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Die Naturauffassung bei Ludwig Feuerbach

Die Autonomie der Natur als Leitfaden seiner kritischen Philosophie

AutorEduardo Ferreira Chagas
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl303 Seiten
ISBN9783656544272
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis35,99 EUR
Doktorarbeit / Dissertation aus dem Jahr 2013 im Fachbereich Philosophie - Philosophie des 19. Jahrhunderts, Universität Kassel (Instituts für Philosophie), Veranstaltung: Philosophie, Sprache: Deutsch, Abstract: Die vorliegende Arbeit unternimmt den Versuch, das Denken Feuerbachs mittels des Postulats der Naturautonomie zu rekonstruieren. Eben deswegen hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, die Entwicklung, den Wandel und die Relevanz dieses Postulats innerhalb seiner Philosophie aufzuzeigen. Es wird die Hypothese aufgestellt, dass Feuerbachs Reflexion auf die selbständige, unabhängig vom menschlichen Bewusstsein existierende Natur als Korrektiv der Religion und der spekulativen Philosophie gelten kann, denn beide sind in Bezug auf die Natur defizitär. Theismus und Idealismus verkennen vollständig die Unabhängigkeit der Natur, weil sie sich die Natur entweder lediglich als Werk eines Schöpfers oder als bloße Entfaltung der Tätigkeit des Geistes vorstellen. Feuerbach lehnt sowohl den Theismus als auch den Idealismus ab, und macht gegenüber beiden Positionen geltend, dass die Natur das Original, das Unabgeleitete, das Objektive, das Notwendige bzw. das aus sich alles Hervorbringende ist, und darum kann sie weder als göttlich, noch als menschlich verstanden werden; sie existiert vielmehr aus sich heraus und hat ihren Sinn nur in sich selbst, d.h. sie ist sie selbst, hinter ihr verbirgt sich kein mystisches Wesen. Diese Naturauffassung Feuerbachs zieht sich gewissermaßen als 'roter Faden' durch seine ganze Philosophie und liefert nicht nur den Grund seiner Kritik am Theismus und Idealismus, sondern später auch die materielle Basis seiner Ethik.

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EINLEITUNG

Philosophierens betrachtet werden. Eben deswegen hat diese Arbeit es sich zur Aufgabe gemacht, aufzuzeigen, wie Feuerbach seinen Naturbegriff von den deißiger Jahren (des 19.Jhds.) bis hin zu den späteren Schriften entwickelt hat und welche Funktion und Relevanz ihm innerhalb seiner Philosophie zukommt.

Die Naturauffassung Feuerbachs bildet den Schwerpunkt seiner Philosophie und ist daher nicht leicht zu erschließen; sie wurde im Rahmen der Feuerbachforschung fast ausschließlich im Zusammenhang mit seiner Anthropologie und philosophischen Religionskritik behandelt und zunächst auf die Natur des Menschen reduziert. Gerade hinsichtlich der eben genannten Defizite aller bisherigen Forschungsansätze, möchte diese Arbeit nachfolgend aufzeigen, welche Bedeutung Feuerbach der Natur an sich tatsächlich zuschreibt, auch wenn er sich in seinen frühen Schriften nur ganz allgemein über die Natur äußert, sich in seiner Religionskritik zunächst nur mit der menschlichen Gattung beschäftigt und erst später, unsystematisch, über die Natur reflektiert hat. Grundsätzlich ließe sich fragen: Warum interessiert sich Feuerbach als Religionskritiker überhaupt für die Natur? Was versteht er unter Natur und was bedeutet sie für ihn? Existiert für ihn eine Natur unabhängig von und außerhalb des Verstandes oder der menschlichen Natur? Wie gestaltet sich bei ihm das Verhältnis zwischen Mensch und Natur? Wie verhält sich der Mensch zur Natur? Welchen Platz weist er dem Menschen innerhalb der Natur zu? Wie versteht er den Unterschied zwischen dem Menschen und dem Tier? Von diesen Fragestellungen ausgehend, werde ich in dieser Arbeit den Naturbegriff Feuerbachs entwickeln und erläutern. Obwohl Feuerbach eine vollständige Ausformulierung seiner Naturauffassung als Ganzes leider nicht unternommen hat, d.h. keine explizite und geschlossene Naturphilosophie hinterlassen und auch keine ausführlichen und systematischen Schriften über die Natur verfasst hat, gibt es in seinem Werk dennoch, an verschiedenen Stellen, eine Reihe von Aphorismen, Epigrammen, Definitionen, philosophischen Überlegungen über die Natur. So wird der Naturbegriff von Feuerbach in seinem Werk zwar nur auf eine „fragmentarische“ Weise entfaltet, steht aber trotzdem im Mittelpunkt seiner Philosophie. Die Entwicklung dieses Begriffs zieht sich gewissermaßen als „roter Faden“ durch das gesamte Werk Feuerbachs, eröffnet einen Zugang zu seiner Philosophie und erlaubt es, sie „systematisch“ zu betrachten. In dieser Arbeit soll gezeigt werden, dass das Fehlen einer Systematisierung bzw. einer Präzisierung oder einer klaren Position hinsichtlich des Naturbegriffs bei Feuerbach darin begründet liegt, dass das zentrale Anliegen der

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Feuerbachschen Philosophie die Kritik am Theismus (vor allem am Christentum) und am Idealismus (speziell der Philosophie Hegels) war, die beide in Bezug auf die Natur defizitär sind, da sie die Naturbetrachtung vernachlässigen. Dass es Feuerbach an einer dezidierten, explizit formulierten Reflexion über die Natur mangelt, kann daher zunächst als Ausdruck des Fehlens einer Thematisierung der Natur im Theismus und im Idealismus überhaupt verstanden werden. Unter Berücksichtigung dieser Problematik soll deshalb hier primär die These begründet werden, dass die Natur bei Feuerbach den Primat vor dem Geist besitzt. Im Verlauf dieser Arbeit wird sich zeigen, dass für ihn die materielle, ausserhalb und unabhängig vom Denken existierende Natur in ihrer qualitativen Verschiedenheit gegenüber dem Geist das Primäre, das Ursprüngliche ist. Die Natur - verstanden als eine Ganzheit, als eine organische Einheit, als Harmonie der Ursachen und Wirkungen, als notwendige Voraussetzung für alle Dinge, Erscheinungen und Kreaturen, Pflanzen und Tiere, inklusive der menschlichen Natur - liefert Feuerbach somit den Grund seiner Kritik am Theismus und Idealismus. Feuerbach stellt demgemäß die Natur als primäre Daseinsstruktur wieder her und setzt ihr gegenüber den Verstand als etwas Sekundäres. So verstanden stellt die Natur also das Motiv seiner Konfrontation mit Theismus und Idealismus dar, denn beide verkennen vollständig die Selbständigkeit und die Unabhängigkeit der Natur, weil sie diese entweder lediglich als Werk eines Schöpfers oder als bloße Entäußerung des Geistes begreifen. In beiden Systemen wird die Natur somit nicht als ein unabhängiges, autonomes Dasein betrachtet, sondern nur als eine abhängige, in sich selbst inkonsistente Größe deduziert. Mittels eines Naturverständnisses, das auf den der Natur immanenten Charakteristika - Unmittelbarkeit, Selbständigkeit, Gesetzmäßigkeit, Notwendigkeit, Kausalität, Bewegung - beruht, wird Feuerbach seine Kritik am Theismus und Idealismus formulieren und später auch seine eigene Ethik untermauen.

Obwohl es bei Feuerbach keine einheitliche und wohl auch keine eindeutige Naturauffassung gibt, lässt sich doch folgendes konstatieren: Der Hinweis auf die Selbständigkeit der Natur ist der Kern der Feuerbachshen Reaktion gegen Theismus und Idealismus, die sich in drei verschiedenen Entwicklungsstadien entfaltet: 1. als kritische Annäherung an den Pantheismus (Identität der Natur mit Gott), 2. als direkte Ablehnung der christlichen Theologie und der Hegelschen Philosophie (Natur als Schöpfung Gottes oder als Deduktion des Geistes) und 3. als partielle Kritik an der Naturreligion (Anthropomorphisierung oder Personifizierung der Natur). Deswegen konzentriere ich

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mich zuerst auf die Frühschriften der 20-er und 30-er Jahre, insbesondere De Ratione una, universali und infinita (Über die Vernunft) (1828), Gedanken über Tod und Unsterblichkeit (1830), Einleitung in die Logik und Metaphysik (1829-30), Geschichte der neueren Philosophie (1835-36) und Darstellung, Entwicklung und Kritik der Leibnizschen Philosophie (1837), in denen Feuerbach die Natur von einem pantheistischen Standpunkt aus betrachtet. Ausgehend von einem Pantheismus, der sich besonders an Giordano Bruno, Jakob Böhme und Baruch Spinoza orientiert, versucht er schon hier gegenüber der Abwertung der Natur durch die christliche Religion und in Opposition zur in der Hegelschen Philosophie postulierten formalen Identität von Denken und Sein, eine Versöhnung zwischen Natur und Denken, Materie und Geist herzustellen. Im Pantheismus sieht Feuerbach die Versöhnung von Natur und Geist (Gott) und zugleich die Überwindung des Subjektivismus und der Persönlichkeit Gottes (eines tranzendenten Gottes), und darum markiert er seiner Ansicht nach die Lösung der fundamentalen philosophischen Probleme. Weder Christentum noch Idealismus können diese Probleme Feuerbach zufolge angemessen lösen, weil sie kein adäquates Verhältnis zur Natur formuliert haben. Wie im Idealismus überhaupt, so hat das Ich auch im Christentum die Welt beherrscht und sich als den einzigen Geist betrachtet, der existiert; in ihm ist aber nur die Person (nicht die Natur, die Welt) erlöst; das Christentum ist also nur eine im Ich, in der Person zentrierte Religion, in der sich eine völlige Abwendung von der Natur offenbart, denn zwischen der Natur und dem Wesen Gottes wird eine Trennung vollzogen. Während somit für den Theismus der Geist übersinnlich und Gott ein für sich seiendes, absolutes, persönliches und ausserweltliches bzw. weltfremdes Wesen ist, lässt der Pantheismus hingegen, abgesehen von seinen unterschiedlichen Traditionen, Gott in der Natur aufgehen; er hebt damit die Einheit der Welt mit Gott (mit dem Geist) hervor. Wenn demzufolge das wesentliche Merkmal des Theismus die Isolierung eines vom Menschen abstrahierten Gedankenwesens von der Natur ist, so existiert im Pantheismus hingegen Gott innerhalb der Natur.

In klarem Gegensatz zur christlichen monotheistischen Theologie, die das menschliche Wesen zum Ursprung Gottes und die Natur zu einem Produkt der creatio ex nihilo macht, begreift der Mystiker Jakob Böhme die Natur (die Materie) als Gott inhärent, unabtrennbar von ihm. Und Spinoza identifiziert Gott mit der Natur selbst (deus sive natura) und erklärt diese zum Ursprung des Menschen; vermittels der Natur (der göttlichen Substanz) überwindet er so den Widerspruch Descartes’ zwischen

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Materie (res extensa) und Geist (res cogitans). Die Annäherung Feuerbachs an diesen Pantheismus wird später, in den Jahren 1836-37, jedoch überwunden, namentlich in seiner Schrift gegen Spinoza. Im Gegensatz zum Pantheismus, in dem die Natur und Gott als identisch begriffen und die Materie nur als ein Attribut Gottes (das göttlichnatürliche Attribut der extensio) betrachtet wurde, fordert Feuerbach dazu auf, zwischen Natur und Gott zu unterscheiden (aut deus aut natura). Das bedeutet: Er will weder die Natur als etwas Göttliches, noch Gott als der Natur immanent, sondern vielmehr die selbständige Natur ohne Gott erklären. Unter der Prämisse, Gott manifestiere sich in der Natur, verehrt der Pantheismus diese, vergöttert das Wirkliche, das materiell Existierende. So ist er zwar eine Negation der Theologie, beruht dennoch auf theologischen...

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