Die Tatsache, dass das deutsche Bildungssystem in den letzten Jahren, vor allem aufgrund der PISA Debatten deutlich in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit gerückt ist und Schülerinnen und Schüler anderer Nationalitäten geringere Bildungschancen gewährt, lässt auch für die Zukunft vermuten, dass aufgrund der Benachteiligungen und Bildungsungleichheiten der Jugendlichen mit Migrationshintergrund das deutsche Schulsystem auch weiterhin im Fokus des öffentlichen Interesses stehen wird. Solange jedoch keine umsetzbaren Vorschläge und effiziente Fördermaßnahmen unternommen werden, um die prekäre Situation von Migrantenjugendlichen im Bildungswesen zu verbessern und ihnen dementsprechend gleiche bzw. bessere Bildungschancen zu ermöglichen wie gleichaltrigen deutschen Kindern und Jugendlichen, werden zukünftige Studien vermutlich dem deutschen Schulsystem ebenfalls ein schlechtes Zeugnis aushändigen.
Da gegenwärtig in Deutschland sowohl viele Studien als auch die Medien bislang Fragen der schulischen Bildung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund vielfach nur unter den Aspekten ihrer Benachteiligung beleuchten und Auskunft darüber geben, wie miserabel die Betroffenen im deutschen Bildungswesen abschneiden, soll sich daher der Schwerpunkt dieser Arbeit nicht hauptsächlich auf den Misserfolg, sondern vielmehr auf bildungserfolgreiche Jugendliche mit Migrationshintergrund beschränken. Im Hinblick auf bildungsspezifische Aspekte und Bildungsbeteiligung ausländischer Schülerinnen und Schüler wird des Öfteren und immer wieder nur die Schattenseite aufgezeigt bzw. reflektiert, sodass das Thema Bildungserfolg von Migrantenkindern vernachlässigt und aus den Augen verloren wird.
Daher soll sich das Augenmerk dieser Arbeit hauptsächlich auf Schülerinnen und Schüler richten, die ein migrationsgeschichtlichen Hintergrund aufweisen und aufgrund dieser Eigenschaft viele Benachteiligungen, Diskriminierungen und Ungleichbehandlungen durch die Familie, Schule und Peergroup erfahren, aber trotz all dem in der Lage sind, auftretende Hürden zu überwinden und einen außerordentlich guten Weg einzuschlagen, sodass sie schließlich eine erfolgreiche schulische Laufbahn mit guten Schulleistungen, Schulabschlüssen und den Besuch einer höheren Schulform durchlaufen. In diesem Kontext sollen wichtige Mechanismen im Rahmen der Familie, Schule und Peergroup aufgezeigt werden, die in gewisser Weise den Bildungserfolg dieser Jugendlichen fördern oder auch einschränken können.
Mit Hilfe der zur Verfügung stehenden Literatur wird geklärt, ob und inwieweit sich Jugendliche mit Migrationshintergrund, insbesondere türkische Jugendliche, in Anbetracht der symbolischen Dreierkonstellation von Familie, Schule und Peergroup auseinandersetzen und welche Hürden sie überwinden müssen, die vor allem den Schulerfolg beeinflussen und dementsprechend Konsequenzen für die zukünftigen Entscheidungen haben können.
Demnach ist das Ziel dieser Arbeit die Wechselbeziehung und den Einfluss zwischen diesen genannten Faktoren auf den Schulerfolg des Migrantenjugendlichen aufzuzeigen und zu analysieren. Dabei stehen im Mittelpunkt Fragen nach den persönlichen Merkmalen wie Stärken und Kompetenzen dieser Jugendlichen, wie sie versuchen sich in das deutsche Schulsystem zu integrieren, welche Hilfe und Unterstützung sie am besten durch ihre Familien und der Schule vermittelt bekommen und welchen Wert sie auf soziale Kontakte außerhalb der Schule legen.
Im Folgenden soll in Kapitel 2 sowohl auf das theoretische als auch auf das empirische Datenmaterial eingegangen werden. Zur theoretischen Fundierung der Analyse dient der Begriff des kulturellen Kapitals nach Pierre Bourdieu, der die sozialen Ungleichheiten im Bildungssystem durch die ungleiche Verteilung von kulturellen Ressourcen erklärt. Des Weiteren erscheinen hier vor allem als empirisches Material die PISA-Studien 2000 und 2003, die aufschlussreich für die Bestätigung der Argumentationslinie sind.
Daran anschließend werden die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem dargestellt. Zu diesem Zweck wird der Übergang von der Grundschule auf die weiterführende Schulform aufgezeigt, wo speziell die Gesamtschule und das Gymnasium angesprochen werden. Das Kapitel 3 schließt mit der Darstellung der Vergleiche hinsichtlich der Bildungsabschlüsse mit dem Fokus auf Nationalitäten, Geschlecht und Bundesländer.
Kapitel 4 enthält Informationen über die Einflussnahme der Herkunftsfamilie auf die schulischen Geschehnisse. Hierbei werden sowohl Einstellungen und Wissen als auch Partizipationsmöglichkeiten und Lehrerbilder der ausländischen Eltern im deutschen Schulsystem aufgezeigt.
Kapitel 5 thematisiert einen weiteren Faktor, nämlich die Peergroup, die auch versucht auf den Bildungserfolg der Migrantenjugendlichen Einfluss zu nehmen. Es soll aufgezeigt werden, was durch die Hinwendung zu einer Gleichaltrigengruppe im schulischen und familiären Bereich bewirkt werden kann und inwieweit eine Teilnahme mit Gleichgesinnten den Schulerfolg beeinflusst.
In Kapitel 6 werden die wichtigsten Ergebnisse hinsichtlich des Schulerfolgs zusammengefasst. Es geht darum, welche Faktoren ausschlaggebend sind für die Erlangung einer höheren Qualifikation - also dem Schulerfolg - wobei dem wiederum die erschwerenden Faktoren entgegengesetzt werden.
Im Anschluss daran erfolgt in Kapitel 7 das Fazit, wobei unter anderem Empfehlungen und Förderkonzepte vorgelegt werden, die auf die schulische Situation der Jugendlichen mit Migrationshintergrund eingehen und eine Verbesserung der Lage der Migrantenjugendlichen an deutschen Schulen zum Ziel haben.
Um der Analyse dieser Arbeit nachgehen zu können, ist es zunächst einmal wichtig und sinnvoll auf einige Begriffe, die mit dieser Thematik sehr eng verbunden sind, näher einzugehen. Die Definitionen sind daher von großer Bedeutung, um Missverständnisse von vornherein auszuschließen. Der Begriff Schulerfolg wird mit dem Terminus Bildungserfolg synonym benutzt, weil „Bildung und Schule nicht zu unterscheiden sind und Schulerfolg somit auch automatisch mit Bildungserfolg gleichzusetzen ist“ (Betz, 2004, S. 13). Der Grund dafür liegt insbesondere darin, dass der Schulerfolg eine bestimmte Kategorie von Bildungserfolg darstellt, da Schule und Bildung eine enge Parallellinie aufweisen, sich gegenseitig bedingen und einen unzertrennlichen Zwilling darstellen.
Definitorisch betrachtet, drückt Schulerfolg vs. Bildungserfolg „das Erreichen bzw. den Nachweis bestimmter schulischkognitiver Kompetenzen, ihre Zertifizierung und sodann ihre nachschulische Verwertbarkeit“ (Betz, 2004, S. 14) aus. Dies soll unter anderem so verstanden werden, dass es gegenwärtig nicht möglich ist ohne eine bestimmte Grundqualifikation und ohne einen höheren Schulabschluss eine gesicherte Zukunft aufzubauen. Denn die „Schulbildung ist das wichtigste Mittel zur Realisierung sozialer Ansprüche geworden […] da für die allermeisten Kinder nur noch die berufliche Leistung die Erfüllung des Aufstiegs- und Sicherheitsbedürfnisses gewährleistet […] Sozialer Aufstieg wie soziale Selbstbehauptung gehen heute fast ausschließlich auf dem Weg über die Schulbildung vor sich. Damit ist vor allem der Höheren Schule eine ungemeine gesellschaftliche Funktion zugewachsen“ (Messerschmid, 1957, S. 40 f.). Je erfolgreicher man ist und wird, desto besser und schneller bekommt man die geschlossenen Türen auf. Der Erfolg in der Schule stellt demnach den Schlüssel zur Selbstentfaltung dar und „wird zu einer zentralen Erwartung in der Gesellschaft und in den Familien“ (Sauer/Gamsjäger, 1996, S. 16).
In dieser Arbeit setzt die Vorstufe des Schulerfolgs ab dem Zeitpunkt ein, wo beim Übergang von der Grundschule auf die weiterführende Schule eine höhere Schulform empfohlen, ausgesprochen und gewählt wird, sodass letztendlich der richtige Bildungserfolg anhand guter Schulleistungen und Schulabschlüsse in der Sekundarstufe I und II identifiziert werden kann. Außerdem sei hier kurz angemerkt, dass Bildungserfolg nicht nur im schulischen Sektor anzutreffen ist, sondern auch in Bezug auf den Beruf oder eventuell in anderen Bereichen des Lebens eine wesentliche Rolle einnehmen kann, wobei in dieser Arbeit nicht auf diese verschiedenen Perspektiven eingegangen wird.
Ausgehend von dem Literaturbestand, kann festgestellt werden, dass zwar viele Autoren genau an dieser Thematik Schulerfolg anknüpfen und auch ihren Forschungsschwerpunkt damit in Zusammenhang bringen, aber letztendlich keine zitierbare Definition, Bedeutung oder Erläuterung des Schulerfolgsbegriffs anbieten. Hierbei ist daher kritisch anzumerken, dass Autoren, Forscher und Wissenschaftler, die sich zukünftig Themen als Forschungsgegenstand aussuchen, in erster Linie explizit auf die Begrifflichkeiten eingehen sollten, da jeder Leser ein anderes Verständnis für bestimmte Begriffe hat und ohne...