Einleitung
Ja, ich singe wirklich gerne ein Loblied auf den Schlaf. Heinrich Heine zum Beispiel hat meiner Meinung nach ziemlich untertrieben, als er befand, dass der Schlaf »die köstlichste Erfindung« sei. Nicht nur sind diese zwingenden Ruhephasen eine zutiefst befriedigende Art, seine Zeit zu verbringen: Der Schlaf hinterlässt im Körper einen wohligen Nachklang, und im Kopf fühlt man sich angenehm entwirrt. Obendrein werden Erlebnisse aus unserem Alltag in aufregende Träume verwandelt. Und klüger ist man nach einer erholsam verbrachten Nacht auch noch – behaupten zumindest die Neurowissenschaftler.
Der Schlaf lässt aus dem Chaos von Eindrücken, die Tag für Tag auf uns einprasseln, die Gedanken und Gefühle werden, auf die wir später zurückgreifen. Er ermöglicht geistige Verknüpfungen und ist so eine zentrale Grundlage für unsere Kreativität. Der im kalifornischen Berkeley forschende Schlafwissenschaftler Matthew Walker greift auf ein Bild aus der Küche zurück, um zu veranschaulichen, was der Schlaf leistet: »Wie beim Kochen reicht es für die Erinnerungsbildung nicht, einfach die Zutaten kleinzuhacken und zusammenzuwerfen. Das Gehirn braucht Zeit, die Dinge marinieren zu lassen.« Und eben genau das vollbringt der Schlaf, insbesondere wenn wir träumen.
Ja, ich halte den Schlaf für eine tolle Sache. Und weil ich zudem nicht zu den Menschen gehöre, die morgens um acht mit Freude aus dem Bett hüpfen, befinden sogar meine Freunde, ich sei eine Schlafmütze – was in unserer Gesellschaft selten ein Kompliment ist. Dabei verbringe ich nicht einmal besonders viel Zeit damit, zu schlafen. Ich bin einfach nur das, was man landläufig eine »Eule« nennt: Es macht mir nichts aus, bis weit nach Mitternacht zu arbeiten, ich bin auch zu später Stunde meist zu allem aufgelegt, gehöre allerdings nie zu jenen frühen Vögeln, die sich um den Wurm streiten.
Ein wenig Neid auf meine relativ freie Zeitgestaltung – freiberufliches Arbeiten sei Dank – schwingt wohl auch mit, wenn selbst besagte Freunde von meinen Schlafgewohnheiten bisweilen genervt sind, etwa weil ich vormittags nicht angerufen werden möchte. Doch, so wage ich zu behaupten, bei der Bewertung meiner Schlafroutine geht es eben auch um etwas anderes, nämlich darum, dass der Schlaf, wohltuend wie er sein mag, in unserer Gesellschaft ein schlechtes Image hat, das ihm nicht gerecht wird – weil Schlaf mit Faulheit assoziiert wird.
Die deutsche Sprache ist ziemlich präzise, und in so mancher Redensart rund um den Schlaf spiegeln sich die Vorurteile unserer Gesellschaft wider. Angefangen damit, dass man von Frühaufstehern und Langschläfern redet, obwohl doch diejenigen, die spät ins Bett gehen und spät aufstehen, nicht unbedingt länger schlafen als all jene, die um sechs Uhr morgens ihre Joggingschuhe schnüren.
Auch wenn ich meine Ruhephasen schätze, kenne ich durchaus den Impuls, das eigene Schlafbedürfnis zu ignorieren. Die Gründe mögen vielfältig sein; für mich zum Beispiel hat die Nacht ihre ganz eigenen Qualitäten. Was für eine schöne Sache es doch ist, sich nachts, wenn die Welt schläft, Zeit zum Lesen oder Musikhören zu nehmen. Warum nicht nur ich, sondern ein großer Teil der Gesellschaft – glaubt man den Warnungen vieler Schlafforscher – sich immer schwerer damit tut, abzuschalten und zu ausreichend Schlaf zu kommen, soll ebenso ein Thema dieses Buches sein wie die Tatsache, dass sich diverse Alltagswehwehchen und so genannte Zivilisationskrankheiten darauf zurückführen lassen, dass wir schlicht zu wenig schlafen. Zwar geht es uns deutlich besser als noch unseren Vorfahren oder Menschen in vielen anderen Teilen der Welt, doch von unserem Wohlstand und unserem Mehr an Freizeit kommt in puncto Schlaf nichts bei uns an. Und das, obwohl sich vieles verbessern ließe, wenn wir öfter mal die Augen zumachen würden.
Als ich vor einigen Jahren mit zwei Mitstreiterinnen eine erste Idee entwickelte, aus der schließlich dieses Buch werden sollte, gab es im Handel fast nur Ratgeberliteratur zum Thema. Endlose Regalmeter zu der Frage, wie man durch schlaflose Nächte kommt, den verlorenen Schlaf wiederfindet oder auch sein Kind dazu bringt, endlich durchzuschlafen. Ich bin Kulturjournalistin, keine Naturwissenschaftlerin, doch der Schlaf hat mich schon immer fasziniert. So entstand die Idee, diese Parallelwelt anders zu erkunden; einen weiteren Ratgeber wollte ich auf keinen Fall schreiben. Der Schlaf hat schließlich Besseres verdient, als dass man nur über ihn spricht, wenn er Ärger macht. Er mag zwar zu den Dingen gehören, die viele erst dann zu schätzen wissen, wenn sie ihn missen müssen. Doch ein weniger problembehafteter Blick auf den Schlaf war mir ein zentrales Anliegen.
Besser zu verstehen, was mit uns passiert, während wir schlafen, ist ein erster Schritt, Probleme zu vermeiden. Ob man ein guter oder ein sensibler, für Störungen anfälliger Schläfer ist, ist bis zu einem gewissen Grad in den Genen angelegt. Doch es hat auch mit den Rahmenbedingungen unserer Tage und Nächte zu tun. Wie bereitwillig lassen wir uns ablenken, wenn eigentlich Bettgehzeit ist? Wie viel Tageslicht bekommen wir ab? Wie schlaffreundlich ist das Unternehmen, für das wir arbeiten?
Schließlich ist es sehr viel leichter, vom guten zum schlechten Schläfer zu werden als umgekehrt. »Aus einem sensiblen Schläfer ist noch kein guter geworden«, sagt jedenfalls Schlafforscher Ingo Fietze. Und aus zeitweilig schlechtem Schlaf kann schnell chronisch schlechter Schlaf werden, wenn man die Warnsignale nicht ernst nimmt oder auf Biegen und Brechen versucht, am Schlaf zu sparen. Einen Ratgeber wollte ich deshalb zwar immer noch nicht schreiben, aber ein Plädoyer für eine freundlichere Einstellung zu unserem Schlaf.
Mittlerweile, gut zehn Jahre nach der ursprünglichen Idee zu diesem Buch, gibt es auf dem deutschen Buchmarkt ein paar spannende Titel, die auch jene über den Schlaf aufklären wollen, die keine ratgeberwürdigen Probleme mit ihm haben. Im Vordergrund stehen dennoch biologische und medizinische Aspekte, obwohl doch die gesellschaftliche Perspektive besonders interessant ist: Warum behandeln wir unseren Schlaf mit so wenig Respekt?
Der Schlaf beansprucht zwar einen erheblichen Teil unserer Lebenszeit, führt aber trotzdem ein Schattendasein. Außerhalb des eigenen Schlafzimmers reden wir eher selten über unsere nächtlichen Auszeiten. Noch seltener gucken wir über den Tellerrand, etwa darauf, was man in Sachen Schlaf von anderen Kulturen lernen kann. Schlafen ist schließlich immer auch ein soziales Arrangement, das das Umfeld des Schläfers und den aktuellen Zeitgeist widerspiegelt. In Sachen Schlaf halten wir das für normal, was unsere Umgebung uns vorlebt.
Angesichts der Tatsache, wie wenig unser aller Schlafqualität auf gesellschaftlicher Ebene diskutiert wird, hat es mich erstaunt, wie gerne jeder, mit dem ich auf das Thema kam, über seine persönlichen Gewohnheiten sprach – und was dabei alles herauskam.
So sprach ich mit einem Studenten, der sich während des Semesters tatsächlich abends um acht ins Bett legt, um dann um vier oder fünf wieder aufzustehen und nach seinem allmorgendlichen Sportprogramm die Bücher zu einer Zeit aufzuschlagen, zu der seine Kommilitonen noch wild träumen. Sozialkompatibel sind seine Gewohnheiten nicht, was ihn aber nicht zu stören scheint. Damit lebt er ähnlich extrem wie ein Arbeitskollege, dem bereits zu Studienzeiten klar wurde, dass er niemals einer normalen Bürotätigkeit würde nachgehen können. Jetzt hat er einen Job, der um 16 Uhr beginnt, und schafft es nie vor 5 Uhr nachts ins Bett. Vorher schlafen ginge einfach nicht, behauptet er. Auch zwanzig Jahre später fühlt er sich immer noch wohl mit dieser Routine.
Und dann waren da natürlich noch all die jungen Eltern, die neben den Teenagern, deren innere Uhr im ständigen Konflikt mit ihren Stundenplänen steht, vermutlich die Gruppe bilden, die am wenigsten Schlaf bekommt (und die immer gerne über die Ruhezeiten reden, die ihnen fehlen). So stellte ich in zahlreichen Gesprächen fest: Jeder hat eine ungefähre Vorstellung davon, wie eine ideale Nacht zu verlaufen hat, und glaubt zu wissen, welches Pensum an Schlaf ihm oder ihr guttut. Doch die Praxis sieht oft anders aus, weil es eine Diskrepanz gibt zwischen den Anforderungen des Umfelds und den eigenen Bedürfnissen. Weil man sich vor langer Zeit etwas angewöhnt hat, das unter den gegenwärtigen Lebensumständen keinen Sinn mehr ergibt. Weil man einfach nicht mehr spürt, wie müde man eigentlich ist.
Genauso wichtig wie das Hinterfragen gesellschaftlicher Zuschreibungen ist es, die eigenen Gewohnheiten näher zu betrachten. Schlaf ist mit Ritualen verknüpft, und die können uns einerseits stabilisieren, andererseits aber auch in eingefahrenen Bahnen stecken lassen. Warum etwa sollte man immer noch zu einer Zeit aufstehen, zu der der Nachwuchs einst in die Schule musste, wenn das Kind schon lange aus dem Haus ist? Wer dagegen berufsbedingt plötzlich um halb sechs rausmuss, sollte vielleicht ein anderes Tagesabschlussritual finden, als sich vom Wetterbericht der Tagesthemen ins Bett schicken zu lassen.
Jeder hat seine Schlafbiografie, und viele haben die eine oder andere Macke davongetragen, wie zum Beispiel ein als Flugbegleiter arbeitender Freund, der streng über seinen Schlaf wacht und kategorisch jede soziale Verpflichtung abwehrt, die ihm dabei in die Quere kommt – um die Auswirkungen seines bereits chronischen Jetlags zu mildern. Für manche kann es eine jahrzehntelange Trotzphase auslösen, dass sie als nachtaktiver Teenager am Sonntagmorgen mit am Frühstückstisch sitzen mussten. Ebenso wie die Erfahrung von Nachtschichten bei fast jedem, der...