Zur Einführung
Immer noch Beschäftigung mit dem „Kirchenkampf“?
Eine Beschäftigung mit der historischen Phase des sog. „Kirchenkampfes“ mehr als 60 Jahre nach Kriegsende und nachdem sich lebensweltliche wie globale Bedingungen mehrfach verändert haben, versteht sich nicht von selbst. Mit einigen Vorbemerkungen soll daher der Weg skizziert werden, auf dem sich mir das Thema erschlossen hat. Zunächst möchte ich den Horizont beschreiben, in dem ich das Thema angesiedelt sehe. Dabei wird auf das heuristische Moment der „protestantischen Widersetzlichkeit“ (Günther van Norden) abgehoben. Sodann soll plausibel gemacht werden, warum die Darstellung „Ostpreußen“ fokussiert. Schließlich möchte ich, auch mit persönlichem Akzent, darlegen, inwiefern Dietrich Bonhoeffer und Ostpreußen zum Gegenstand einer historischen und theologischen Untersuchung haben werden können. Der Hinweis im Buchtitel auf das Wort aus Matthäus 10, 16 ist als Richtungsangabe zu verstehen, die das Selbstverständnis der Glaubenden in der Nachfolge Jesu kennzeichnet.
(1.) Wie der politische bzw. militärische Widerstand gegen das NS-Regime zu den Gründungsmythen Nachkriegsdeutschlands gehörte, so wird auch der sog. Kirchenkampf, d.h., der Widerstand protestantischer Kreise gegen den Nationalsozialismus und seine kirchlichen Hilfstruppen zu den konstitutiven Faktoren beim Aufbau der Evangelischen Kirche nach 1945 gezählt. Gründungserzählungen und Gründungsmythen kommt hohe Plausibilität zu. Sie halten ihre bloße Wiederholung aber nur begrenzte Zeit aus. Wird ihnen jedoch ein heiliger Status beigelegt, der Nachfragen (wenn Widersprüche entdeckt wurden) und Diskussion (wenn neue Erkenntnisse es nahe legen) verbietet, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die unhistorische Monumentalisierung einstürzt.
Der Begriff „Kirchenkampf“ bezieht sich, allgemein verstanden, auf die Jahre zwischen 1933 und 1945, in denen das Verhältnis zwischen Evangelischer Kirche in Deutschland und dem Nationalsozialismus von Konflikten bestimmt war. Zugleich steht der Begriff für die innerkirchlichen Kontroversen, wobei das Ausmaß der theologischen Auseinandersetzungen nicht ohne den Einfluss der geschichtlichen und politischen Entwicklungen zu denken ist. In jener Zeit stand die Evangelische Kirche dem Staat keineswegs als homogener Block gegenüber. Aus Sachgründen muss eine Beschäftigung mit dieser Phase auch auf die Zeit vor 1933 rekurrieren und ansatzweise über das Jahr 1945 hinausblicken.
Gegenwärtig ist die Erforschung des Kirchenkampfes nach 1945 selbst zum Gegenstand der Forschung geworden. U. a. wird dafür plädiert, auf den Begriff als Epochenbezeichnung zu verzichten[1], weil der historische Prozess viel komplexer, als gemeinhin vorausgesetzt, verlaufen ist oder ihn nur in einem präzis eingegrenzten Sinne zu gebrauchen[2]. Diese Vorschläge sind nicht von der Hand zu weisen. Der Blick auf den Verlauf jener Beziehungsgeschichte zeigt, dass das Freund-Feind-Schema wenig beiträgt zur Beschreibung des Frontverlaufs oder zur Darstellung der theologischen Kontroversen. Im Verhältnis von NS-Staat und deutschem Protestantismus verschränkten sich Linien des Nebeneinander, des Miteinander und des Gegeneinander. Auch hat sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in der biographischen Entwicklung vieler protestantischer Protagonisten eine Wandlung in der Einstellung zum Nationalsozialismus vollzogen, so dass Differenzierung nottut.
Der Rückblick auf die Forschung[3] zeigt ein ambivalentes Ergebnis. In mehreren Etappen wurde mit hoher existentieller Beteiligung und wissenschaftlichem Ethos gearbeitet: Sammlung und Archivierung von Dokumenten und Materialien; monographische und biographische Darstellungen; Befragung von Zeitzeugen; Selbstvergewisserung und Selbstkritik der Beteiligten; internationale und interdisziplinäre Zusammenarbeit wurde aufgebaut. Diesen Bemühungen lag eine konstruktive Motivation zugrunde. Es ging nicht um Archivierung in musealer Intention, sondern um Aktualisierung. M.a.W., das Interesse an der Geschichte des Kirchenkampfes war verbunden mit dem Ziel, eine Werteperspektive in den Demokratisierungsprozess nach 1945 einzubringen. Denn die Beteiligten stimmten in dem Wunsch überein, weder dem Nationalsozialismus noch einer Diktatur Möglichkeiten zur Rückkehr zu geben.
Andererseits ist zu beobachten, dass der konstruktiv-kritische Forschungsdiskurs zunehmend von „neuen Autoritäten“ unterlaufen wurde. Das versteht sich nicht von selbst, wird aber durch mehrere Aspekte aus dem Geschichtsverlauf evident. In Westdeutschland war die „Bekennende Kirche“ (= BK) von mehreren Landesgerichten als „antifaschistische Widerstandsorganisation“ anerkannt worden, obwohl in ihren Kreisen nie in direkter Form „politischer Widerstand“ thematisiert worden ist[4]. Dieses „Pauschalurteil“ galt fast zwei Jahrzehnte. So waren es in erster Linie ihre Repräsentanten, also die „Opfer“ bzw. die Gegner des Nationalsozialismus und seiner kirchlichen Handlanger, die das Feld mit ihrem „Binnendiskurs“ beherrschten. Dass die „Täter“ sich kaum zu Wort gemeldet haben, bedarf keiner Erklärung. Man wollte, und das ist der zweite Aspekt, bei den Verhältnissen wieder anfangen, wo man 1933 gezwungen war aufzuhören, um ein Wort von Otto Dibelius[5] aufzugreifen. Auch hatte der zuvorkommende Umgang der Westalliierten mit den Kirchen deren Selbstbewusstsein und öffentliches Auftreten gestärkt. Den Kirchen wurde sogar die Arbeit der „Entnazifizierung“ in den eigenen Reihen überlassen. Ein Auftrag, der mit Widerwillen, viel Nachsicht und Kompromissbereitschaft[6] realisiert wurde. Denn Ziel der Kirchenführer war, das ist der dritte Aspekt, „Einheit“ und nicht „theologische Kontroversen“[7] oder gar Schuldzuweisung und Verurteilung. Darum stand bei der Beschäftigung mit der eigenen Geschichte der Auftrag zu kritischer Aufarbeitung nicht unbedingt an erster Stelle. Der Wille zur Verklärung motivierte stärker als der Wille zur Aufklärung. Die Beobachtung von Ernst Wolf, dass in den Kirchen weitgehend ein “Widerstand wider Willen“ praktiziert worden sei, hätte eine „entmythologisierende“ Linie in die Forschung einführen können. Das ist aber unterblieben. Kein Wunder, dass schon bald Mythen und Legenden die Kirchenkampf-Überlieferungen durchzogen. Ein Freund Karl Barths, Arthur Frey, meldete 1949 von der Schweiz her Bedenken an: „Es ist um den deutschen Kirchenkampf ein derartiger Mythos entstanden, dass eine Entmythologisierung des deutschen Kirchenkampfes zu einer dringlichen Aufgabe geworden ist, denn dieser Mythus muss zum Fluch der Kirche werden. Er rächt sich schon heute furchtbar, indem der Mythos die guten Anfänge, die im deutschen Kirchenkampf immerhin sichtbar wurden, verdeckt und erstickt. Warum braucht es eine Erneuerung der Kirche, wenn sie sich in der gewaltigen Katastrophe, die der Nationalsozialismus für das deutsche Volk bedeutete, im Ganzen bewährt hat?“[8]
Angesichts der komplexen Semantik, die dem Begriff „Kirchenkampf“ innewohnt, liegt es nahe, eine Alternative zu wählen, um dem eigenen Interesse und der Darstellung einen „cantus firmus“ zu geben. M.E. bietet der Begriff „Bekennende Kirche“ diese Möglichkeit, weil sich in ihm theologische wie politische, individuelle wie communitäre Faktoren verschränken. Zugleich wird man hier mit einem „ideologischen clash“ konfrontiert, der die Epoche prägte, der sich aber in der Nachkriegszeit in veränderter Gestalt wiederholte.
„Bekennende Kirche“ sollte aber nicht als „Zauberschlüssel“ missverstanden werden, selbst wenn die Annäherung an die zu erforschende Phase sich eindeutiger, weil nach Landeskirchen, Regionen, Personen, Sachfragen und exemplarischen Schwerpunkten differenziert, vollzogen werden kann. Auch hier muss zuvor Definitions- und Abgrenzungsarbeit geleistet werden. Denn die Bekennende Kirche ist nie ein homogener Block gewesen und hat erst in der Reaktion auf bestimmte kirchenpolitische Schritte und theologische Provokationen während der NS-Zeit ihr Selbstverständnis gewonnen. Günther van Norden hat für die Jahre 1933-35 als Signatur „Konsens im Patriotismus – Dissens im Bekenntnis“ und für die Zeit danach „Konsens im Bekenntnis – Dissens im Patriotismus“ vorgeschlagen[9]. Gleichwohl bleiben bei dieser Systematisierung offene Fragen. Wer hat die Kriterien in der Bekenntnisfrage bestimmt? Wie sollte das im Bekenntnis Implizierte mit dem vom Patriotismus Geforderten zusammengehen? In welches Dilemma wurden Glaube und Gewissen gebracht, wenn menschliches Wort Unmenschliches von ihnen verlangte? Gerade in nationalen Fragen wollte niemand abseits stehen, wobei die Unterscheidung zwischen Regime-Loyalität und Staatsloyalität für die individuelle Einstellung eine nicht unwesentliche Rolle spielte. In vielen Gemeinden herrschte zudem ein konfessionell geprägtes Bewusstsein, das...