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Sei nicht abergläubisch, das bringt Unglück!

Die Psychologie des Unglaublichen

AutorChristoph Kuch, Florian Severin
VerlagVerlagsgruppe Droemer Knaur
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783426423387
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Wieso spielen Millionen vernunftbegabter Menschen Lotto? Warum lesen wir Horoskope, auch wenn wir nicht daran glauben? Christoph Kuchs magische Tricks beruhen auf psychologischen Erkenntnissen. Seit Jahren beschäftigt er sich damit, warum wir so oft irrationalen Denkmustern erliegen oder Dinge tun, die eigentlich unlogisch sind. Christoph Kuch entführt uns auf eine Reise durch die Welt der Alltagspsychologie - mit verblüffenden Einsichten. Er ist regelmäßig in Talkshows zu Gast und die Presse schreibt begeistert über ihn.

Christoph Kuch, geboren 1975, ist studierter Diplom-Kaufmann und Gewinner der Weltmeisterschaft in Mentalmagie. Er lebt mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern im bayerischen Stein. Hauptsächlich wird er von Firmen für Galas sowie Events gebucht und hält zahlreiche Vorträge. Seine Auftritte führen den Mentalisten durch das gesamte Bundesgebiet, Österreich, die Schweiz, England und die USA. Weiteres zum Autor: www.christophkuch.de.

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Leseprobe

Kapitel 1


»Können Sie die Lottozahlen vorhersagen?«

»Oh, oh, people of the earth,

Listen to the warning, the seer he said.«

Queen – The Prophet’s Song

Nach meinem Auftritt kommt der Veranstalter, der mich gebucht hat, zu mir und nimmt mich zur Seite. Er blickt schnell nach links und rechts, um sicherzugehen, dass uns keiner belauscht. Dann flüstert er mir zu, ob ich ihm die Lottozahlen von nächster Woche verraten könne.

Möchte er mir damit durch die Blume sagen, dass meine Gagenforderung zu hoch ist?

Nein, er hofft einfach, dass ich ihm zu schnellem Reichtum verhelfe. Wo sind nur die alten Tugenden hin? Zählen denn harte Arbeit, Sparsamkeit und reiche Eltern nichts mehr? Am Blick des Mannes erkenne ich, dass er nicht lockerlassen wird. Deshalb schreibe ich sie ihm auf: 41926283340. Und als Zusatzzahl die 9.

Das sind sie.

»Allerdings«, gebe ich zu bedenken, »weiß ich nicht genau, in welcher Woche die Zahlen gezogen werden. Aber ich weiß, dass sie gezogen werden.«

 

Mit dieser Aussage befinde ich mich in guter Gesellschaft. Wer als Prophet etwas taugen will, muss seine Aussagen vage halten. Nostradamus, die Galionsfigur aller Weissager, hat es vorgemacht.

Michel de Nostredame, wie sein vollständiger Name lautet, lebte im 16. Jahrhundert in Frankreich. Das finstere Mittelalter war zwar schon vorbei, aber viel los war trotzdem nicht. Die Französische Revolution sollte noch über zweihundert Jahre auf sich warten lassen, so dass sich Michel nicht einmal mit einer gepflegten Enthauptung die Zeit vertreiben konnte. Deshalb fing er an, Jahrbücher zu schreiben. Aber nicht irgendwelche Jahrbücher, sondern solche, in denen er die Zukunft beschrieb. Sozusagen die »Gala« von übermorgen. Er war dabei ungeheuer fleißig. Seine Weissagungswälzer enthalten insgesamt über sechstausend Vorhersagen und decken die Zeit bis zum Jahr 3797 ab[3] – womit er lässig und ganz nebenbei gewusst hat, dass der Maya-Kalender mit dem Verfallsdatum der Menschheit danebenliegt.

Anno Domini 3797 übrigens deshalb, weil sein Buddy Richard Roussat aus Lyon kurze Zeit vorher dieses Jahr als das Ende der Welt festgelegt hatte.[4] Unter Propheten fällt man sich gegenseitig nicht in den Rücken. Außer natürlich diesen Kalender-Indianern aus Mexiko, aber vermutlich sind denen einfach nur die Steintafeln für die weiteren Jahre ausgegangen.

 

Eine der ersten Prophezeiungen, mit denen Nostradamus ins Schwarze traf, war die Beschreibung, wie König Heinrich II. von Frankreich zu Tode kommen sollte. Wie für Nostradamus üblich, ist sie als fescher Vierzeiler gehalten:

»Der junge Löwe wird über den alten siegen.

In einem einzigen Duell auf dem Schlachtfeld,

Wird er seine Augen stechen im goldenen Käfig.

Zwei Dinge werden eins, dann stirbt er den grausamen Tod.«

Heinrich II. starb im Jahre 1559 bei einem Turnier. Die Lanze seines Gegners, des Grafen Gabriel de Lorges von Montgomery, durchbrach das Visier des Königs, und ein Splitter verwundete diesen derart, dass er zehn Tage später seinen Verletzungen erlag.

Die Vorhersage scheint recht behalten zu haben: Beide Reiter führten als Wappen einen Löwen. Der Graf war jünger als der König. Heinrich trug einen goldenen Helm – den goldenen Käfig –, und der Splitter der Lanze durchbohrte sein Auge.

Volltreffer! (Ich hoffe, Sie vergeben mir den Ausdruck in diesem Zusammenhang.)

Ähnliche Treffsicherheit bewies Neil Marshall, Student der Brock University in Kanada. Mit drei Jahren Vorsprung sagte er den Anschlag vom 11. September 2001 vorher:

»In der City of God wird ein großer Donner herrschen.

Zwei Brüder werden von Chaos auseinandergerissen.

Während die Festung Leid erträgt,

Wird ein großer Führer unterliegen.«

Die »zwei von Chaos auseinandergerissenen Brüder« sind natürlich die Twin Towers des World Trade Centers. Und in der von Gott geliebten Stadt, die der rechtschaffenen Bürger, also New York City, herrschte an dem Tag ein Lärm, der sogar lauter war als aller Donner zusammen. In dem Vierzeiler ist sogar der Angriff auf das Pentagon als »leidtragende Festung« erwähnt.

Doch wer ist der große Führer, der unterliegt?

Da spalten sich die Meinungen. Die einen sagen, dass es Amerika sei, das den Anschlag nicht verhindern konnte. Die anderen sehen es eher so, dass damit die Ergreifung von Osama bin Laden vorweggenommen werde.

Das klingt etwas ungenau. Was denn jetzt? Soll der Angegriffene oder der Angreifer gemeint sein?

Hätte Marshall seine Vorhersage nicht etwas präziser formulieren können?

Nein, denn so funktionieren klassische Vorhersagen. Sie sind möglichst schwammig gehalten, so dass sie früher oder später auf irgendein Ereignis zutreffen. Auch Nostradamus’ Weissagungen bestehen aus zahlreichen Metaphern, verfasst in einem sprachlichen Mischmasch aus Französisch, Latein und Spanisch,[5] die jede Menge Raum für wilde Spekulationen lassen.

Genau das wollte Neil Marshall mit seiner »Prophezeiung« belegen. In dem Essay, in dem er diese vier Zeilen »vorhersagt«, führt er direkt im Anschluss verschiedene Interpretationsmöglichkeiten an,[6] um zu zeigen, wie beliebig jede Weissagung ausgelegt werden könne. Er schreibt, dass der Donner nicht nur ein Gewitter, sondern auch ein Erdbeben sein könne. Für die »City of God« gibt er als Beispiel direkt fünf zutreffende Städte an: Mekka, Medina, Rom, Jerusalem oder Salt Lake City.

Auf diese Weise ließen sich seine vier Zeilen leicht auf eine Vielzahl von Ereignissen zurechtbiegen. »Zurechtbiegen« ist sehr zutreffend, denn wenn mal etwas nicht passt, dann wird es halt passend gemacht. New York als die Stadt Gottes zu bezeichnen wird wohl kaum jemandem in den Sinn kommen, der schon einmal zwei Stunden im Regen auf ein Yellow Cab warten musste. Zum Glück sind Metaphern jedoch sehr geduldig und beschweren sich auch nicht über abwegige Interpretationen.

Damit scheint sich der Zusammenhang von Vorhersage und Ereignis umzukehren. Offensichtlich sagt nicht der Prophet das Geschehen im Vorfeld voraus, sondern andere Menschen suchen nach einer Begebenheit die passende Vorhersage. Korrekter wäre also die Bezeichnung »Nachhersage«. Und das ist keine üble Nachrede.

 

In der Psychologie nennt man dieses (unbewusste) Vorgehen »illusorische Korrelation«. Dabei handelt es sich um die menschliche Eigenart, zwei separate Vorgänge in kausale Verbindung zu setzen.

Das macht die illusorische Korrelation zu einem dicken Kumpel und Wegbereiter des Aberglaubens. Stellen Sie sich einen Mann vor. Diesem geschieht ein Unglück. Zum Beispiel vergisst er im Bus seine Aktentasche. Während er abends seiner Frau davon erzählt, fällt ihm plötzlich ein, dass ihm am Morgen eine schwarze Katze über den Weg gelaufen ist. Seine Gattin erinnert sich, dass auch sie schon einmal Pech hatte, nachdem sie zuvor eine Katze gesehen hatte. Daraufhin vermuten beide einen Zusammenhang, und schon haben wir den Nährboden für den felinen Unglücksboten geschaffen.[7]

Wir sind für solche »Schlussfolgerungen« sehr anfällig. Im Verlauf von sechs Jahren, nachdem der Gruselfilm »Poltergeist«[8] und seine Fortsetzungen gedreht wurden, starben vier der Schauspieler. Zufall, oder liegt auf dem Film etwa ein Fluch? Verwunderlich wäre es nicht, denn angeblich wurden für die berühmte Swimmingpool-Szene am Ende des ersten Teils echte Skelette verwendet. Hat das die Geister der Verstorbenen verärgert? Oder fanden sie den Film einfach schlecht und wollten sich deshalb an den Darstellern rächen? Ich weiß noch genau, dass ich diesen Aspekt damals gruseliger als den eigentlichen Film fand. Und wie verträgt sich der Fluch mit dem Glück von Richard Lawson, der die Rolle des Ryan in »Poltergeist« übernahm? Er scheint vor dem Fluch geschützt zu sein, denn er ist in seinem Leben bereits mehrfach einem Unglück entkommen. Zuletzt sogar einem Flugzeugabsturz, bei dem er kurz vor Abflug einen anderen Sitzplatz zugewiesen bekam und so überlebte. – Ziemlich unheimlich!

Gerade Verschwörungsfreunde sind wahre Meister im Aufspüren von abwegigen Verbindungen. Da werden Übereinstimmungen aus dem Hut gezaubert und überall die geheime Zahl 23, die Glückszahl der Verschwörungen,[9] hineingedichtet. Zum Beispiel scheint es einen seltsamen Einklang zwischen dem Attentat auf John F. Kennedy und dem auf Abraham Lincoln zu geben. Die Nachnamen beider Präsidenten haben sieben Buchstaben. Der politische Nachfolger von beiden hieß Johnson. Der Nachfolger Lincolns wurde 1808 geboren und der von Kennedy 1908. Genau hundert Jahre liegen auch zwischen der Wahl in den Kongress (1846 und 1946) und zum Präsidenten (1860 und 1960). Während auf Lincoln im Ford-Theater geschossen wurde, fuhr Kennedy in einem Ford – und zwar im Modell Lincoln. Als Beleg, wie willkürlich diese Übereinstimmungen gewählt werden, veranstaltete das »Skeptical Inquirer«-Magazin einen Wettbewerb, wer die meisten Gemeinsamkeiten zwischen zwei weiteren beliebigen Präsidenten findet.[10] Es trafen über einundzwanzig...

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