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Theresienstadt

Eine Geschichte von Täuschung und Vernichtung

AutorWolfgang Benz
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl282 Seiten
ISBN9783406645501
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Nirgendwo kam der Zynismus der Nationalsozialisten deutlicher zum Ausdruck als in Theresienstadt. Die Weltöffentlichkeit und die zur Deportation bestimmten Juden wurden planmäßig über den Zweck der Einrichtung getäuscht. Bis heute hält sich das Bild des privilegierten «Altersghettos», in dem vor allem musiziert und gemalt wurde. Wolfgang Benz zeichnet in diesem Buch erstmals ein Bild von Theresienstadt, das der Realität zwischen Hoffnung und Vernichtung, zwischen Illusion und Untergang nahe kommt. Die Nationalsozialisten sind mit ihren Lügen über Theresienstadt nicht erfolglos geblieben: In der Literatur findet man immer wieder Hinweise darauf, dass hier die Lebensbedingungen besser waren als in anderen Lagern, dass die Kinder und Jugendlichen in den Genuss von Schulbildung gekommen seien, nirgendwo fehlt der Verweis auf das kulturelle Leben im Ghetto. Dies alles gab es, doch wird dabei ein entscheidender Teil der Wirklichkeit ausgeblendet. Denn Theresienstadt war in das Programm der «Endlösung» eingebunden und von Hunger, Elend und einer hohen Sterblichkeit geprägt. Das Ghetto war hoffnungslos überfüllt und immer wieder gingen Transporte in die Vernichtungslager im Osten. Insgesamt wurden 141.000 Juden, vor allem aus der Tschechoslowakei, Deutschland und Österreich, nach Theresienstadt deportiert, nur 23.000 von ihnen überlebten den Holocaust.

Wolfgang Benz ist Prof. em. der Technischen Universität Berlin; er leitete bis März2011 das Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin.

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Leseprobe

Der schwierige Ort Theresienstadt –
einleitende Bemerkungen


Im böhmischen Paradies, umgeben von lieblicher Landschaft, sanfte Berge im Blick, inmitten der fruchtbaren Ebene an Elbe und Eger liegt eine Fahrstunde nördlich von Prag, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Leitmeritz und Lobositz, Theresienstadt. Die Kreisstadt Leitmeritz heißt seit 1945 wieder Litoměřice wie von 1919 bis 1939, der Nachbarort heißt Lovosice und Theresienstadt ist Terezin. Dem flüchtigen Besucher erschließt sich der Ort nicht. Man sieht ihn erst, wenn man darin ist, so haben es Festungsbaumeister Ende des 18. Jahrhunderts geplant.

Dass die spätbarocke Bastionärsfestung von 1941 bis 1945 als Ghetto für insgesamt 150.000 Juden im Zeichen nationalsozialistischer Rassenideologie und für den Vernichtungswahn deutscher Herrenmenschen genutzt wurde, sieht man dem Städtchen, das die längste Zeit seiner Existenz Garnison war, nicht an. Die benachbarte «Kleine Festung», die schon ab 1940 der Gestapo als Stätte der Verfolgung vor allem politischer Häftlinge diente, zeigt deutlichere Spuren und hat auch deshalb lange das Bild von Theresienstadt dominiert. Die Wahrnehmung wurde beherrscht von der Inanspruchnahme des Ortes durch politische Ideologie im Kalten Krieg, die nur eine Opfergruppe, tschechische Patrioten, zur Kenntnis nahm, am liebsten dann, wenn sie auch noch kommunistische Widerstandskämpfer waren. Juden (und gar Deutsche, die auf dem Weg ihrer Austreibung in Theresienstadt interniert waren) sind erst nach der Wende als Opfer deutscher Politik in Theresienstadt ins Bewusstsein getreten. Und die Leiden der Juden wurden im deutschen Publikum durch die stereotype Vorstellung verklärt, Theresienstadt sei ein bevorzugter Ort für deutsche Juden gewesen, für Prominente, für Künstler und Wissenschaftler. Entsprechend angenehmer als in anderen Orten erzwungenen Aufenthalts sei deshalb das Leben im Ghetto Theresienstadt gewesen, wurde vermutet. Theateraufführungen, Konzerte, Vorträge, Dichterlesungen hätten das Leben beherrscht. Die Wirklichkeit war aber – trotz der kulturellen Aktivitäten – furchtbar und nicht angenehmer als in anderen Lagern unter nationalsozialistischer Herrschaft.

Eine andere, nicht der Realität entsprechende Denkfigur bestimmt bis heute die Vorstellung von Theresienstadt, nämlich die, es sei vor allem Zwangsaufenthalt und Station des Untergangs deutscher (und österreichischer) Juden gewesen. Dass Theresienstadt längere Zeit der Leidensort tschechischer Juden war und diese unter den hier Internierten die Mehrheit stellten, steht zu dieser Vereinnahmung im Gegensatz. Eine weitere Denkformel hat frühzeitig Raum gegriffen: die Vorstellung eines überbürokratisierten, korrupten und selbstherrlichen jüdischen Apparats, der maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Menschen im Ghetto gehabt hätte. Das böse Wort von der «Strafhaft in Theresienstadt, verschärft durch jüdische Selbstverwaltung», ist so ungerecht wie wirkungsvoll und nachhaltig.

H. G. Adler, aus Prag stammender jüdischer Intellektueller und Literat, der mit seiner Darstellung «das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft» seit Ende der 1950er Jahre das Bild Theresienstadts prägt, hat diese Vorstellung befördert. Adler, 1910 geboren und in London 1988 als Privatgelehrter gestorben, war Häftling in Theresienstadt und dann in Auschwitz gewesen. Sein Buch ist das bedeutendste historiografische Werk über Theresienstadt. Angelegt als historische, soziologische und psychologische Studie, die ausschließlich wissenschaftlichen Standards verpflichtet ist und persönliches Erleben völlig ausklammert, ist sie aber doch nicht sine ira et studio geschrieben. Das war weder nach Temperament und Charakter des Autors noch der Zeit, wenige Jahre nach dem Holocaust, in der das Buch entstand, möglich und mindert den Wert der Darstellung nicht. Die Tendenz zur moralischen Bewertung der in der «Jüdischen Selbstverwaltung» Verantwortung Tragenden und die Neigung zu entschiedenem Urteil über Menschen und ihr Tun unter apokalyptischen Bedingungen charakterisiert allerdings Adlers Darstellung. Seither hat es keine neue Monografie über Theresienstadt gegeben.

Dieses Buch will nicht versuchen, Adlers Werk zu ersetzen. Seit der Wende, die auch in der Tschechoslowakei (bzw. dann in der Tschechischen Republik) Verkrustungen löste und Möglichkeiten der Forschung und des Gedenkens eröffnete, gibt es zahlreiche neue Erkenntnisse en detail, die das Bild Theresienstadts auch insgesamt verändern. Dieses darzustellen ist die Absicht des Buches. Vor allem will es aber den Menschen gerecht werden, die in Theresienstadt litten. Deshalb enthält die Darstellung neben dem durchgängigen Bemühen, die individuellen Dimensionen des Aufenthalts in Theresienstadt zu beschreiben, neun biografische Skizzen, die typische Schicksale, aber auch die Erfahrung Prominenter wie Leo Baeck oder Viktor Ullmann vor Augen führen.

Über die Verortung Theresienstadts in den Systemen der nationalsozialistischen Zwangslager und Haftstätten[1] herrscht – ohne Notwendigkeit – Unsicherheit. War der von den Nationalsozialisten abwechselnd als Prominentenghetto, Alterssitz für jüdische Patrioten und Honoratioren, als Vorzugslager, als «jüdisches Siedlungsgebiet» titulierte Zwangsaufenthalt erst tschechischer, dann deutscher und österreichischer, schließlich auch holländischer und dänischer Juden in Wirklichkeit ein KZ, dem nur dessen äußere Merkmale fehlten? Die Antwort ist einfach und schwierig zugleich. Theresienstadt war kein KZ, da es nicht der «Inspektion der Konzentrationslager» in Oranienburg bzw. dem SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt in Berlin unterstellt war. Weder das Ghetto in der Großen Festung ab Ende 1941 noch das «Gestapohaftlager» (oder «Polizeigefängnis») in der Kleinen Festung Theresienstadt, das schon im Juni 1940 eingerichtet worden war, gehörten zum NS-Terrorsystem, das unter der Chiffre KZ eine eigene Welt bildete. Die Kleine Festung wies sogar einige äußere Kennzeichen eines Konzentrationslagers auf wie die zynische Inschrift «Arbeit macht frei» am Eingang zum ersten Hof. Und die Existenzbedingungen waren im Ghetto ebenso wenig besser wie die Mortalität geringer als sie in einem Konzentrationslager gewesen ist. Aber die Strukturen des Zwangsaufenthalts der Juden in der böhmischen Festung waren nicht die eines Konzentrationslagers.

Formal und nach Befehlshierarchie unterstand die Kleine Festung als «Polizeigefängnis»[2] der Gestapo in Prag und das Ghetto in der Großen Festung war der «Zentralstelle für jüdische Auswanderung» in Prag, ebenfalls einer Behörde der SS, nachgeordnet. Die Zentralstelle hatte der Judenreferent des SD-Hauptamtes, Adolf Eichmann, am 26. Juli 1939 in Prag nach dem Vorbild einer von ihm im August 1938 in Wien gegründeten Dienststelle errichtet. Die Prager Einrichtung hatte als Instrument der Gestapo nur den Zweck, die Vertreibung der Juden aus der «Rest-Tschechoslowakei» zu organisieren. In Prag war Eichmanns Stellvertreter, SS-Sturmbannführer Hans Günther, Chef der Behörde, die der «Reichszentrale für jüdische Auswanderung» in Berlin unterstand. Das Berliner Büro schließlich war identisch mit dem Referat Eichmanns im Reichssicherheitshauptamt (RSHA), der Befehlszentrale des Holocaust. Aus dieser Ressortzugehörigkeit geht zweierlei hervor, nämlich erstens die Tatsache, dass kein Element des Komplexes Theresienstadt (Ghetto wie Gestapohaftlager) ein Konzentrationslager war und zweitens die Zuordnung zu und die Funktion Theresienstadts in der Maschinerie des Völkermords.

Das Ghetto Theresienstadt unterschied sich in vielem auch von den Ghettos, die unter nationalsozialistischem Rassenwahn zuerst auf polnischem Boden, dann in den baltischen Ländern, in Weißrussland, der Ukraine und anderen Regionen Osteuropas eingerichtet worden waren. Aber Theresienstadt unterschied sich in seinem Gefüge noch mehr von einem KZ wie Dachau, Sachsenhausen, Ravensbrück oder Auschwitz. Schwierig ist die Einordnung des Ghettos Theresienstadt deshalb, weil es mit der formalen Kategorisierung nach Kommandogewalt, Konstruktion oder Intention der Gefangensetzung nicht sein Bewenden haben kann. So hatte Theresienstadt nie den Zweck, politische oder weltanschauliche Gegner, Verweigerer oder Kritiker des Nationalsozialismus wie Kommunisten, «Asoziale», Zeugen Jehovas, katholische Priester, Pazifisten usw. zu verfolgen, wie sie in Buchenwald, Neuengamme oder Mauthausen einsaßen. Und Theresienstadt war auch kein Arbeitskräftereservoir der Rüstungsproduktion wie unzählige KZ-Außenlager im Zweiten Weltkrieg, um die beiden wesentlichen Motive zu benennen, aus denen Menschen zu KZ-Häftlingen gemacht wurden. Für die Deportationen nach Theresienstadt genügte ein einziger Grund, und zwar der, jüdisch zu sein.

Es geht auch, oder vor allem, um emotionale Dimensionen, wenn von der Verschleppung nach und der Einkerkerung in Theresienstadt gehandelt wird. Nicht nur haben die rund 150.000 Menschen, die dort gegen ihren Willen leben und vielfach auch sterben mussten, für die Theresienstadt Relaisstation des Holocaust war, das physische Elend in einer Form erfahren, die nicht steigerbar schien, die nur durch die...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel2
Zum Buch3
Über den Autor3
Impressum4
Inhalt5
Der schwierige Ort Theresienstadt – einleitende Bemerkungen7
1. Barocke Idealstadt im Zenit europäischer Festungsbaukunst15
2. Die kleine Festung: «Polizeigefängnis Theresienstadt»22
3. Anfänge: Transitlager für böhmische Juden28
4. Vom Ghetto für Privilegierte zum «Jüdischen Siedlungsgebiet»35
Der schwäbische Viehhändler im Privilegierten-Ghetto: Adolf Haarburger42
5. Kommandanten und Judenälteste45
Fünf Zigaretten in zweieinhalb Jahren: Die Wienerin Jo Singer58
6. Alltag im Ghetto65
Ein Blinder in Theresienstadt: Dr. Norbert Stern78
7. Zwangsarbeit in den Außenlagern84
8. Station auf dem Weg zur Vernichtung92
Unaufhaltbarer Niedergang: Das Honoratioren-Ehepaar Sigmund und Else Dormitzer96
9. Klagend an Babylons Flüssen? Kultur im Ghetto102
Komponist von Rang: Viktor Ullmann135
10. Religiöses Leben148
Der Rabbiner: Leo Baeck156
11. Kinder in Theresienstadt173
Die Angst einer Siebenjährigen: Edith Bär181
12. «Verschönerung» und Besuch vom Roten Kreuz186
13. Der «Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet»193
14. Das Ende198
«Erlebnisse einer deutschen Jüdin»: Beate Jacoby206
15. Nachnutzung: Das Internierungslager für Deutsche in der Kleinen Festung 1945–1948213
Ein düsteres Jahr in der Kleinen Festung: Sigrid Johns Erfahrungen 1945/46215
16. Mythos Theresienstadt: Das kulturelle Gedächtnis der Nachwelt220
17. Theresienstadt heute233
Anhang247
Anmerkungen249
Chronik von Theresienstadt/Terezin264
Literatur271
Bildnachweis276
Personenregister277
Karte282

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