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2 Krankheit und Heilung in der Bibel
Man kann sich die Bibel ohne Wundergeschichten gar nicht vorstellen. Von vorne bis hinten ist sie durchzogen von Gottes Wirken, das die Grenzen des naturwissenschaftlich geprägten Verständnisses überschreitet. Das beginnt mit den Worten: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“, und endet mit der Beschreibung des neuen Himmels und der neuen Erde. Die Geschichte des alttestamentlichen Israels ist ebenso voller Wunder wie der Dienst Jesu oder die neutestamentliche Gemeinde. Auch aus der christlichen Tradition ist das Übernatürliche – speziell Heilung – nicht wegzudenken. Es mag sein, dass Nichtchristen sich über Wunder wundern: Wir sollten das nicht tun, sie gehören zum Christentum wie Kreuz, Kirche und Gebet. Wir müssen sie nur immer wieder neu entdecken.
Wegen der chronologischen Reihenfolge beginne ich unseren Streifzug durch die Wunderwelt der Antike mit einem kurzen Teil über das Alte Testament. Danach geht es in das Neue Testament und zuletzt die Kirchengeschichte. Über jeden Bereich könnte man auch ein eigenes Buch schreiben, sodass ich nur einige Beispiele geben kann. Das Ziel ist zu zeigen, dass Heilung ein wichtiger Teil unseres Erbes ist, den wir nicht einfach aufgeben sollten.
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Wunder im Alten Testament
Das Alte Testament zeigt von der ersten Seite an einen übernatürlichen Gott. Ganz am Anfang schafft Gott Himmel und Erde (1. Mose 1,1) und – aus Erde – den Menschen als Mann und Frau (1. Mose 1,27). Er erwählt Abraham (1. Mose 12,1-9) und schenkt ihm noch im hohen Alter einen Sohn (1. Mose 21,1-7), um mit ihm und seinen Nachkommen Geschichte zu schreiben. Er hilft Israel in Kriegen gegen die unterschiedlichsten Feinde. Dabei sind manche Methoden sehr kreativ. Er sorgt dafür, dass ein Meteoritenhagel auf die Gegner seines Volkes niedergeht (Josua 10,11) und dass die Sonne stehen bleibt (Josua 10,12-13). Er teilt das Rote Meer (2. Mose 14), ernährt einen Propheten durch Raben (1. Könige 17,2-6) und lässt Brot vom Himmel fallen (2. Mose 16). Selbst einem Leser, der das Alte Testament nur oberflächlich liest, begegnet auf Schritt und Tritt ein übernatürlicher Gott.
Der Platz würde nicht ausreichen, um alle Wundergeschichten, die im Alten Testament überliefert werden, im Detail zu beschreiben. Darunter sind viele Heilungen. Naaman, der Syrer, der von Aussatz geheilt wird (2. Könige 5), Hiskia, dessen Zeit schon abgelaufen war, der aber weitere fünfzehn Jahre bekommt (2. Könige 20,1-11), oder der Sohn der Witwe, den Elia von den Toten auferweckt (1. Könige 17,17-24). Die meisten dieser Geschichten sind in erster Linie Beispiele für Gottes Kraft. Andere bereiten theologisch den Weg für das Neue Testament.
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Krankheit im Alten Testament
Die entscheidende Stelle für eine Theologie der Heilung ist im Alten Testament 2. Mose 15,26:
Er sagte: Wenn du auf die Stimme des Herrn, deines Gottes, hörst und tust, was in seinen Augen gut ist, wenn du seinen Geboten gehorchst und auf alle seine Gesetze achtest, werde ich dir keine der Krankheiten schicken, die ich den Ägyptern geschickt habe. Denn ich bin der Herr, dein Arzt (2. Mose 15,26; EÜ).
Gleich zu Beginn ihrer gemeinsamen Geschichte stellt sich Gott seinem Volk als sein Arzt vor. Andere Übersetzungen wie die Elberfelder sagen: „Ich bin der Herr, der dich heilt.“ Göttern Heilkräfte zuzuweisen oder in Krankheitsfällen zu beten, war nicht unüblich, das taten andere Völker auch. So war es eine wichtige Tatsache für den entstehenden Monotheismus, dass auch Jahwe ein heilender Gott ist. Das Wort geht allerdings über das Heilen körperlicher Krankheiten hinaus. Die Wurzel des hebräischen rapha bedeutet „wiederherstellen“, „ganz machen“. „Heilen“ ist daher mehr eine Unterüberschrift in der Bedeutungsspanne.46
Gott wendet sich also seinem Volk mit allem zu, was nötig ist, um es von einem schlechten in einen guten Zustand zu versetzen. Nur an körperliche Heilung zu denken, ist zu wenig, es geht um ein weitgehendes Wohl, das an s?z? erinnert.
Schon in der rabbinischen Literatur wurde die offensichtliche Spannung in diesem Vers diskutiert. Wenn Gott keine der Krankheiten schickt, die er anderen Völkern auferlegt, warum muss er dann noch heilen? Die mögliche Antwort ist, dass er sein Volk selbst dann noch heilt, wenn es den Bund gebrochen hat (und infolgedessen unter Krankheiten leidet). Tut es Buße, erweist sich Gott als Heiler, der sein Volk wiederherstellt. Im Regelfall wird also Gott sein Volk vor Krankheit bewahren, im Schadenfall will er es gesund machen.
Die Stelle hat auch heute noch Bedeutung in der Heilungsliteratur. Die Bezeichnung von Gott als Arzt taucht immer wieder auf. Auch das grundlegende theologische Konzept ist wichtig. Gottes Schutz wird oft wie ein Regenschirm verstanden. „Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem HERRN: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe (Psalm 91,1-2; LUT).
So verstanden wird Schaden ausbleiben, solange man im Willen Gottes lebt, man diesen Schutzschirm nicht verlässt. Außerhalb der schützenden Regeln ist mit Krankheit zu rechnen47, aber selbst dann wird Gott noch heilen, wenn man ihn sucht. Diese Theologie kann zu Gesetzlichkeit führen, ist aber einer der grundsätzlichen Gedanken hinter dem Bund, den Gott mit Mose geschlossen hat.
Typisch für das Alte Testament ist jedoch auch, Krankheit als Strafe eines Gottes anzusehen, der generell der Urheber alles Unerklärlichen ist. Das sieht man beispielsweise in der Geschichte von Miriam, der Schwester Moses.
Miriam
Die Beziehung zwischen Heilung und Religion ist in der Antike kompliziert. Eine genaue Kenntnis der Medizin, wie sie heute selbstverständlich scheint, gab es nicht.48 Deshalb wurden viele Krankheitsursachen auf eine jenseitige Beeinflussung geschoben. In einer monotheistischen Religion wie dem Judentum lagen Krankheit und Heilung damit automatisch in Gottes Hand. Es war üblich, davon auszugehen, dass Krankheiten auch von ihm verursacht wurden.
In 4. Mose 12 erreicht ein Konflikt im Lager der Israeliten den innersten Leitungskreis. Aaron, sein älterer Bruder und Hohepriester, lehnt sich zusammen mit Miriam, ihrer gemeinsamen Schwester, gegen Mose auf. Sie werfen ihm die Beziehung zu einer kuschitischen Frau, also einer Nichtisraelitin, vor. Im Kern geht es aber darum, dass sie Moses Autorität infrage stellen. Auch sie haben prophetische Gaben, sodass sie sich mit Mose auf einer Ebene sehen. Am Ende klärt Gott selbst den Konflikt. Er bestätigt zwar, dass beide richtige Prophetien hatten, stellt sich aber zu Moses höherer Autorität:
Wenn ein Prophet des HERRN unter euch ist, dem will ich mich in einem Gesicht zu erkennen geben, im Traum will ich mit ihm reden. So steht es nicht mit meinem Knecht Mose. Er ist treu in meinem ganzen Haus; mit ihm rede ich von Mund zu Mund, im Sehen und nicht in Rätselworten, und die Gestalt des HERRN schaut er. Warum habt ihr euch nicht gefürchtet, gegen meinen Knecht, gegen Mose, zu reden? (4. Mose 12,6-8).
Gottes Zorn hat zum Ergebnis, dass Miriams Haut am ganzen Körper vor Aussatz weiß wie Schnee wird. Nur durch Moses Gebet wird sie – nach einer demütigenden einwöchigen Quarantäne49 – geheilt. In diesem Fall ist es deutlich, dass Gott erst die Krankheit brachte, um sie dann zu heilen. Beides, Krankheit und Heilung, kam von Gott.
Beispiele für dieses Prinzip lassen sich im Alten Testament reichlich finden (z.B. 3. Mose 14,34 oder 3. Mose 26,16).50 Aus heutiger Sicht sind diese Stellen schwer in eine Heilungstheologie einzuordnen. Viele Ausleger gehen von der Annahme aus, dass Gott nur gut ist und daher nie die Quelle von etwas Schlechtem sein kann – so wie es auch Jakobus 1,17 sagt. Jeder hat die Tendenz, die Wirklichkeit seiner Theorie anzupassen und Fakten entsprechend hinzubiegen. Vielfach werden daher die negativen Aspekte des Alten Testaments wegdiskutiert. So lehrt Kenneth Hagin, dass Gott keine Krankheit schickt, sondern nur zulässt. Er begründet seine Meinung mit einem kurzen Text, den Robert Young als Einleitung zu seiner Konkordanz schrieb. Darin heißt es, dass an manchen Stellen die aktiven hebräischen oder griechischen Verben so übersetzt werden müssen, dass Gott nicht der Verursacher ist, sondern etwas zulässt.51 Als Beispiel führt Young Matthäus 6,13 an: „und führe uns nicht in Versuchung“. Seiner Meinung nach muss man die Stelle so verstehen, dass Gott nicht zulassen soll, dass wir in Versuchung geführt werden.52 Hagin wiederum folgert daraus, dass das für alle Stellen im Alten Testament gilt, in denen Gott etwas Schlechtes zugeschrieben wird. 2. Mose 15,26 überträgt er mit: „… ich werde keiner der Krankheiten gestatten, auf dich gelegt zu werden, denen ich gestattet habe, über die Ägypter gebracht zu werden, denn ich bin der Herr, der dich heilt.“53
Offensichtlich ist hier die Theologie der Vater der Übersetzung. Bei Young wird deutlich, dass man manchmal durchaus so übersetzen kann, es aber nicht immer richtig ist. Übersetzt man alle Stellen so, hat man die theologische Vorentscheidung getroffen, dass auch nach alttestamentlichem Verständnis nichts Schlechtes von Gott kommen darf. Gut geprüfte Einzelfallentscheidungen sind dann nicht mehr zu erwarten.
In der Glaubensbewegung...