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Mutter Teresa

Leben, Werk, Spiritualität

AutorMarianne Sammer
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2011
ReiheBeck'sche Reihe 2405
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783406623073
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Mutter Teresa, 1910-1997, gehört zu den prominentesten Frauen des 20.Jahrhunderts. Für ihre wohltätige Arbeit in den Slums von Kalkutta und von dort aus weltweit erhielt sie den Friedensnobelpreis. Bereits sechs Jahre nach ihrem Tod - so schnell wie keine andere Person - wurde sie seliggesprochen. Trotzdem ist über den medienwirksamen «Engel von Kalkutta» erstaunlich wenig bekannt. Mythen und Legenden bestimmen das Bild von der sich aufopfernden Frau, die trotz zahlreicher Interviews und Schriften über ihr eigenes Leben nie viel preisgegeben hat. Marianne Sammer beschreibt das geistige Umfeld der heranwachsenden Albanerin Agnes Gonxha Bojaxhiu, verfolgt den Weg der jungen Nonne bis zu ihrer Ordensgründung in Indien, stellt ihr missionarisches Werk und ihre Spiritualität dar und geht der Frage nach, warum die unpolitische «Heilige» weltweit für Politiker so interessant war.

Marianne Sammer lehrt als Privatdozentin Kulturwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

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Leseprobe

1. Wer war Agnes Gonxha Bojaxhiu?


Eine Jugend in Skopje


Mutter Teresas bürgerlicher Name lautete Agnes Gonxha Bojaxhiu. Sie wurde am 27. August 1910 in Üsküp – dem späteren Skopje – geboren, das bis zum Ausbruch des ersten Balkankriegs im November 1912 zum Osmanischen Reich gehörte. Ihre Eltern, Nikola (Kolë) und Drana Bojaxhiu, stammten aus Prizren und lebten seit 1900 in Skopje, einer – gemessen an den sonstigen Verhältnissen auf dem Balkan – expandierenden Industriestadt. Als katholische Albaner gehörten sie einer sozialen und religiösen Minderheit an. Die im Jahr 1900 noch 32.000 und 1910 bereits 47.000 Einwohner der Stadt waren überwiegend Muslime oder orthodoxe Christen. Kolë war politisch für die albanisch-nationale, antitürkische Unabhängigkeitsbewegung aktiv und unterstützte sie auch finanziell. Er stammte väterlicherseits aus einer sehr vermögenden Kaufmannsfamilie mit internationalen Geschäftskontakten; der Wohlstand seiner Mutter gründete auf einem Stickereibetrieb. Nach seiner Heirat 1900 stieg er zunächst in einen Pharmaziehandel ein, unterhielt dann ein Architekturbüro und betrieb danach zusammen mit einem Geschäftspartner eine erfolgreiche Baufirma, deren Erträge er in Immobilien investierte. Schließlich gründete er mit einem italienischen Gesellschafter eine europaweit tätige Handelsfirma für Lebensmittel, Stoffe und Leder. Die italienischstämmige Drana, eine geborene Bernai, war Mitbesitzerin der großen Ländereien ihrer Familie in Serbien. Sie war mindestens fünfzehn, nach manchen Quellen sogar achtzehn Jahre jünger als ihr Mann, der sie demnach als Zwölf- oder Vierzehnjährige geheiratet hatte, und mit geschäftlichen Angelegenheiten kaum befaßt. Ihr oblagen neben der Erziehung der drei Kinder Aga (geb. 1905), Lazar (geb. 1908) und Agnes hauptsächlich gesellschaftliche Aufgaben, denn die Bojaxhius lebten trotz ihres Minderheitenstatus durchaus nicht isoliert: Kolë war Mitglied des Stadtrats und als solcher regelmäßig Gastgeber politischer und geistlicher Würdenträger – darunter auch des Erzbischofs von Skopje. In der Öffentlichkeit trat er nicht nur als Politiker, sondern auch als großzügiger Spender hervor, so für den Bau des ersten Stadttheaters oder für die Unterstützung Notleidender.

Die Legendenbildung um Mutter Teresa beginnt mit dem Jahr 1919, als der plötzliche Tod des Vaters in seinem 45. Lebensjahr dem großbürgerlichen Leben der Familie ein Ende machte und bei der Mutter eine extreme Hinwendung zur Religion ausgelöst haben soll, die sie auf Agnes übertrug. Kolë war zu Gesprächen über die Angliederung der Provinz Kosovo an Großalbanien nach Belgrad gereist. Er wurde mit starken inneren Blutungen zurückgebracht, denen er bald erlag. Ein freilich haltloses Gerücht spricht davon, er wäre aus politischen Motiven vergiftet worden. Drana fehlte jede unternehmerische Kompetenz, einen seriösen Geschäftsnachfolger oder Verwalter gab es nicht, überdies hatte sie keinen Zugriff auf ihre eigenen Liegenschaften, so daß sich die finanzielle Lage der jungen Familie verschlechterte, zumal die allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Nachkriegszeit verheerend waren. Immerhin erlaubten die Ressourcen und die Einnahmen aus ihrem Handarbeitengeschäft, das große eigene Haus zu halten und die Kinder ein staatliches Gymnasium besuchen und sie später auch studieren zu lassen. Von Armut oder Existenznot konnte, entgegen der Darstellungen vieler Biographen, auch nach Kolës Tod keine Rede sein.

Die Erinnerungsberichte aus dieser Zeit, die in den Biographien der späteren Mutter Teresa zu lesen sind, bedienen zu viele hagiographische Topoi, als daß sie zuverlässig sein könnten. Mutter Teresa lehnte es zeitlebens ab, Episoden aus ihrer Jugend zu erzählen (aber auch zu berichtigen) und ließ ihren Biographen freie Hand. Ihr Bruder Lazar hingegen und ihr Vetter Lush Gjergij zeigten sich fünf Jahrzehnte später Journalisten gegenüber sehr mitteilsam, aber auch hier ist Vorsicht geboten: Lazar war bereits fünf Jahre nach dem Tod des Vaters nicht mehr zu Hause, sondern beim Studium in Österreich und danach auf der albanischen Militärakademie in Tirana, und Lush Gjergij war nur ein Außenstehender. In seiner Doppelfunktion als Journalist und Priester lag ihm an einer zu Mutter Teresa passenden und für ihn lukrativen Jugendgeschichte. Unter anderem soll Drana, obwohl sie ihre eigenen Kinder kaum ausreichend hätte versorgen können, regelmäßig eine ältere Frau gespeist und für sie geputzt haben; für die Kinder noch ärmerer Familien hätte sie genäht und ihr letztes Geld geopfert, eine Alkoholikerin hätte sie gepflegt, eine Tumorkranke geheilt, überdies sechs Waisenkinder aufgenommen, und diese Menschenfreundlichkeit sei für ihre Kinder ein belehrendes Beispiel christlicher Nächstenliebe gewesen. Daß es sich bei diesen Verrichtungen um Präfigurationen des Wirkens von Mutter Teresas Orden handelt, ist offensichtlich. Der Versuch, die heiligmäßige Vorbildlichkeit eines Menschen aus seinen natürlichen Anlagen und seiner christlichen Erziehung abzuleiten, findet sich immer wieder in den Lebensbeschreibungen von Heiligen, so auch bei Bernhard von Clairvaux und Theresia von Lisieux, die beide auf Mutter Teresas spirituelle Entwicklung starken Einfluß ausübten. Drana erfüllt nach hagiographischen Gesichtspunkten das Muster der «barmherzigen Samariterin», Mutter Teresa erscheint als dessen Vollenderin.

Außer Zweifel jedoch steht, daß Agnes’ Eltern sehr religiös waren und auf eine sorgfältige katholische Erziehung ihrer Kinder großen Wert legten. Als Katholiken trotzten sie dem seit Jahrhunderten wirksamen Islamisierungsprozeß. So wirkte ihre Religiosität identitätsbildend und bestimmte zugleich das politische Selbstverständnis der Familie als freie Albaner. Als weitgereister Geschäftsmann, Politiker und Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens der Stadt bestand der Vater aber ebenso nachdrücklich auf gepflegten Umgangsformen und vor allem auf einer fundierten Schulausbildung seiner drei Kinder, die alle das Abitur ablegten. Er selbst war überaus kulturbeflissen und soll neben Albanisch und Serbokroatisch auch Türkisch, Italienisch und Französisch gesprochen haben. Aga erhielt mehrere Schülerpreise, studierte Nationalökonomie und arbeitete als Journalistin, ehe sie zu Radio Tirana wechselte. Auch Agnes war eine begabte Schülerin; sie las gerne, schrieb Gedichte und nahm Mandolinenunterricht. Sie und Aga sangen im Gemeindechor und im katholischen Jugendchor und gaben sogar innerhalb ihrer Pfarrei eigene Konzerte.

Mutter Teresa eine einfache bäuerliche Abstammung zuzuweisen, wie mitunter – so bei den frühen Biographen Edward LeJoly (Mutter Teresas Spiritual und Beichtvater), James McGovern oder Malcolm Muggeridge – zu lesen ist, hat hagiographische Gründe: die Reden eines ungebildeten albanischen Bauernmädchens an die Weltöffentlichkeit erscheinen auf diese Weise noch deutlicher vom Heiligen Geist inspiriert, ihr Pragmatismus des unumwundenen «Zupackens» bekommt seine bodenständige Verwurzelung und ihre zentralen Themen – christliche Familie und Nächstenliebe – sind zurückgeführt auf das Urbild der gottesfürchtigen, armen, aber glücklichen Bauernfamilie. Sie habe eine glückliche Jugend und ein schönes Familienleben gehabt: Mehr erfuhr man von Mutter Teresa nicht.

Der Einfluß der Jesuiten


Drana, sehr jung Mutter geworden und ohne eine ihren Kindern vergleichbare Bildung aufgewachsen, änderte nach dem Tod ihres Mannes die erzieherischen Schwerpunkte nicht. Sie unterstützte jedoch durch ihr eigenes Vorbild und ihr soziales und religiöses Engagement entsprechende Neigungen ihrer Töchter. Mit der Ankunft des kroatischen Jesuiten Franjo Jambreković, der 1925 als neuer Priester die Heilig-Herz-Kirche in Skopje übernahm, eröffnete sich für Agnes eine neue Welt. Bei der Gemeindearbeit setzte er seine pastoralen Akzente ganz in der Tradition der jesuitischen Volkskatechese. Er animierte insbesondere die Jugend, Theater zu spielen, zu musizieren und religiöse Gemeinschaft bei Wanderungen, Festen, Konzerten und kulturellen Veranstaltungen zu pflegen, aber auch konkret Nächstenliebe zu üben, etwa soziale Dienstleistungen zu erbringen. Lazar konnte ihn nach eigener Auskunft nicht ausstehen, Agnes jedoch fühlte sich zu diesem Priester besonders hingezogen. Sie ließ sich in sämtliche Projekte einbinden und empfing von ihm ihre zutiefst in der jesuitischen Spiritualität verhaftete geistliche Prägung. Jambreković war für Agnes nicht nur ein Vaterersatz und Erzieher, er war ihr geistlicher Betreuer und Beichtvater, mit dem sie sich vollständig identifizierte und dessen Vorbild sie nachzuahmen strebte.

Gleich nach seiner Ankunft gründete er, wie es in seinem Orden seit dem 16. Jahrhundert üblich war, eine «Sodalität der Kinder Mariens», also eine Marianische Kongregation. Diese Einrichtung hatte im Zuge der Maßnahmen zur inneren Reform und Rekatholisierung der Kirche nach den Richtlinien des Konzils von Trient...

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