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Strafrechtsrelevante Maßnahmen der Europäischen Union gegen Insidergeschäfte und Kursmanipulationen

Von den Wohlverhaltensregeln über die Insider-Richtlinie zur Marktmissbrauchs-Richtlinie und dem Anlegerschutzverbesserungsgesetz

AutorDirk Diehm
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl216 Seiten
ISBN9783638460897
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Jura - Strafrecht, Note: 17 Punkte (sehr gut), Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg (Institut für Strafrecht und Kriminologie), Veranstaltung: Aufbaustudiengang Europäisches Recht, 403 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Aufgrund der Globalisierung wie auch der Verflechtung internationaler Finanzplätze ist seit Jahren eine effektive Verhinderung von Insidergeschäften und Kursmanipulationen nur noch auf staatenübergreifender Ebene möglich. Innerhalb der EG ist dies insbesondere durch Richtlinie 2003/6/EG, sog. Marktmissbrauchs-Richtlinie, geschehen. Diese wie auch die vier zu ihrer Durchführung ergangenen weiteren Rechtsakte enthalten wesentliche Vorgaben für das Kapitalmarktstrafrecht der Mitgliedsstaaten. Von der Bundesrepublik Deutschland wurden die Rechtsakte, soweit erforderlich, durch das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz (4. FinMFödG) sowie das Anlegerschutzverbesserungsgesetz (AnSVG) umgesetzt. Neben der Darstellung der konkreten Inhalte dieser EG-Rechtsakte und deren Umsetzung in das nationale Recht befasst sich die Studie auch mit der Entwicklung der europäischen Vorgehensweise insgesamt sowie den jeweiligen Einflüssen auf die deutsche Rechtsordnung, soweit sie das Strafrecht betreffen.

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Leseprobe

 Einleitung


 

Entgegen vielfacher Annahme ist die Börse keine Einrichtung der Moderne oder der „modernen“ Wirtschaft. Vielmehr reichen ihre Wurzeln bis ins Hohe Mittelalter zum Beginn des 12. Jahrhunderts zurück[1]. Bereits im Jahre 1111 fanden in der St.-Martins-Kirche in der heutigen Stadt Lucca, die zur damaligen Zeit noch eine aristokratische Republik gewesen ist, „Tausch-Börsen“ statt. Bei diesen versammelten sich regelmäßig Wechsler, Makler und Kaufleute, um Waren gegen Waren zu tauschen, ohne dass sich hierbei starre Preise oder Tauschverhältnisse herausgebildet haben[2].

 

Rund drei Jahrhunderte später, im Jahre 1409, entstand in Brügge die erste „richtige“ Börse, die allerdings noch ausschließlich den italienischen Kaufleuten vorbehalten blieb und weitgehend einen Ort des „normalen“ Warenhandels darstellte. 1460 wurde dagegen in Antwerpen eine „internationale“ Börse eröffnet, welche von Kaufleuten zahlreicher Nationen besucht worden ist, wobei auch hier wiederum „nur“ der Gewürzhandel im Vordergrund stand[3]. Auf deutschem Boden wurden erst im Jahre 1540 in Nürnberg und Augsburg, 1553 in Köln[4], 1558 in Hamburg[5] sowie im Jahre 1585 in Frankfurt am Main Börsenplätze eröffnet[6], die ihrerseits vorwiegend Wechsel und ähnliche Zahlungsinstrumente der damaligen Zeit zum Gegenstand hatten. Börsenhandel als Wertpapierhandel im „klassischen“ Sinne fand dagegen erst ab dem 17. Jahrhundert infolge der 1602 gegründeten Allgemeine Niederländische Vereinigte Ostindische Companie in Amsterdam statt[7], während in Frankfurt am Main die Jahre um 1710 als die „Geburtsstunde“ modernen Wertpapierhandels angesehen werden können[8].

 

Fester Bestandteil und zugleich Wesenszug einer jeden Börse ist, wie auch ein Blick in die Geschichte zeigt, die Freiheit und Flexibilität der Preise, der Kurse, gewesen. Wie anders hätte es sonst zum ersten „Börsenkrach“ im Jahre 1637 kommen können, der mit Ausnahme des zur damaligen Zeit begehrten Handelsobjektes, den berühmten Tulpenzwiebeln, den heutigen Spekulationsblasen und den Folgen ihres Platzens ohne Einschränkung ähnelt[9]. Weniger als ein Jahrhundert später vollzog sich, nunmehr in London und Paris, im Jahre 1720 der erste „Wertpapiercrash“, der als Vorläufer der großen Zusammenbrüche der Aktienmärkte des 20. Jahrhunderts gesehen werden kann und auf dem Platzen zweier Spekulationsblasen um das Edelmetall Gold sowie um die 1711 gegründete South-Sea Company, eine der ersten Aktiengesellschaften, beruhte[10]. Der als „Schwarzer Freitag“ nicht nur in die Wirtschafts- und Finanzgeschichte eingegangene 24. Oktober 1929[11] sowie der (kurzfristige) Einbruch der US-Börsen am 19. Oktober 1987[12] belegen, dass auch das 20. Jahrhundert nicht frei von unerwarteten und relativ extremen Kursschwankungen ist.

 

Ein weiterer Rückblick in die Geschichte der Börse zeigt, dass neben dem Phänomen der „reinen“ Spekulation und deren Folgen auch die gezielte Manipulation der Märkte keine Erscheinung der letzten Jahrzehnte ist. Bereits im Jahre 1474 findet sich in dem Beichtspiegel „Summula Confessionis“ des venezischen Dominikaners Antoninus „Florentinus“ die Feststellung, dass die Manipulation von Wechselkursen sowie Verhaltensweisen, die nach heutiger Terminologie als Insider-Geschäfte zu bezeichnen wären, ebenso Sünde sind wie Wucher und andere übermäßige Gewinnziehungen[13].

 

Der erstmals in der Literatur belegte Fall einer Kursmanipulation ereignete sich vergleichsweise spät im Jahre 1814[14]. Drei als Soldaten verkleidete Personen verbreiteten an der Londoner Börse das Gerücht, Napoleon wäre getötet und Paris von den Alliierten Truppen[15] eingenommen worden. In der Erwartung einer umgehenden Beendigung des Freiheitskrieges zogen die Börsenkurse, getrieben von den Erwartungen der Händler, kräftig an, wie es von dem Drahtzieher der Manipulation, einem Mr. de Berenger, erwartet worden war. Dieser konnte noch vor der alsbald erfolgten Aufdeckung der tatsächlichen Verhältnisse und der damit verbundenen Korrektur der Kurse auf das Ausgangsniveau beachtliche Gewinne mit den zuvor erworbenen Wertpapieren erzielen[16]. Tatsächlich wurde Paris erst am 30. März 1814 von den Truppen der Koalition besetzt, am 11. April 1814 dankte Napoleon ab und starb schließlich am 5. Mai 1821 in der Verbannung auf St. Helena.

 

Siebzig Jahre später nahm sich auch der deutsche Reichsgesetzgeber angesichts der nicht unbeträchtlichen Zahl von Aktiengesellschaften, deren zunehmender wirtschaftlicher Bedeutung[17] sowie unliebsamer Ereignisse im Umfeld des Warenterminhandels[18] dem Problem der gezielten Manipulation von Börsenkursen an. Mit Art. 249d Abs. 1 Nr. 2 ADHGB[19] aus dem Jahre 1884[20] wurde fortan unter anderem die Einwirkung auf den Kurs von Aktien in betrügerischer Absicht unter Strafe gestellt. 1896 wurde der Straftatbestand in das neu geschaffene Börsengesetz als § 75 BörsG a.F.[21] aufgenommen, nachdem das ebenfalls 1896 verabschiedete und mit dem im gleichen Jahr erlassenen BGB am 1. Januar 1900 in Kraft getretene HGB[22] nunmehr keine Bestimmungen mehr über Aktiengesellschaften enthielt[23]. Durch die Revision[24] des BörsG im Jahre 1908[25] wurde die Strafbestimmung zur noch heute vielfach zitierten, wenngleich in der praktischen Anwendung eher bedeutungslosen[26], Strafvorschrift des § 88 BörsG a.F. umnummeriert[27]. Aus dem gleichen Jahr finden sich erstmals im deutschen Rechtsraum Überlegungen, hier seitens des damaligen Centralverbandes des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes, dahingehend, dass das Ausnutzen besonderer Kenntnisse beim Wertpapierhandel im Rahmen der eigenen Selbstverwaltung zu untersagen ist[28].

 

Nach mehrfachen Abänderungen[29] des § 88 BörsG a.F. wurde schließlich im Jahre 2002 das Verbot der Kursmanipulation in den neu geschaffenen § 20a WpHG übernommen[30], der seither bereits zweimal vom Gesetzgeber überarbeitet worden ist[31]. § 20a WpHG stellt dabei, ebenso wie das erst 1994 erlassene WpHG selbst, vornehmlich ein Produkt derjenigen Umsetzungspflichten dar, die sich aus verschiedenen Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft zur Bekämpfung des Insider-Handels und der Kursmanipulation ergeben haben. So wurde mit § 14 WpHG a.F. erstmals[32] im Jahre 1994 innerhalb der deutschen Rechtsordnung das Ausnutzen von Insider-Informationen durch den Insider selbst unmittelbar[33] unter Strafe gestellt[34], wie es in einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft aus dem Jahre 1989 vorgesehen gewesen ist[35].

 

Bei einer Gegenüberstellung des Verbots der Kursmanipulation, das mit Art. 249d ADHGB a.F. sowie den nachfolgend geltenden § 75 BörsG a.F. und § 88 BörsG a.F. seit mehr als einem Jahrhundert gilt, und der vergleichsweise „jungen“ Verbotsnorm des § 14 WpHG, dem Verbot des Insider-Geschäftes, wird deutlich, dass die Rechtsakte der EG das deutsche Wirtschaftsrecht und hier das Wertpapier(handels)recht nachhaltig beeinflusst haben und noch beeinflussen[36]. Insbesondere, nachdem die wesentlichen Änderungen in der deutschen Rechtsordnung vornehmlich auf die Umsetzungspflichten aus dem Rechtsrahmen der Europäischen Gemeinschaft zurück zuführen sind[37]. Neben § 14 WpHG ist es gerade auch § 20a WpHG, der sowohl in seiner Entstehung als auch in den nachfolgenden Änderungen, wie vom Gesetzgeber ausdrücklich dargelegt, auf die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts zurück zu führen ist.

 

In der vorliegenden Arbeit wird nunmehr untersucht, welche strafrechtsrelevanten Maßnahmen von der Europäischen Gemeinschaft zur Bekämpfung von Insidergeschäften sowie der Kurs- und Marktpreismanipulation getroffen worden sind und inwieweit diese ins nationale, deutsche, Recht umgesetzt wurden. Daneben wird der Frage nachgegangen, ob und inwieweit Maßnahmen aus dem Bereich der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, der Dritten Säule der Europäischen Union, die Ausgestaltung des deutschen Wertpapierhandelsrechts und insbesondere des Verbots über den Insider-Handel und die Kursmanipulation beeinflusst haben. Im Vordergrund der Untersuchung stehen innerhalb der deutschen Rechtsordnung die bereits erwähnten Bestimmungen des § 88 BörsG a.F. sowie des § 14 WpHG und des § 20a WpHG, das Verbot des Insiderhandels sowie das Verbot der Marktmanipulation. Die Untersuchung beschränkt sich dabei auf die unmittelbar auf den Kurs oder Marktpreis einwirkenden Verhaltensweisen und der diese betreffenden Maßnahmen, wohingegen alle Aspekte der mittelbaren, strafrechtsrelevanten, Einwirkungen, etwa durch unzutreffende Ausgestaltung eines Prospektes[38] oder die Manipulation im Bereich von...

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