Die Trennung von Netz und Erzeugung (siehe Kapitel 2.1) sowie Kapazitätsgrenzen bei den bestehenden Übertragungsnetzen verlangen die Implementierung von Engpassmanagementsystemen auch innerhalb Deutschlands. Das deutsche und die meisten europäischen Elektrizitätssysteme basieren auf überwiegend bilateralen Verträgen zwischen den Marktteilnehmern[46]. In Elektrizitätssystemen, die nicht durch Netzengpässe beeinträchtigt sind, bildet sich ein einheitlicher Marktpreis, der durch die Grenzkosten der anbietenden Kraftwerke und die Kundennachfrage determiniert wird[47]. Für die Abnehmer von Elektrizität fallen neben den Erzeugungskosten Entgelte für die Nutzung der Netze an. Das Netzentgelt besteht aus einem fixen Jahresleistungspreis [€/kW] und einem variablen Jahresarbeitspreis [€/kWh] und wird pro Entnahmestelle erhoben. Die Netzentgelte sind abhängig von den entstehenden Kosten der Netzbetreiber und der Nutzung der jeweiligen Netzebenen durch den Kunden (vgl. StromNEV, §17 Abs. II / III).
Im Fall eines Netzengpasses sind aufgrund der Ausgestaltung des Elektrizitätssystems bisher keine Mechanismen vorhanden, um (innerdeutsche) Netzengpässe zuverlässig und kostengünstig zu beseitigen (vgl. Todem, 2004, 117).
Bei dem internationalen Stromhandel werden bereits verschiedene Verfahren zur Beseitigung von Netzengpässen angewendet. Es kann zwischen administrativen und marktbasierten (wettbewerblichen) Systemen unterschieden werden (vgl. Abbildung 3‑1).
Abbildung 3‑1: Übersicht über Engpassmanagementsysteme
(Quelle: eigene Darstellung, in Anlehnung an Kraus, 2005, 17)
Die administrativen Verfahren werden auch als Curtailment-Verfahren (Curtailment = Kürzung) bezeichnet. Im Anschluss der angemeldeten Transaktionen ermitteln die Übertragungsnetzbetreiber die Engpässe und kürzen den Handelsakteuren ihre Transaktionen nach verschiedenen Verfahren wie z.B. der anteilsmäßigen Kürzung („Pro-Rata Regelung“), so dass die Engpässe beseitigt werden.
Marktbasierte Ansätze sind den administrativen Verfahren grundsätzlich vorzuziehen, da sie den Marktteilnehmern wirtschaftliche Signale senden. Bei der expliziten Auktion und den Sonderformen Redispatching und Countertrading geben die Marktteilnehmer neben einem Preisangebot für die Energie auch ein Preisangebot für die Nutzung der Übertragungskapazität ab. Die Gebote werden nach einer merit order, ausgehend vom höchsten Preis, so lange befriedigt bis die Übertragungskapazität ausgeschöpft ist (vgl. Haubrich, 2006, 2f.).
Bei der impliziten Auktion hingegen wird das Recht auf Nutzung der Übertragungskapazität implizit durch den Börsenhandel ermittelt. Es entsteht ein Produkt Energiedienstleistung, das sowohl die Energieeinspeisungen als auch die Übertragungsleistung beinhaltet (vgl. Todem, 2004, 57).
Im Rahmen dieser Arbeit soll der Fokus auf dem Spot Pricing liegen, das eine ideale Umsetzung der impliziten Auktion ist (vgl. Todem, 2004, 57)[48]. Die Begriffe Nodal Pricing (NP) oder Locational Marginal Pricing (LMP) werden synonym für das Spot Pricing verwendet.
Das Nodal Pricing ermittelt nach Ort und Zeit differenziert bzw. auf Einspeise- und Entnahmepunkte[49] bezogene Preise. Bei Netzrestriktionen, unzureichender Erzeugungskapazität bzw. durch Netzverluste entwickeln sich lokal unterschiedlich hohe Preise, die ein marktbasiertes Signal für die bestmögliche Nutzung der Ressourcen sind. Des Weiteren werden die Marktteilnehmer animiert, neue Erzeugungskapazitäten an den entsprechenden Hochpreisknoten zu installieren, um den engpassbedingten Nichteinsatz der Kraftwerke und Übertragungsverluste zu vermeiden[50]. Eine abgewandelte Form des Spot-Pricing ist das Zonal Pricing, welches Preisinformationen für Zonen ermittelt (vgl. Todem, 2004, 46-48).
Damit kann trotz des Unbundlings eine ganzheitliche kurz- bis langfristige Optimierung von Erzeugung und Netz erreicht werden. Im Gegensatz zum Spot Pricing können kostenbasierte und wettbewerbsorientierte Redispatching-Verfahren, die keine Signale zur Vermeidung von Netzengpässen geben, zu einem strategischen Zurückhalten von Kapazitäten führen, oder aber durch eine große Komplexität zu Ineffizienzen führen[51] (vgl. Inderst/Wambach, 2007, 7-17).
Die Theorie des Nodal Pricing ist auf Arbeiten von Schweppe et al. aus den 80er Jahren des MIT[52] zurückzuführen. In dem Grundlagenbuch „Spot Pricing of Electricity“ werden sowohl die Grundlagen der Lastflussrechnung, als auch die Ökonomie hinter dem Locational Marginal Pricing erläutert (vgl. Schweppe et al., 1988). Weitere wichtige Beiträge in der Anwendung der Theorie liefert Hogan[53].
Anhand eines einfachen Beispiels soll im Folgenden erläutert werden, wie sich die LMP mit und ohne Übertragungslimit bilden.
Marktpreis ohne Übertragungslimit
Unter Vernachlässigung von Netzverlusten und Übertragungslimits gilt für eine bestimmte Zeitspanne (z. Bsp. 1 Stunde [h]) der Zusammenhang nach Gleichung 1:
Die Zahlungen der Kunden entsprechen unter den gegebenen Voraussetzungen den Forderungen der Erzeuger.
Ein einfaches 2-Knotennetz mit 2 Erzeugern und 2 Nachfragern zeigt Abbildung 3‑2 (vgl. Todem, 2004, 119-122)[54]:
Abbildung 3‑2: LMP ohne Engpass
(Quelle: Todem, 2004, 120)
Da der Anbieter 1 die Nachfrage nach Energie zu günstigeren Kosten anbieten kann, als Anbieter 2 deckt er die gesamte Systemlast.
Berechnung 1: Erzeugerkosten ohne Übertragungslimit
(Quelle: Todem, 2004, 121)
Die Energiekosten sind in beiden Knoten identisch und entsprechen den Kosten des Erzeugers A.
Berechnung 2: Energiekosten der Kunden ohne Übertragungslimit
(Quelle: Todem, 2004, 121)
In einem nicht von Engpässen betroffenen Übertragungssystem ist die Einführung eines LMP nicht notwendig, da sich der Elektrizitätspreis nach den Grenzkosten der anbietenden Kraftwerke bildet. Das letzte zur Deckung des Bedarfs notwendige Kraftwerk setzt den Systempreis.
Marktpreis mit Übertragungslimit
Ist das Energiesystem hingegen von Netzengpässen betroffen, stellt sich eine andere Situation dar. Es kommt zu einer Markttrennung mit verschiedenen Marktpreisen im System. Dadurch entstehen den Nachfragern höhere Energiekosten als Erzeugerkosten anfallen. Dieser Kostenüberhang (Kosten, die die Kunden abzüglich der Erzeugungskosten bezahlen) wird als Engpassmanagementkosten bezeichnet. Für den Fall, dass Netzengpässe existieren, gilt der folgende Zusammenhang:
Im Gegensatz zu Abbildung 3‑2 kann zwischen den Knoten 1 und Knoten 2 nur eine Leistung von 50 MW übertragen werden (vgl. Abbildung 3‑3).
Abbildung 3‑3: LMP mit Engpass
(Quelle: Todem, 2004, 122)
Die Last des Knoten 2 kann nur noch durch 50 MW des kostengünstigen Erzeugers A gedeckt werden. Der Erzeuger B muss zur Deckung der Last 50 MW zur Verfügung stellen. In den Knoten ergeben sich folgende Erzeugungskosten:
Berechnung 3: Erzeugungskosten mit Übertragungslimit
(Quelle: Todem, 2004, 122)
Die ineffiziente Ressourcenallokation durch den Netzengpass führt zu einer Marktineffizienz.
Berechnung 4: Bestimmung der Marktineffizienz
(Quelle: eigene Darstellung nach Todem, 2004, 122)
Des Weiteren führt der Engpass in dem Energiesystem zu unterschiedlichen Preisen für die Nachfrager. Die Preise gelten insgesamt für die Nachfrage in einem Knoten. Das führt zu einem Überhang der Kundenzahlungen im Vergleich zu den Erzeugungskosten.
Berechnung 5: Energiekosten für die Kunden mit einem Übertragungslimit
(Quelle: Todem, 2004, 122)
Die Engpassmanagementkosten ergeben sich aus der Differenz der Energiekosten der Kunden und den Erzeugungskosten (3.000€ - 2.500€ = 500€). Insgesamt erhöhen sich die Kosten aufgrund des Engpasses für die Kunden um 1.000€ und für die Erzeuger um 500€.
Das dargestellte Beispiel ist eine Vereinfachung der Realität. Wesentliche Einflussgrößen für die Ermittlung der optimalen Netzknotenpreise stellt folgende Übersicht dar (vgl. Schweppe et al, 1988, 34):
Grenzkosten der Erzeugung
Engpassleistung der...