Da sich „zur Charakterisierung des menschlichen Alterns […] das kalendarische Alter als unzureichendes Maß erwiesen“ (Klüglich 1998, S. 12) hat, liegt die Motivation, welche die Bestimmung des biologischen Alters notwendig macht, vor allem darin, medizinische Risikofaktoren bei Menschen jedes Alters zu erkennen und sie zu minimieren. Gleichzeitig kann mithilfe des biologischen Alters der Alternsprozess für ganze Populationen unter Berücksichtigung von Arbeitsbedingungen oder sonstigen Bewegungsmerkmalen erfasst werden. Die Anwendungsmöglichkeiten, die in dieser Arbeit in der Hauptsache behandelt werden, sind die, die der Frage nach effektiver Leistungsfähigkeit des Einzelnen nachgehen und sie beachten (vgl. Klüglich 1998, S. 12). Ein besonderes Augenmerk dieser Arbeit liegt auf dem Training und seinem Inhalt bei Menschen, die sich auf der Schwelle zum Erwachsensein befinden.
Weil Kinder und Jugendliche sich in oder nahe der Pubertät sehr individuell entwickeln können, können bei kalendarisch Gleichaltrigen mitunter Verschiedenartigkeiten im körperlichen Wachstum und in der entsprechenden Reifung entstehen. Diese wirken sich auf die sportliche Leistungs- und Belastungsfähigkeit des Individuums aus. Deshalb müssen die Interventionen zum Training im Allgemeinen und zum Training im Schulsport im Besonderen zwangsläufig neben dem kalendarischen auch an den biologischen Zustand angepasst werden. Denn sie sollen den Organismus nicht schädigen und gleichzeitig eine Leistungsfähigkeit hervorbringen, die auch noch in einem höheren Alter vorhanden ist und genutzt werden kann (vgl. Joch & Hasenberg 1999, S. 5).
Auch aus diesem Grund wurde das Konstrukt „Biologisches Alter“ entwickelt, das Crampton bereits im Jahre 1908 als „physiological age bezeichnete, unter welchem man jenes Alter versteht, das den wirklichen Zustand der Gewebe und Organe und nicht den dem chronologischen Alter entsprechenden Zustand abbildet. Es ist demnach „the extent to which an individual is aging faster or slower than an average person of the same chronological age” (Chodzko-Zajko 1996, S. 312).
Das biologische Alter dient ergo der Erfassung des Zustandes des gesamten Organismus, dessen Gewebe und Organe, womit das Altern an sich, aber auch pathologische und stochastische Einflüsse Beachtung finden. Es gibt außerdem die Beschaffenheit eines bestimmten Körpers im Vergleich zu einem Durchschnittskörper an (vgl. dazu auch Klüglich 1998, S. 12).
Allerdings „gibt es keinen Goldstandard“ (Sonnenschein 2010, S. 48) zur Bestimmung des biologischen Alters. Dies hat zur Folge, dass es nicht exakt bestimmt und so lediglich als eine (mehr oder weniger genaue) Schätzung angegeben werden kann. Dennoch wird angenommen, dass es neben dem kalendarischen Alter eine notwendige ergänzende und mitunter entscheidende Stellung für die Gestaltung von Training und dessen (Leistungs-)Anforderungen ist.
In der Trainingswissenschaft muss einem der Entwicklung angepassten Training also das biologische Alter als Größe zur Leistungsbeurteilung und zum Vergleich mit kalendarisch Gleichaltrigen zugrunde liegen. Das bedeutet, dass der Trainingsleiter herausfinden muss, ob ein Leistungsvorsprung Ausdruck einer Akzeleration ist oder lediglich dem bisherigen Training zu verdanken ist. Außerdem muss er darauf achten, dass ein Retardierter bei Trainingstätigkeiten nicht überbelastet wird. Die Einschätzung des biologischen Alters ist ebenso eine zeitliche Größe, welche die „Differenz zwischen dem individuellen Entwicklungsstand und dem Durchschnitt der Gesamtheit“ (Joch & Hasenberg 1999, S. 6) darstellt. Es muss sich damit auf die zukünftige praktische Trainingsgestaltung auswirken, um Kinder und Jugendliche nicht zu über- oder unterfordern (vgl. Joch & Hasenberg 1999, S. 5f.).
Für diese Annahmen liefern die beiden Wissenschaftsdisziplinen „Entwicklungspsychologie“ und „Anthropometrie“ Erklärungen, weswegen anschließend beide Methoden erörtert werden.
Der Leitsatz dieser Disziplin besagt, dass „das (kalendarische) Alter keinen Erklärungswert für Entwicklungsprozesse“ (Joch & Hasenberg 1999, S. 5) hat. Erfahrungen, die beim Sporttreiben gemacht werden, sind für das Erleben entscheidend, was sich entsprechend auf das Niveau des resultierenden Trainings auswirkt. Neben den körperlichen Voraussetzungen Wachstum und Reifung, die man nicht beeinflussen kann, spielt demnach auch die Psyche eine gewichtige Rolle, weil sie durch Ereignisse, die auf sie einwirken, Einfluss auf die Entwicklung eines Menschen nimmt oder zumindest das Potenzial dazu besitzt. Dabei ist die Art dieser Ereignisse nicht entscheidend für die Frage, ob sie eine Aktion hervorrufen, sondern inwiefern und mit welcher Häufigkeit sie dies tun.[3]
Interessant für die Trainingsgestaltung ist hierbei, dass dieses Zusammenspiel zwischen Körper und Geist nicht linear verläuft, sondern in den Ausprägungen der einzelnen Faktoren variiert. Es gibt viele Phasen in der Entwicklung des Menschen, in denen Umwelteinflüsse das körperliche Potenzial verändern. Entwicklung ist also ein Prozess, „der sowohl Wachstum als quantitative Veränderung […] als auch Reifung als […] qualitative Komponente“ (Joch & Hasenberg 1999, S. 6) ansieht (vgl. Joch & Hasenberg 1999, S. 5f.).
Demnach ist hier auch das chronologische Alter von Bedeutung, weil bestimmte körperliche Voraussetzungen vor einem bestimmten Alter nicht gegeben sein können. Eine gewisse Körpergröße und ein Mindestalter müssen offenbar wenigstens erreicht sein. Das biologische Alter ist somit vielmehr eine notwendige und überaus wichtige Ergänzung für das kalendarische Alter, weil es den aktuell richtigen Alterszustand des Körpers – auch gerade in der wichtigen „Umbauphase“ der Pubertät – widerspiegelt.
Der Zweig der Anthropometrie (hier v.a. die Sportanthropometrie) „versucht […], den Zusammenhang zwischen körperlichen Voraussetzungen und sportlicher Leistungsfähigkeit zu analysieren und zu strukturieren“ (Joch & Hasenberg 1999, S. 6). Dazu bedient sie sich der Ausmessungen des menschlichen Körpers. Die spezifischen Strecken an diesem sind anhand von genau definierten Messpunkten festgelegt, damit sie in der späteren Interpretation zu vergleichbaren Ergebnissen führen. Gemessen werden Längen-, Breiten-, Tiefen-, Umfangs- und Winkelmaße, außerdem werden Masse- und Volumenbestimmungen durchgeführt (vgl. Sauermost 1999, S. 367f.).
Da die körperlichen Veränderungen in der Pubertät zumeist in Schüben verlaufen und nicht in einer kontinuierlichen Abfolge, muss den Beziehungen der Messergebnisse zueinander eine Struktur gegeben werden, damit für eine optimale Leistungsentwicklung die richtigen Schlüsse gezogen werden können. Ebenso müssen geschlechtsspezifische Komponenten Berücksichtigung finden (vgl. dazu auch Joch & Hasenberg 1999, S. 6).
Auch in dieser Disziplin muss das kalendarische Alter in die Überlegungen einbezogen werden, da ansonsten die Verhältnisse der einzelnen Bestandteile zueinander nicht dargestellt werden können. Anderenfalls würde sich die Frage stellen, nach welcher Norm eine Retardierung oder eine Akzeleration vorliegt und/oder woran man die Entwicklungsstufen erkennen kann.
In populären modernen Medien – insbesondere im Internet – wird suggeriert, man könne das biologische Alter durch Online-Tests berechnen. „Unfortunately […] there is no consensus with respect to how best to measure or define biological age, and no single approach has gained prominence within the gerontology literature” (Chodzko-Zajko 1996, S. 312).
Diverse Forscher haben sich seit vielen Jahren bis heute mit der Entwicklung von Methoden zur Bestimmung des biologischen Alters beschäftigt. Dabei entwickelten sie Methoden, die sich auf die Bestimmung des Reifungszeichenalters, die Berechnung des Körperbauentwicklungsindex (KEI), den Status der Ossifikation[4] bei Handknochen und auf die Ergebnisse des sogenannten H-Scans stützen. Da es trotz intensiver Forschung immer noch kein Verfahren gibt, das unter allen gegebenen Umständen ein absolut zweifelsfreies Ergebnis liefert, werden die geläufigsten Methoden immer gemeinsam genannt.
Früheste Versuche, das biologische Alter zu bestimmen, gab es bereits 1837. Später wurde dann gemutmaßt, dass durch die Bestimmung des Zahnalters das biologische Alter angegeben werden könnte. Diese These wurde inzwischen durch vielerlei (Folge-) Untersuchungen allerdings relativiert, sodass durch die Bestimmung des Zahnalters das biologische Alter nur äußerst vage bestimmt werden kann. Damit wird diese Art der Bestimmung des biologischen Alters hier als nicht besonders taugliche Methode nicht erörtert und weiterverfolgt (vgl. Joch & Hasenberg 1999, S. 6).
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