Warum das Licht im Kopf ausgeht
Im vorangegangenen Kapitel sind wir bereits kurz auf den Energiestoffwechsel in der Zelle eingegangen, wie dieser entgleisen kann und welche Konsequenzen dies für das Gesamtgefüge des Körpers und insbesondere für unser Gehirn hat. Werfen wir nun einen Blick auf die Gruppe von Krankheiten, die sich im Gefolge dieser Stoffwechselentgleisung manifestieren können. Sie werden mit dem Begriff »Diabetes mellitus« – der Zuckerkrankheit – umschrieben. Bei diesem Formenkreis von Stoffwechselstörungen mit entgleisten Blutglukose- und Insulinspiegeln kann der Körper Glukose nicht mehr adäquat verarbeiten. Es kommt einerseits zu überhöhten Blutglukosespiegeln, andererseits zu Unterzuckerungszuständen (Hypoglykämien) in den Zellen und gleichzeitigem Insulinüberschuss. Die gestörte Stoffwechsellage gilt als eine der Hauptursachen für verschiedene Volkskrankheiten (Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes), zu denen mittlerweile auch die Alzheimer-Demenz gehört.
Alzheimer-Ursache: Zuckerkrankheit
Zu den Zuckerkrankheiten gehören der genetisch bedingte Typ-1-Diabetes sowie die lebensstilbedingten Typ-2- und Typ-3-Diabetes-Erkrankungen. Keine von ihnen ist medikamentös heilbar. Jede Zuckerkrankheit zieht eine Reihe von Folgeerkrankungen nach sich. Ein Teil davon ist vermeidbar, wie wir sehen werden.
Denn die Ursachen für den hohen Blutzuckerspiegel, den man mittels Bluttests messen kann (siehe Das Innenleben unseres Geistes), sind unterschiedlich. Tatsache ist, dass sich Diabetes seit Mitte der Achtzigerjahre quer durch Bevölkerungen und alle Altersgruppen epidemisch verbreitet hat. Betroffen sind Kleinkinder, Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Überall ist die Krankheit mit Übergewicht (Adipositas) und einem entgleisten Zucker- und Fettstoffwechsel vergesellschaftet. Noch vor vierzig oder fünfzig Jahren galt Diabetes allenfalls als Alterskrankheit, da die Leistung der Bauchspeicheldrüse mit dem natürlichen Alterungsprozess nachlässt. Auch die Muskelmasse nimmt biologisch bedingt ab (bei Frauen 1 Prozent Rückgang jährlich ab 39, bis 69 Jahren um 30 Prozent, bei Männern beträgt der Rückgang 0,5 Prozent). So gibt es immer weniger glukoseaufnehmende Empfängerzellen in der Muskulatur, die immerhin unser größtes Stoffwechselorgan darstellt und für die gesamte Energiegewinnung und den Energieumsatz im Körper zuständig ist.
Lieblingsbrennstoff der Muskelzellen ist Zucker (Kohlenhydrate). Er kann am leichtesten genutzt werden. Danach kommen Fettsäuren aus der Nahrung oder dem Fettgewebe. Eiweiß brauchen die Muskeln als Baustoff. Indirekt trägt die Muskulatur so maßgeblich zu einem stabilen Fett- und Zuckerstoffwechsel bei. Insbesondere Fett kann wesentlich nur in der Muskulatur verbrannt werden. Vor diesem Hintergrund ist es auch wichtig, dass die Muskulatur im Hinblick einer Vermeidung von Prädiabetes und Zuckerkrankheit erhalten wird.
Heute rechnen Experten damit, dass die Zahl der Zuckerkranken und Prädiabetiker in den nächsten Jahren noch explosionsmäßig steigt, da immer mehr Menschen immer dicker werden und das Alter dabei keine Rolle spielt. Bis 2030 rechnet man mit circa 552 Millionen Diabetikern.
Zusätzlich haben 79 Millionen Menschen Prädiabetes, eine Vorstufe der Erkrankung. Hier zeigt sich eine Insulinresistenz mit erhöhten Blutglukosespiegeln (die allerdings noch nicht so hoch wie bei einem manifesten Diabetes sind). Wer zu dieser Hochrisikogruppe gehört, muss nicht zwangsläufig einen Typ-2-Diabetes entwickeln. Da man jedoch weiß, dass die Symptomatik in der Regel mit Übergewicht einhergeht, kann man durch eine Ernährungsumstellung auf eine keton- und ballaststoffreiche Ernährung (siehe auch Textkasten Die Insel der Hundertjährigen.), eine langfristige Gewichtsnormalisierung und einen aktiven, bewegten Alltag dafür sorgen, dass sich der Stoffwechsel wieder ausbalanciert.
Diabetes und die Folgen
Das Risiko für Folgeerkrankungen bei Typ-1- wie bei Typ-2-Diabetes ist erheblich – und es betrifft den ganzen Körper. Die erhöhten Blutzuckerwerte schädigen die Blutgefäße und führen zur Arterienverkalkung (Arteriosklerose). Dabei werden große und kleine Arterien sowie häufig auch die der Nerven geschädigt. Die Folge sind Durchblutungsstörungen in verschiedenen Körperregionen, zum Beispiel im Herzen (Herzinfarkt), Gehirn (Schlaganfall) oder in den Beinen (pAVK, diabetisches Fußsyndrom). Die Wahrscheinlichkeit, diabetesbedingte Folgekrankheiten zu entwickeln, ist übrigens schon bei einem Prädiabetes erhöht. Weitere Symptome und Folgekrankheiten sind Bluthochdruck, Impotenz, Nervenschäden, Nierenversagen und Erblindung (Retinopathie).
Depressionen und Diabetes verstärken sich unter Umständen riskant. Menschen, die unter Depressionen leiden, weisen erhöhte Spiegel an Stresshormonen auf. Das kann zu Glukoseverwertungsstörungen und Insulinresistenz führen. Ohnehin stehen Diabetiker nicht selten unter Dauerstress durch die Blutzuckerkontrollen und Behandlung von möglichen Komplikationen. Das führt zu einer herabgesetzten Lebensqualität und einer erhöhten Wahrscheinlichkeit, an einer Depression zu erkranken.
Auch der Zusammenhang zwischen Zuckerkrankheit und einem erhöhten Krebsrisiko ist belegt. So haben gut 90 Prozent aller Zuckerkranken ein auf das Dreifache erhöhtes Risiko, an Darmkrebs zu erkranken.18 Erhöhte Insulinspiegel begünstigen die Zellteilung und erhöhen somit das Risiko, an einigen Krebsarten zu erkranken.
Nicht zuletzt lässt Diabetes das Gehirn um fünf Jahre altern. In einer Studie aus dem Jahr 201319 warnten US-Forscher davor, dass Diabetiker ein höheres Risiko haben, an Demenz zu erkranken. Demnach sind Menschen mit Typ-2-Diabetes im Alter zwei- bis viermal häufiger von einer vaskulären Demenz betroffen. Auch haben sie ein doppelt so häufiges Risiko, an einer Demenz vom Typ Alzheimer zu erkranken. Weitere Hinweise darauf, dass Diabetiker ein erhöhtes Demenzrisiko haben könnten, zeigte eine Studie von Forschern um Elizabeth Selvin von der US-amerikanischen Johns-Hopkins-Universität.20 Hier konnte gezeigt werden, dass Diabetiker mittleren Alters eine höhere Wahrscheinlichkeit für schlechtere Gedächtnisleistungen haben.
Es scheint belegt zu sein, dass dauerhafte Blutzuckerspitzen und auch umgekehrt wiederholte Unterzuckerungen die kleinen Blutgefäße im Gehirn und die Nervenzellen so schädigen, dass eine Demenz begünstigt wird. Weitere Studien sind geplant.
Auch eine Studie aus den Archives of Neurology21 kam zu dem Ergebnis, dass eine bestehende Diabeteserkrankung mit einem beschleunigten kognitiven Abbau im Seniorenalter einhergeht. Das Problem: Bereits ein Viertel aller US-Senioren leidet laut dieser Studie an einem Typ-2-Diabetes. Auch in der Health, Aging and Body Composition (Health ABC) Study, einer prospektiven Beobachtungsstudie des US National Institute on Aging, lag der Anteil der Diabetiker zu Beginn bei 23,4 Prozent und stieg in den folgenden neun Jahren um 5,2 Prozent. Schon zu Beginn der Studie hatten die durchschnittlich 74 Jahre alten Diabetiker schlechtere Werte in Tests, die ihre kognitiven Fähigkeiten beurteilten. Zudem konnte Kristine Yaffe von der University of California in San Francisco eine Abhängigkeit vom Langzeitblutzuckerwert HbA1c aufzeigen: Je höher der Wert und je schlechter die Blutzuckereinstellung war, desto schwächer fielen die Ergebnisse in den Demenztests aus. Während der Nachbeobachtungszeit weitete sich die kognitive Lücke zwischen Diabetikern und Nichtdiabetikern. Die hohe Zahl älterer Diabetiker kann also durchaus ein Grund für die Zunahme von Demenzerkrankungen sein. Begründet wurde dies damit, dass der Diabetes im gesamten Körper zu Schäden in den kleinsten Arterien (Mikroangiopathie) führte. Sie setzt im Gehirn die Sauerstoffversorgung der Hirnzellen herab. Außerdem ist bekannt, dass Nierenerkrankungen, Schlaganfälle, Bluthochdruck und Hyperlipidämie, die alle zu den Spätkomplikationen des Typ-2-Diabetes gehören, mit kognitiven Einbußen einhergehen.
Das zuckerkranke Gehirn
Die Hauptursachen für die Zuckerkrankheit sind schnell benannt: ungünstige Ernährungsgewohnheiten gekoppelt an einen weitgehend unbewegten Lebensstil. So steht auf der einen Seite eine Überfülle an zucker- und fettreichen Nahrungsmitteln, die rund um die Uhr verfügbar sind. Auf der anderen Seite führt genau diese Überfülle zu einer Unterversorgung der (Nerven-)Zellen mit lebenswichtiger Energie, da durch sie der Zucker- und Insulinstoffwechsel entgleist. Als besonders besorgniserregend gilt der Anstieg der Kalorienzufuhr durch hochverarbeitete und mit Zucker und Fett angereicherte Lebensmittel sowie Süßgetränke.
Nun ist das energiereiche Essen das eine. Auf der anderen Seite steht der allgemein gesunkene Energieverbrauch. Kaum jemand muss sich tagsüber noch körperlich anstrengen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Der moderne, hoch technisierte (Büro-)Alltag hat unsere Körper zu Energiesparmodellen gemacht. Wir essen zu häufig und zu energiereich, verbrennen gleichzeitig aber zu wenig Kalorien, weil wir die meiste Zeit herumsitzen.
Hierin liegt die Hauptursache der Diabetes- und Alzheimer-Katastrophe begründet. Die gute Nachricht ist: Sie ist vermeidbar, weil wir unseren Lebensstil selbst verantworten und ihn jederzeit verändern können.
Werfen wir jetzt einen genaueren Blick auf das gestörte Stoffwechselgeschehen und seine Hauptprotagonisten.
Im Fokus: Insulin
Der Botenstoff hat bei der...