Einführung in das Thema »Hybridorganisation«
Organisatoren in Praxis und Wissenschaft haben sich bislang vornehmlich mit der formalen Strukturierung von Unternehmen beschäftigt. Sie sind einerseits vertraut mit den »Archetypen« der Ablauforganisation, etwa der Bestimmung von Prioritäten, chaotischer Lagerung, u-förmigen Anordnung von Arbeitssystemen, Projekthäusern, Meilensteinplanung sowie der Synchronisierung und Simultanisierung von Prozessen. Zum anderen beherrschen sie das Standardrepertoire der Aufbauorganisation in Gestalt von funktionaler und divisionaler Arbeitsteilung, Shared Services, Gruppenorganisation, Projektorganisation, Corporate Governance (z. B. Rechtsformenwahl) sowie der Installation von Koordinationsgremien und Process Owners.
Deutlich weniger vertraut sind sie hingegen mit den Varianten der unternehmensübergreifenden Organisation. Allerdings stellt auch die Optimierung interorganisationaler Vernetzungsformen kein totales Neuland dar. Es umfasst z. B. Supply Chains, Unternehmensfusionen, Joint Ventures, Allianz-Portfolios, Arbeitsgemeinschaften in der Bauwirtschaft, virtuelle Unternehmen und virtuelle Teams (die im »Around the clock and the globe«-Modus arbeiten), Communities (z. B. Wissensgemeinschaften, Social Networks) und Unternehmensnetzwerke (z. B. Airline-Netzwerke, Lieferantennetzwerke, Eco-Systems, Business Webs, Vertriebsnetzwerke). Mehrere dieser Organisationsformen wurden bereits in das Organisationswissen (Body of Knowledge) integriert.
Noch weniger vertraut sind Organisatoren mit der Hybridorganisation. Hierbei handelt es sich um Mischformen von existierenden, relativ gegensätzlichen Organisationsformen. In der Theorie treten sie beispielsweise als hybride Governance-Formen im Sinne von Interpolationen zwischen marktlicher Koordination und hierarchischer Koordination auf, was etwa auf das Outsourcing und die unternehmensinternen Märkte zutrifft. Manche tragen zwar nicht das explizit das Label »hybrid«, sind aber tatsächlich Mischungen aus Gegensätzen, wie etwa die ambidextren, parallelen, zweidimensionalen, dualen und pluralen Strukturen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass hybride Organisationsformen zwar häufig »paradox« anmuten (Smith/Lewis 2011). Dennoch stellen sie keinesfalls organisatorische »Aliens« dar, sondern dienen als integrale Bausteine einer durchaus »orthodoxen« Organisationsgestaltung. Die Allgegenwart der Hybridorganisation äußert sich u. a. darin, dass sie nicht nur auf die unternehmensübergreifende Organisation beschränkt ist, sondern auch die traditionelle Unternehmensorganisation abdeckt: Jede Unternehmensorganisation basiert letztlich auf dem hybriden Zusammenspiel von formeller Fremdorganisation und informeller Selbstorganisation sowie auf der parallelen Förderung von Integration (»Überblick«, Synergie, Economies of Scale) und von Flexibilität (»Durchblick«, Agilität). Manche Unternehmen operieren mit einer hybriden Matrixstruktur, etwa der Produkt-Funktion-Matrix, bei der die marktorientierten Produktbereiche und die ressourcenfo-kussierten Funktionsbereiche zusammentreffen. Nicht selten finden wir Konzerne, die Märkte im Unternehmen installieren (z. B. zum Aushandeln von Verrechnungspreisen zwischen konzerninternen Anbietern und Abnehmern), Aufträge konzernintern ausschreiben oder hybride Rechtsformen (wie z. B. die KGaA oder Doppelgesellschaften aus Personen- und Kapitalgesellschaften; Schaper 2012; Kessler/ Kröner/ Köhler 2008, S. 264 ff.) wählen. Auch diese Kombinationen stellen allesamt Hybridkonfigurationen dar, selbst wenn sie nicht immer explizit mit diesem Label versehen werden.
Hybridorganisation ist dabei kein Konstruktionsprinzip, das exklusiv für organisatorische Architekturen eingesetzt wird. Vielmehr finden sich Hybridkonzepte in zahlreichen anderen Management-Domänen. Auch hier sind die Manager mit einzelnen Konzepten vertraut, etwa der Outpacing-Strategie, den Brick & Click-Vertriebssystemen oder hybriden Anreizsystemen. Jedoch existiert keine interdisziplinäre Wissenschaftssparte »Hybridologie«, die sich in ähnlicher Manier wie beispielsweise das internationale Management, Change Management oder Konfliktmanagement mit der Anatomie dieser komplexen, hybrid-konfigurierten Entitäten beschäftigen und das generische Wissen über Hybridkonstrukte bündeln würde.
Die Existenz mehrerer organisatorischer und nicht-organisatorischer Hybridkonzepte hat eine wichtige Konsequenz für die Auseinandersetzung mit Hybridorganisation: Netzwerke und virtuelle Organisationsformen, also hybrid gemischte Organisationsformen, gehen wiederum als Komponenten in einen Mix ein, innerhalb dessen einerseits mehrere Hybridkonzepte untereinander (z. B. hybride Strategien und hybride Strukturen) oder andererseits Hybridkonzepte mit nicht-hybriden Konzepten (z. B. der Vertrieb über Franchise-Netzwerke und der Vertrieb über herstellereigene Filialen) kombiniert werden. Mit anderen Worten erschöpft sich die hybride Organisationsgestaltung nicht in der Konstruktion einzelner Netzwerke, Communities oder virtueller Teams. Organisatoren müssen neben dieser »Intrahybrid-Arena« auch die »Interhybrid-Arena« (Zusammenspiel mehrerer Hybridstrukturen) und die »Extrahybrid-Arena« (Zusammenspiel von Hybridstrukturen mit nicht-hybriden Strukturen) beherrschen. Derart »multiplex-hybride« Gebilde prägen faktisch die organisatorische Realität und bilden keinesfalls nur akademische Konstruktionen.
Bei den hybriden Organisationsformen handelt es sich also um häufig auftretende und keinesfalls um »exotische« Strukturen. Dennoch wäre es unangebracht, in ihnen den Königsweg zur optimalen Organisation zu sehen. Tatsächlich fungieren sie lediglich als eine spezifische Heuristik der Organisationsgestaltung, die Näherungslösungen ohne Optimierungsgarantie bietet. Liegen zwei Lösungsansätze A (z. B. Top-down-Gestaltung) und B (z. B. Bottom-up-Gestaltung) vor, die beide aufgrund ihres Stärken-Schwächen-Profils jeweils als zweitbeste Lösungen einzustufen sind, besteht die Hybridheuristik darin, diese vorhandenen, konträren Lösungsansätze zu kombinieren (z. B. zu einem Down-up-Vorgehen) statt in die Entwicklung eines exzellenten, aber noch nicht verfügbaren Lösungsansatzes C zu investieren. Die Hybrid-Heuristik operiert nach denselben Prinzipien wie die meisten Mix-Ansätze: Da man den »One best way« (noch) nicht gefunden hat, mischt man zwei (oder mehr) zweitbeste Lösungsansätze, um dadurch zumindest die Schwächen einer Komponente durch die Stärken der anderen Lösungskomponente ausgleichen zu können.
Hybridkonzepte sind wesensmäßig offensichtlich anti-dogmatisch angelegt (»More than one church in town«). Die Hybridheuristik mündet deshalb nicht in einem »Hybrid Manifesto« oder anderen Formen von verbindlichen Leitbildern. Dieses pragmatische Moment erleichtert grundsätzlich die Implementierung, weil kein vollständiger Bruch mit einer Tradition gefordert wird. Allerdings können Akzeptanzbarrieren im Gefolge der mangelnden Prägnanz der Konzeption, sprich aufgrund ihres »Wischiwaschi«-Charakters, auftreten.
Beim Einsatz von Hybridstrukturen als Heuristiken ist ferner zu beachten, dass sich bestimmte Organisationsstrukturen ganz allgemein nicht bereits aufgrund ihrer Eigenschaften als Problemlösungen anbieten. Im Sinne der Fit-Performance-These sind sie nur dann als Lösungen geeignet, wenn sie sich kontingent und konsistent in den jeweiligen Kontext einpassen. Um eine solche Passung (Fit oder Misfit) von Netzwerken oder von virtuellen Organisationsformen beurteilen zu können, muss der Organisator insofern einem ganzheitlichen Ansatz folgen, als er auch die benachbarten Sektoren des Managements wie etwa das strategische Management oder das Human Resource Management überblickt.
Aufbauend auf den umrissenen Besonderheiten der Materie »Hybridorganisation« wird das erforderliche Wissen entlang der in Abb. 1 visualisierten Argumentationslinie vermittelt.
Angesichts der Neuartigkeit der Materie und der Fit-Anforderungen mit benachbarten (Hybrid-)Konzepten werden in Kap. 1 die erforderlichen Grundlagen für ein Verständnis von den Erscheinungsformen, dem Wesen und dem Wert von Hybridkonzepten in ausführlicher Form dargestellt. Darüber hinaus werden die Grundlagen eines Managements derartiger Hybridkonzepte vermittelt. Da es sich beim Hybridmanagement um ein Management von Konfigurationen und folglich um ein spezifisches Integrationsmanagement handelt, geht es im Rahmen einer statischen Analyse der Bausteine zunächst um die Instrumente der Integration und die Arenen der Gestaltung von Hybridkonzepten. Im Rahmen einer prozessualen Betrachtung des Managements von Hybridkonzepten stehen die erfolgskritischen Phasen der Generierung, Evaluierung und Implementierung im Mittelpunkt.
Kap. 2 fokussiert innerhalb der Hybridkonzepte die Hybridorganisation. Hier wird vor allem erläutert, wie die Standardbausteine der...