„Marketing ist zu wichtig, um es allein der Marketingabteilung zu überlassen.“[1]
Dave Packard, Hewlett-Packard
Die zunehmende Werbekrise, welche Marketingexperten dazu zwingt neue Wege zu gehen, verstärkt die Annahme, dass die klassischen Werbemittel den Verbraucher nicht mehr erreichen.[2] Dies geht auch aus einer Studie[3] des amerikanischen Marktforschungsinstitut „Yankelovich Partners“ hervor, die sich mit der Ignoranz der Verbraucher gegenüber Fernsehwerbung beschäftigt. Demnach würden über 50 Prozent der Befragten ein allzu aufdringlich beworbenes Produkt „lieber nicht kaufen“. Mehr als 60 Prozent fühlen sich von zu viel Werbung dauerhaft bedrängt und knapp 70 Prozent interessieren sich für Techniken und Services, welche es möglich machen, Werbung auszublenden.[4]
In der Vergangenheit reagierten insbesondere die Sendehäuser und Verlage auf die ansteigende Individualisierung von Wünschen und Interessen der Verbraucher mit einer steigenden Medienpräsenz in den Märkten. Angesichts der anhaltenden Reizüberschwemmung und der Informationsüberflutung bildeten die Rezipienten eine Abwehrhaltung gegenüber der Werbung und deren gesamtem Umfeld, was auch als „Anti-Werbe-Virus“[5] bezeichnet wird.[6]
Durch die wachsende Ablehnung der Menschen gegenüber offensichtlicher Werbung wurden neue Kommunikationswege gesucht. Die zunehmende Verbreitung des Internets in der Bevölkerung hatte dabei massive Auswirkungen auf Theorie und Praxis des Marketings.[7]
Mit dem Wachstum der virtuellen Welt haben sich neue Formen und Maßnahmen der Kommunikation entwickelt. Eine stetig steigende Anzahl von Unternehmen greifen auf die neue Kommunikationstechnologie „Internet“ zurück, entwickeln dabei teilweise neue oder adaptieren alte Kommunikationsformen und führen diese mit Hilfe des Internets einer „neuen Verwendung“ zu.
Viral Marketing, im Folgenden auch Virales Marketing genannt, ist eine dieser Kommunikationsformen. Aus den USA stammend, verbreitet es sich seit einiger Zeit auch in Europa. Hinter dieser Strategie steht nichts grundsätzlich Neues. Basierend auf der traditionellen Mund-zu-Mund-Propaganda profitiert das Viral Marketing-Konzept auch von der Effektivität der persönlichen Empfehlung.[8]
Die Idee hierbei ist, dass sich Anbieterleistungen oder Werbebotschaften im Internet durch Weiterempfehlung verbreiten sollen. Die Verbraucher werden unbewusst motiviert, die Marketingbotschaft selbst weiterzuleiten. Diese explosionsartige Zunahme der Mundwerbung ist damit eine der bedeutendsten Veränderungen, die mit dem wachsenden Stellenwert elektronischer Märkte einhergeht.[9]
In den Zeiten der New Economy war Viral Marketing eines der beliebtesten Schlagwörter. Der Hype ist längst vorbei, dennoch ist der Begriff geblieben. Viral Marketing ist dabei, sich als Instrument im Marketingmix zu behaupten.[10] Es gilt als eine der kostengünstigsten und viel versprechendsten Strategien des Online-Marketings. Dies bietet insbesondere Gründungsunternehmen, welche mit kleinem Werbebudget auskommen müssen, eine preiswerte Möglichkeit ihre Werbebotschaft am Markt zu etablieren. Dadurch wird ihnen eine reelle Chance geboten einen globalen Kundenstamm zu gewinnen.[11]
Zielsetzung der vorliegenden Arbeit ist es, das Konzept des viralen Marketings zu vermitteln. Die Grundlagen und Systematik, welche hinter diesem Begriff stehen, werden dabei verständlich gemacht. Des Weiteren soll der Leser in die Lage versetzt werden, die wesentlichen Elemente, Mechanismen und Erfolgskriterien zu verstehen.
Dabei sind folgende Fragen federführend:
1. Warum lösen bestimmte Ideen, Verhaltensweisen oder Produkte Epidemien aus und andere nicht?
2. Was muss getan werden, um bewusst positive Epidemien auszulösen und zu kontrollieren?
3. Ist Viral Marketing eine relevante Strategie für Gründungsunternehmen?
Die Gründung eines Unternehmens stellt heute mehr denn je eine Herausforderung dar. Eine gute Geschäftsidee reicht oft nicht mehr aus, um erfolgreich am Markt zu agieren. Viral Marketing wäre hier eine Ressourcen schonende Art, viele Kunden zu gewinnen. Ob und unter welchen Bedingungen diese Marketingstrategie interessant für Gründungsunternehmen ist, soll in dieser Arbeit aufgezeigt werden. Die im weiteren Verlauf ausgeführten Entwicklungen über die gegenwärtige und zukünftige Entfaltung von Viral Marketing sollen dabei helfen, dies zu überprüfen.
Um einen Überblick über die Thematik „Viral Marketing“ zu bekommen, werden einleitend die aktuelle Situation der Werbebranche sowie die Entwicklung und der gegenwärtige Stand der Forschung aufgezeigt. Im weitern Verlauf der Arbeit werden die Grundlagen der Viral Marketing-Strategie dargestellt. Dabei werden die Begriffsbestimmungen und Charakteristika vorgestellt und es wird eine für diese Arbeit gültige Definition herausgearbeitet. Ebenfalls werden die Marketing-Grundlagen für Gründungsunternehmen dargelegt.
Das dritte Kapitel der Arbeit beschäftigt sich mit den theoretischen Aspekten. Beginnend mit der Einordnung der Methode über den Tipping Point nach Gladwell und führend über die Kernelemente und den Ablauf einer viralen Marketing-Kampagne sowie den verschiedenen Ausprägungen und der Effektivität und Erfolgsmessung dieser Strategie, schließt der Teil mit den Risiken von Viral Marketing.
Die praktischen Aspekte im vierten Kapitell sollen die beginnend vorgestellten Grundlagen, Erfolgsfaktoren und Maßnahmen zur Umsetzung von Viral Markeitng tiefgehender verdeutlichen. Die für diese Arbeit gewählten Praxisbeispiele beziehen sich dabei auf das seit eineinhalb Jahren auf dem Markt tätige amerikanische Unternehmen Friendster Inc., eine Social Networking-Plattform, die es geschafft hat, innerhalb von 8 Monaten 1,8 Mio. Mitglieder[12] mit Hilfe von Viral Marketing zu erreichen. Die zweite Fallstudie handelt von einem deutschen Gründungsunternehmen, der Open Business Club GmbH, welches sich die Bereitstellung eines Business-Netzwerkes im Internet zur Aufgabe gemacht hat.
Die Arbeit schließt mit einer Stellungnahme zu den erkennbaren Tendenzen und Prognosen des Konzeptes. In diesem Teil wird die Eignung der Viral Marketing-Strategie in Abhängigkeit mit den gewonnen Erkenntnissen geprüft und ein anschließendes Resümee gezogen.
Ende des Jahres 1996 erschien im Wirtschaftsmagazin „Fast Company“ ein Artikel mit dem Titel: „The Virus of Marketing“. Autor war der Harvard Business School-Professor Jeffrey Rayport, der durch seine Aussage: „Think of a virus as the ultimate marketing program. When it comes to getting a message out with little time, minimal budgets, and maximum effect, nothing on earth beats a virus.”[13] zu einem Gedankenspiel herausforderte.
Angelehnt an diesen Grundgedanken und in Analogie zu biologischen Viren entwarf Rayport ein Modellgerüst namens Viral Marketing.[14]
Als typische Kennzeichen eines Marketingvirus bezeichnete er:
Tarnung – „Stealth is the essence of market entry.”
Um nicht als offensichtliche Werbung beim Empfänger anzukommen, sollten Werbebotschaften getarnt werden.
Inkubationszeit – „What’s up-front is free; payment comes later.”
Freie Zugänglichkeit von Produkten und Dienstleistungen, abgerechnet wird erst später. Das Marketing ist wie ein Virus, das schlafend in seinem Wirt ruht.
Infektionszeit – „Let the behavior of the target community carry the message.”
Viren werden durch soziale Interaktion in neue Umgebungen hineingetragen, sie verbreiten sich nicht zufällig.
Überträger – „Exploit the strength of weak ties.”
Bei der Ausbreitung von Krankheiten und Seuchen, so auch bei Viral Marketing, spielen Überträger mit einer großen Anzahl loser Sozialkontakte eine Schlüsselrolle.
Ausbreitungsprozess – „Invest to reach the tipping point.”
Zuerst wächst ein Virus im Verborgenen, bis seine Ausbreitung irgendwann eine bestimmte Schwelle überschreitet, den Tipping Point.[15]
Bereits zwei Jahre später hatte sich der Begriff Viral Marketing, schneller als es Rayport vorausgesagt hatte, im Mutterland des Marketings, den USA, verbreitet. Das Online-Marketingmagazin Iconocast kürte den Begriff im Dezember 1998 zum „Buzzword des Jahres“.[16] Unterstützend für die schnelle Verbreitung der Methode wirkten die ersten...