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Freya von Moltke

Ein Jahrhundertleben 1911-2010

AutorFrauke Geyken
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl289 Seiten
ISBN9783406613845
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,49 EUR
'Was wichtig ist, kommt bei mir ja doch aus dem Herzen', bekannte Freya von Moltke. Und ihr Herz war für sie ein sicherer Wegweiser durch die Katastrophen und Umbrüche des 20.Jahrhunderts. Freya von Moltke erlebte die Zeit des Ersten Weltkriegs und die liberale Aufbruchstimmung der Weimarer Jahre; sie kämpfte an der Seite ihres 1945 hingerichteten Mannes Helmuth James von Moltke gegen den Nationalsozialismus; sie litt unter dem südafrikanischen Apartheidsregime und der Geschichtsvergessenheit der frühen Bundesrepublik. Seit 1960 lebte sie in den USA mit dem Kulturphilosophen Eugen Rosenstock-Huessy zusammen und setzte sich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs für die europäische Versöhnung ein. Frauke Geyken schildert auf der Grundlage bisher unbekannter Quellen und zahlreicher Gespräche ein unbeugsames Leben für Freiheit und Demokratie.

Frauke Geyken, Dr. phil., Historikerin und Publizistin, stand seit 2008 mit Freya von Moltke in Kontakt und hatte einen exklusiven Zugang zu ihrem persönlichen Nachlass sowie zu zahlreichen anderen bisher unpublizierten Quellen. Frauke Geyken lebt in Göttingen und arbeitet für verschiedene Bibliotheken und Museen.

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Leseprobe

1
Eleganz und verfeinerte Lebensgewohnheiten


1911–1929


Kindheit am Rhein


Im Mai 1932 wurde der Besitz des Kölner Bankiers Carl Theodor Deichmann im Kunsthaus Lempertz versteigert. Der Auktionskatalog hatte den Umfang eines kleinen Buches und umfasste die Kategorien Meißner Porzellan der Frühzeit, europäisches Porzellan verschiedener Manufakturen, Gold, Silber, Bronze, Zinn, Email, Kristall, Orientteppiche, Möbel, Bücher, Graphik und Gemälde.[1]

Carl Theodor Deichmann (1866–1931) war der Vater von Freya Deichmann, die am 29. März 1911 in Köln geboren wurde. Ihr Geburtshaus, in dem auch ihre beiden älteren Brüder Carl (geboren 1906) und Hans (geboren 1907) auf die Welt gekommen waren, lag in der Trankgasse 7a direkt gegenüber dem Dom: ein großes, von den Kindern als düster erinnertes Palais, das 1868 im Stil des Historismus erbaut worden war. Hier lebten zwei Deichmann-Vettern, die in dritter Generation gemeinsam ein Bankhaus leiteten. Auf der dem Dom zugewandten Seite wohnte Carl Theodor Deichmann mit seiner Frau Ada und den drei Kindern. 1913 entschloss man sich, das Wohnhaus mit der Neorenaissance-Fassade abzureißen, um ein zweckmäßiges Geschäftsgebäude zu errichten. Heute beherbergt der Bau zwar keine Bank mehr, ist aber immer noch unter dem Namen Deichmann-Haus in Köln bekannt. Die Familie Carl Theodors zog um an den Georgsplatz 16, in das Haus einer Urgroßmutter, das elegant renoviert und mit den später versteigerten Luxusgegenständen reichhaltig ausgestattet wurde. Es sollte bis zum Untergang des Bankhauses Ende 1931 das Familiendomizil bleiben, in dem Freya, trotz Krieg und Inflation, eine behütete und – glaubt man den Memoiren ihres Bruders Hans – fröhliche Kindheit verlebte.

Die Sommer verbrachte man in dem 1908 erbauten Landsitz «Haus Hombusch» bei Mechernich in der Eifel, fünfzig Kilometer südlich von Köln. Während des Ersten Weltkriegs, bei dessen Ausbruch Freya drei Jahre alt war, konnte die Familie hier besser versorgt werden als in der Stadt.

Freya mit ihren beiden Brüdern Hans und Carl während des Ersten Weltkriegs

«Ich habe wunderschöne Kindheits-Sommerwochen auf dem Hombusch erlebt. Diese, mit ihren wunderbaren Gerüchen von Kiefern im Sonnenlicht und Phlox in Blumenbeeten, von Äpfeln und Brombeeren und von mir selbst auf einer der Steinkugeln am Einfahrtstor sitzend und singend, werden mir unvergesslich sein», schrieb Freya viele Jahrzehnte später an den heutigen Besitzer von Haus Hombusch.[2] Das Landhaus musste bereits 1928 im Zuge des Niedergangs der Bank verkauft werden.

Auch die Großeltern Schnitzler hatten ein großes Gut in der Eifel. Freya war oft zu Gast auf dem Giersberg, denn die Beziehungen zu ihren Verwandten mütterlicherseits waren gut und eng.

Haus Hombusch, der Sommersitz der Deichmanns in der Eifel

Das Bankhaus Deichmann


Die Deichmanns waren eine der reichsten Familien Kölns. Sie gehörten zur kleinen protestantischen Minderheit der Stadt, die lange unbedeutend gewesen war. Von den rund 40.000 Menschen, die 1794 hier lebten, waren lediglich 400 Protestanten.[3] Erst 1797 erhielten sie das volle Bürgerrecht in Köln, und damit begann der Aufstieg einiger evangelischer Familien, die sich im Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts Ansehen, Macht und großen Reichtum erwarben. Viele von ihnen begannen als Handelshäuser und entwickelten sich zu Privatbanken. Die Firma Stein etwa war an einer Gerberei beteiligt, handelte später mit Getreide und war zeitweise im Weinhandel tätig. Mitglieder der Familien Joest, Herstatt und vom Rath importierten Zucker und betrieben bald eigene Zuckerraffinerien. Das erwirtschaftete Geld wurde zunehmend im Kreditwesen eingesetzt, und die genannten Familien etablierten sich in Köln als Bankiers neben dem bereits bestehenden Bankhaus Schaaffhausen. Freyas Urgroßvater, Wilhelm Ludwig Deichmann (1798–1876) aus Rodenberg am Deister, war dort 1818 als Lehrling eingetreten. Seine Heirat mit Elisabeth Schaaffhausen (1811–1888), der Tochter des Hauses, genannt Lilla, war für ihn ein wichtiger Karriereschritt. Er übernahm im selben Jahr, 1830, die Leitung der Bank und behielt sie, bis er 1858 zusammen mit Adolph vom Rath sein eigenes Bankhaus gründete. Deichmann & Co entwickelte sich zu einem der wichtigsten Finanziers der aufstrebenden Firma Krupp. Betrugen die eigenen Mittel des Hauses Deichmann im Jahr der Gründung noch 500.000 Taler, so war man 1871 in der Lage, Krupp drei Millionen Taler zu leihen, eine enorme Summe.[4] Deichmann, von Stein, Herstatt und Sal. Oppenheim jr. gehörten zu den Bankhäusern, die maßgeblich die rheinisch-westfälische Schwerindustrie finanzierten. Sie reihten sich ein in die Gruppe der familiengeführten Privatbanken im Deutschen Kaiserreich, die in der Frühphase der deutschen Industrialisierung eine führende, nahezu konkurrenzlose Rolle beim Aufbau wichtiger Industriebranchen spielten.[5]

Freya Deichmann um 1920

Als sich am Ende des neunzehnten Jahrhunderts moderne Kapitalgesellschaften entwickelten, konnten die Privatbanken im Konkurrenzkampf gegen Großbanken, Sparkassen und Kreditgenossenschaften jedoch immer weniger bestehen. Ihr Aktionsradius war durch das private Vermögen der Inhaber beschränkt, und dies reichte irgendwann nicht mehr aus, um den Geldbedarf industrieller Großbetriebe zu decken. Aber die Privatbankiers verschwanden damit keineswegs ganz von der wirtschaftlichen Bühne. Sie saßen weiterhin in den Aufsichtsräten bedeutender deutscher Kapitalgesellschaften. Spitzenreiter im Untersuchungsjahr 1927 war Louis Hagen vom Bankhaus Oppenheim. Er hatte achtundfünfzig Aufsichtsratsmandate inne, während Carl Theodor Deichmann, Freyas Vater, sich mit immerhin sechsundzwanzig Mandaten im oberen Mittelfeld bewegte.[6] Natürlich hatten sie die wirtschaftliche Kompetenz für diese Aufgabe, aber von mindestens ebenso großer Bedeutung waren die vielfältigen verwandtschaftlichen Verbindungen unter den Bankiers.

Die Deichmanns waren insbesondere mit den Familien Herstatt, von Stein und Schnitzler in einem engen Heiratsgeflecht verwoben. Von 1821 bis 1907 kam es zu elf direkten Eheschließungen zwischen den Familien. Hinzu kam eine Vielzahl von Verschwägerungen und entfernteren Verbindungen, die die familiäre Verflechtung nahezu undurchdringlich erscheinen lassen.[7] Interessanterweise blieben die christlichen und die jüdischen Heiratskreise streng getrennt. Interkonfessionelle Vorbehalte scheint es indessen nicht gegeben zu haben. Der Gründer des Bankhauses Deichmann, Wilhelm Ludwig, konnte als Protestant 1830 die katholische Lilla Schaaffhausen heiraten und sich damit die Leitung des Schaaffhausen’schen Bankvereins sichern. Zwar war dies eine der ersten, aber bei weitem nicht die letzte Mischehe in dem genannten Kölner Heiratszirkel. Die vier Söhne des Paares wurden evangelisch, die sieben Töchter katholisch erzogen.

Verwandtschaftliche Beziehungen sicherten auch die Geschäftskontakte ins Ausland. Der Bruder des Gründers, Adolf Deichmann (1811–1882), eröffnete eine Bank in Amsterdam. Die Heirat der Enkelin des Gründers, Emma Deichmann (1870–1944), mit Bruno von Schröder (1867–1940) im Jahr 1894 begründete gute geschäftliche Beziehungen nach London und New York. Die Schröders waren eine weltweit verzweigte Kaufmannsfamilie mit Ursprung in Quakenbrück, deren Aufstieg um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts begann. 1804 gründete Johann Heinrich Schröder das Bankhaus «J. Henry & Co.». Sein Sohn gleichen Namens (1825–1910) holte seinen Hamburger Neffen Bruno ins Geschäft, der 1904 in den preußischen Freiherrenstand erhoben wurde. Baron Bruno war in London ein höchst erfolgreicher Handelsbankier mit einem untadeligen Ruf, der sich sehr für die dortige deutsche Gemeinde engagierte. Er wurde bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs auf Anordnung des Innenministers quasi über Nacht naturalisiert, denn sonst wäre sein Vermögen als Feindvermögen eingezogen worden. Das hätte die Schließung der Schröder-Bank bedeutet, was als eine ernsthafte Bedrohung für den britischen und internationalen Finanzmarkt angesehen wurde.[8] Bruno von Schröder unterstützte die Kölner Deichmanns in den schwierigen Jahren nach der Liquidation der Bank. Und Freya sollte in den vierziger Jahren von Tante Emma in ihrem Testament bedacht werden. Helmuth James und Freya von Moltke waren bei ihren Besuchen in England oft zu Gast in Dell Park, dem Anwesen der Schröders in der Nähe von Windsor.

Kölner Verwandtschaften


Freyas Mutter Ada Deichmann (1886–1975) war eine geborene Schnitzler. Ihr Vater Paul von Schnitzler (1856–1932) war ein preußischer Landgerichtsrat und Gutsbesitzer. Der Kaiser erhob ihn 1913 in den Adelsstand. Paul von Schnitzler heiratete 1883 Fanny Emilie Joest (1861–1948). Die beiden Familien Joest und von Schnitzler lebten in Köln, eng bei- und miteinander. Als Fannys Mutter 1919 starb, verfasste Ada einen Lebenslauf ihrer Großmutter Joest, in dem es heißt:...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Freya von Moltke, Bronzebüste von Marie-Luise Bauerschmidt2
Titel3
Impressum4
Inhalt5
Vorwort9
1: ELEGANZ UND VERFEINERTE LEBENSGEWOHNHEITEN. 1911–192911
Kindheit am Rhein11
Das Bankhaus Deichmann13
Kölner Verwandtschaften16
Georgsplatz 1618
Vorbilder23
Wirtschaftliche Frauenschule Löbichau24
2: EINE GROSSE LIEBE – ERSTER TEIL. 1929–193131
Fraudoktor Eugenie Schwarzwald31
«Ich sah ihn und mein Herz stand still»35
«Ich küsse Dich so sehr ich kann»39
«Was macht Ihr Abitur?»41
3: EINE GROSSE LIEBE – ZWEITER TEIL. 1931–193545
Keine Brautjungfern, keine Musik!48
Von der Stadt aufs Land50
Mami Moltke in Kreisau52
Papi Moltke in Berlin57
Doktorin der Rechte61
Eine Reise nach Südafrika66
4: DIE GUTSHERRIN. 1935–194471
«Du Biest»: Freya in Kreisau, Helmuth in Berlin73
Die Kinderfrage77
Leben auf dem Gut79
«Ich war der Widerhall aus Kreisau»91
5: IM WIDERSTAND. 1940–194593
Der Weg in die Opposition93
Die Löwenberger Arbeitslager95
Die Kreisauer97
Ein konspiratives Leben99
Die drei Kreisauer Treffen100
Vorstellungen und Ziele für die Zeit danach102
Zuhören, na und? Die Rolle der Frauen im Widerstand104
«Helmuth ist verreist»: Entdeckung und Ende107
«Die kostbaren Tegeler Wochen»109
6: AFRIKA. 1945–1956121
Die letzten Monate in Kreisau121
Ein neues Leben anbahnen129
In Südafrika, 1947–1956141
Eine Vortragsreise in die USA, 1949151
Südafrika-müde155
7: IN ADENAUERS DEUTSCHLAND. 1956–1960159
«Hier wohnen Verräters»160
Schwieriges Gedenken163
Arbeit an der Legende165
Die vergessenen Frauen des Widerstands169
Ein faszinierender Mann173
«Hätte ich nicht selbst ein wildes Herz»180
8: AMERIKA. 1960–2010187
«Zwölf wunderbare Jahre mit diesem alten Freund»187
Das Erbe zweier «querliegender» Männer189
«Soll ich die Historiker heranlassen?»191
Eine engagierte Amerikanerin195
«Sie gehören zu den Blühenden»202
9: DAS NEUE KREISAU, EIN LEBENSGESCHENK. 1989–2010207
Abschied vom alten Kreisau207
Krzyzowa211
Deutsche und Polen212
Die Anfänge des Neuen Kreisau214
«Erst, wenn die Polen uns einladen»: Die Stiftung Kreisau220
«Was wollen wir schaffen?»222
Der Kreis schließt sich225
Epilog: «Find me upstairs»229
Dank231
Zeittafel233
Stammtafeln237
Anmerkungen243
Bildnachweis273
Quellen und Literatur275
Personenregister283
Zum Buch289

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