von maximaler Valenz notiert werden. Überträgt man diese Anleihe aus der Chemie auf die Phänomenologie oder Phaneroskopie, die logisch funktioniert, so kann man nun die maximale Wertigkeit eines unzerlegbaren Bestandteils des Phaneron – eines abgrenzbaren Sinneseindrucks oder Phänomens – festlegen und sie in Zahlenwerten darstellen: Phänomenologie nach Peirce heißt, einen abgrenzbaren Gegenstand der wahrnehmbaren Umwelt begrifflich-rational zu erfassen.29 Dieser Erkenntnisvorgang bedingt, dass dem empirischen Objekt eine Bedeutung zuzuweisen ist, die der menschliche Geist schon bereithält oder noch entwickeln muss. Deshalb liegt eine solche Bedeutung ursprünglich „außerhalb“ des Erfahrungsgegenstandes; es handelt sich um eine „externe Bedeutung“.30 Folglich geschieht das Erzeugen von Begriffen durch das In-Verbindung-Bringen eines Objektes der Erfahrung mit einer solchen externen Bedeutung. Der menschliche Denkprozess ist demnach nichts...

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