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Säkularisierung durch Islamismus. Die Islamischen Republik Iran

Zur These Olivier Roys über das Scheitern des politischen Islam

AutorFarshad Mohammad-Avvali
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl104 Seiten
ISBN9783638785204
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Bachelorarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Politik - Internationale Politik - Region: Naher Osten, Vorderer Orient, Note: 1,0, Universität Bayreuth, 106 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Der Aktivismus des politischen Islams führt zu einer Säkularisierung und Desakralisierung der Politik. Trotz seiner Sonderstellung als einzig erfolgreiche islamistische Revolution im Nahen Osten, sieht Roy den Plan eines Gottesstaates im Iran gescheitert. Wie bei vielen anderen islamistischen Bewegungen hat die politische Realität über das religiöse Ideal gesiegt. Der Erfolg der Islamischen Revolution in Iran gründet sich nach Roy nicht auf einer effektiveren oder ansprechenderen religiösen Position im Vergleich zur Muslimbruderschaft oder der Jama'at-i Isl?mi, sondern zum einen auf der finanziell und politisch unabhängigen und hierarchisch aufgebauten Struktur der schiitischen Geistlichkeit. Sowie auf der festen Institutionalisierung der neuen politischen Ordnung mit einer bindenden Verfassung - ein elementarer Schritt, an dem andere Islamisten gescheitert sind. Roy konstatiert, dass die politische Ideologie Khomeinis festgesetzt hat, was als religiös zu verstehen ist. Nicht die Religion definiert das politische System. Vielmehr wird der religiöse Raum durch die politischen Instanzen festgelegt und kontrolliert. Die vorliegende Arbeit bietet eine Darstellung und Analyse der Theorie von Olivier Roy, der die Islamische Revolution 1979 als einzig erfolgreiche politisch-islamistische Bewegung präsentiert, sie jedoch religiös-ideologisch wie jede andere islamistische Bewegung als gescheitert ansieht. Gemäß der thematischen Ausrichtung der Royschen Argumentation auf die Ideologiekritik, fokussiert der überwiegende Teil dieser Arbeit auf die Gegenüberstellung des ideologischen Anspruchs des Islamismus im Iran mit der faktischen Umsetzung seiner Aussagen in der Realpolitik. Es wird am Ende geschlussfolgert, dass Roys Ansatz eine differenzierte Perspektive auf die Islamische Republik Iran bietet. Die den politischen und gesellschaftlichen Umständen Irans angepasste Definition von 'secularisation' eröffnet interessante Möglichkeiten zur weiteren Beschäftigung mit der Beziehung zwischen Religion und Politik im heutigen Iran.

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Leseprobe

3. Das Scheitern des Islamismus


 


Roy sieht das Vorhaben des Islamismus als gescheitert an. Die islamistischen Bewegungen und Parteien konnten ihre politischen Ziele nicht verwirklichen. In den Wirkungsländern der Islamisten konnte mit Ausnahme des Irans kein islamischer Staat etabliert werden.

 

Aus einer ideologiekritischen Perspektive zeichnen sich für Roy schwerwiegende Umsetzungsschwierigkeiten im theoretischen Modell des Islamismus ab. Obwohl die islamische Transformation des politischen Raumes in einen islamischen Staat als eine elementare Voraussetzung für die Ermöglichung eines wahrhaftig islamischen Lebens in der Gesellschaft betrachtet wird, herrscht ein Mangel an konkreten institutionellen Bauplänen, um die politischen Konzepte der Islamisten in die Praxis umzusetzen. Was die Funktionstüchtigkeit des islamischen Staates ausmacht, ist nicht die Ausarbeitung eines komplexen Staatsorganisationssystems sondern die soziale Moral ihrer Mitglieder.[149] Zwar sind das Amt des am?r als Staatsführer und die sh?ra als eine Art beratendes Parlament grundlegende Instanzen in der politischen Theorie des Islamismus, jedoch werden ihre gegenseitigen  Beziehung und politischen Rechte und Pflichten kaum behandelt. Als formelle Bedingungen für den am?r gilt lediglich, dass er männlich, erwachsen und ein Muslim sein muss. Die staatlichen Instanzen gelten nicht als selbständige Bestandteile im Staatswesen, sondern allein als „Diener“ der Souveränität Gottes.[150] Die zentrale Aufgabe des Staates liegt in Erziehung der Bürger zu tugendhaften Muslimen. Diskussionen um die Struktur des Staates konzentrieren sich daher hauptsächlich um die moralischen Qualifikationen der Personen, die ein Amt besetzen.

 

Der Staat hat im islamistischen Denken keinen Selbstzweck. Während in der deutschen Verfassungslehre der Staat als Garant der gesellschaftlichen Ordnung und Grundfreiheiten verstanden wird[151], sehen die Islamisten den Staat lediglich als Mittel zur gesellschaftlichen Islamisierung, zur religiösen Revitalisierung jedes Einzelnen zu einem homo islamicus.[152] Ist die Tugendhaftigkeit jedes Einzelnen erreicht, verliert der Staat sein Existenzrecht. Staatliche Institutionen haben daher eine rein pädagogische Zielsetzung: die Eliminierung aller Möglichkeiten zur Sünde in der Gesellschaft. Der Staat ist kein Vermittler zwischen den Bürgern und keine gesellschaftliche Regelungsinstanz. Er achtet nur auf die Einhaltung einer islamischen Moralität in der Gesellschaft. Die Scharia nach islamistischer Definition hat in der antizipierten „reinen“ islamischen Gesellschaft die wahre Vermittlerfunktion. In diese Gesellschaft kann sie ihre volle Kraft entfalten, weil sie nicht von einer Obrigkeit oktruiert werden muss, sondern sich im gottesfürchtigen und tugendhaften Verhalten der gläubigen Bürger automatisch offenbart.[153]

 

Roy argumentiert, dass sich im politischen Denken der Islamisten ein paradoxer Zirkelschluss entwickelt: Der politische Aktivismus wird als Fundament der gesellschaftlichen Umwälzung gesehen. Eine islamische Gesellschaft kann nur in einem islamischen Staat gegründet werden. Jedoch kann auch dieser islamische Staat nur bestehen, wenn seine Bürger und Führer tugendhaft islamisch sind.[154] Somit werden die staatlichen Institutionen allein auf dem Fundament der unmöglich zu erreichenden Tugenden ihrer Mitglieder gebaut. Er kritisiert, dass die islamistische Fokussierung auf Moralität und Tugendhaftigkeit ihre Akteure für die gesellschaftliche Realität blind gemacht und eine „mystische“ aber realitätsfremde Gesellschaftsordnung konstruiert hat.[155] Soziale Segmentierung, Interessengruppen oder politische Fraktionen sind für Islamisten sündhaft und unannehmbar, da sie nach der Einheit (tawh?d) der umma streben, die ihre Interessen gesamtgesellschaftlich islamisch artikuliert.[156] Politische und soziologische Ansätze, die Differenzierung als eine gesellschaftliche Realität darstellen, werden von Islamisten verworfen.

 

3.1. Die Nationalisierung des Islamismus


 


Neben den ideologischen Aporien des Islamismus weist Roy darauf hin, dass sich dessen Akteure auch politisch nicht durchsetzen konnten. Die Islamisten waren nicht in der Lage, die politische Ordnung fundamental zu verändern und die „vollkommene“ islamische Gesellschaft zu gründen. Sie konnten aus dem nationalpolitischen Rahmen, in dem sie selbst entstanden sind, nicht ausbrechen. Ihr direkter Wirkungskreis endet meist mit dem staatlichen Territorium ihrer Heimatländer.[157] Die muslimischen Nationalstaaten erwiesen sich zudem auch als äußerst resistent gegenüber der islamistischen Herausforderung. Sie konnten die Islamisten entweder durch gezielte physische Verfolgung und Unterdrückung schwächen, oder sie zur politischen Normalisierung im Rahmen der nationalstaatlichen Politik und zur Aufgabe ihres revolutionären Impetus zwingen.[158]

 

Zwar konnte über die Muslimbrüder, die Jamaat-i Isl?mi und die Weltliga der Muslime mit Sitz in Saudi Arabien ein internationales Netzwerk gebildet werden, auf die sich viele kleinere islamistische Bewegungen berufen. Trotzdem ist dieses Netzwerk  nicht mit der kommunistischen KomIntern vergleichbar, da sie weder strukturiert aufgebaut noch hierarchisch organisiert ist. Es gibt keine konkrete und präzise politische Linie, an der sich die Vielzahl der anhängenden Gruppierung zu orientieren haben. Daher richten sich die einzelnen islamistischen Organisationen vorrangig an der nationalen Politik aus. Das Netzwerk dient hauptsächlich zur Finanzierung von Aktivitäten und zur Publizierung von islamistischen Druckschriften, dessen Botschaften für Roy durch die schwachen und undurchsichtigen Organisationsstrukturen des Netzwerkes sehr diffus wirken und für Erweckung einer internationalen Revolutionsbewegung unangebracht sind.[159]

 

Zudem konnten die Schia-Sunni Differenzen nicht überwunden werden. Während der Islamismus sich ideologisch um ein Ende der Spaltung zwischen Sunnitentum und Schiitentum einsetzt und die Islamische Revolution in Iran anfangs viele sunnitische Fürsprecher und Anhänger fand, wurden die islamistischen Ideale bald von einer eher antagonistischen Politik gegenüber Schiiten überholt.[160] Der Drift von Islamismus zu Neofundamentalismus brachte eine besonders anti-schiitische Haltung unter radikalen Sunniten in Saudi-Arabien hervor, die die saudi-iranischen Beziehungen für mehrere Jahre trüben sollte. Im Libanon stellt die schiitische Gemeinde zwar die Mehrheit der Bevölkerung, ist politisch, auch durch die Sunniten, jedoch deutlich marginalisiert.[161]

 

Die Nationalisierung der islamistischen Gruppen ist für Roy eine offensichtliche Entwicklung in den meisten Ländern des Nahen Ostens. Die Hamas[162] und der Islamische Jihad[163] kritisierten die Organisation zur Befreiung Palästinas (PLO)[164], da diese die nationalen Interessen des palästinensischen Volkes verraten hätten. Die libanesische Íizbu’llah sieht sich als Verteidigungsbastion der libanesischen Nation und kollaborierte in der Vergangenheit zu dem Zweck auch mit christlichen Gruppen. Die verschiedenen Zweige der Muslimbrüder agierten je nach den politischen Interessen ihres Wirkungskreises. So befürwortete der kuwaitische Zweig die militärische Intervention der USA im Zweiten Golfkrieg während die jordanischen Muslimbrüder sie vehement ablehnten.[165] Im Iran wurde im Ersten Golfkrieg an das Nationalgefühl der Soldaten im Kampf gegen den Irak appelliert. Armenische Christen wurden im Konflikt gegen den schiitischen Azerbaijan 1989 unterstützt. Um die amerikanische Militärpräsenz im Persischen Golf zu verringern, verstärkte der Iran die diplomatischen Beziehungen zu den konservativen Golfstaaten. Die politische Führung in Teheran unterstütze verdeckt die US Operation „Enduring Freedom“ 2003, die die Taliban militärisch entmachtete. Schiitische Minderheiten wurden zwar zeitweise unterstützt, jedoch sofort fallen gelassen, wenn es den nationalen Interessen Irans nützlich erschien.[166]

 

Roy schlussfolgert daraus, dass nationale (im Falle Irans Staats-)Räson die Ideologie der Islamisten überdeckt hat. In der politischen Realität haben geostrategische und politische Faktoren die ideologische Theorie überschattet. Die strategischen Grenzen, auf die die Islamisten gestoßen sind, haben sie dazu gezwungen, sich eine nationalistische Prägung anzueignen. Sie mussten sich an die Ausrichtung der nationalen Politik anpassen, um nicht durch staatliche Verfolgung aufgelöst zu werden.[167]

 

3.2.  Staatliche Re-Islamisierung


 


Trotz ihres politischen und ideologischen Misserfolges argumentiert Roy, dass die Islamisten eine Herausforderung dargestellt haben, auf die die staatliche Führung der jeweiligen muslimischen Länder reagieren musste. Um die Wirkkraft der islamistischen Bewegungen einzudämmen, wurde eine staatlich kontrollierte konservative Islamisierung vorgenommen, die insbesondere die Integrierung der...

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