Der westlichen Zivilisation der Gegenwart wird oft genug und sicher nicht zu Unrecht nachgesagt, dass sie einem theoretischen wie praktischen Materialismus verfallen sei. Erziehung, insbesondere christliche Erziehung und Glaubensweitergabe, geschieht heute in einem weltanschaulich außerordentlich differenzierten Umfeld, einer offenen, pluralistischen Gesellschaft, die nur noch teilweise durch die christlich-abendländische Tradition geprägt ist.
Um gut gerüstet durch das Leben zu kommen, bedarf es eines Kanons an Grundwerten. Sie sind wichtig für die zwischenmenschlichen Beziehungen und sorgen dafür, dass man andere Menschen als wertvoll erachtet und so auch umgekehrt selbst Wertschätzung erfährt. Werte wie Aufrichtigkeit und Achtsamkeit, Zuversicht, Treue und Beständigkeit geben im Alltag Stabilität.
Werte werden in unserer Gesellschaft neu definiert und nicht mehr von den traditionellen Wertevermittlern wie Kirche, Schule, Philosophie und Politik angeboten. Wertbegriffe bewegen sich heute frei im Raum von Werbung und Marketing. Dabei handelt es sich nicht um verbindliche Wertorientierungen, denen eine Lebenshaltung entsprechen würde, sondern um postmoderne Werte-Zitate, die auch zunehmend Themen im BRU sind. Die vielen unverbindlichen Werte-Zitate sind nicht nur bei den Schülerinnen und Schülern an Berufsbildenden Schulen in aller Munde, Themen wie Solidarität, Menschenwürde, Individualität und Umwelt.
Nicht Kirchen, sondern Konsumtempel sind Orte moderner Religiosität. Wir leben in einem Polytheismus der Marken und Moden. Die Fetische des Konsums sind nicht nur Vehikel zur Transzendenz, sondern das Heilige selbst. Formelhaft kann gesagt werden, dass bewusst Gott gestrichen wird, um religiöse Gefühle besser bedienen zu können.
Der Konsumismus entfaltet sich zunehmend als eigenes Religionssystem. Im 21. Jahrhundert sind Kult und Rituale keineswegs mehr allein oder auch vorzüglich eine Domäne der christlichen Kirchen. In diesen scheint das Gespür für die Bedeutung und vitale Lebenskraft des kultisch-rituellen Handelns weithin abzunehmen, während – umgekehrt – mitten im Bereich einer scheinbar restlos säkularisierten Welt sich neue Vollzugs- und Ausdrucksgestalten von Kult und Ritual mit einer unverkennbar religiösen Prägung ausmachen lassen. Ein Religionsunterricht an Berufsbildenden Schulen, dem es nicht nur um Wissen über Religion und Glauben geht, sondern auch um deren Ermöglichung, ist herausgefordert, sich in seiner Methodik und Didaktik den gesellschaftlichen Veränderungen anzupassen.
Im Auftrag des Vereins ´Forum Familie stark machen e.V.´ führte das Institut für Demoskopie Allensbach im Jahr 2009 eine Studie unter dem Titel Generationen-Barometer[3] durch und befragte dazu 2200 Personen zu ihren familiären Beziehungen in Zeiten des demografischen Wandels. Ein Ergebnis der Befragung ist, dass eine Mehrheit der Deutschen die religiöse Erziehung für Kinder als nicht wichtig einschätzt. Unter den 16- bis 29-Jährigen, die die nächste Elterngeneration bilden, halten nur noch 15 Prozent der Befragten eine religiöse Erziehung für notwendig.
Diese Entwicklung hat enorme Auswirkungen auf den schulischen Religionsunterricht, besonders auch an den Berufsbildenden Schulen. Die Gesellschaft ist von einer funktionalen Sichtweise von Kirche und Religion durchdrungen. Sie werden teils bewusst, teils unbewusst für andere Ziele instrumentalisiert.
„Moralische Bildung im Sinne der Förderung wirklicher Handlungsfähigkeit kann also nur gelingen, wenn vertraute Arbeitsteilungen zwischen Fach und Moral, zwischen Kognition und Emotion überwunden und eine integrative Bildung angestrebt werden. […] Vielmehr sollte moralische Bildung im Sinne einer integrativen moralischen Urteils- und Diskursfähigkeit zum Bestandteil eines jeden einzelnen Fachs gemacht werden.“[4]
In unserer Welt, in der Flexibilität gefragt ist, kann der christliche Religionsunterricht Zeichen setzen und – bei aller Offenheit für Neues – demonstrieren, dass es wichtig ist, über Religion und die verschiedenen Formen des Glaubens neu nachzudenken.
Der Religionsunterricht an Berufsbildenden Schulen ist eine Herausforderung, wenn man die Chancen sieht. In unserer Gesellschaft besteht noch kein feindseliges, sondern eher ein ambivalentes Verhältnis zum religiösen Denken, zum Glauben und den Kirchen. Dabei dürfte aber aktuell die Wertschätzung noch überwiegen, wenn sie auch stetig abzunehmen scheint.
Der Religionsunterricht an Berufsbildenden Schulen in Deutschland steht, bedingt durch den gesellschaftlichen Wandel und die zunehmende Pluralisierung, unter einem enormen Legitimationsdruck. Unsere multikulturelle und multireligiöse Gesellschaft fordert den Religionsunterricht und seine Lehrkräfte in besonderer Weise heraus.
Die Struktur des schulischen Religionsunterrichts, wie dieser im Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG im Grundgesetz gewährleistet ist, wird zunehmend angefragt. Eine religiöse Werteerziehung ist vor diesem Hintergrund ein besonders schwieriger Auftrag. Der an sich wertneutrale Staat lebt aus Überzeugungen, die er selbst nicht herstellen kann. Dabei ist zu bedenken, dass zwar der Staat weltanschaulich neutral ist, seine Bürgerinnen und Bürger jedoch nicht.
Um die eigene Religion und andere Religionen und Weltanschauungen verstehen zu können, sollten Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht die Innen- und Außenansicht kennenlernen. Ein erster Schritt im Versuch einer solchen Werteerziehung besteht in der Anerkennung dessen, was verschieden ist.
Religionslehrerinnen und Religionslehrer an Berufsbildenden Schulen unterrichten in komplexen Strukturen und oft widersprüchlichen Bedingungen. Sie werden mit teilweise sehr diffusen Erwartungen in ihrem schulischen Alltag konfrontiert. Eine entscheidende Frage, nicht nur im BRU, dürfte dabei sein, was Lehrer von Schülern lernen können. Ein wichtiger Schritt für einen didaktischen Perspektivenwechsel im Religionsunterricht an Berufsbildenden Schulen, und nicht nur in dieser Schulform, liegt bei den jeweiligen Lehrkräften[5].
Im Blick auf den katholischen und evangelischen Religionsunterricht an Berufsbildenden Schulen sollte man nüchtern die Grenzen dessen sehen, was innerhalb des Fachs geleistet werden kann. Dazu möchte diese Arbeit ermuntern. Der schulische Religionsunterricht benötigt eine neue Verortung, ohne auf das Bewährte zu verzichten, um religiöse Glaubensüberzeugungen und Werten vermitteln zu können.
Die moderne Religionspädagogik ist sich dessen bewusst, dass gerade im schulischen Religionsunterricht das praktisch gelebte Christentum durch affektive und emotionale Momente bestimmt wird, und bietet Raum, diese religiösen Erfahrungen zu reflektieren[6]. Ein kompetenzorientierter BRU wird immer bedeutsamer für dieses Unterrichtsfach. Es ist denkbar, dass dessen Einführung an den Berufsbildendenden Schulen in Hessen und Rheinland-Pfalz zunächst eher zurückhaltend von den Lehrkräften umgesetzt wird[7]. Kompetenzorientierter Religionsunterricht beinhaltet selbständiges und selbstreflexives Lernen und dadurch eine Anhebung der Unterrichtsqualität. Dazu kann auch diakonisches Lernen beitragen[8].
In Rheinland-Pfalz wurde den katholischen und evangelischen Fachkonferenzen vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur Rheinland-Pfalz der Auftrag erteilt, auf der Grundlage der bestehenden verbindlichen Lehrpläne kompetenzorientierte Arbeitspläne zu erstellen. Dabei ist zu beachten, dass fachbezogene- und inhaltsbezogene Kompetenzen gleichermaßen berücksichtigt werden. Zuvor sollten die beiden Kompetenzbereiche in der Fachgruppe Religion an der jeweiligen Berufsbildenden Schule thematisiert und konkretisiert werden.
Die katholischen Bischöfe in Deutschland haben sich auf sieben Kompetenzbereiche verständigt. Zunächst sollen im Religionsunterricht religiöse Phänomene wahrgenommen werden können und die Schülerinnen und Schüler die religiöse Sprache verstehen lernen. Ziel des Religionsunterrichts sollte es sein, dass die Schülerinnen und Schüler in religiösen Fragen begründet urteilen lernen und sich im Unterricht über religiöse Fragen und Überzeugungen verständigen können[9]. Schülerinnen und Schüler sollten auch lernen, aus religiöser Motivation zu handeln, und dies in ihrem Alltag anwenden können[10].
Zum inhaltsbezogenen Kompetenzbereich gehören die Frage nach Gott, die biblische Botschaft und das Wirken Jesu Christi, Kirche und das Sprechen über andere Religionen. Der fachbezogene Kompetenzbereich sollte die Partizipationskompetenz, eine hermeneutische Kompetenz, die Ausdruckskompetenz und schließlich die Reflexionskompetenz fördern.
„Im Zentrum der Strukturreform der berufsbildenden Schulen...