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Geschichte Baden-Württembergs

AutorHans-Georg Wehling, Reinhold Weber
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2012
ReiheBeck'sche Reihe 2601
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783406618451
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Eine Geschichte Baden-Württembergs gibt es genau genommen erst seit dem 25.April 1952, als der Südweststaat gegründet wurde. Bis zum Zusammenbruch des Deutschen Reiches 1945 hatten hier die Länder Baden, Württemberg und die Hohenzollerischen Lande Preußens bestanden. Zuvor, im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, war der Südwesten das Paradebeispiel deutscher Kleinstaaterei. Eine Vielzahl mittlerer, kleiner und kleinster halbsouveräner Herrschaften unter dem Dach des Reiches bestimmte das Bild. Auch wenn all diese Territorien ihre eigene Geschichte haben, befanden sie sich doch in der Schicksalsgemeinschaft des Alten Reiches und im gesamteuropäischen politischen und kulturellen Kontext. Sie weisen gemeinsame Strukturmerkmale auf, die es erlauben, sie zusammenhängend historisch darzustellen.

Dr. Reinhold Weber, geb.1969, verantwortet bei der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (LpB) die wissenschaftliche Buchreihe «Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs». Er ist Lehrbeauftragter am Seminar für Zeitgeschichte der Eberhard Karls Universität Tübingen und Mitglied der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Prof. Dr. Hans-Georg Wehling, geb.1938, war bis 2003 Leiter der Abteilung Publikationen der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg und ist Begründer der wissenschaftlichen Buchreihe «Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs». Er ist Honorarprofessor am Institut für Politikwissenschaft der Eberhard Karls Universität Tübingen.

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Leseprobe

I. Frühzeit: Kelten, Römer und alemannische Landnahme


1. Frühe kulturräumliche Prägungen


In Südwestdeutschland belegen aufsehenerregende prähistorische Funde erste Spuren menschlicher Existenz. Der Unterkiefer des Homo heidelbergensis (ca. 500.000 v. Chr.), 1907 in Mauer bei Heidelberg gefunden, und der Urmenschenschädel aus Steinheim an der Murr (ca. 250.000 v. Chr.) zählen zu den ältesten Hominidenfunden Europas. Reiche Funde aus der Eiszeit und der Nacheiszeit geben Einblick in das Leben des Menschen als Jäger und Sammler. Unter den Funden aus den Höhlen der Schwäbischen Alb, vom Oberrhein, dem Rand des Hegau und den schwäbischen Seen (Untersee, Federsee) befinden sich auch Tierplastiken und damit die ersten vollplastischen Kunstwerke der Menschheit.

Obwohl der südwestdeutsche Raum zu weiten Teilen durch natürliche Grenzen markiert wird – im Westen den Rhein, im Osten die Iller, im Süden die Alpen und den Bodensee –, war es immer auch ein offener Raum. Die Burgunder Pforte erlaubte mediterran-iberische Einflüsse, die Zaberner Senke westlich-atlantische. Der Rhein öffnete das Gebiet nach Norden und Nordosten, die Bündner Pässe nach Süden und die Donau nach Südosteuropa und Vorderasien. Von der unteren Donau aus verbreiteten sich auch im 5. Jahrtausend v. Chr. erstmals neolithische Ackerbaukulturen in Südwestdeutschland. Der Mensch wurde sesshaft und besiedelte – wenn auch noch mit insularem Charakter – zunächst die leicht zu bearbeitenden Böden und die klimatisch bevorzugten Gebiete. Hier setzt die eigentliche kulturlandschaftliche Entwicklung des Raumes ein, die den Zusammenhang von kleinkammerigen Naturräumen und Siedlungsgeschichte sinnfällig macht. Ackerbau und Viehzucht führten zu neuen Kulturleistungen – Dorfanlagen mit fest gezimmerten Häusern und technisch-handwerklichen Innovationen –, die wiederum zu arbeitsteiligen Gesellschaften mit ersten sozialen Ordnungsformen und zu einem Bevölkerungswachstum führten.

Die Besiedlung des Altsiedellandes ist von geradezu fundamentaler Bedeutung für die kulturlandschaftliche Entwicklung des südwestdeutschen Raumes. Über fast viereinhalb Jahrtausende hinweg bildeten diese Gebiete die eigentlichen Siedlungskammern: das Oberrheinische Tiefland, das Neckarbecken, der Taubergrund und das Kochertal, das nördliche Oberschwaben und das westliche Bodenseegebiet mit dem Hegau. Hier lebten und wirtschafteten die Menschen der Kupfer-, Bronze- und Eisenzeit, die Kelten, die Römer und schließlich die Alemannen. Im Gegensatz zum Altsiedelland blieben die übrigen Teile des Gebietes über rund 5000 Jahre hinweg unbesiedelt. Dieses Jungsiedelland, das erst seit der Völkerwanderungszeit und dann bis in das 14. Jahrhundert hinein schrittweise erschlossen wurde, umfasst den Schwarzwald, den Odenwald, die Schwäbisch-Fränkischen Waldberge und das Jungmoränenland im südlichen Oberschwaben. Nach ihrer bevölkerungs- und siedlungsgeografischen Struktur wie auch nach der Dichte der Städte unterscheiden sich Alt- und Jungsiedelland bis heute deutlich wahrnehmbar voneinander. Aber auch nach Erbsitten und demzufolge auch in der Agrarstruktur zeigen sich deutliche Unterschiede. Grob betrachtet, ist das Altsiedelland wegen der günstigeren naturräumlichen Gegebenheiten Realteilungsland.

2. Südwestdeutschland als Teil des keltischen Kulturraumes


In der Eisenzeit wurde Südwestdeutschland Teil des keltischen Kulturraumes. Aus der Hallstattkultur (ca. 750–450 v. Chr.) finden sich Herrensitze der Adelskaste wie die Heuneburg bei Hundersingen an der oberen Donau, der Hohenasperg bei Ludwigsburg oder der Münsterberg bei Breisach. Diese keltischen Macht- und Wirtschaftszentren waren meist von Grabhügeln («Fürstengräbern») beträchtlichen Ausmaßes umgeben. Die Grabbeilagen – etwa in Hochdorf bei Ludwigsburg – weisen auf Beziehungen zu den Hochkulturen des Mittelmeerraumes hin. Auf die späte Hochkultur der Kelten (Latène-Kultur, ca. 450–2. Jhdt. v. Chr.) verweisen stadtähnliche Anlagen nach mediterranem Vorbild («oppidum») bei Schaffhausen, Freiburg und im Taubergrund. Eine Vielzahl an «Viereckschanzen» kommt hinzu – ob Kultanlagen oder lokale Herrschaftssitze, ist unklar. Aus der keltischen Zeit sind auch zahlreiche Namen von Flüssen (Donau, Neckar, Kocher, Jagst) und Bergen (Ipf, Teck, Neuffen, Zollern, Twiel) nachgewiesen.

3. Römerzeit an Rhein, Donau, Neckar und Main


Im ersten Jahrhundert vor der Zeitenwende geriet Südwestdeutschland in den Gesichtskreis des römischen Imperiums. Im Jahr 58 v. Chr. siegte Cäsar im Oberelsass gegen germanische Sueben. Die Grenze der Römer war damit an den Rhein verschoben. Das Ende der keltischen Hochkultur war besiegelt, als römische Truppen im Jahr 15. v. Chr. das Voralpenland bis zur Donau besetzten. Für annähernd 300 Jahre war Südwestdeutschland Teil des provinzialrömischen Kulturbereiches. Zwar kamen die Römer als Eroberer, doch den germanischen und keltischen Stämmen brachten sie auch ihre Zivilisation und Kultur. Der deutsche Südwesten zeigt zu dieser Zeit Züge einer mediterranen Kulturlandschaft mit Steinbauten mit rotem Ziegeldach, Keramik, Schmuck, nicht zuletzt auch mit Weinbau.

Die römische Besetzung verlief schrittweise. Der strategischen Sicherung der Reichsgrenze unter Kaiser Claudius entlang der Donau («Donaulimes», u.a. in Hüfingen und Rißtissen) folgte der Vorstoß von Westen her über den Schwarzwald und die Schwäbische Alb («Alblimes», u.a. in Rottweil, Sulz, Urspring, Heidenheim) bis hin zur Verlagerung der Kastelllinie ins Neckarland («Neckarlimes», u.a. in Wimpfen, Walheim, Cannstatt und Köngen). Der obergermanisch-rätische Limes, heute UNESCO-Weltkulturerbe und mit 548 km Länge das größte antike Baudenkmal auf deutschem Boden, entstand in der Mitte des 2. Jahrhunderts. Er reichte vom Neuwieder Becken bei Koblenz über den Taunus (Wetterau), Miltenberg am Main, dann in geradlinigem Verlauf über Walldürn, Osterburken bis Lorch, wo er sich – nun dem Gelände angepasst – nach Osten wandte und über Aalen und Gunzenhausen bis Eining an der Donau ging. Der nördliche Teil, der obergermanische Limes, bestand aus Wall, Graben, Palisadenzaun und Wachtürmen. Der östliche Teil, der rätische Limes (etwa ab Lorch im Remstal), war als Steinmauer mit Wachtürmen ausgeführt.

Innerhalb der östlichen Provinz Rätien und der westlichen Provinz Obergermanien waren nun rasche Truppenverlegungen, aber auch ein intensiver Handel möglich. Der deutsche Südwesten erhielt eine nachhaltige infrastrukturelle und kulturräumliche Prägung. Dabei bildete ein Netz fester Straßen zwischen den Kastellen und den zentralen Orten im Hinterland die Basis der römischen Provinzialregierung. Noch heute folgen wichtige Verkehrsverbindungen den Straßen der Römer, die in teilweise schwierigem Gelände bereits die Ideallinie gefunden hatten: Die Oberrheinstrecke von Basel über Heidelberg/Ladenburg nach Mainz, der Hauptstadt Obergermaniens; die Kinzigtalstraße, die von der Donau durch den Schwarzwald über den Kniebis nach Straßburg führte und Rottweil (Arae Flaviae) zu einem neuen und zentralen Ort zwischen Donau und Bodensee machte; schließlich die ergänzende, weiter nördlich verlaufende West-Ost-Traverse über Pforzheim und Cannstatt nach Augsburg.

Zu den eindrucksvollsten Zeugen des Fortschritts gehören zweifellos die baulichen Überreste der Römerzeit – Brücken, Wasserleitungen, Gebäude und Badeanlagen. Neben den zahlreichen Kastellen entstanden unterschiedlich große Lagerdörfer, in denen sich ein reges Wirtschaftsleben entfaltete. Hinzu kamen Orte mit stadtähnlichem Charakter («civitas»), die als administrative Mittelpunkte von zentraler Bedeutung waren, wie Ladenburg (Lopodunum), Rottenburg am Neckar (Sumelocenna) oder Wimpfen (Alisinensium). Wichtige zivile Zentren erwuchsen auch in der Umgebung von Thermalquellen wie Baden-Baden (Aquae) und Badenweiler (Aquae Villae). Die einzige bislang bekannte Stadt im heutigen Baden-Württemberg mit römischem Stadtrecht («municipium») war Rottweil.

Für die Erschließung und für das wirtschaftliche Wachstum der Region kam den landwirtschaftlichen Gutshöfen («villa rustica») besondere Bedeutung zu. Sie konzentrierten sich in den prähistorischen Siedlungskammern des mittleren Neckarlandes, im Oberrheinischen Tiefland und im Donautal, teilweise auf der Schwäbischen Alb und im Bodenseegebiet. Auf diesen einzeln stehenden Gutshöfen wurde mit Nutzpflanzen, Viehzucht und Weinbau das stehende Grenzheer versorgt, wobei die Höfe sowohl von ausgedienten Legionären als auch von der einheimischen Bevölkerung bewirtschaftet wurden. Weit über 1000 solcher Gutshöfe sind heute im Südwesten bekannt; restaurierte Anlagen sind in Stein bei Hechingen, Heitersheim bei Freiburg, Laufenburg oder Lauffen am Neckar zu sehen.

In den mehr als 200 Jahren der kulturellen Hochphase in der «Pax Romana» wurde die Bevölkerung romanisiert. «Eroberer» und...

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