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E-Book

Richard Wagners Opern

Ein musikalischer Werkführer

AutorSven Friedrich
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2012
ReiheBeck'sche Reihe 2220
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783406633065
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Wenig vermag die Gemeinde der Musikliebhaber so tief zu spalten wie eine Oper von Richard Wagner. Manch einer lehnt Wagner in Bausch und Bogen ab und begründet dies mit dessen Antisemitismus, während ein anderer es einfach nicht erträgt, von der romantisch-revolutionären Musik Wagners zutiefst gepackt zu werden. Doch gibt es auch jene Wagner-Gemeinde, die sich begeistert den Mythen, Bildern und zauberhaften Klangwelten des Komponisten hingibt. Mit Sven Friedrich stellt einer der kompetentesten Wagner-Spezialisten sine ira et studio die Musikdramen des Leipziger Komponisten vor, erhellt ihre Entstehungsgeschichte, ordnet sie musikhistorisch und geistesgeschichtlich ein und erläutert ihre Besonderheiten. Ein eigenes Kapitel ist der Rezeptions- und Wirkungsgeschichte Wagners und insbesondere den Bayreuther Festspielen gewidmet.

Dr. Sven Friedrich ist Direktor des Richard-Wagner-Museums mit Nationalarchiv und Forschungsstätte der Richard-Wagner-Stiftung in Wagners Bayreuther Wohnhaus Wahnfried. Er leitet darüber hinaus auch das Franz-Liszt- und das Jean-Paul-Museum der Stadt Bayreuth.

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Leseprobe

II. Das Frühwerk


Die Feen


Richard Wagner, der am 22. Mai 1813 in Leipzig geboren wurde, war noch keine 20 Jahre alt, als er sich seinem ersten ehrgeizigen Opernprojekt zuwandte. Dichter hatte er werden wollen und schon als 16-Jähriger, begeistert von der Lektüre Shakespeares, einen dramatischen Erstling Leubald und Adelaide produziert. Doch obgleich es darin mehr als 40 Tote gibt und sich so bereits hier der unbezwingbare Zug zur Größe offenbart, erntete er in der Familie Gelächterstürme – und war zutiefst frustriert. Der prägende Eindruck, den neben dem zeitlebens vergötterten Beethoven Carl Maria von Weber auf ihn machte, sollte indessen seine Hinwendung zur Musik maßgeblich bestärken.

Um komponieren zu lernen, entlieh sich Wagner aus der Leipziger Bibliothek die Kompositionslehre Johann Bernhard Logiers und machte durch das Anwachsen der Ausleihgebühren erstmals (jedoch bekanntlich durchaus nicht zum letzten Male in seinem Leben) Schulden, weil sich sein Vorhaben, aus diesem Buch das Komponieren zu erlernen – erstaunlicherweise! – doch als schwieriger erwies, als erwartet. Doch als er im April 1829 die große dramatische Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient als Romeo in Bellinis Romeo und Julia und später auch in ihrer Paraderolle, der Leonore in Beethovens Fidelio erlebte, war es endgültig um ihn geschehen: Er schickte der Primadonna einen enthusiastischen Verehrerbrief ins Hotel und beschloss auf der Stelle, Musiker zu werden. Ab Mitte des Jahres 1829 entstanden seine ersten Kompositionen. Er begann ein musikalisches Hirten- und Schäferspiel, gab dieses aber schon nach kurzer Zeit wieder auf. Allerdings vollendete er eine Ouvertüre in B-Dur, bei der nach jedem vierten Takt ein fünfter als Paukenschlag eingeschaltet ist. Die Uraufführung dieses Werks fand am 24. Dezember 1830 im Leipziger Theater in Gegenwart Richards und seiner Schwester Ottilie statt. Das Publikum war zunächst verblüfft, machte sich dann gegenseitig auf den zu erwartenden Paukenschlag aufmerksam und brach schließlich in Heiterkeit aus.

Beginnt so die Vita eines Genies? Obwohl ohne Schulabschluss, schrieb sich der schwärmerische Dilettant 1831 als Musikstudent an der Leipziger Universität ein. Während Goethe die Arbeit am Faust beendete, kneipte Wagner bei der Verbindung ‹Saxonia›, verfiel dem Kartenspiel, verspielte die Rente seiner Mutter, gewann jedoch mit dem letzten Taler alles zurück. Doch im Herbst fand er durch die Vermittlung seiner Mutter endlich einen gründlichen und verständnisvollen Musiklehrer: keinen Geringeren als den Leipziger Thomas-Kantor Theodor Weinlig, der als Erster das hervorragende Talent des jungen Wagner erkannte, kein Honorar von ihm annahm und schon nach einem halben Jahr erklärte, dass er ihn nun nichts mehr lehren und ihm nur noch als «ratender Freund» zur Seite stehen könne. Neben einigen Studienwerken komponierte Wagner unter Weinligs Aufsicht Sieben Kompositionen zu Goethes Faust.

Zu Beginn des Jahres 1832, ermutigt durch den Erfolg der Uraufführung der d-Moll-Ouvertüre im Leipziger Gewandhaus, komponierte Wagner weitere Werke: eine Sonate in A-Dur, eine Ouvertüre in e-Moll und die an Beethoven geschulte Ouvertüre zu Ernst Raupachs König Enzio, die unter anderem am 16. März im Gewandhaus gespielt wurde. Endlich erschien mit der Sonate in A-Dur auch erstmals eine Arbeit Wagners bei Breitkopf & Härtel im Druck. Es ist erstaunlich, wie genau der junge Wagner die verschiedenen Musikstile seiner Zeit beherrschte. So ist es unüberhörbar das große Idol Beethoven, das stilistisch Pate für sein Gesellenstück stand: eine veritable viersätzige Symphonie in C-Dur.

Unter dem Einfluss der intensiven Lektüre E. T. A. Hoffmanns wandte sich Wagner danach einem ersten Opernplan zu: Die Hochzeit, ein «vollkommenes Nachtstück von schwärzester Farbe» (ML, S. 76). Doch wieder einmal erntete Wagner den Spott seiner älteren Lieblingsschwester Rosalie. Er zerriss daraufhin das Textbuch und vernichtete die Entwürfe. Nur die Partitur der 1. Szene blieb erhalten. Doch unverdrossen machte er weiter und schrieb um die Jahreswende 1832/1833 den Text zu seiner ersten vollendeten und vollständig erhaltenen Oper Die Feen nach Carlo Gozzis La Donna Serpente nieder. Es ist eine typisch romantische Märchen- und Zauberoper im Stile Heinrich Marschners und Carl Maria von Webers.

Die Oper erzählt die Geschichte der Liebe des Prinzen Arindal zur Fee Ada. Beide Namen entnahm Wagner seinem vernichteten Fragment Die Hochzeit: Arindal schwört, Ada ewig treu zu bleiben und gleichzeitig nicht zu fragen, wer sie sei, bricht diesen Schwur jedoch unter dem Druck der ihm auferlegten Prüfungen, büßt und sühnt seine Schuld auf dem Wege einer langen, schweren und immer wieder gefährdeten Bewährung und vermag schließlich durch die Macht der Liebe in ihrer höchsten Ausdrucksform, der Musik, einem ins Glückliche gewendeten Orpheus gleich, die in Stein verwandelte Ada zu erlösen und selbst mit ihr unsterblich zu werden.

Am 6. Januar 1834 schloss Wagner die Partitur der Feen ab. Es ist ein erstaunlicher, entzückender Bühnen-Erstling, eine zauberhafte Märchen-Oper, die alles hat, was eine romantische Oper musikalisch wie szenisch an zeitgenössischen Effekten haben muss: einen Geisterchor, eine Wahnsinnsszene, einen Kriegerchor und eine Romanze. Und nicht nur die Prüfungsszene Arindals erinnert an Mozarts Zauberflöte, sondern auch Papagena und Papageno bekommen in den Dienerfiguren Drolla und Gernot musikalische Geschwister.

Die Uraufführung der Feen war für 1834 in Leipzig geplant, doch entzündete sich an der Kostüm- und Dekorationsfrage ein Konflikt zwischen Wagner und der Direktion. Der Sänger und Regisseur Franz Hauser setzte Wagner daraufhin auseinander, dass dessen Richtung verfehlt und es nur bedauerlich sei, dass Johann Sebastian Bach keine Opern geschrieben habe. Die Aufführung wurde zunächst verschoben und schließlich aufgegeben. Zu Wagners Lebzeiten wurden Die Feen nie gespielt, die Uraufführung fand erst posthum 1888 im Hof- und Nationaltheater München unter der Leitung von Fritz Fischer statt. Und obgleich Wagners ambitionierter Opern-Erstling ein durchaus ansprechendes Werk der Gattung ist, hat Wagner es als epigonal später selbst – wie auch seine beiden folgenden Opern – aus dem Repertoire der Bayreuther Festspiele ausgeschlossen. Dieser Umstand dürfte maßgeblich dazu beigetragen haben, dass Wagners Frühwerke bis heute eher ein Schattendasein im Opernrepertoire führen.

Das Liebesverbot oder Die Novize von Palermo


Im März 1834 las Wagner die Romane Ardinghello oder die Glückseligen Inseln (1787) von Wilhelm Heinse und Das junge Europa (1. Teil, 1833) von Heinrich Laube. Infolge der Juli-Revolution von 1830 begeisterte Wagner sich für die Freiheits-Ideen des ‹Jungen Deutschland› und wandte sich gegen die verzopfte, biedermeierliche Scheinmoral der Reaktionszeit im Metternich-Europa. Freie Liebe und genialisches Leben waren nun die Devise, und so verließ er vor allem durch den Einfluss Laubes den – wie er selbst sagte – «grübelnden Ernst» und «pathetischen Mystizismus» der Feen-Welt und wendete sich dem leichten und heiteren italienisch-französischen Operngenre zu. Damit vollzog er auch eine musikalische Wendung: Hatte die romantische Märchenoper Die Feen noch deutlich nach ihren Vorbildern Mozart, Weber und Marschner geklungen, so war das Liebesverbot eine typische opera buffa, deren Komposition bewies, dass Wagner auch seinen Rossini oder Donizetti sehr genau studiert hatte. Er ließ sich von der nicht zustande gekommenen Aufführung der Feen also keineswegs verdrießen, denn schon im Sommer 1834 entstand der Prosaentwurf für die Oper Das Liebesverbot nach Shakespeares Maß für Maß.

Die Heldin des Werks, die junge Novizin Isabella aus Palermo geht zum Schein auf die erpresserische Nötigung des kalten und puritanischen Statthalters Friedrich ein, sich ihm zur Rettung ihres Bruders Claudio hinzugeben, den er eingesperrt und zum Tode verurteilt hat. Dieser Friedrich ist Deutscher und mit all den negativen Charaktereigenschaften ausgestattet, die die Deutschen angeblich kennzeichnen: Er ist stocknüchtern, pedantisch, berechnend und humorlos, doch verbirgt er hinter dieser Maske nur sein wahres Gesicht. In Wirklichkeit nämlichist er ein korrupter Lüstling und über die Maßen verführbar. Gerade darum aber verbietet er die Lustbarkeiten des Karnevals, zerstört die Wirtshäuser, kurz: Er unterbindet politisch alles, was Freude und das Leben lebenswert macht. Doch begehrt er Isabella, deren Gegenintrige auf einem Maskenball des subversiven Karnevals endet und im wahrsten Sinne des Wortes zur doppelten Demaskierung des Tyrannen führt. Nicht sie steht ihm nämlich bei dem verabredeten Rendezvous gegenüber, sondern seine Gattin Mariana, die er um seiner Karriere willen verstoßen hatte. Vor aller Welt wird er am Ende als triebhafter Spießer, amoralischer Ehebrecher und Übertreter...

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