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E-Book

Charles Dickens' Leben

Vollständige Ausgabe

AutorJohn Forster
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl1220 Seiten
ISBN9783849629922
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
John Forster war nicht nur ein Kritiker und Biograph des großen englischen Autors Charles Dickens, sondern auch sein Freund. Seine Lebensbeschreibung ist so umfassend wie möglich und so privat wie es ein Bild des Autors nur sein kann. Wer sich für den Schöpfer von Uncle Scrooge interessiert kommt hier nicht vorbei.

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Leseprobe

 


Schultage und Eintritt ins Leben.
1824–1830.

 

Wie diese seltsamen Erfahrungen seines Knabenalters ihn später beeinflußten, muß seine Lebensgeschichte zeigen: aber es waren Einflüsse, die sich auch auf seinem Wege ins Mannesalter fühlbar machten.

 

Was er sofort aus der Demüthigung, die einen so tiefen Eindruck auf ihn hervorgebracht, freilich ohne daß er sich dessen wohl ganz bewußt war, mit herausnahm, war eine natürliche Furcht vor den Drangsalen, die ihm noch vorbehalten sein möchten, geschärft durch das, was er bereits erlebt hatte, und dieses in seinen Wirkungen vorläufig erst unvollkommen verstandene Gefühl wurde allmälig zu einem leidenschaftlichen Entschluß, auch wenn er den Umständen nachgab, nicht das zu sein, was die Umstände sich verschworen aus ihm zu machen. Er konnte damals noch nicht wissen, was Alles in den von ihm erduldeten Leiden und Demüthigungen einbegriffen war; aber später, wie wir sehen, war es klar genug und in Unterhaltungen mit mir, nachdem die Enthüllung stattgefunden, fand er oft an den entgegengesetztesten Punkten seines Lebens eine Erklärung seiner selbst in jenen frühen Prüfungen. Er verdankte ihnen viel Gutes – doch nicht ohne Beimischung. Die feste und eifrige Entschlossenheit, die rastlose und unüberwindliche Energie, durch die er in den Stand gesetzt wurde, sich vielen niedrigen Einflüssen zu entziehen, nicht indem er die Bahn der Pflicht verließ, sondern indem er sich kühn zu der innerhalb derselben erreichbaren Vortrefflichkeit oder Auszeichnung erhob, brachte neben manchen edeln Vortheilen auch manche Nachtheile mit sich. Er wußte dies selbst, wenn auch nicht in vollem Umfange. Was ihn in Gesellschaft oft unbehaglich, scheu und übertrieben empfindlich machte, wußte er; aber der ganzen Gefahr, der er sich aussetzte, indem er dies Gefühl überwand und bemeisterte, war er sich nicht bewußt. Ein zu großes Selbstvertrauen, ein Gefühl, daß Alles möglich sei für den Willen, der es möglich machen wolle, legte ihm mitunter selbstgewählte Lasten auf, die Keiner mit Sicherheit tragen konnte. Nach dieser Richtung war zu solchen Zeiten sogar etwas Hartes und Aggressives in ihm; in seinen Entschließungen Etwas, das fast wie Wildheit klang, Etwas in seiner Natur, das seine Entschlüsse unüberwindlich machte, so übereilt auch die Ansichten sein mochten, unter deren Einfluß er sie gefaßt hatte. Diese Aeußerungen waren jedoch so selten und übten auf einen Charakter, der zu allen Zeiten eben so offen und edel als feurig und ungestüm war, so wenig eine nachtheilige Wirkung aus, daß sie mir nur gegen das Ende der mittleren Zeit einer Freundschaft, welche ohne die Unterbrechung eines einzigen Tages dreiunddreißig Jahre lang dauerte, mehrere Male in ungünstiger Weise entgegentraten. Aber sie waren da, und wenn ich in solchen Momenten eine strenge und selbst kalte Abschließung des Selbstvertrauens mit einer fast weiblichen Empfindlichkeit und der verlangenden Sehnsucht nach Sympathie seltsam vereinigt sah, schien es mir, als wäre sein gewöhnlicher Drang nach allem Guten und Edlen augenblicklich in der plötzlichen, harten und unerbittlichen Empfindung dessen untergegangen, was das Schicksal ihm in jenen frühen Jahren bereitet. In der That wurde mir dies bei mehr als einer Gelegenheit bestätigt. »Ich muß dich bitten,« schrieb er mir im Juni 1862, »einen Augenblick still zu stehen und zu dem zurückzukehren, was Du von den Tagen meiner Kindheit weißt, und Dich zu fragen, ob es nicht natürlich ist, daß etwas von der Sinnesweise, welche damals in mir entstand und sich unter glücklicheren Verhältnissen verlor, während der letzten fünf Jahre wieder aufgetaucht ist. Das nie zu vergessende Elend jener Tage brachte eine gewisse scheue Empfindlichkeit in einem gewissen schlecht gekleideten, schlecht genährten Kinde hervor, die mir in dem nie zu vergessenden Elend dieser späteren Zeit wieder zurückgekehrt ist.«

 

Ein Gutes ohne Beimischung blieb ihm jedoch, das noch einfach erwähnt werden muß, ehe wir unsere Erzählung wieder aufnehmen. Die Geschichte der Leiden seiner Kindheit hat selbst hinreichend bewiesen, daß er in dem ganzen Verlaufe derselben nie die kostbare Gabe eines aufgeweckten Sinnes oder seine angeborene Fähigkeit des Humors einbüßte, und was er ertrug gewährte ihm auch einen positiven Gewinn, der ebenfalls reich und dauernd war. Auf das, was beim Beginn jener Leiden und Prüfungen seinem Genie die entscheidende Richtung verlieh, habe ich bereits ausdrücklich hingewiesen, und in Bezug auf das was folgte, muß hier bemerkt werden, daß die Erfahrungen seiner Kindheit ihn mit den Armen und Nothleidenden, aus deren Leiden und Kämpfen und den dadurch erzeugten Lastern und Tugenden ihm nicht die geringsten seiner glänzenden Erfolge erwuchsen, thatsächlich vereinigt hatten. Es waren nicht seine Schützlinge, deren Sache er mit so viel Pathos und Humor vertrat und für die er das Gelächter und die Thränen der ganzen Welt gewann, sondern es war gewissermaßen sein eigenstes Selbst. Auch war es kein geringer Theil dieses offenbaren Gewinns, daß er seine Erfahrungen als Kind und nicht als Mann durchmachte, daß nur das Gute, die Blume und die Frucht davon ihm zu Theil wurden und daß nichts von dem Uebel, von der Erde, in welcher der Samen gepflanzt war, an ihm haften blieb.

 

Sein nächster Schritt im Leben kann ebenfalls in seinen eigenen Worten beschrieben werden. »Ein Mr. Jones, ein Walliser, hielt eine Schule in Hampstead-Road, wohin mein Vater mich schickte, um einen Prospektus mit den Preisen zu holen. Die Jungen waren gerade beim Essen und Mr. Jones war in einem Paar leinener Halbärmel mit dem Vorschneiden beschäftigt, als ich mich dieses Auftrages entledigte. Er kam heraus und gab mir was ich wünschte; und hoffte, ich würde sein Schüler werden. Ich wurde sein Schüler. Um sieben Uhr eines Morgens, sehr bald nachher, trat ich als Tagschüler in Mr. Jones‹ Institut, das in Mornington Place lag und dessen Schulzimmer abgerissen wurde, als man die Eisenbahn nach Birmingham durch diesen Stadttheil führte. Damals jedoch war das Schulzimmer weder durch Eisenbahn-Directoren noch durch Ingenieure bedroht und über der Thür befand sich ein Schild, geziert mit den Worten: Wellington House Academy

 

In der »Akademie« in Wellington-Haus blieb er fast zwei Jahre, denn er war etwas über 14 Jahre alt als er sie verließ. Sowohl in seinen kleinern Schriften als in »David Copperfield« finden sich allgemeine Andeutungen darüber, und unter den aus den »Household Words« gesammelten Artikeln ist einer der ganz besonders den Zweck hat, sie zu beschreiben. Gegen den Bericht, den er darin über sich selbst giebt, als sei er fortgeschritten genug gewesen, um (so treu hatte sein Gedächtniß die traurigen Bruchstücke seines frühen Unterrichts bewahrt) bei seinem Eintritt in die Schule in die Klasse zu kommen, die den Virgil übersetzte; in Bezug auf die Preise, die er davon getragen und den Umstand, daß er die hervorragende Stellung des »Ersten« in der Schule errungen, hat einer seiner zwei Schulkameraden, mit denen ich die Sache erörtert habe, Einwände erhoben; aber Beide geben zu, daß der allgemeine Charakter der Schule mit wunderbarer Treue zur Anschauung kommt, ganz besonders in denjenigen Beziehungen, in welchen die Schule weit bemerkenswerther gewesen zu sein scheint als hinsichtlich der Gelehrsamkeit ihrer Schüler.

 

In dem erwähnten Artikel beschreibt Dickens sie als bemerkenswerth wegen ihrer weißen Mäuse. Er sagt, daß die Jungen sich Bluthänflinge, Flachsfinken und selbst Kanarienvögel in ihren Pulten, Schiebladen, Hutkasten und andern sonderbaren Zufluchtsörtern für Vögel hielten, daß aber weiße Mäuse die Hauptthiere waren und daß die Jungen die Mäuse viel besser unterrichteten als der Lehrer die Jungen. Er erinnerte sich besonders einer weißen Maus, die in dem Deckel eines lateinischen Wörterbuchs wohnte, Leitern hinauflief, zinnerne Wagen zog, Gewehre schulterte, Räder drehte und sich sogar auf der Bühne als »Hund von Montargis« Titel einer Posse. – D. Uebers. sehr gut ausnahm, die es zu noch mehr hätte bringen können, wenn sie nicht das Unglück gehabt hätte, ihren Weg in einem Triumphzuge nach dem Capitol zu verfehlen, wo sie in ein tiefes Dintenfaß fiel, schwarz gefärbt wurde und ertrank.

 

Nichtsdestoweniger erwähnt er, daß die Schule einer gewissen Berühmtheit in der Nachbarschaft genossen, obgleich Niemand sagen konnte, weshalb; und fügt hinzu, die Jungen seien der Ansicht gewesen, daß der Principal Nichts wisse und einer der Hülfslehrer Alles. »Wir sind noch geneigt, die erstere Annahme für vollkommen richtig zu halten. Im vorigen Sommer sahen wir uns den Ort wieder an und fanden, daß die Eisenbahn ihn ganz in Stücke zerschnitten hatte. Ein breiter Schienenweg hatte den Schulplatz verschlungen, das Schulzimmer und die Ecke des Hauses abgeschnitten. So in seinen Verhältnissen beschränkt, mit grünangelaufenem Stuck bedeckt, stellte es sich, mit dem Profil gegen die Straße gekehrt, wie ein verlornes aufrecht stehendes Flacheisen ohne Griff dar.«

 

Einer, der ihn in jenen frühen Tagen kannte, Mr. Owen P. Thomas, schreibt mir wie folgt (Febr. 1871): »Ich hatte die Ehre, zwei Jahre (1824–26) Dickens' Schulkamerad zu sein, in Mr. Jones' ›Classischer und Commercieller Akademie‹, wie damals an dem Hause angeschrieben stand, das...

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