„Reader, suppose you are a businessman. Now suppose you are ruthless and greedy character. But I repeat myself.”[1] Dieses Zitat von Mark Twain verdeutlicht, wie Unternehmer, Führungskräfte und die Wirtschaft im Allgemeinen von der Öffentlichkeit lange Zeit wahrgenommen wurden und selbst heute oftmals noch werden. Es bringt zum Ausdruck, dass in der Gesellschaft vielfach die Meinung vorherrscht, dass im Zuge einer mit der Wirtschaft unmittelbar verbundenen Gewinnmaximierungsabsicht und eines ausgeprägten Profitstrebens moralische Bedenken und ethische Grundsätze in der Praxis für das Wohl des Unternehmens geopfert werden. Dass diese Meinung nicht gänzlich aus der Luft gegriffen zu sein scheint zeigt eine Studie von Sturdivant und Cocanougher aus dem Jahre 1973. Ihr zufolge divergiert das ethische Empfinden zwischen Führungskräften einerseits und Hausfrauen bzw. Arbeitern andererseits, wobei die Führungskräfte kontroverse Situationen fast durchgängig als moralisch weniger verwerflich beurteilten als die anderen genannten Gruppen.[2] Aus heutiger Sicht also schwer vorstellbar, dass die Ökonomik ursprünglich der Moralphilosophie entstammte, sich jedoch spätestens seit Adam Smith mehr oder weniger deutlich von der Philosophie abspaltete.[3]
In den USA ist bereits seit den 60er Jahren eine explizite Debatte zu dem Thema der Integration von Ethik in das wirtschaftliche Handeln, motiviert unter anderem durch kontroverse Geschäftspraktiken mancher Unternehmen, den fortschreitenden Kapitalismus und die gesteigerte Konsumorientierung, zu beobachten. Nicht zuletzt aus der Notwendigkeit der Bearbeitung dieses Themas heraus sind das Interesse und die Publikationen in Bezug auf Wirtschaftsethik seither kontinuierlich gestiegen und spätestens seit den 70er Jahren ist es dort ein etablierter Bereich sowohl in der Forschung als auch in der Praxis.[4]
In Deutschland fand eine konsequentere, engere Auseinandersetzung mit diesem Thema erst in den 80er Jahren statt, eine Entwicklung, die sich jedoch während des folgenden Jahrzehnts noch wesentlich intensivierte. Mittlerweile ist auch die Wirtschafts- bzw. Unternehmensethik in Deutschland institutionalisiert durch mehrere Lehrstühle der Universitäten und zahlreiche Standardwerke. [5]
Die Marketingethik als Teildisziplin der Wirtschaftsethik hat sich erst später als eigenständiger Bereich etabliert, wobei man ab Mitte der 80er Jahre von einer eigenen Wissenschaftsdisziplin sprechen kann. Auch hier nehmen die USA eine Vorreiterrolle ein, da der Begriff der Marketingethik in Deutschland erst einige Zeit später gebräuchlich wurde und im letzten Jahrzehnt eine spezifische Auseinandersetzung mit diesem Thema stattfand.[6]
Es ist jedoch zu beobachten, dass ethische Fragestellungen im Marketing zunehmend an Bedeutung gewinnen, in den USA und in Deutschland gleichermaßen. Hierfür sind einige Gründe festzustellen:
Ein Grund ist die zunehmende Konkurrenz, unter anderem hervorgerufen durch die fortschreitende Globalisierung der Märkte, die die Unternehmen dazu bringt, sich aggressiver am Markt zu präsentieren und neue, sensiblere Kundengruppen wie beispielsweise Kinder gezielt anzusprechen bei einer gleichzeitigen Sensibilisierung der Kunden ethischen Fragestellungen gegenüber.[7] Die Unternehmen sehen sich dementsprechend einem Spannungsfeld gegenüber zwischen dem Druck, einerseits notwendige Optimierungs- und Einsparungspotenziale ausnutzen zu müssen und andererseits der Forderung nach moralischem Handeln nachzukommen. Diesbezüglich gilt es auch abzuwägen, kurzfristigen finanziellen Profit oder eine langfristig ausgerichtete Strategie auf moralischen Werten aufbauend vorzuziehen.[8] Ein weiterer Grund, der ersteren noch verstärkt, lässt sich in der gesonderten und exponierten Stellung des Marketings als Funktionsbereich festmachen. Marketing ist ein wesentliches Ventil der Unternehmen, über welches Informationen verschiedener Art an einzelne Anspruchsgruppen übermittelt werden und dient somit als Schnittstelle zwischen Unternehmen und der Öffentlichkeit, wobei den Kunden meist das Hauptaugenmerk gilt und sie so eine besondere Stellung einnehmen. Dementsprechend ist ethisches Fehlverhalten in diesem Bereich besonders deutlich und sichtbar sowie ein wesentlicher Bestimmungsfaktor für die Reputation eines Unternehmens.[9]
Eine besondere Herausforderung lässt sich darin erkennen, dass moralisch bedenkliches Verhalten im Marketing nicht nur besonders augenscheinlich ist und deshalb von der Öffentlichkeit in verstärktem Maße wahrgenommen wird, der Funktionsbereich des Marketings ist zudem noch besonders anfällig für ethisches Fehlverhalten und stellt somit besondere Anforderungen an die Integrität de Mitarbeiter. Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass die ethischen Problembereiche, denen sich Führungskräfte am häufigsten gegenübersehen und als am schwierigsten beurteilen, vor allem im Marketing zu finden sind.[10] Beispiele hierfür sind Bestechung, Preisdiskriminierung, irreführende und unehrliche Werbung und Preiskollusion. Demzufolge bietet dieser Funktionsbereich auch auffallend viele Gelegenheiten, unethischen Geschäftspraktiken nachzugehen; so bestätigen in einer Untersuchung 41 % der Marketing-Verantwortlichen, dass es viele Möglichkeiten für Marketing Manager in ihrem Unternehmen gibt, sich unethisch zu verhalten und sogar 56 % halten diese Behauptung für die gesamte Industrie für zutreffend.[11] So ist nicht verwunderlich, dass Murphy und Laczniak bereits 1981 feststellten, dass Marketing der Bereich eines Unternehmens ist, dem am häufigsten ethischer Missbrauch nachgesagt wird.[12]
Vor diesem Hintergrund kommt die berechtigte Frage auf, ob sich verantwortungsvolles ethisches Verhalten basierend auf moralischen Grundsätzen auf der einer Seite und Marketing andererseits überhaupt vereinbaren lassen. „Is marketing ethics an oxymoron?“[13] Dies wird besonders von denjenigen angeführt, die das veraltete, aber noch verbreitete Bild vor Augen haben, die Aufgabe des Marketing bestünde primär darin, Dinge an Menschen zu verkaufen, die sie eigentlich gar nicht kaufen wollen.[14]
Da jedoch die Forderung nach ethischem Verhalten immer lauter wird und daher eine Auseinandersetzung mit dem Thema Ethik unausweichlich erscheint, ist das Thema zu einem wichtigen Punkt für die Unternehmen geworden. Dies geschieht allerdings nicht nur aus der Angst heraus, mit einem negativem Image behaftet zu werden, treten moralisch fragwürdige Praktiken ans Licht der Öffentlichkeit, die dem Unternehmen langfristig schaden, vielmehr ist es heute kein Geheimnis mehr, dass sich ethisches Verhalten zu einem komparativen Wettbewerbsvorteil werden kann, der sich für die Unternehmen gerade in einer hart umkämpften Branche beträchtlich auszahlen kann.[15]
Ist der Entschluss zu einem ethisch bewussten Verhalten gefallen, ob nun aus reiner Selbstverpflichtung oder Kalkül, so wirft dies unweigerlich die Frage nach einer Orientierung des eigenen Handelns auf. Anders ausgedrückt: woher weiß man, was richtig und was falsch ist? Diese Frage, die wahrscheinlich fast so alt wie die Menschheit selbst ist, hat seit tausenden von Jahren nichts an ihrer Aktualität eingebüßt. Eine mögliche Antwort liefern hier die Philosophie und die Sozialwissenschaften mit einigen Theorien, die eine Bewertung des Verhaltens vornehmen und Handlungsanweisungen geben.
Obwohl sich in den letzten Jahren einige Werke mit der theoretischen Fundierung der Marketingethik befassen, welche vor allem im europäischen Raum dominant sind, so findet eine Auseinandersetzung mit dem Thema nach wie vor vor allem auf praktischer, allenfalls deskriptiver Ebene statt, die besonders im angloamerikanischem Raum im Vordergrund steht. Dort ist auch zu beobachten, dass eine Diskussion in einigen Fällen zum bloßen Selbstzweck mit wenig Substanz verkommt, häufig sehr oberflächlich geführt wird und sich von Unternehmensseite nicht selten auf PR-Zwecke beschränkt .[16]
Ziel dieser Arbeit ist es, relevante Theorien der Ethik mit sowohl philosophischem als auch sozialwissenschaftlichem Bezug auf den Funktionsbereich Marketing anzuwenden, um so zu einem Marketingverständnis zu gelangen, welches der Forderung nach der Integration von Ethik in das Marketing in hohem Maße gerecht wird.
Da in Unternehmen und besonders im Marketing Tag für Tag Entscheidungen mit moralischer Dimension getroffen werden müssen stellt sich die Frage, wie die Ethik in den Alltag des Marketings integriert werden kann. Hierfür werden konkrete Mechanismen und Rahmenbedingungen gesucht, die eine Hilfestellung darstellen, sowohl im Entscheidungsprozess als auch in der Umsetzung der Handlungsintention. Die Frage nach der Umsetzung des ethischen Gedankens im Unternehmen generell und im Teilbereich des Marketings im...