Kapitel 1
Der Chef ist die überflüssigste Person im Unternehmen
Vom IM- zum AM-Unternehmer
In diesem Kapitel erfahren Sie, warum und wie Sie aus Ihrem Unternehmen aussteigen müssen, um Ihr Unternehmen zu führen.
Herr Fischer, atmen Sie! Sie müssen atmen!“ Die junge Ärztin auf der Intensivstation schreit viel zu laut in mein Ohr.
„Ach“, denke ich, „ich möchte jetzt nicht mehr atmen, es ist alles so schön.“ Aber dann beatmet man mich künstlich und ich wache 14 Tage später aus dem Koma auf. Diagnose Multiorganversagen: Nieren, Lunge, Leber.
Ich hatte Beachvolleyball gespielt. In Griechenland am Strand. Dann ein ganz normaler Kreuzbandriss am Knie. Pech, aber keine große Sache. Jeder Sportler weiß, dass das letztendlich der Hausmeister im Krankenhaus operieren kann. Zurück in Deutschland war die Operation am Freitag vorbei. Am Wochenende schoss meine Fieberkurve in die Höhe. Eine Infektion hatte sich im Knie ausgebreitet und am Montag dann die schreiende Ärztin an meinem Ohr.
1993 hätte ich also beinah den Löffel abgegeben.
Es blieb dann bei einem halben Jahr Krankenhaus und einem Vierteljahr Reha-Klinik. Dieser Unfall mit seinen Folgen hat mich ein halbes Jahr weggedonnert. Stellen Sie sich das mal vor: Draußen, in meiner jungen Firma ging die Post ab und ich lag fast tot im Krankenhaus. Was passiert da, wenn nach einem halben Jahr monatelang der Chef fehlt? Da war richtig viel Druck, die Leute wollten den Führerschein machen nach acht Jahren Wartezeit.
Eigentlich eine Katastrophe.
Zugleich habe ich immer daran geglaubt, dass ich wieder zurückkehre und dass ich mit noch mehr Energie als vorher die Dinge angehen werde. Irgendwoher hatte ich diese Kraft, zu sagen: „Ich freue mich schon, wiederzukommen. Ich freue mich, aus diesem verdammten Krankenhaus rauszukommen.“ Ich habe nicht gedacht: „Was kommen jetzt für Probleme auf mich zu? Muss ich in meiner Firma aufräumen?“
Meine Eltern haben mich damals abgeschirmt, damit ich schnell genese. Das war eigentlich gar nicht gut für mich. Meine Mitarbeiter hätten lieber jeden Tag kommen und sagen sollen: „Ja, Mike, was liegst du denn hier rum? Wird Zeit, dass du wieder zurückkommst.“
Für mich war die Vorstellung „Ich will zurück ins Büro“ der Anker, an dem ich mich festhielt. Und es gab Peter Fritsche, damals meine rechte Hand.
Irgendwann habe ich zu ihm gesagt: „Mensch Peter, organisiere doch mal eine Telefonkonferenz.“ Telefonkonferenz hieß damals noch ganz einfach Hörer-in-die-Hand-nehmen-und-auf-laut-Stellen. „Hol’ doch mal alle Mitarbeiter ran, die haben doch fast drei Monate nichts von mir gehört. Stell’ auf laut und ich sage mal was.“
Und was haben die durch den Hörer von mir gehört? „Leute es geht mir gut, ich komme bald wieder!“ Und was machen die alle? Die schreien durch den Hörer zurück: „Jaaaaaaaaaah!“
Sie schreien, sie jubeln und ich höre das am Telefon. Und da fange ich natürlich an zu heulen. Ich sage mir: „Jawohl, die brauchen mich wieder. Also los, Mike, noch schneller gesund werden, weiter das Bein trainieren, damit du rauskommst aus diesem scheißverdammten Krankenhaus.“
Als ich nach insgesamt neun Monaten wieder in die Firma zurückkehrte, war ich platt.
Ich dachte immer noch, ich würde gebraucht. Ich dachte immer noch, dass die jeden Tag auf mich warten. Fehlanzeige. Ich hatte nämlich zum Zeitpunkt meines Unfalls schon Top-Mitarbeiter beschäftigt. Die Rechnungen, die Löhne – alles war bezahlt. Die Auftragslage hatte sich teilweise sogar verbessert. Meine Mitarbeiter hatten das Unternehmen in die Hand genommen. Sie waren über sich selbst hinausgewachsen, haben in dieser Zeit zum Beispiel die besten Mitarbeiter anderer Ausbildungsbetriebe abgeworben und sind ins LKW-Ausbildungsgeschäft eingestiegen. Da waren vollkommen neue Kalkulationen, Innovationen und Investitionen notwendig und ich hatte darauf überhaupt keinen Einfluss. Ich konnte es kaum glauben. Und ziemlich schnell war ich begeistert: was für ein Potenzial bei meinen Mitarbeitern! Das war tatsächlich noch viel größer, als ich es vorher schon eingeschätzt hatte.
***
Warum erzähle ich dieses Drama aus meinem Leben, aus dem auch so viel Gutes resultierte? So nebenbei will ich mit dieser Geschichte Kraft geben. Kraft, Träume zu leben, sie auch weiterzuleben, wenn man eigentlich fast schon tot ist.
Vor allem aber will ich etwas zeigen: Unternehmer, Führungskräfte, Entscheider müssen sich nicht wichtiger nehmen als sie sind. Ich war ein halbes Jahr komplett ausgeknockt und ein Dreivierteljahr raus aus meinem Unternehmen. Was ich mir vorher nie hätte vorstellen können: Alles lief weiter. Es lief gut weiter. Seitdem denke und handle ich unternehmerisch anders. Ich weiß: Ein exzellentes Unternehmen funktioniert ohne den Unternehmer – und sollte erst recht langfristig ohne ihn funktionieren. Wer alle Aufgaben selbst ausführen will, verzettelt sich, arbeitet mehr als 60 Stunden pro Woche und bringt sein Unternehmen dennoch nicht nach vorn.
Unternehmer sind in vielen kleinen und mittleren Unternehmen oft Fachkraft, Verwalter, Manager, Werbegestalter und Steuerberater in einem. Das sind aber ganz andere Berufe als der des Unternehmers. So wie Mitarbeiter, die nicht genau wissen, was sie zu tun haben, ihre Aufgabe nicht wirklich gut erledigen können, so ist es auch bei Unternehmern.
Die meisten Unternehmer bauen sich eine Firma um sich selbst als Zentrum der Welt. Und dann finden sie später keinen Nachfolger.
Gerade in kleinen und mittelständischen Unternehmen sehe ich das bei vielen meiner Kollegen ständig: Sie beenden ihr Berufsleben und damit stirbt auch das, was sie sich vielleicht 20 Jahre lang aufgebaut haben. Es welkt einfach dahin. Wenn der aktuelle Unternehmer geht, ist der Betrieb nichts mehr wert. Da begräbt jemand mit den 20 Jahren Arbeit im eigenen Unternehmen alles mit, was darin steckt: sehr viel Leidenschaft, sehr viel Schmerz, sehr viel Freude. Das möchte ich niemals erleben. Denn damit wird auch meine eigene Vorstellung von dem, was ich mit meinen Händen geschaffen habe, zu Grabe getragen. Mein Grundsatz lautet deshalb:
Erfolgreiche Unternehmen haben eine viel längere Lebensdauer als erfolgreiche Unternehmer.
Ich vergleiche manchmal ein Unternehmen mit einer Schmiede. Der Unternehmer benötigt dort Leute, die die Hämmer schmieden, die den Weg von der Esse zum Amboss freihalten, die sich neue Formen für den Hammer überlegen. Das sind die Fachkräfte. Er benötigt aber auch Leute, die die Arbeit einteilen, so dass niemand zu sehr ermüdet; so dass jeder das tut, was er am besten kann; so dass alle gut vorwärts kommen. Diese Leute beobachten auch, ob und warum einzelne Fachkräfte effektiver sind; sie bringen dann den anderen diese Verbesserungen bei. Das sind die Manager.
Und dann gibt es noch einen, der hoch oben in der Luft als Adler über der Schmiede und über dem Land kreist, aber gut gehört werden kann, wenn er runterruft: „Hört mal zu, Jungs und Mädels, wir sind im falschen Haus, wir müssen umziehen!“ Das ist der Unternehmer.
Keiner kann zur selben Zeit den Hammer schmieden, die Arbeit einteilen und über der Schmiede kreisen. Ein guter Unternehmer stellt in seiner Schmiede selbst keinen einzigen Hammer her. Er teilt auch nicht die Arbeit ein und organisiert nicht die Abläufe in der Schmiede. Er verkauft den Hammer nicht. Er kümmert sich auch nicht um den Kunden, der den Hammer gekauft hat. Das ist alles Fachkraft- und Managementaufgabe, aber keine Unternehmeraufgabe. Und damit sind wir bei diesen Fachkräften und Managern – bei den Mitarbeitern: Mitarbeiter wollen mehr als nur einen festen, sicheren Arbeitsplatz. Mitarbeiter wollen mitbestimmen, mitverändern, mitgestalten. Die wollen nicht nur den Hammer schmieden, die wollen auch neue Hammerformen erfinden, einen neuen Amboss bauen, neue Hammerkunden gewinnen. Das werden sie aber nur in einem Arbeitsklima tun, in dem sie kreativ sein können. Gute Mitarbeiter wollen gestalten. Warum, verdammt nochmal, lassen wir sie dann nicht?
Ich tue als Unternehmer genau zwei Dinge. Erstens: Ich stelle die Schmiede her, in der der Hammer produziert wird. Ich schaffe ein kreatives Arbeitsklima, in dem meine Mitarbeiter gestalten und sich entfalten können und in dem der Laden schließlich ohne mich läuft. Abgesehen davon halte ich mich raus und blicke aus der Adlerperspektive auf alles hinunter. Und zweitens: Auf längere Sicht kümmere ich mich um die Übergabe der Schmiede.
Ich arbeite immer weniger IM – immer mehr AM Unternehmen.
Schon jetzt arbeite ich zu 80 Prozent nicht mehr in meiner Firma. Und ich binde den Sack sukzessive zu. Bald werden es 100 Prozent Arbeit am Unternehmen sein. Bald werde ich sagen können: „Ich bin die überflüssigste Person in meinem Unternehmen.“
Wie Sie „AM-Unternehmer“ werden
- ? Entwerfen und gestalten Sie Ihre private und berufliche Vision, Ihre Ziele. Denken Sie darüber nach, was Ihnen wirklich wichtig ist.
- ? Überlegen Sie sich, was mit Ihrem Unternehmen passieren soll, wenn Sie nicht mehr da sind.
- ? Fragen Sie sich: Welche Wege führen mich zur Verwirklichung meiner Vision? Und fechten Sie Ihre Strategie durch.
- ? Entwickeln Sie sich selbst als Persönlichkeit weiter, um für Mitarbeiter Vorbild und...