Wie alles begann – das Wuppertal im Mittelalter
Die Anfänge der Besiedlung
Für die Römer waren die rechtsrheinischen Urwälder ohne Reiz. Da keine nennenswerten Spuren einer dauerhaften Besiedlung in den bergigen Regionen gefunden wurden, war die lange Zeit vorherrschende Auffassung diejenige, dass das Stadtgebiet erst im 8. Jahrhundert zögernd urbar gemacht und besiedelt wurde, vielleicht im Rahmen der Kriege Karls des Großen gegen die Sachsen. Diese drangen aus Nordosten in das Bergische Land vor, während die Franken aus dem Westen kamen. Auch im Bereich des heutigen Wuppertal trafen beide Siedlungsströme aufeinander, wie insbesondere die Ortsnamenforschung glaubt nachweisen zu können. So könnte etwa der „Mirkerbach“ (Markenbach, Grenzbach) in Elberfeld auf eine Grenzmarkierung hinweisen.
Das war der gesicherte Stand der Forschung bis vor kurzem. Im Jahre 2003 wurde allerdings eine archäologische Entdeckung gemacht, die die frühe Besiedlung in neuem Licht erscheinen lässt: In einer Baugrube wurden Keramikscherben gefunden, die aus einer Abfallgrube des 6. bis 4. vorchristlichen Jahrhunderts stammen. Die Funde geben überraschende Hinweise auf eine eisenzeitliche Besiedlung im Tal der mittleren Wupper, deren Bewohner von Ackerbau und Viehzucht lebten. Vermutlich kam ihnen dabei das Klima entgegen, das in jener Zeit wärmer und trockener war als nach Christi Geburt. Warum diese frühen Bewohner ihre Heimat verließen und das Land sich weitgehend entleerte – diese Frage kann noch nicht beantwortet werden.
Die ersten schriftlichen Zeugnisse für Wuppertal stammen aus dem hohen Mittelalter. Eine allerdings im 12. Jahrhundert gefälschte Urkunde bezeichnet Sonnborn im Westen Elberfelds als Oberhof des um 870 gegründeten Konvents Gerresheim, heute ein Stadtteil Düsseldorfs.
Die direkten Hinweise auf Elberfeld und Barmen sind einige Jahrhunderte jünger. 1161 wird in einem Schreiben eines Burchard, Notar des Kaisers Barbarossa, an den Abt von Siegburg ein „villicus“ von Elberfeld erwähnt, der offensichtlich eine „villa“, einen zentralen Hof oder Fronhof mit einer Reihe abgabepflichtiger Bauernsitze verwaltete. Der Fronhof Elberfeld und einige benachbarte Höfe wie Hilden, Schwelm und Hagen, ursprünglich wohl karolingisches Königsgut, sicherten den Zugang vom Rhein ins sächsische Gebiet nach Westfalen. Sie waren eine Tagesreise voneinander entfernt und lieferten dem König, später dem Erzbischof von Köln, in dessen Besitz sie übergingen, Unterkunft und Verpflegung bei der Reise nach Sachsen. Für sie ist deshalb der Begriff „Tafelhof“ gebräuchlich geworden. 1176 verpfändete Erzbischof Philipp von Heinsberg seine Tafelhöfe in Hilden und Elberfeld dem Grafen Engelbert von Berg. Dieser gab ihm dafür 400 Mark, vielleicht zur Anwerbung weiterer Truppen für Barbarossas Feldzüge in Oberitalien.
Der Name „Barmen“ taucht zuerst in einem Register, einer Abgabenliste der Abtei Werden an der Ruhr (bei Essen) von etwa 1070, auf. Das Kloster, bereits 799 gegründet und von Karl dem Großen und seinen Nachfolgern mit reichem Grundbesitz ausgestattet, hatte die Aufgabe, auch die Urbarmachung und Besiedlung des Barmer Raumes voranzutreiben. Dazu gehörten Gebiete zwischen Ruhr und Wupper, und die Abtei richtete neben anderen Höfen einen Hof „Barmen“ ein, der seine Abgaben an den Oberhof in Halver in Westfalen, südöstlich von Barmen gelegen, lieferte.
Elberfeld und Barmen im hohen Mittelalter
Folgen wir der Entwicklung beider Städte noch kurz. Zunächst zu Elberfeld. 1371 werden in einer Urkunde „wachszinsige“ Bauern erwähnt, Bauern also, die den im Mittelalter begehrten Rohstoff Wachs für Kerzen liefern und einen Laurentius- und einen Katharinenaltar versorgen mussten. Elberfeld hatte also eine Kirche mit dem Heiligen Laurentius als Schutzpatron. Dieser Märtyrer wurde der Legende nach am 10. August 258 in Rom auf einem Rost verbrannt. Die Verehrung des Heiligen verbreitete sich rasch, vor allem, als Kaiser Otto I. 955 die Ungarn auf dem Lechfeld am Todestag des Heiligen Laurentius besiegte. Zahlreiche nach der Schlacht errichtete Kirchen und Kapellen wurden jetzt dem Heiligen gewidmet. Auch die archäologischen Befunde unterstreichen, dass in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts in Elberfeld eine Kirche gebaut wurde und ein Kirchspiel entstand.
Die Kirche steigerte die Attraktivität des Hofes. Elberfeld mit seinem südlich gelegenen Annex Cronenberg entwickelte sich zum herrschaftlichen Sitz mit einer Burg. Es wurde von den Kölner Erzbischöfen immer wieder als Sicherheit bei Geldgeschäften verpfändet. Mit der Zeit war die rechtliche Bindung zu Köln brüchig geworden, und seit 1430 war die Herrschaft im Besitz der inzwischen vom Kaiser zu Herzögen erhobenen Grafen von Berg. Schon zehn Jahre zuvor war Elberfeld als „Freiheit“ bezeichnet worden. Das heißt, Burg und angrenzende Siedlung besaßen bereits bestimmte, allerdings nicht exakt umrissene Rechte, vielleicht die Freiheit von bestimmten Steuern, vielleicht auch ein geringes Maß an Selbstverwaltung, vielleicht sogar schon Marktrechte.
Und Cronenberg auf der Berghöhe im Süden der Freiheit blieb ebenfalls weiterhin mit Elberfeld eng verbunden. 1428 wurden die Einkünfte des Elberfelder Gutes Steinbeck dem Katharinenalter in der Elberfelder Laurentiuskirche und dem Vikar gestiftet, der an diesem Altar Gottesdienst feierte und die Cronenberger Bevölkerung geistlich versorgte. Im Zuge der Reformation wurde die Vikarstelle 1582 in eine vollwertige Pfarrstelle umgewandelt.
Der Hof Barmen begegnet uns wieder zu Beginn des 13. Jahrhunderts. 1203/04 verpfändeten die Grafen von Ravensberg (um Bielefeld), die inzwischen Barmen besaßen, diese „Grundherrschaft“ an die Grafen von Tecklenburg. Der Hof Barmen muss also in der Zwischenzeit zu einem Oberhof mit abhängigen Höfen herangewachsen sein. Wie er in den Besitz der Grafen von Ravensberg kam, ist unbekannt. Wenig später erscheinen die Ravensberger erneut als Besitzer Barmens. Sie richteten hier einen neuen Fronhofsverband mit einem Oberhof Wichlinghausen, heute ein Stadtteil Wuppertals, ein und ordneten ihm etliche Barmer Höfe zu. 1245 verkauften sie die Barmer Grundherrschaft, die weit weg von ihrem Kernbesitz um Bielefeld und Minden lag, an die Grafen von Berg.
Abb. 2 Die Burg der Grafen und späteren Herzöge von Berg, die im Spätmittelalter den Mittelpunkt ihrer Herrschaft nach Düsseldorf verlegten. Die Burg wurde im Dreißigjährigen Krieg schwer beschädigt und verfiel; 1887 begann der Wiederaufbau zu einer der größten Anlagen ihrer Art.
Die Grafen von Berg
Das Geschlecht dieser Grafen stammt mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem Gebiet zwischen Rhein und Erft, westlich von Köln. Im Rechtsrheinischen fasste es erst Fuß, als der Kölner Erzbischof Anno um 1050 die Machtstellung der lothringischen Pfalzgrafen südlich der Wupper erschütterte. Mit Unterstützung des Erzbischofs konnten die Grafen von Berg in das Gebiet zwischen Ruhr und Sieg eindringen und dort ihre Herrschaft ausbauen. Deren Grundlage war Lehnbesitz, den ihnen der Kölner Erzbischof verschafft hatte, dazu Forst- und Vogteirechte, Rodung, Pfandbesitz und Gerichtsrechte. Vor allem die Herrschaft über Rodungsbauern und die Kirchen- und Klostervogtei begründete ihren herrschaftlichen Status. Sie begannen, sich nach der um 1080 zum erstenmal erwähnten Burg an der Dhünn, einem rechtsrheinischen Flüsschen, zu nennen. Um 1100 sind sie kurzzeitig als Vögte der Abtei Werden nachweisbar, später erhielten sie die Vogtei über das von Erzbischof Anno gegründete Kloster Siegburg. Zeitweise waren sie ebenfalls Vögte von Kaiserswerth im Norden Düsseldorfs.
Sie drangen auch nach Westfalen vor und erwarben Rechte um Altena und Cappenberg (bei Dortmund). 1133 gründeten sie das rechtsrheinische Kloster Altenberg nordwestlich von Köln, eine Niederlassung der Zisterzienser. Es diente ihnen als Grablege und war beredter Ausdruck ihres gewachsenen Selbstbewusstseins.
Die Grafen von Berg konnten nicht alle Vogteien und Besitzrechte dauerhaft behalten, aber ihre Herrschaft zwischen Ruhr und Sieg allmählich ausbauen und ihr ein Zentrum in Burg an der unteren Wupper (heute ein Stadtteil von Solingen) geben. Nach dem Tod des bedeutenden Kölner Erzbischofs Engelbert 1225, der ein Angehöriger des bergischen Grafengeschlechts war, erbte der mit einer bergischen Tochter verheiratete Graf Heinrich von Limburg die Herrschaft. Jetzt verschärfte sich die Konkurrenz zum Erzstift Köln; sie gipfelte in der Schlacht von Worringen (nördlich von Köln) im Jahr 1288, in der die Truppen des Kölner Erzbischofs von bergischen Kräften, vornehmlich Bauern, dem Kontingent der Stadt Köln und anderen Gegnern des Erzstifts, zum Beispiel den Grafen von der Mark auf Burg Altena, vernichtend geschlagen wurden.
Danach gerieten die Grafen von Berg mit ihren im Osten benachbarten Verwandten, den Grafen von der Mark, aneinander. Dabei ging es auch um Besitz im Wuppertaler Grenzraum der beiden Grafschafen, also um Höfe und Bauern auf dem Territorium der jeweils anderen Grafschaft. Die Berger konnten sich dabei nicht immer durchsetzen, doch trugen ihre Konflikte mit den Grafen der Mark zur Entstehung einer definierbaren Grenze zwischen den beiden Territorien Berg und Mark bei.
Durch dynastische Verbindungen zu den Grafen (später Herzögen) von Jülich und Kleve und zu anderen lokalen Adelsfamilien, aber auch durch den Erwerb anderer Herrschaften und durch den inneren Ausbau und die Intensivierung ihrer Herrschaft entwickelte sich die Grafschaft Berg zu einer der mächtigsten Herrschaften am Niederrhein. Dieser Entwicklung trug...