Nachdem erörtert wurde, welches Organ Internal Investigations beauftragen kann, muss nachfolgend gefragt werden, wie weit die Maßnahmen führen können und wo die Grenzen der Untersuchungen zu finden sind.
Die Grenzen der Zulässigkeit interner Untersuchungsmaßnahmen zieht jedenfalls das materielle, somit insbesondere das StGB, das prozessuale Recht sowie strafrechtliche Nebengesetze, das Datenschutzgesetz und das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder die allgemeine Handlungsfreiheit, die von den individuellen Eingriffsmaßnahmen der privaten Untersuchungen tangiert werden können.
Der Begriff der unternehmensinternen Untersuchung ist ein weiter, auch etwas unbestimmter Begriff. Von einem informellen Gespräch mit einem einzelnen Mitarbeiter bis hin zur groß angelegten konzernweiten Untersuchung mit Befragung ganzer Abteilungen kann vieles unter diesem Begriff gefasst werden. Nachfolgend wird jedoch nur auf das Interview und die datenrechtliche Erhebung (Datenscreening) eingegangen, da diese -neben anderen- in der Praxis wesentliche Ermittlungshandlungen von Compliance sind. [66]
(1) Kompetenzen im Rahmen von Interviews und ihr Umfang
Im Rahmen von Untersuchungshandlungen mithilfe von Interviews wird sehr häufig der Begriff „Interne Audit“ verwendet. Als Audit bezeichnet man interne Untersuchungsverfahren, die i. d. R. in Form von (vertraulichen) Interviews durchgeführt werden und dazu dienen, Sachverhalte aufzuklären oder Vorgänge und Personen zu bewerten. Das Interview bildet neben der Sichtung von Dokumenten die zentrale Erkenntnisquelle. Der Fachtermini „Interview“ für eine Vernehmung kann hier durchaus verwendet werden, wobei Unterschiede im Hinblick der Rechtsfolge in Betracht kommen. Die Grundstruktur der Vernehmung ist für den Straf- sowie den Zivilprozess gesetzlich festgeschrieben (§ 69 I StPO und § 396 I ZPO), wobei der Begriff des Interviews expressis verbis an keiner Stelle der StPO oder in der ZPO näher erläutert wird.
a) Kompetenz
Die Kompetenzen zur Durchführung von Interviews werden durch die Rechtsstellung des Auftraggebers vermittelt und begrenzt, da der Compliance-Berater in dessen Rechtskreis tätig wird. Da nach den gesellschaftsrechtlichen und arbeitsrechtlichen Vorgaben eine Berechtigung zur Vertretung des Unternehmens nur im Aufgabenkreis des jeweiligen Organs (Vorstand: §§ 76, 78, 82 AktG; Aufsichtsrat: §§ 111, 112, 170 AktG; Aktionäre/Hauptversammlung: §§ 131, 145 AktG) oder eines anderen Unternehmensvertreters möglich ist, wird dadurch auch die Stellung des Compliance-Beraters begrenzt.
b) Umfang
Die dem Compliance-Berater erteilte Vollmacht kann nur soweit gehen, wie die Vertretungsmacht des Unternehmensvertreters reicht. Ein Arbeitgeber darf grundsätzlich alle im Arbeits- und Betriebsverfassungsrecht erlaubten Mittel anwenden, um an Informationen, die im Zusammenhang mit seiner konkreten Verrichtung stehen, zu gelangen.[67] Denn der Status des Mitarbeiters kommt dem Status eines „Wissensträgers“[68] gleich, der wesentliche Informationen bieten kann. Lediglich verfassungsrechtlich garantierte Schutzrechte des Arbeitnehmers (bspw. das Folterverbot oder andere elementare Menschenrechte) begrenzen die Mittelauswahl.[69] Der Compliance-Berater hat im Rahmen des Interviews in keinem Fall Ermittlungskompetenzen der Staatsanwaltschaft oder anderer Ermittlungsbehörden. Externe Ermittler dürfen daher in Interviewsituationen nie den Eindruck erwecken, sie würden amtliche Aufgaben wahrnehmen.
Dagegen ist die Befragung gegen Bezahlung oder gegen Gewährung anderer Vorteile nicht per se unlauter, wirft aber einen Blick auf die Motivation der Teilnehmer und kann die Objektivität der Interviewergebnisse infrage stellen. Mit der allgemein für zulässig und gerichtsverwertbar gehaltenen Informationsbeschaffung durch Detektive, Auskunftsdateien und andere Informationsquellen ist es nicht selten, dass ein offen oder anonym auftretender Informant für angebotene Informationen, die von entscheidender Bedeutung in einem Fall sein können, Geld verlangt. Entscheidend ist die Vollständigkeit, Echtheit und Aussagekraft der Information. Der Einsatz von Geld und anderen Vorteilen für die Beschaffung von Beweismaterial hat jedoch Grenzen. Zwar kann ein Verhalten zur Erlangung von Beweisen („Schmieren“) nicht nach §§ 299 ff. StGB beurteilt werden, weil der Erlangung von Informationen in der Internal Investigation keine Wettbewerbsabsicht zugrunde liegt. Bei der Vereinbarung eines Erfolgshonorars für den Fall, dass der Befragte auf eine Verfahrenssituation einwirkt, sind allerdings aus Sicht des Verfassers die Grenzen erreicht.
(2) Mögliche Belehrungs(„pflicht“) des Mitarbeiters
Bevor das Interview beginnt, stellt sich gerade wegen des weiten Umfangs die Frage, über welche Rechte der Mitarbeiter zu belehren ist. Weiterhin ist zu erörtern, wann und wie eine Belehrung zu erfolgen hat. Diese Frage wird der Berater vor allem unter Effizienzgesichtspunkten beantworten. Die angestrebte Effizienz der Befragung darf jedoch nicht dazu führen, dass auf eine Belehrung in Gänze verzichtet wird, um Zeit zu gewinnen und einen Ermittlungsvorteil zu erhalten. Dabei sollte man Zweierlei bedenken:
- Eine Belehrung über Rechte kann das Vertrauen des Informationsträgers in den Fragesteller stärken und damit zu einem besseren Ergebnis beitragen.
- Eine gute Untersuchung folgt neben der Effizienz auch den Grundsätzen der Legalität, Objektivität und Neutralität.
Betrachtet man einen strafrechtlichen Sachverhalte, den es zu ermitteln gilt, wäre es auch nach der BRAK[70] empfehlenswert, den Mitarbeiter darüber zu belehren, dass Aufzeichnungen der Befragung gegebenenfalls an Behörden weitergegeben werden und dort zu seinem Nachteil verwertet werden können und dass aus Fairnessgründen auch ein anwaltlicher Beistand (Anwalt seiner Wahl[71] und seines Vertrauens) hinzugezogen werden könnte, was jedoch rechtlich keine Pflicht ist.[72] Dies gelte gerade dann, wenn im Vorfeld eine Verdachtskündigung ansteht.[73] Neben einer Verdachtskündigung kann dem Mitarbeiter auch eine „Druckkündigung“ durch den Arbeitgeber ausgesprochen werden, die ein Dritter verlangt.[74]
Bei Anhörungen im Rahmen sog. Amnestieprogramme soll der Mitarbeiter zusätzlich darüber belehrt werden, dass das Unternehmen keine strafrechtliche Amnestie gewähren kann. Diesbezüglich steht allerdings die Einleitung eines Strafverfahrens nicht zur Disposition der Unternehmensleitung, weshalb i. d. R. lediglich die Zusage gemacht wird, von einem Strafantrag abzusehen.
Abgesehen von den o. g. Argumenten, könnte eine Belehrungspflicht aus der StPO § 136 I S. 2 StPO entnommen werden. Dies setzt aber zunächst voraus, dass eine amtliche Vernehmung, wie es der § 136 I S. 2 StPO fordert, vorliegen muss.
Der Große Strafsenat[75] nimmt einen engen, formellen Vernehmungsbegriff an. Kennzeichen der Vernehmung ist es danach, dass der Vernehmende der Auskunftsperson, also dem Beschuldigten, dem Zeugen oder dem Sachverständigen in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft eine Auskunft, eine „Aussage“ verlangt.[76] Gegenüber diesem formellen Vernehmungsbegriff wird verschiedentlich ein weiter, ein materieller Vernehmungsbegriff vertreten, der jede amtliche Herbeiführung einer Aussage erfassen soll.[77] Es ist jedoch offensichtlich, dass bei Internal Investigation keine formelle (mangels Mitwirkung von Ermittlungsbeamten) und nur gegebenenfalls eine materielle Vernehmung gegeben sein wird, wenn sie im Auftrag einer Strafverfolgungsbehörde handeln.[78]
Der materielle Begriff führe jedoch zu einer Anwendung des § 136 I S. 2 StPO, wobei der Große Strafsenat zu Recht dagegenhält, wenn jemand ohne Zwang gegenüber Privatpersonen sich selbst belastet, müsse[79] er das Risiko, dass eine Äußerung weitergegeben wird, selbst tragen und daher § 136a StPO nicht vorliegt.[80] Diese Konsequenz spielt im Rahmen der Beweisverwertung eine wesentliche Rolle, auf die später eingegangen wird. Es ist daher der stringente Vernehmungsbegriff anzuwenden, sodass § 136 I S. 2 StPO nicht auf private Ermittler anwendbar ist, solange diese nicht von den Strafverfolgungsbehörden instrumentalisiert wurden. Es wäre jedoch wünschenswert, wenn sich aufgrund von Fairnesserwägungen die Berater an den Vorgaben der BRAK orientieren würden.
Die gesetzlichen Vorgaben des Datenschutzes stellen oftmals einen wesentlichen Aspekt rechtlich zulässiger interner Untersuchungen...