II. Stand der Forschung
Im folgenden Kapitel sollen die Ergebnisse empirisch ausgerichteter Arbeiten vorgestellt werden, die sich bereits mit dem Themenbereich „Altenheimbewohner und deren Familie“ beschäftigt haben. Keine Berücksichtigung finden in diesem Kapitel ausländische Untersuchungen (vgl. z.B. Townsend 1957), da sie nicht zu vergleichbaren Ergebnissen führen. Eine Ausnahme bildet dabei die Studie von Rosenmayr und Köckeis (1965), die in Wien durchgeführt wurde.
Es gibt eine unüberschaubare Menge an Untersuchungen, die sich sehr allgemein mit dem Leben von Senioren in unserer Gesellschaft auseinandersetzen, wesentlich geringer ist allerdings die Zahl der Arbeiten, die sich ausschließlich mit alten Menschen in Heimen beschäftigen. Hier sind z.B. Arbeiten von Wildner et al. (1984) oder Thomae (1989) zu nennen, die sich mit der Lebenszufriedenheit und dem Alltag im Heim beschäftigen.
Untersuchungen, die sich mit dem Zusammenhang „Leben im Altenheim“ und „Kontakte zur Familie“ befassen, gibt es nur sehr wenige. Im folgenden sollen nun drei sehr wichtige dieser Untersuchungen in ihrer Vorgehensweise und ihren Ergebnissen in chronologischer Abfolge vorgestellt werden. Es handelt sich um die Arbeiten von Rosenmayr und Köckeis (1965), Fisseni (1977) und Spindler (1997).
Die Untersuchung von Leopold Rosenmayr und Eva Köckeis (1965) „Umwelt und Familie alter Menschen“ ist eine sehr bekannte und in anderer gerontologischer Literatur häufig zitierte Arbeit. 1956/57 wurde eine erste Erhebung in Wien durchgeführt, in der sowohl allein lebende alte Menschen als auch Heimbewohner zu ihrem Alltag befragt wurden. Im vorliegenden Zusammenhang ist allerdings nur die zweite Untersuchung aus dem Jahre 1960 von Bedeutung, die sich ausschließlich mit Heimbewohnern beschäftigt.
Insgesamt wurden 92 alte Menschen aus vier verschiedenen sog. Altersheimstätten Wiens befragt und beobachtet. In diesen Altersheimstätten leben die Bewohner noch in einer eigenen Wohnung, es werden vom Personal aber viele Hilfen im Alltag angeboten. Die Wohnform entspricht also den in Deutschland bekannten Altenwohnheimen.
Anhand der Interview- und Beobachtungsergebnisse machen Rosenmayr und Köckeis Aussagen zu ganz unterschiedlichen Themen, wie z.B. zu den „äußeren Lebensumständen, der Wohnung, der Einrichtung und Umgebung“ (1965: 98). Das „Kernstück“ (1965: 98) der Untersuchung sind allerdings die Sozialbeziehungen der Bewohner.
Um die Sozialbeziehungen zu messen, wurden die gezielten Kontakte eine Woche lang gezählt. „Das sind in erster Linie Besuche, die in der Wohnung entweder des Befragten oder seiner Kontaktperson stattfinden, dann auch sonstiges beabsichtigtes Zusammentreffen der beiden Personen“ (Rosenmayr/Köckeis 1965: 102). Zufällige Begegnungen, die nicht über ein kurzes Gespräch hinausgingen, wurden nicht berücksichtigt.
Die Messung fand sowohl durch Befragung der Bewohner als auch durch Beobachtungen der Versuchsleiter statt; man erhielt eine gute Übereinstimmung der Ergebnisse. Für jeden Kontakt wurde ein Punkt gezählt, jeder Bewohner hatte also am Ende der Woche eine bestimmte Punktzahl für seine Kinder, seine Enkelkinder, andere Verwandte, Bekannte etc.. Diese Werte konnten in der Auswertung miteinander verglichen werden.
Der Kontakt zu den Kindern bzw. Schwiegerkindern und Enkeln ist bei den meisten Bewohnern sehr gut, „die Mehrzahl sieht die Angehörigen zumindest einmal monatlich, während etwa ein Zehntel mehrmals wöchentlich mit jemandem von der Familie beisammen ist. Kontaktmangel besteht fast nur dann, wenn keines der Kinder in Wien lebt“ (Rosenmayr/Köckeis 1965: 104). Die Entfernung spielt also eine entscheidende Rolle bei der Anzahl der Kontakte.
Die Enkelkinder verstärken den Zusammenhalt der Familie. Bewohner, die sowohl Kinder als auch Enkelkinder haben, haben wesentlich häufiger Kontakt zu den Kindern als Bewohner, deren Kinder noch kinderlos sind (s. Rosenmayr/Köckeis 1965: 105).
Der Kontakt zu anderen Verwandten, z.B. zu Geschwistern oder Nichten und Neffen, ist sehr gering. Nur bei Heimbewohnern, die keine eigenen Kinder haben, haben diese Beziehungen eine Bedeutung. „Es ersetzen dann offenbar die Kontakte mit der weiteren Verwandtschaft die fehlenden Familienkontakte“ (Rosenmayr/Köckeis 1965: 106).
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt man bei der Betrachtung der Beziehung zu Freunden und Bekannten. Auch zu diesem Personenkreis haben Bewohner ohne eigene Kinder wesentlich häufiger Kontakt als Bewohner mit Kinder. Rosenmayr und Köckeis sprechen von einem „Binnenausgleich der Sozialbeziehungen“ (1965: 106).
Weitere Aussagen zu den Sozialbeziehungen der alten Menschen leitete man aus den offenen, standardisierten Interviews[6] ab. So nennen Rosenmayr und Köckeis (1965: 133-135) als Faktoren, die neben der eigenen Kinderzahl die Anzahl der außerfamiliären Kontakte beeinflussen, die eigene Beweglichkeit, die Entfernung zur früheren Wohnung und die Einkommensverhältnisse.
Bemerkenswert ist außerdem das Ergebnis, dass 68% der Bewohner es ablehnen, bei ihren Kindern zu wohnen. Lediglich 16% wünschen sich eine gemeinsame Wohnung (Rosenmayr/Köckeis 1965: 108). Dieses Resultat bedeutet allerdings keinesfalls, dass den alten Menschen der Kontakt zu den Kindern nicht wichtig ist, besonders in Situationen, in denen die Bewohner auf Unterstützung angewiesen sind, hat die Familie eine sehr große Bedeutung. „Man wünscht also Intimität und regelmäßigen Kontakt mit der Familie, jedoch auf räumliche Distanz“ (Rosenmayr/Köckeis 1965: 140).
Ein letztes wichtiges Resultat der Studie von Rosenmayr und Köckeis ist die subjektiv ausgeprägte Wahrnehmung von Einsamkeit, die sich deutlich von der objektiv meßbaren Isolation unterscheidet. „Betrachtet man den Zusammenhang zwischen Einsamkeit und tatsächlichen Kontakten, so zeigt es sich, dass Einsamkeit im gleichen Maß von Personen mit zahlreichen Kontakten angegeben wurde wie von jenen mit wenigen Kontakten“ (Rosenmayr/Köckeis 1965: 138).
Die Untersuchung „Das Altenheim: Ein Zuhause oder Notquartier?“ von Hermann-Josef Fisseni (1977) versucht die Merkmale des Lebens in unterschiedlichen Heimformen (Altenwohnheim, Altenheim, Altenpflegeheim) herauszustellen. Dabei macht Fisseni auch zahlreiche Aussagen zur Bedeutung der Familie für die Bewohner des Altenheims. Alle anderen Ergebnisse, die von der Qualität des Essens bis hin zum religiösen Verhalten reichen, werden an dieser Stelle nicht vorgestellt.
Insgesamt wurden 237 Frauen aus Heimen in Köln und Bonn in die Untersuchungen einbezogen, von denen 81 in einem Altenheim leben. Als Untersuchungsinstrumente wurde sowohl ein Fragebogen als auch ein sehr offenes, kaum standardisiertes Interview eingesetzt. Neben den Einstellungen zu vierzehn Bereichen des täglichen Lebens wurden persönliche Merkmale wie Alter, Beruf, Familienstand etc. erfragt, um bei der Auswertung den statistischen Zusammenhang von persönlichen Merkmalen und Einstellungen berechnen zu können.
Zu den Themen Sozialkontakte und Familie kommt Fisseni zu dem Ergebnis, „daß die Ledigen (...) mehr Umweltinteresse bekunden, sich privat oder im Rahmen des Heimes intensiver betätigen und ihr Leben in der Vergangenheit als erfreulicher beschreiben“ (Fisseni 1977: 215). „Frauen ohne Kinder (ob ledig oder verheiratet) sagen von sich, daß sie mit dem Heimleben zufriedener sind“ (Fisseni 1977: 215).“ Allgemein zur Kontaktsituation von Altenheimbewohnern wird folgende Aussage gemacht: „Lebhaftere Kontakte unterhalten die Akademikerfrauen, die höheren Schülerinnen, die Mütter und Frauen der unteren Einkommensgruppe“ (Fisseni 1977: 217).
Die gerade zitierten Aussagen werden nicht weiter kommentiert oder interpretiert, sie bleiben auf dem sehr abstrakten Niveau der mathematisch als signifikant bewiesenen Zusammenhänge.
Wesentlich konkreter ist die Untersuchung „Senioren im Heim“ von Stefan Spindler (1997), in dessen Mittelpunkt der Kontakt von Altenheimbewohnern zu ihren Familien steht. Spindler vergleicht dabei die Kontaktsituation in einem ländlichen und einem städtischen Altenheim.
Für diesen Vergleich interviewte Spindler jeweils 100 Altenheimbewohner in Annaberg, einem kleinen Dorf im Erzgebirge, und in Leipzig. Die Interviews waren standardisiert und beinhalteten sowohl offene Fragen als auch Fragen mit festen Antwortvorgaben. Bei der Auswertung der Interviews kommt er zu zahlreichen Ergebnissen zum thematischen Bereich „Familie“.
Auf die Frage nach den Gründen für den Heimeinzug nennen nur wenige Bewohner familiäre Konflikte. „Als Hauptgründe kristallisierten sich gesundheitliche Probleme und Schwierigkeiten beim Verrichten der alltäglichen Dinge im Haushalt heraus“ (Spindler 1997: 45).
Die Besuchsfrequenz wird in beiden Heimen als sehr hoch eingeschätzt, wobei die Kinder die häufigsten Kontaktpersonen sind....