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Das Besitzbürgertum des 'langen 19. Jahrhunderts' in Bayerisch-Schwaben unter Betrachtung der Unternehmerfamilie Zenetti in Lauingen

AutorFelicitas Söhner
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl55 Seiten
ISBN9783638013871
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Studienarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Geschichte - Sonstiges, Note: 1,3, FernUniversität Hagen, 67 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit dem deutschen Bürgertum des 19. Jahrhunderts und den spezifisch bürgerlichen Lebensweisen, die sich im Zuge der politischen und ökonomischen Veränderungen in der Öffentlichkeit und neuen Privatsphäre entwickelten. Diese Fragestellung soll am Beispiel der Unternehmerfamilie Zenetti im Lauinger Zweig veranschaulicht werden. Aus der sozialen Gruppe jenes neuen Bürgertums wählte ich das Beispiel der Familie Zenetti, weil deren Aufstieg sich in der eigentlichen Formationsphase des Bürgertums, dem endenden 18. und dem beginnenden 19. Jahrhundert vollzog. Auch lag die Wahl dieser Familie nahe, da es sich bei dieser um wirkliche 'Newcomer' handelte, ohne breitere Basis im alten, gar patrizischen Stadtbürgertum. Gerade dies charakterisierte auch die Mehrzahl der dann führenden Vertreter und Familien des neuen Bürgertums. Der Blick richtet sich auf eine Familie, deren Aufstieg sich zunächst auf den wirtschaftlichen Erfolg, auf die schöpferische Ausnützung neuer Möglichkeiten und Chancen gründete. Auf das Wirken aller einzelnen Mitglieder der Familie Zenetti kann hier natürlich nicht eingegangen werden, jedoch beschäftigt sich diese Arbeit mit einigen typischen Vertretern des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens dieser Zeit. Diese repräsentative und doch unverwechselbare Familie erschien mir auch deswegen besonders geeignet, weil in den von mir historisch betrachteten acht Generationen auch ihre herausragenden Mitglieder, bei aller ausgeprägter Individualität und persönlichen Lebensleistung, vor allem in ihren typisch bürgerlichen Verhaltensweisen und Auffassungen bemerkenswert sind. Auch wenn die ideale Gesellschaft des Bürgertums ständeübergreifend und individualistisch sein sollte, ganz auf die individuelle Fähigkeit und Leistung gegründet, kann das Bürgertum nicht als Einheit gesehen werden. Das gesellschaftliche Gefüge der Zeit veränderte sich entscheidend, auch wenn die einzelnen Chancen aufgrund unterschiedlicher Herkunft und Ausbildung unverändert verschieden waren. Auch wenn familiäre Abstammung und soziale Bindungen zu keinem Zeitpunkt an Bedeutung verloren, gab es doch eine außergewöhnlich große Zahl an Newcomern. Das lange 19. Jahrhundert war gekennzeichnet als eine Epoche der sozialen Mobilität. Gerade hierfür ist die Familie Zenetti ein gutes Beispiel. Sie stehen als Exempel für eine Kaufmannsfamilie, die sich mit dem Ziel des ökonomischen und sozialen Aufstiegs in Bayerisch-Schwaben niederließen.

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Leseprobe

2. Das Milieu des Besitzbürgertums


 

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts stellte sich die soziale Hierarchie des Bürgertums folgendermaßen dar: Das Großbürgertum - vor allem bestehend aus Großkaufleuten, Bankiers, Verleger und hohen Beamten - bewegte sich in eigenen Verkehrs- und Heiratskreisen; das Kleinbürgertum – vor allem bestehend aus Kaufleuten, mittleren Beamten und selbständigen Gewerbetreibenden und Handwerkern - stellte das ,,Bollwerk des Traditionalismus"[8], hatte aber keinen Zugang zum nötigen sozialen Kapital, um mit dem Großbürgertum eine fruchtbare Bindung einzugehen; die rechtliche Lage der großen Mehrheit der Bevölkerung - zum Großteil Tagelöhner, Arbeiter, Gesellen, Dienstboten und Gesinde - hatte ein Leben in Passivität zu erwarten.

 

Familienpolitisch richtete sich des Wirtschaftsbürgertums auf eine längerfristige Steigerung des materiellen und sozialen Kapitals aus. Daher war eine eheliche Verbindung eine geschäftsmäßig kalkulierte Angelegenheit. Charakteristisch war das adelsgleiche Bestreben, die Ehre der Familie zu steigern, eine Grundvoraussetzung für Unternehmerdynastien. Doch je stärker das Bürgertum dazu tendierte, in Adels- oder großbürgerliche Familien einzuheiraten, umso unstatthafter wurde eine ‚Heirat unter dem Stand’ angesehen. Es bildeten sich regelrechte Heirats- und Kontaktnetze.

 

Im Hinblick auf die Wahl der Profession herrschte das System der Selbstrekrutierung vor; das Gros der Unternehmer entstammte Familien, in welchen schon der Vater Kaufmann, Fabrikant oder Bankier gewesen war. Bei einem deutlich geringeren Anteil war der Vater als Pfarrer, Lehrer, Beamter oder Gelehrter tätig, ähnlich wenige hatten einen Gutspächter, Handwerker oder Händler zum Vater. Der Theologe J.A. Bengel hat diese Tatsache Mitte des 18.Jahrhundert folgendermaßen formuliert: „Ein Grundgesetz in Wirtemberg ist: wer emporkommen will, muß entweder ein Herren-Sohn seyn, oder sich in eine solche Familie durch Heirath begeben.“[9] Dieses Gesetz galt nicht nur für Württemberg, sondern war ebenfalls ein praktiziertes Strukturprinzip im angrenzenden Bayerisch-Schwaben. Eine erdrückende Mehrzahl folgte dem bürgerlichen Modell der Eltern und wurde wieder Unternehmer. Wenn die Nachkommenden das väterliche Unternehmen nicht erbten, gründeten sie selbst eines; wenn sie nicht Unternehmer blieben, richteten sie ihr Augenmerk auf andere bürgerliche Berufe, weitestgehend freie oder aristokratische Berufe.

 

 

Gaben sich die frühen Wirtschaftsbürger mit einem bescheidenen Wohngebäude zufrieden und wurde dieses „Verhalten so gerne durch Attribute wie ‚maßvoll’ oder ‚bescheiden’ charakterisiert"[10], so wohnten später dieselben in einer geräumigen, zweckdienlichen. Ökonomische und Statusziele standen demnach nebeneinander.

 

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts blühte das Vereinsleben auf, in welchem bürgerliche Menschen oft schon in ihrer Studentenzeit Prägung erfuhren. In den studentischen Burschenschaften pflegten sie „demonstrativ ‚gemeinsames deutsches Wesen’ (…), gleichermaßen gerichtet gegen lokalbürgerliches ‚Philistertum’ wie gegen kleinstaatliche Obrigkeiten."[11]Auch die damals in Mode gekommenen Mitgliedschaften in Freimaurerlogen, Wirtschaftsverbänden oder Handelskammern wirkten vergleichbar identitätsstiftend. Das Bürgertum grenzte sich gegen Gruppen ab, die als nicht standesgemäß galten. Dazu zählten sowohl die Unterschicht als auch der Adel, auch wenn das Bürgertum gewisse adelige Verhaltensweisen annahm. Beispielweise erwarben Bürger Villen, die den adligen Wohngebäuden in nichts nachstanden. Hiermit wollten sie jedoch ihren Stolz auf die persönlich erbrachten Leistungen ausdrücken.

 

2.1 Die bürgerliche Familie


 

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war eine soziale und wirtschaftliche Struktur entstanden. Dabei konnten sich die Idee und die Hoffnung eines bürgerlichen Familienlebens verbreiten. Für den Historiker Eric Hobsbawm, Sohn eines bürgerlichen Hauses, war es für die Bürgerfamilie des 19. Jahrhunderts wesentlich, dass das ‚traute Heim’ an erster Stelle stand. Hier konnte der Biedermann die Probleme der bürgerlichen Gesellschaft vergessen und die bürgerliche Familie konnte sich der Illusion von Harmonie hingeben.

 

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts vollzog sich ein Wandel innerhalb der Familien. Wohn- und Lebensbereich separierten sich immer stärker von den Arbeitsstätten. Dieser Wandel hielt nun Frauen und Kinder von Erwerbsarbeit fern. Die hausbezogenen Formen der Familienwirtschaft wie Gartenbau, Vorratshaltung und Hauswirtschaft gehörten nun zum Aufgabenbereich der Frauen. Diese geschlechtspezifische Rollendifferenzierung begann sich schon im Ancien régime abzuzeichnen und setzte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts nun durch. „Somit waren auch die eigentlich wirtschaftlichen Tugenden geschlechtsspezifisch zugeordnet, die Erwerbstätigkeit bzw. Arbeit war für den Mann vorgesehen, Sparsamkeit und Fleiß für die Frau.“[12] Dieses Auseinanderdriften der männlichen und weiblichen Sphäre wurde als ‚natürlich’ und den unterschiedlichen ‚Geschlechtscharakteren’ entsprechend erklärt. „Gebetsmühlenartig wurden korrespondierend damit als zentrale Charakteristika des Mannes Aktivität und Rationalität einer Passivität und Emotionalität der Frau gegenübergestellt. “[13]

 

Als männliche Tugenden wurden Selbstkontrolle, Mäßigung und harte Arbeit propagiert. Das Ideal des Bürgervaters war das einer respektgebietenden, entscheidungsmächtigen und schutzgewährenden Autorität. In der Terminologie der Gefühle gegenüber den Vätern herrschen ‚Ehrfurcht’ und ‚Respekt’ vor. Gestützt durch das Gesetz, gefestigt durch deren Monopol des Besitzes und bestärkt durch eine Ideologie der Geschlechtercharaktere beanspruchten dir bürgerlichen Männer die absolute Autorität in ihren Familien. „Die Väter waren es, die erste und letzte Entscheidungen trafen, die über Namen, Ausbildungsgang und Zukunftsperspektive der kleinen Bürger und Bürgerinnen bestimmten.“[14]

 

Väter wurden primär als Berufsmenschen gesehen. Für die Kinder waren die Bürgerväter durch ihre Profession definiert. Der väterliche Beruf prägte das gesamte Familienleben. „Zum eine entschied sie über die ökonomische Disposition, zum anderen über die soziale Position. Die Kreise, in denen sich Väter des Bürgertums (...) bewegten, konditionierten auch weitgehend die Kreise, in denen ihre Frauen und Kinder verkehrten. (...) Dass sich die ganze Familie mit dem Beruf des Mannes identifizierte, wurde vorausgesetzt und von den Frauen insoweit befolgt, dass sie den Beruf als Titel vor ihren Namen trugen. War es doch im 19.Jahrhundert einer ‚Frau Doktor’, einer ‚Frau Justizrat’ oder einer ‚Frau Kommerzienrat’ lediglich erlaubt, einen solchen Titel zu erheiraten.“[15]

 

Die Rolle und Bedeutung der Frau, gerade für den gemeinsamen Hausstand, wurde jedoch nicht unterschätzt. Anders als im heutigen Bewusstsein erschien die Hauswirtschaft dabei mit systematischer Planung, Vorratshaltung und systematischen Einkauf, noch als integraler Bestandteil der allgemeinen Wirtschaft. Von der Hausfrau und deren Umsicht, Sparsamkeit und Geschäftssinn hing Entscheidendes ab. „Dazu kam die sparsame Haushaltsführung, die als den für den beruflichen Erfolg des Mannes mitverantwortlich begriffen wurde. Dem männlichen Erwerb stand die weibliche ‚nützliche Anwendung’ des Erwerbs gleichwertig zur Seite.“[16] Die von ihr geforderten Eigenschaften waren Fleiß, Klugheit und Arbeitsamkeit. Außerdem war die Ehefrau für das Ansehen und die Ehre der Familie verantwortlich, was bei ihr ein züchtiges Auftreten in Kombination mit einem mäßigen Lebensstil erforderte. Der Frau wurde von ihrem Ehemann die engere Funktion der Haushaltsführung übertragen, wofür er ihr ein fixes Haushaltsgeld aussetzte. Mit diesem Betrag hatte sie äußerst sparsam zu wirtschaften, und ein penibel geführtes Haushaltsbuch musste über die einzelnen Budgetposten Rechenschaft ablegen. „Zugleich war die Ehefrau eines Kaufmanns mit dessen Einverständnis geschäftsfähig. Dennoch unterstand die Frau rechtlich dem Hausväterregiment des Ehemannes, ohne daß sich dies jedoch in einer alltäglichen Unterwerfung der Frau unter das Regiment des Mannes äußern mußte.“[17] Nach außen hin wurde das Haus vom Mann, der auch als einziger politische Rechte besaß, vertreten. Im Haus und während der alltäglichen Arbeit aber waren die Gewalten auf beide Partner verteilt. Als eheliche Tugenden wurden vor allem gegenseitiges Interesse, Teilnahme, Selbstbeherrschung, Anstand und Rücksichtnahme gesehen.

 

 

Der Rolle der Kinder entsprachen gewisse Tugenden wie Gehorsam, Ehrerbietung, Dankbarkeit, Vertrauen und Lerneifer.[18] Der Vater wurde als Autoritätsperson und Freund des Kindes zugleich wahrgenommen. Die Mädchen erlernten in Privatunterricht oder höherer Töchterschulen das Klavierspiel, erhielten Tanzunterricht, Unterweisung in Religion, Handarbeiten und Fremdsprachen. Die Jungen besuchten meistens öffentliche Schulen oder Internate und waren für den naturwissenschaftlichen Bereich zuständig. Man bereitete...

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