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Einleitung
1.1 Zu Besuch im virtuellen Deutschen Kunststoff Museum
Das Deutsche Kunststoff Museum ist einerseits ein virtuelles Museum im Internet (www.deutsches-kunststoff-museum.de), anderseits ein mobiles Museum. Als Träger wurde am 10. April 1986 der Kunststoff-Museums-Verein e.V. (KMV) gegründet, der sich satzungsgemäß die Aufgabe gestellt hat, »die wissenschaftliche, technische, wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung der Kunststoffe in Vergangenheit und Gegenwart (…) in umfassender Weise darzustellen und einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren«.
Im Laufe von 25 Jahren wurde eine Sammlung von mehr als 15 000 Objekten aufgebaut, die sich heute in einem Gebäude der Messe Düsseldorf GmbH befindet. Die Gründungsurkunde, in Garmisch-Partenkirchen unterzeichnet, weist auf den »Beitrag der Kunststoffe zur Kultur, Wissenschaft und Technik, Lebenshaltung und Lebensgestaltung der Menschen unserer Tage« hin und auf die »Verpflichtung, dieses Erbe zu erhalten und zu dokumentieren«. In der Vereinssatzung vom 25. Oktober 1994 werden die Aufgaben wie folgt formuliert und spezifiziert:
»1. Der KMV hat die Aufgabe, die wissenschaftliche, technische, wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung der Kunststoffe in Vergangenheit und Gegenwart durch Schaffung eines Kunststoff-Museums in umfassender Weise darzustellen und einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren.
2. Der KMV bezweckt die Sammlung und Ausstellung von Kunststoffen, Gegenständen aus Kunststoffen, deren Anwendung und Verwertbarkeit, Formen und Maschinen zu ihrer Herstellung und die Dokumentation auf historischer Basis.«
Die Aktivitäten des KMV lassen sich mit den Stichworten Sammlung, Ausstellung/Wanderausstellungen und Öffentlichkeitsarbeit zusammenfassen.
Zeitlich beginnen die Sammlungen bereits um 1855 mit frühen Objekten aus Schellack sowie um 1870 mit dem Celluloid (Produktionsmuster sowie Rezepturen der Westdeutschen Celluloidwerke in Meerbusch-Lank, s. Abschnitt 2.4). Es folgen Phenoplaste (Bakelit ab 1907) und noch aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg Aminoplaste, Polyvinylchlorid, Plexiglas (PMMA), die Polyamide (Nylon) und Polystyrolin Form zahlreicher Exponate vom Kinderspielzeug bis zu Möbeln. Weitere Dokumente der Sammlungen sind historische Fotografien zur Herstellung und Verarbeitung von Kunststoffen, Demonstrationsobjekte zur Verdeutlichung der Herstellungsprozesse sowie frühe Werbemittel für Kunststoffe.
In der Broschüre des KMV (als pdf-Datei im Internet) ist zur Bedeutung der Sammlungen zu lesen:
»Die Sammlung der KMV ist heute schon zu einem bedeutenden Sachdokument der Geschichte der Kunststoffe und ihrer Verwendung geworden. Mit ihrer Hilfe können verschiedene Aspekte beleuchtet werden: Materialentwicklung und Verarbeitungstechniken, die mehr in den Bereich der Chemie- und Industriegeschichte fallen, aber auch die Entwicklung von Konsumwaren und ihre formale Gestaltung, die wiederum Aufschlüsse über gesellschaftliche, technologische und designgeschichtliche Veränderungen vermitteln.«
Die Exponate werden als Dokumente der Alltagskultur verstanden.
Ausstellungen aus der eigenen Sammlung und von Leihgebern wurden bisher in 14 thematisch geordneten Ausstellungen an verschiedenen Orten durchgeführt. Zu den größeren Ausstellungen wurden auch Begleithefte oder Kataloge erstellt. Beispiele für Ausstellungen des mobilen Museums sind:
– »Unter Strom. Kunststoffe und Elektrizität. Vom Bakelitschalter zum Blackberry«
– »Wir packen es! Transportieren, schützen, werben mit Kunststoffen«
– »Die Kunststoff-Macher – Meilensteine beispielloser Erfindungen« (von John Wesley Hyatt, dem Entwickler von Celluloid, bis zu Hermann Schnell und den von ihm synthetisierten Polycarbonaten).
Die Dokumentation der Sammlung erfolgt in einer Datenbank, bereits seit 1996 ist der KMV online. Auf mehr als 40 Seiten werden Hintergrundinformationen zu Kunststoffen, zur Geschichte der Kunststoffe und zu den einzelnen Bereichen mobiles Museum (»Unter Strom/Wir packen es/Die Kunststoff-Macher/Büro/Spielzeug/Rasierer/Bad), virtuelles Museum (Foyer/Lieblingsschätze/Spielmobile/Designerstühle/Spielerzeugnisse), zur Sammlung (Datenbank/Lieblingsobjekt/Struktur), über Aktuelles (Ausstellungen/Neuerwerbungen/Buchtipps), Videos sowie Textbeiträge zu den einzelnen Gruppen an Kunststoffen (vom Gummi bis zum Acrylnitril-Butadien-Styrol) und schließlich über den Verein und das Netzwerk vermittelt. Im Internet ist auch eine Volltextsuche möglich. Ein Glanzstück des neuen Internetauftritts 2012 ist die Online-Datenbank im virtuellen Museum, in der über 7000 Objekte in Text und Bild recherchiert werden können.
Die Textbeiträge beschäftigen sich beispielsweise mit den Themen »Was ist Plastik? Plastik ist Plastik. Kunststoff ist mehr.«, »Kunststoffe im Sport – Revolution im Breiten- und Leistungssport«, »Der Stoff, der Herzen höher schlagen lässt. Kunststoff in der Medizin«, »Frei geformte Skulpturen« oder »Der Bart muss ab! Rasur und Kunststoffe«.
Ein Beispiel aus den Textbeiträgen ist in Abschnitt 2.4 (Celluloid) nachzulesen.
Auf der Internetseite des Deutschen Kunststoff Museums führen Links zu weiteren interessanten Museen sowie zur Deutschen Gesellschaft für Kunststoffgeschichte (www.dg-kunststoffgeschichte.de) mit Informationen zu den Eigenschaften von Kunststoffen, Handelsnamen, Kurzbeschreibungen/Glossar und über Synthesemethoden von Polymeren.
Als Kunststoffmuseen sind zu nennen: das Deutsche Bakelit-Museum in Kierspe (s. Abschnitt 3.1.2), das Kunststoff Museum Troisdorf des Dynamit Nobel Konzerns, das Kunststoff-Additiv Museum in Lingen (Baerlocher) und der Freundeskreis Chemie-Museum Erkner e.V. (FCME).
Das Kunststoff Museum Troisdorf (www.kunststoff-museum.de) – als Museumsverein – dokumentiert die Geschichte der Produktion von Celluloid seit 1905, stellt Koffer aus Vulkanfiber, Radiogehäuse, Isoliermatten aus Schaumstoff, robuste Wasserrohre aus Kunststoff, Folien für Verbundsicherheitsglas, weichgemachtes PVC als Bodenbelag seit den 1930er Jahren (Mipolam®), das erste 1954 in Serie hergestellte Kunststoff-Fensterprofil (Trocal®) und vieles mehr vor. Zu besichtigen im Museum für Stadt- und Industriegeschichte in Troisdorf (s. in G. Schwedt: Experimente rund um die Kunststoffe des Alltags, Wiley-VCH, Weinheim 2013).
Das Kunststoff-Additiv Museum in Lingen wurde 1998 von der Familie Dr. Michael Rosenthal zum 175-jährigen Firmenjubiläum der Baerlocher GmbH gestiftet (www.baerlocher.com/de/kunststoff-additiv-museum/). Die Aufgabenstellung lautet nach eigenen Angaben: »Darstellung der industriellen Produktion als historischer Prozeß und die Dokumentation der Geschichte und Zukunft der Additiv-Herstellung und der damit verbundenen Kunststoffe. Das Museum will den Besuchern in einer Dauerausstellung sowie in wechselnden Sonderschauen die wichtige Rolle der Kunststoffe in unserem Leben und der für die Verarbeitung notwendigen Hilfsstoffe veranschaulichen. Ein besonderer Schwerpunkt ist dabei auf den Kunststoff PVC gesetzt, die in den letzten Jahren in der Kritik steht. Eine ausführliche Diskussion über die Umweltverträglichkeit und Recyclingmöglichkeiten des Werkstoffes PVC vermittelt dem Besucher ein objektives Bild der aktuellen Situation.«
Der Freundeskreis Chemie-Museum Erkner e.V.(www.chemieforum-erkner.de) entstand am 16. Dezember 2003 an einem historischen Ort – dem Bakelit-Werk in der Flakenstraße in Erkner bei Berlin (s. Abschnitt 3.1.1). Als Aufgabe formuliert der Verein: »Unser zentrales Anliegen ist die Erinnerung und Präsentation der chemiehistorischen Bedeutung Erkners und der Entwicklung auf dem Gebiet der Werkstoffe (Plaste, Elaste, Faserstoffe) und anderer Gebiete der Chemie im Alltag mit Hilfe von Vorträgen, Ausstellungen, Experimenten, Publikationen, Sammlungen und speziell eines – in Berlin und Brandenburg noch einmaligen – Chemie-Museums in Erkner.« 2009 erschien zur Jubiläums-Tagung und -Ausstellung der Katalog »Bakelit 100 – Kunststoff aus Erkner erobert die Welt«. (Im Internet ist ein virtuelles »Bakelit-Museum« eröffnet.)
1.2 Ernst Richard Escales und der Begriff ›Kunststoff‹
Ernst Richard Escales (1863–1924) wurde als Sohn eines Fabrikbesitzers in Zweibrücken geboren. Er studierte an den Universitäten in Würzburg, Erlangen, München, Freiburg und Zürich und promovierte 1886 in Würzburg mit einer Arbeit »Über Verbindungen von Phenylmerkaptan mit Ketonsäuren«. Danach war er für kurze Zeit an der Weberschule in Münchberg (ab 1898 Königliche Höhere Webschule in der Kulmbacher Straße, heute Fachhochschule) tätig, 1887–1896 leitete er die Fabrik seines Vaters....