Als Grundlage der späteren Ausführungen gibt dieses Kapitel einen Überblick über die Strukturen des deutschen Energiemarktes. An dieser Stelle soll verdeutlicht werden, in wieweit sich der Energiemarkt von anderen Märkten unterscheidet und worin die spezifischen Besonderheiten dieses Marktes liegen. Hierzu werden zunächst die charakteristischen Eigenschaften des Produktes Strom und ihre Bedeutung für die Energieversorger und deren Strategie beleuchtet. Im Anschluss wird ausgehend von der Struktur des Marktes detaillierter auf die historische Entwicklung vom einstigen Monopol bis hin zur Liberalisierung eingegangen.
Da der Strommarkt in seiner regulierungsseitigen Entwicklung aus verschiedenen Gründen dem Gasmarkt weit voraus ist, liegt, wie auch aus der Fachliteratur ersichtlich, der Schwerpunkt dieser Arbeit auf dem Strommarkt.[11]
Bei näherer Betrachtung des Produktes Strom ergeben sich, im Vergleich zu anderen Produkten, einige Besonderheiten, welche sich auf den Wettbewerb in der Strombranche auswirken.
Zunächst ist Strom nicht, bzw. nicht in ausreichendem Maße lagerbar, was bedeutet, dass die Stromerzeugung bedarfsorientiert und zeitgleich mit dem Verbrauch zu erfolgen hat. Bei unterschiedlichen Verbrauchsintensitäten muss sich also die Produktion der nachgefragten Menge anpassen können.[12] Da Strom ein homogenes Gut ist, das sich weder in Form, Farbe und Aussehen unterscheidet und in jedem Falle über ein Leitungsnetz vom Ort der Erzeugung zum Endverbraucher transportiert werden muss, fallen zwei wesentliche Differenzierungsmöglichkeiten weg. Ein Anbieter kann sich nämlich weder durch das Kernprodukt, noch über die Art der Distribution vom Wettbewerb abheben, da sich das Kernprodukt und seine Distribution bei allen Unternehmen der Branche gleichen[13]
Wegen der genannten Eigenschaften lässt sich Strom in die Kategorie der Commodities bzw. Gebrauchsgüter einordnen, zu denen auch Brennstoffe, landwirtschaftliche Produkte und Edelmetalle zählen. Gemeinsames Merkmal all dieser Gütern ist ihre Austauschbarkeit.[14] In starkem Kontrast zu High - Involvement und Prestige-Produkten, etwa aus dem Automobil- oder Mobilfunkbereich, ist Strom ein anonymes, erlebnisfernes Produkt ohne emotionale Aufladung, das wegen seiner Komplexität nicht nur Unklarheit, sondern auch Handlungsträgheit bei den Kunden auslöst.[15]
Die Verfügbarkeit des Stroms wird im Allgemeinen als selbstverständlich angenommen.[16] Unter Experten ist man sich über die Bedeutung der Versorgungssicherheit uneins. Während einige der Befragten davon ausgehen, dass die Versorgungssicherheit heute und in Zukunft gewährleistet und deshalb für den Verbraucher ein irrelevantes Kriterium ist, sehen andere, die durch den russisch-ukrainischen Gasstreit oder die bei RWE durch Mastenbruch aufgetretenen Stromausfälle hervorgerufenen Versorgungsprobleme des Jahres 2005 als mögliche Anzeichen für eine zunehmende Wichtigkeit der Versorgungssicherheit.[17]
Das Interesse der Verbraucher am Produkt Strom ist zum jetzigen Zeitpunkt relativ gering, zumal dessen eigentlicher Nutzen erst in Verbindung mit geeigneten Endgeräten wie Fernseher oder Elektroheizung entsteht.[18]
Dieses geringe kundenseitige Produktinteresse und die stark eingeschränkte Möglichkeit der Anbieter sich vom Wettbewerb zu differenzieren machen deutlich, dass für die Akteure der Branche die Kundenansprache mit besonderen Herausforderungen verbunden ist.
In der Elektrizitätswirtschaft unterscheidet man zwischen Stromversorgern, der industriellen Kraftwirtschaft und den privaten Erzeugern. Merkmal der Stromversorger, welche insgesamt 87 Prozent der gesamten Strommenge in Deutschland erzeugen ist, dass sie Dritte beliefern, also eine öffentliche Versorgung leisten.[19]
Im Jahr 1998, dem Jahr der Liberalisierung, gab es in Deutschland etwa 1.000 öffentliche Stromversorger. Diese untergliederten sich in drei Ebenen, nämlich die 8 überregionalen Verbundunternehmen, 80 Regionalversorger und über 900 lokalen Versorger (meist Stadtwerke).[20]
Die Netzgesellschaften der Verbundunternehmen betreiben die Übertragungsanlagen des Höchstspannungsnetzes und tauschen überregional Energie mit in- und ausländischen EVU (Energieversorgungsunternehmen) aus. Des Weiteren wird der Strom an Regionalversorger, Stadtwerke und zum Teil auch direkt an den Endverbraucher geliefert.[21] Mit einem Anteil von über 80 Prozent des erzeugten Stroms der öffentlichen Elektrizitätswirtschaft stellen sie damals wie heute die größte Gruppe der Energieversorger dar und verfügen so über eine enorme Marktmacht.[22]
Die Regionalversorger dagegen sind überwiegend in der Verteilung des Stroms an Lokalversorger und die Verbraucher selbst tätig. Die dafür benötigte Elektrizität wird von überregionalen und anderen Unternehmen gekauft, oder aber in eigenen Kraftwerken erzeugt.[23]
Auf der dritten Ebene der öffentlichen Versorgung stehen die Stadtwerke als kommunale Versorger. Kennzeichen der Stadtwerke, also der lokalen Stromversorger, ist, dass sie ihre Abnehmer, meist Endverbraucher, neben Strom häufig im Querverbund mit weiteren Produkten wie Gas, Fernwärme und Wasser versorgen.[24] Auch hinsichtlich Ihrer Beteiligungsstruktur unterscheiden sich die Stadtwerke von Verbundunternehmen und Regionalversorgern. Während letztere private und staatliche Beteiligungen aufweisen, sind an den Stadtwerken überwiegend Kommunen beteiligt.[25]
Die dargestellte Marktstruktur hat sich bis Anfang des Jahres 2005, also knapp 7 Jahre nach der Liberalisierung des Marktes verändert. So halbierte sich die Anzahl der ehemals acht Verbundunternehmen auf vier und es sind nun nur noch 60 Regionalversorger und 725 Stadtwerke am Markt.[26]
Vor der Liberalisierung im April 1998 hatten die EVU eine staatlich garantierte Monopolstellung mit geschützten Versorgungsgebieten inne, welche ihnen durch das EnWG von 1935 und das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen aus dem Jahre 1957, sowie deren Erweiterungen garantiert wurde.[27] Ziel der Wettbewerbsbeschränkungen war die Sicherstellung der Versorgung von Wirtschaft und Bevölkerung mit Energie. Es galt einen parallelen Aufbau von Infrastruktur zu verhindern und den EVU angemessene Investitionsrückflüsse zu sichern. Sowohl das Investitionsvolumen der EVU, als auch deren Preisgestaltung wurden zu diesem Zwecke von der Energieaufsicht der Landesministerien kontrolliert.[28]
Die Monopolsituation weist volkswirtschaftlich gesehen Nachteile auf, da sie zu Ineffizienzen führen kann. Durch die Preisfestsetzung der Energieaufsicht ist eine sog. interne Subventionierung möglich. Kunden in Gebieten, deren Versorgung sehr teuer ist, da sie z.B. höhere infrastrukturelle Kosten verursachen, werden zu Lasten anderer Kunden subventioniert, denn beide Kundengruppen haben im Monopol die gleichen Tarife zu zahlen. Das Prinzip der Kostenverursachung wird hier verletzt. Weiterhin besteht bei fehlendem Wettbewerb für das EVU kein Anreiz kosteneffizient zu wirtschaften, da die Preisregulierung auf Kosten basiert, welche das Unternehmen selbst angibt. Eine Möglichkeit die angegebenen Kosten im Detail zu prüfen besteht seitens der Aufsichtsbehörde mangels erforderlicher Kapazitäten nicht, es existiert also ein Informationsdefizit zwischen der Behörde und den EVU.[29]
Da das Monopol keinen Wettbewerb zuließ, war auch die Kundenorientierung der Energieversorger häufig auf das erforderliche Mindestmaß beschränkt. Schließlich konnten unzufriedene Kunden nicht einfach wechseln, sondern waren zwangsläufig an ihren Versorger gebunden.[30] Erst mit beginnender Liberalisierung sollte das Interesse der EVU an ihren Kunden erwachen.
Die Liberalisierung des Energiesektors in Deutschland stellt einen gravierenden Einschnitt für die Akteure der Energiewirtschaft dar und stellte diese vor grundlegend neue Rahmenbedingungen. Mit Ausschlag gebend für die Intensität der Veränderung war der Sonderweg, den die Behörden bei der Umsetzung der EU Richtlinie zur Liberalisierung des Strommarktes verfolgten.
Die langwierigen und schwierigen Verhandlungen über eine Liberalisierung der Energiewirtschaft auf europäischer Ebene führten schließlich zur Einigung, so dass im...