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Der Erbe
Die Goldene Muschel mit der Perle: Palermo
einen Sie wirklich, Chevalley, Sie wären der erste, der hofft, Sizilien in den Fluss der Weltgeschichte hineinleiten zu können? Wer weiß, wie viele mohammedanische Imame, wie viele Ritter des normannischen Königs Roger, wie viele Gelehrte der Hohenstaufen, wie viele Barone der Anjou, wie viele Gesetzeskundige seiner Katholischen Majestät sich die gleiche schöne Tollheit ausgedacht haben, wie viele spanische Vizekönige, wie viele Reformationen planende Beamte des Neapolitaners Karls III.! Und wer weiß heute noch, wer sie waren?» Diese Sätze legte Giuseppe Tomasi di Lampedusa (1896–1957) in seinem Roman Il Gattopardo dem sizilianischen Fürsten von Salina als Antwort in den Mund, mit der dieser die drängende Bitte eines piemontesischen Abgesandten ablehnte, im nun vereinten Italien mitzuwirken. In dieser Szene umriss der Autor jedoch nicht nur prägnant die Hauptvertreter all der vielen äußeren Mächte, die Sizilien beherrschten und hier ihre Spuren hinterlassen haben. Er bettete zugleich Friedrich, den schillerndsten jener Herrscher der Insel, in eine lange Folge historischer Ereignisse ein.
Sizilien war schon immer ein heiß ersehntes und begehrtes, aber oft auch ein heiß umkämpftes Land gewesen. Zur Zeit Friedrichs II. blickte die Insel bereits auf eine lange Tradition von fremden Herrschern zurück; und das sollte sich auch in weiteren Jahrhunderten nicht ändern. Der berühmte, in Marokko geborene und auf der maurischen Universität zu Cordova ausgebildete arabische Geograph al-Idrisi (um 1100–1160), der später am Hof König Rogers II. wirkte, nannte Sizilien «das erste Land der Welt an Fruchtbarkeit des Bodens, Volkszahl und Alter der Kulturen». In diesem «ersten Land» öffnet sich an der nordwestlichen Küste eine langgestreckte Bucht, die sogenannte Conca d‘Oro – die goldene Muschel. In dieser Muschel liegt die wohl funkelndste Perle aus der Krone des Königreichs Siziliens: Palermo. Schon die Griechen nannten den Ort Pànormo, nämlich Ankerplatz für alle Schiffe bei jedem Wetter. Bei den Arabern hieß die Stadt dann Balarm. In der Zeit der Normannen konnte sich allein, so hieß es, die Kaiserstadt Konstantinopel am Bosporus an Reichtum und Schönheit mit ihr messen.[1]
In Palermo erhebt sich auf dem höchsten Punkt des leicht ansteigenden Geländes ein imposantes Gebäude und begrenzt nach Südwesten die alte Stadt: der Palazzo dei Normanni, der Normannenpalast. Zugleich auch starke Festung, das castrum superius, ruht er auf alten karthagischen Fundamenten, die man heute im Keller stellenweise noch sehen kann. In seinen Mauern birgt er zudem die Reste aus vielen Etappen seiner langen Geschichte. An dieser Stelle befand sich im 9. Jahrhundert die als al-Qasr bezeichnete Sommerresidenz des Emirs von Palermo. Als die Stadt dem Normannen Roger in die Hände fiel, machte er diesen Palast zu seiner Residenz und ließ ihn umbauen. Gewaltige Festungstürme entstanden, darunter die noch heute existierende Torre Pisana.
Große Aufmerksamkeit schenkten die neuen Herren der prachtvollen Ausschmückung. Einen Raum mit besonders schönen, byzantinisch anmutenden Mosaiken, der sich an ein Atrium anschloss, nutzte man oft als Speisezimmer. Alte persisch-sassanidische Jagdmotive bilden symmetrisch gespiegelt den kostbaren Dekor. Ebenso prachtvoll war die Palastkapelle San Pietro ausgeschmückt worden. Noch heute beeindruckt diese Capella Palatina durch den überwältigenden Bilderreichtum. Durch diesen geradezu märchenhaft anmutenden Palast streifte um das Jahr 1200 nach der Geburt Christi ein wissbegieriger Knabe und betrachtete die kostbar gearbeiteten Mosaiken. Vielleicht beeindruckten den späteren leidenschaftlichen Jäger besonders die Tierszenen im Speisezimmer neben dem Atrium. Vielleicht hat der Junge aber auch immer wieder voll Staunen in der Palastkapelle gestanden, die nun schon seit einem Menschenalter den prachtvollsten Raum des Palastes darstellte. Hier sah er in der Formen- und Farbwelt des alten Byzanz Christus Pantokrator, der die Worte verkündete: «Die Welt ist der Schemel meiner Füße.» Vielleicht regten ihn hier aber auch die verwegenen Abenteuer des Apostels Paulus an, der nach seiner Erleuchtung aus Damaskus floh und sich dabei in einem Weidenkorb von der Mauer abseilen ließ.
Orientalisches Palermo: Die Stadt, in der Friedrich seine Jugendjahre verbrachte, weist noch heute eine Reihe von Gebäuden auf, die orientalisch anmuten, wie etwa die Jagdschlösser La Cuba und La Zisa, San Cataldo, Santa Maria dell’Ammiraglio oder wie das hier abgebildete Kloster San Giovanni degli Eremiti. Es wurde unter König Roger II. zwischen 1130 und 1143 unter Verwendung eines arabischen Vorgängerbaus als erstes römisch-katholisches Kloster Siziliens errichtet.
Von den Fenstern des Palastes aus konnte der Knabe in nordöstlicher Richtung die quirlige Stadt mit ihren vielen Häusern, den halbrunden Steinkuppeln der Kirchen und Moscheen sowie den dazwischen wachsenden Palmen betrachten. Am Ende des städtischen Gewimmels erstreckte sich das azurblaue Mittelmeer und begrenzte die goldene Muschel. In südwestlicher Richtung, etwas außerhalb der Stadt, auf dem Weg in die Berge nach Monreale zu, konnte er vom Palast aus zwischen den Palmen kleine Sommerschlösser in Form von Steinwürfeln ausmachen. Seine Vorfahren hatten sie in einer Zeit errichten lassen, die man heute als fatimidisch-normannisch bezeichnet, weil sich arabisches Bauwissen mit christlichen Gestaltungselementen zu mischen begann. Eines der Schlösser heißt bis heute La Zisa, von arabisch aziz – glanzvoll. Der Auftrag zur Errichtung erging im Jahr 1165 von König Wilhelm I. Ein anderes, als La Cuba bezeichnetes Gebäude, wurde 1180 im Auftrag von König Wilhelm II. geschaffen. Der im 18. Jahrhundert als Kaserne völlig ruinierte Bau stand früher auf einer Insel inmitten eines künstlichen Sees, in dem es Süßwasserfische gegeben haben soll. Am oberen Gesims befand sich eine heute nicht mehr lesbare Inschrift in kufischen Lettern. Im 14. Jahrhundert haben die Geschichten über die prächtigen Gartenschlösser von Palermo den Dichter Giovanni Boccaccio (1313–1375) so sehr beeindruckt, dass er in seinem Hauptwerk, dem Decamerone, in der sechsten Novelle des fünften Tages das Schloss La Cuba zum Handlungsort einer Friedrich-Geschichte wählte. Neben diesen Gebäuden gab es eine Reihe anderer charmanter Verweilorte, die in eine geradezu paradiesisch anmutende Landschaft eingestreut waren. Verglichen mit den kalten Burgen des Nordens war das eine völlig andere Welt.
In Palermo gab es schon zu Friedrichs Jugendzeit eine Reihe von Bauten, deren Stil und Pracht mit ihrer Mischung aus arabischen, griechischen und normannischen Elementen noch heute tief beeindrucken. Aus ihnen ragen Kirchen hervor, deren Kuppeln an Bagdad erinnern und die doch voll von byzantinischem Gold waren, wie San Giovanni degli Eremiti, San Cataldo oder Santa Maria dell’Ammiraglio, die man auch La Martorana nennt. Am Ende der Stadt zum Meer hin existierte neben dem Palazzo Reale noch eine weitere bewohnbare Burg. Diese Befestigung namens Castello a Mare – zusammengezogen Castelamare – war ein für viele Seestädte typisches Wachkastell, das die Einfahrt in das Hafenbecken und damit den Zugang zur Stadt von See her sicherte. Davon ist heute allerdings nicht mehr viel zu sehen, weil man in den Jahren 1922 bis 1924 einen Großteil der Anlage abgerissen hat. Zusammen mit dem Normannenpalast war das Castello a Mare der Garant der Herrschaft über Palermo. Wer die Festung besaß, kontrollierte die Stadt. Diese architektonischen Meisterwerke verschiedener Kulturen, diese wie eine Märchenwelt des Orients anmutende Ansammlung von Bauten in ihrer west-östlichen Formenvielfalt bildeten die Lebenswelt des jungen Kaisersohns, von dessen Geburt nun die Rede sein soll.
Die Geburt des Herrschers 1194
Friedrich erblickte am 26. Dezember 1194 in einer kleinen Stadt namens Jesi in der Mark Ancona das Licht der Welt. Dass der spätere Kaiser hier geboren wurde, ist ein Zufall. Später wird der Herrscher, von der Idee des Messianischen angeweht, das Städtchen in einem Sendschreiben überhöhen. Die schwangere Kaiserin Konstanze hatte ihren Gemahl, Kaiser Heinrich VI., anfangs auf dessen zweitem Heerzug nach Sizilien begleitet, der im Mai 1194 seinen Anfang von der südwestdeutschen Burg Trifels aus nahm. In Mailand, dem Ort ihrer Hochzeit acht Jahre zuvor, feierten sie gemeinsam prachtvoll das Pfingstfest. Während Kaiser Heinrich kurz darauf auf dem Seeweg über Genua und Pisa, dabei Neapel und Salerno unterwerfend, nach Süden zog, wählte Konstanze den Landweg am Nordabhang des stellenweise hoch aufragenden Apenningebirges in südöstlicher Richtung. Sicher steckte ihr noch die Erfahrung des ersten Sizilienzuges in den Knochen: Abtrünnige Leute aus Salerno hatten damals die Kaiserin kurzerhand gefangengenommen. Was für eine Demütigung! Ein weiteres Risiko und die damit verbundene Aufregung wollte man bei einer Schwangeren in der noch unsicheren militärischen Lage im Königreich Sizilien auf keinen Fall eingehen.
Nur...