In dieser Arbeit liegt der Fokus auf dem Phänomen der Vitalität in Verbindung mit kontaktinduziertem Sprachwandel. Diese linguistische Relation soll am Beispiel Kanadas genauer untersucht werden. Im Speziellen werden die Provinzen Ontario und Québec betrachtet, indem der frankophone Status in Ontario sowie der anglophone Status in Québec, nicht nur im Sinne des Ansehens, sondern auch die Implementierung der Sprache in der jeweiligen Provinz betreffend, erörtert und schließlich mögliche Sprachwandelphänomene diskutiert und analysiert werden.
Als offiziell ernanntes bilinguales Land repräsentiert Kanada Vielfalt in jeglicher Sicht: Auf Ebene der Regierung, in Politik, Wirtschaft und Handel, aber auch Kultur und Alltag sind von der Mehrsprachigkeit geprägt.
Die Vitalität einer Sprache wird allgemein unter der Sprachsituation (Kapitel 2) eingeordnet, welche darüber hinaus die Auseinandersetzung und Definition von Bilingualismus (Kapitel 2.1) sowie Diglossie (Kapitel 2.2) mit einschließt. Während ersteres eine Eigenschaft des Individuums beschreibt, ist letzteres, ebenso wie die Vitalität (Kapitel 2.3), auf gesellschaftlicher Ebene zu betrachten.
Trotz offiziellem Bilingualismus in Kanada, wird auf die Eigenschaften der Zweisprachigkeit (Kapitel 2.1) eingegangen, um diese im Verlauf dieser Arbeit kritisch zu überprüfen, da die Verbreitung sowie der Umfang zum Sprachwandel beiträgt.
Für die Definition von Diglossie in Kapitel 2.2 wird die Theorie von Charles A. Ferguson herangezogen, der erstmals den Begriff Diglossie 1959 zu definieren versuchte. Im nächsten Schritt stellt sich die Frage, wie die beiden Phänomene Bilingualismus und Diglossie zueinander im Verhältnis stehen. Treten beide Merkmale einer Gesellschaft stets zusammen auf? Setzt gar das eine das andere voraus? Dies soll mithilfe von Joshua A. Fishman thematisiert werden, der mit seinem Artikel “Bilingualism with and without diglossia; diglossia with and without bilingualism” von 1967 auf die ersten Ansätze Fergusons aufbaut.
Der Begriff der Vitalität wird in Kapitel 2.3 mithilfe von Giles, Bourhis und Taylor (1977) veranschaulicht. Wie vital eine Sprache ist, analysieren die Autoren anhand von drei Strukturvariablen: dem Status, der Demographie sowie der staatlichen Unterstützung. Erweitert wird die Bewertung der Sprachvitalität um weitere Kriterien aus dem Aufsatz der UNESCO “Language Vitality and Endangerment” von 2003.
Die Definitionen in Kapitel 2 dienen als Grundlage dieser Arbeit und werden aus diesem Grund dem historischen Portrait Kanadas vorgezogen.
Alle drei Termini, im Sinne linguistischer Charakterzüge einer ethnolinguistischen Gruppe, spielen eine wichtige Rolle in dieser Ausarbeitung und werden vor allem in Kapitel 4, dem letztendlichen Gebrauch der Sprachen in den hier untersuchten Sprachgemeinschaften, mit konkreten Zahlen und Fakten konkretisiert. Ziel ist, das sprachliche Fundament Kanadas respektive der beiden Provinzen Ontario und Québec darzulegen.
Doch zuvor wird in Kapitel 3 der Historie Kanadas besonderes Gewicht zugesprochen, denn für die Beurteilung von Vitalität und Wandel muss die Geschichte seit der Entdeckung des Landes berücksichtigt werden. Aus soziohistorischer Sicht wird ein Überblick über die Ausbreitung, Entwicklung und Integrierung des Englischen und Französischen gegeben. Begonnen mit der allgemeinen Besiedlung (Kapitel 3.1), übergehend zur sprachpolitischen Entwicklung (Kapitel 3.2) sowie der Betrachtung der Entfaltung von Religion, Erziehung und Bildung (Kapitel 3.3) bis hin zur demolinguistischen Entwicklung (Kapitel 3.4) des Landes. Letztere befasst sich nicht nur mit konkreten Kennzahlen Kanadas bis in die Gegenwart, sondern gibt ebenfalls einen geschichtlichen Einblick in die Entstehung der sprachlichen Minderheiten in den beiden relevanten Provinzen Ontario und Québec. Die Interaktion der Unterkapitel des historischen Überblicks muss betont werden, da beispielsweise die Bildung eng mit der Sprachpolitik verbunden ist.
Diesem historischen und soziolinguistischen Portrait folgt in Kapitel 4 die Analyse der Verwendung der beiden offiziellen Sprachen in ihren „Minderheitensettings“: die frankophonen « Compagnie » in Ontario sowie die anglophonen “Community” in Québec. Hierbei werden neben den bereits erwähnten Zahlen, wie die Bilingualenquote, auch allgemeine Daten zur Demographie, wie zum Beispiel die Geburtenrate in Verbindung mit dem Geburtsort, der Provinzen, mithilfe des primären Datenlieferanten Statistics Canada, dargelegt.
Darüber hinaus werden Konfessionszugehörigkeit sowie Schulanmeldungen nach Sprache untersucht, welche die ethnolinguistischen Gruppen genauer beschreiben. In Anbetracht der Religion wird von den Gruppierungen „englisch-protestantisch“ und „französisch-katholisch“ ausgegangen.
Das Hauptaugenmerk liegt dabei in der Rolle, die die jeweilige Sprache in der Provinz einnimmt und in welchen Bereichen sie auftaucht. Die anglophone Sprachgemeinschaft trifft auf die einzige Provinz in Kanada, in der das Französische die Mehrheitssprache ist, während die Provinz Ontario die meisten Frankokanadier, exklusive Québec, zählt.
Inwieweit der Staat für ein Gleichgewicht seiner offiziellen Sprachen sorgt und in welchem Umfang dies durch seine Einwohner genutzt wird, soll speziell mit der Untersuchung der traditionellen Medien erfolgen. Der Fokus liegt insbesondere im Bereich des Rundfunks und wird mit Daten der “Canadian Radio-television and Telecommunications Commission” untersucht. Ferner werden zusätzlich Printmedien in Form von Zeitungen hinsichtlich des gesellschaftlichen Gebrauchs berücksichtigt.
Überdies wird die zu Hause am häufigsten gesprochene Sprache ermittelt, die über das Prestige der Sprache urteilt und schließlich etwas zur Vitalität der Sprache beitragen kann. Letztere zwei Domänen, die Medien- und Familiensprache, sind ein wichtiges Indiz für die Beurteilung einer Diglossiesituation (Vgl. Abbildung 1).
Final werden die aus Kapitel 4.1 und 4.2 ermittelten Ergebnisse einem quantitativen Vergleich (Kapitel 4.3) unterzogen, dergestalt, dass Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Provinzen gegenübergestellt und schließlich ein Zwischenfazit gezogen wird, indem die funktionalen Differenzierungen der Sprachen und die damit verbundene Beziehung von Diglossie und Bilingualismus aufgezeigt sowie die Vitalität der beiden linguistischen Minderheiten beurteilt werden.
Was unter Kapitel 5 „Eigenschaften und Besonderheiten der Sprache“ zunächst wie ein kleiner Exkurs scheint, soll für den in Kapitel 6 untersuchten kontaktinduzierten Sprachwandel mögliche Überschneidungen entgegenwirken. Der Grund hierfür liegt darin, dass sich bereits divergierende Englisch- beziehungsweise Französischvarietäten im Laufe der Historie entwickelt haben, die nicht direkt mit einer Sprachkontaktsituation erklärbar sind, sondern beispielsweise dem kaum umsetzbaren Austausch mit dem Mutterland aufgrund der Distanz geschuldet sind. Demzufolge gilt es in Kapitel 5.1 das “Ontarian” english dem britischen Standard, aber auch dem Nordamerikanischen und in Kapitel 5.2 das Français québécois der europäischen Norm gegenüberzustellen. Beide kanadischen Varietäten werden bereits unter der demolinguistischen Entwicklung in Kapitel 3.4 kurz eingeführt.
Im letzten Teil dieser Arbeit, in Kapitel 6, wird das Phänomen des kontaktinduzierten Sprachwandels definiert und anschließend mit den bis dahin erzielten Ergebnissen verknüpft, sodass Hypothesen zum Sprachwandel aufgestellt werden können. Der Einfluss der anglophonen Mehrheit in Ontario auf das Französische respektive die Veränderungen des kanadischen Englisch durch die Machtposition der frankophonen Sprache in Québec werden in den linguistischen Disziplinen der Morphosyntax sowie des Lexikons analysiert. Die Morphologie und die Syntax werden hierbei nicht getrennt voneinander betrachtet, da ein, durch Kontakt vollzogener Wandel meist teilbereichsübergreifend ist und beide Gebiete somit nur schwer separat zu beurteilen sind. Das Lexikon stellt einen weiteren interessanten Untersuchungsgegenstand dar, da die lexikalische Semantik viele Gebrauchsunterschiede mit sich bringt. Dass Lexeme in verschiedenen Kontexten unterschiedliche Bedeutungen erfüllen, wird bereits in Kapitel 5 sichtbar.
Die Hypothese dieser Arbeit ist, dass die gegebene Sprachsituation (Kapitel 2), bestehend aus Bilingualismus, Diglossie und Vitalität, neben der Geschichte (Kapitel 3) eines Landes respektive seiner ethnolinguistischen Gruppen sowie dem Sprachgebrauch (Kapitel 4) der jeweiligen Minderheitengruppen im Zusammenspiel miteinander Sprachkontakt fördern und schließlich Sprachwandel beeinflussen. Im Gegensatz zur bisherigen sprachwissenschaftlichen Forschung, bei der sich beispielsweise nur auf den historischen Hintergrund konzentriert wurde (z. B. Thomason und Kaufman 1988), werden in dieser Arbeit all die aufgeführten Aspekte berücksichtigt, um eine genauere Aussage über den kontaktinduzierten Sprachwandel machen zu können, da die...