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E-Book

Rock und Pop

Von Elvis Presley bis Lady Gaga

AutorPeter Wicke
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2011
ReiheBeck'sche Reihe 2739
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783406621321
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
«We all want to change the world», sangen die Beatles 1968. Mit der Gitarre in der Hand die Welt verändern: Dieser Traum ist mit der Rock- und Popmusik untrennbar verbunden. Peter Wicke erzählt ihre Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. Dabei kommen Stilrichtungen, Soundformen und Aufnahmetechniken ebenso zur Sprache wie die Veränderungen des Musikmarktes und die Revolutionen der Jugendkultur, von denen die Entwicklung der populären Musik seit Elvis Presley begleitet wurde.

Peter Wicke, geb. 1951, ist Professor für Theorie und Geschichte der populären Musik an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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Leseprobe

1. Eine Revolution, die keine war – Der Rock’n’Roll


Die Geschichte ist mindestens schon tausendmal erzählt worden und hat dabei stets ein wenig mehr Glanz und Gloria erhalten. Die Rede ist von jenem denkwürdigen Moment, als Elvis Presley den Memphis Recording Service, 706 Union Avenue, in Memphis, Tennessee, betrat. Er ist als Geburtsstunde des Rock und als Beginn einer musikalischen Revolution in die Annalen eingegangen. Doch wie meist in der Geschichte, vor allem in der Geschichte der Revolutionen, ist die Wirklichkeit um einiges unspektakulärer. Und auch hier hatte der Erfolg viele Väter.

Der Memphis Recording Service war einer jener Aufnahmedienste, die Anfang der 1950er Jahre in den USA zu Tausenden aus dem Boden schossen. Wie die ein halbes Jahrhundert früher aufgekommenen Fotostudios standen sie jedem offen, der sich auf Platte, in diesem Fall auf einer Schallplatte, verewigen lassen wollte. Die Aufnahmen wurden in Acetate Discs geschnitten, Aluminiumscheiben mit einem Lacküberzug für die Schallrillen. Dass diese Branche Anfang der 1950er Jahre boomte, hatte mit der kurz zuvor in den USA auf den Markt gelangten Magnetbandtechnik zu tun. Auf Band konnten die Aufnahmen nach Betätigung des Rückspulknopfes so lange wiederholt werden, bis sie als gelungen galten, ohne dass dafür die nicht eben billigen Acetate-Rohlinge gebraucht wurden. Das Resultat ist auf eine Plattenschneidmaschine überspielt worden und stand sofort zur Mitnahme bereit. Notdürftig umgerüstete Geschäftsräume dienten den «Klangfotografen» als Aufnahmestudios. Aufgenommen wurde alles, was Töne hatte. Allein in der Stadt am Ostufer des Mississippi wies das Telefonbuch für 1954 mehr als 50 solcher Studios aus.

Der 1950 entstandene Memphis Recording Service allerdings war etwas Besonderes. Er hatte sein Domizil in einer kleinen ehemaligen Ladenwerkstatt. Der Eigentümer, Sam Phillips, betreute als Toningenieur den Sendebetrieb einer CBS-Station in Memphis. Hier lernte er nicht nur seinen Namensvetter Dewey Phillips kennen, eine der wichtigsten Radio-Persönlichkeiten der Stadt. Auch Marion Keisker kreuzte dort seinen Weg, die in dem winzigen Empfang vor dem eigentlichen Aufnahmeraum residierte und hier an jenem denkwürdigen Tag im August 1953 Elvis Presley begrüßte. Sie hatte eine eigene Radio-Show moderiert, bevor sie Sam Phillips zur Hand ging. Selbst wenn die Geschichtsbücher sie zur Sekretärin degradiert haben und Sam Phillips den glorreichen Augenblick später für sich reklamierte, so war doch – nach eigenem Zeugnis und dem anderer Zeitzeugen – sie diejenige, die die Aufnahmeapparate bediente, als Elvis Presley seine ersten beiden Plattenseiten aufnahm. Der 18-jährige Lkw-Fahrer von Crown Electric ließ sich für $3,98 mit zwei Songs verewigen – My Happiness, ein sentimentaler Pop-Standard, der 1948 ein Pop-Hit für das Duo Jon & Sandra Steele war, und That’s When Your Heartaches Begin, eine Pop-Ballade, mit der 1941 die Ink Spots, ein farbiges Gesangsquartett aus Indianapolis, einen moderaten Hit hatten.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Memphis Recording Service bereits einen Namen in der Branche gemacht, da Phillips neben dem Straßengeschäft Blues- und Rhythm & Blues-Musiker aus der Region ins Studio holte. Die Aufnahmen gab er an diverse Plattenfirmen zur Veröffentlichung weiter. Joe Hill Louis, Lost John Hunter & His Blind Cats, Jackie Brenston und B. B. King etablierten den Ruf des Studios, dem er 1952 mit Sun Records ein eigenes Plattenlabel an die Seite gestellt hatte, als potenzielles Sprungbrett in den Pop-Olymp. Auch Elvis Presley mag darauf spekuliert haben, denn seine Platte – der Legende nach ein Geburtstagsgeschenk für seine Mutter – hätte er für 25 Cent pro Seite beispielsweise auch bei W. T. Grant’s in Memphis’ Main Street haben können.

Stattdessen stand er ein knappes halbes Jahr später erneut vor der Tür des Memphis Recording Service. Diesmal kam er mit zwei anderen Pop-Standards der Zeit: I’ll Never Stand In Your Way, womit der Italo-Amerikaner Joni James sich 1953 in die Herzen der amerikanischen Hausfrauen gesungen hatte, und It Wouldn’t Be the Same Without You, eine Country-Ballade des singenden Cowboy-Darstellers Jimmy Wakely. Und wieder war es Marion Keisker, die nicht nur die Aufnahme machte, sondern auch Scotty Moore, Chef der sechsköpfigen Country Band The Starlite Wranglers und auf der Suche nach einem Sänger, den Hinweis auf die Gesangskünste des schüchternen jungen Mannes mit der Gitarre gab. Bei einem Treffen in Moores Haus präsentierte Presley sein Repertoire. Das löste zwar keine Euphorie aus, führte aber dazu, dass That’s All Right, ein Country Blues von Arthur «Big Boy» Crudup, und Blue Moon of Kentucky, ein Country Song von Bill Monroe, für eine erste Single ausgewählt wurden.

Die Platte, die im Juli 1954 erschien und alle Zeichen jener damals so weit verbreiteten Billigproduktionen trägt, ist inzwischen legendär. Aufgenommen wurde sie in einem Take ohne alles Drumherum, lediglich Elvis Presley mit seiner Gitarre, Bill Black am Kontrabass und Scotty Moore als Gitarrist. Dewey Phillips stellte sie in seiner Show «Red, Hot & Blue» der Öffentlichkeit vor und The Blue Moon Boys, so nannte sich das Trio fortan, wurden zu einer lokalen Berühmtheit.

Sam Phillips brachte noch vier weitere Singles mit Elvis Presley heraus, die letzte – I Forgot To Remember To Forget/Mystery Train – im August 1955, alles Nachproduktionen lokaler Hits. Mystery Train, ein Song des Blues-Sängers Junior Parker, war 1953 sogar schon einmal bei Sun Records erschienen, mit Little Junior’s Blue Flames, der Band von Junior Parker. Insgesamt hat Elvis Presley 20 Songs für Sam Phillips aufgenommen, von denen zehn auf Sun Records erschienen waren, als Steve Sholes, Produzent und Chef der Country Abteilung der renommierten RCA Records in Nashville, auf den Sänger aufmerksam wurde. Der Rest ist Geschichte.

Die Story hätte so oder ähnlich aus jeder mittleren Stadt im Süden der USA erzählt werden können. Es gab Legionen von Freizeit-Musikern und -Bands, die Anfang der 1950er Jahre in die aus dem Boden schießenden Studios strömten, um hier ihr Glück zu versuchen. Der Süden der USA ist eine musikalisch ungemein reichhaltige Region, in der sich die Kultur der indianischen Ureinwohner mit der Kultur der frühen spanischen, französischen, deutschen, schottischen und irischen Einwanderer sowie derjenigen der Amerikaner afrikanischer Herkunft kreuzte. Die grundverschiedenen musikalischen Traditionen dieser diversen Volksgruppen befruchteten sich gegenseitig; durch Nachspielen und Umsingen entstanden ständig neue Lieder und Tanzmelodien. Das Musizieren gehört hier bis heute zum Alltag, ist durch Radio und Fernsehen lediglich ergänzt und nicht etwa verdrängt worden. Jeder, der auch nur ein wenig Talent besitzt, greift irgendwann zu einem Instrument, mindestens zur Gitarre. Die Jukeboxes in den Kneipen und Tanzlokalen werden nur dann in Gang gesetzt, wenn es keine Live-Musik gibt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich Anfang der 1950er Jahre die damals noch weitgehend ungehobenen musikalischen Schätze aus dem Süden der USA großer Aufmerksamkeit erfreuten, auch wenn sie nicht überall auf Begeisterung stießen.

Und so gab es dann auch gleich mehrere solcher Momente, die als Geburt des Rock in die Annalen der Geschichte eingingen, mal mehr, mal weniger berechtigt. In den Pythian Temple Studios in Manhattans Upper Westside stand fast zur gleichen Zeit, in der Elvis Presley seine ersten Aufnahmen in Memphis machte, ein etwas korpulenter Endzwanziger aus Chester, Pennsylvania, mit seiner Band vor dem Mikrofon. Die Musikrichtung, die die Band bediente, war eine als Western Swing bekannt gewordene Spielart der Country Music. Nach der Aufnahme des Songs, den die Plattenfirma Decca Records aus seinem Repertoire ausgewählte hatte – Thirteen Women (And Only One Man In Town) –, blieb kaum noch Zeit für den zweiten Titel, den es als B-Seite für eine Single-Veröffentlichung braucht. Milt Gabler, der sich als Jazz-Produzent einen Namen gemacht hatte und seit 1941 für Decca die Pop-Sparte betreute, ließ deshalb statt des ursprünglich geplanten Titels einen Song einspielen, den die Band gut drauf hatte. Ausgerechnet diese Aufnahme musste aber auf die Schnelle noch wiederholt werden, da dem Sänger die Stimme versagte. Die Endfassung ist eine Montage aus beiden Takes. Dass die Aufnahme ihre charakteristische Prägung durch zwei Studiomusiker erhielt, die den Titel zuvor noch nie gespielt hatten, gehört zur Ironie der Geschichte. Gitarrist Duane Cedrone und Schlagzeuger Billy Gussak waren für die Aufnahmesession zur Verstärkung der Band angeheuert worden. Gussaks treibender Rhythmus und Cedrones Gitarrensolo gaben dem Titel das, was ihn aus den zahllosen Routineproduktionen jener Zeit heraushob. Als die Musiker ihre Instrumente einpackten, war einer der erfolgreichsten Songs in der Geschichte der Popmusik auf Band – Bill Haleys Rock Around the Clock. Nur wusste das damals keiner. Zwei Jahre vergingen, bis sich der Erfolg endlich einstellte.

Auch Rock Around the Clock ist die Nachproduktion eines lokalen Hits. Geschrieben von Max C. Freedman...

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