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Fehlervermeidung in der Kinderheilkunde

AutorAndreas Petri
VerlagGeorg Thieme Verlag KG
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783131759016
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis41,99 EUR
+ Über 200 Fallberichte aus der pädiatrischen Praxis mit lehrreichen Fehlern und Beinahe-Fehlern, u. a. auch aus Begutachtungs- und Haftpflichtfällen, aus tatsächlichen Ereignissen, die vom Autor dokumentiert bzw. im Fallberichtssystem CIRS-Pädiatrie veröffentlicht wurden + Aus Fehlern lernen ohne sie selbst gemacht zu haben: Analysieren Sie anhand von spannenden Fällen, wie Fehldiagnosen zustande kommen + Machen Sie sich die Schwachstellen bewusst und entwickeln Sie Lösungsstrategien, um diese zu vermeiden + Schneller Zugriff: Rechtliche Bestimmungen, Fehlermanagement, Fallberichte aus verschiedenen Fachbereichen, Medikamentenfehler, Fehler bei Impfungen und im Labor Lernen Sie aus den Fehlern Ihrer Kollegen - denn 65-70% aller Behandlungsfehler sind vermeidbar.

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Leseprobe

1 Einleitung


1.1 Einführung in die Problematik


Abb. 1.1 Karikatur. Das Studium von Fehlern.

Schon als Medizinstudent hatte ich Respekt vor der großen Verantwortung, die ein Arzt beim Umgang mit Menschen in lebensbedrohlichen Situationen trägt. Und natürlich war die Entscheidung, Medizin zu studieren von dem Wunsch beseelt, Menschen vor Gesundheitsgefährdungen zu bewahren. Niemand möchte hierbei einen gravierenden Fehler begehen. „Nihil nocere“ – niemals schaden – ist das oberste Gebot. Daher beschäftige ich mich seit über 20 Jahren mit der Thematik der Fehlervermeidung. Seit 1999 bin ich auf die Kinder- und Jugendmedizin spezialisiert und seit 2007 in der ambulanten Pädiatrie tätig.

Ein zusammenfassendes Buch über Fehlervermeidung in der Kinderheilkunde gibt es für den deutschsprachigen Raum bisher nicht. In den USA, wo Behandlungsfehlerklagen sehr häufig sind, gibt es ein von der amerikanischen Kinderärztevereinigung herausgegebenes Buch „Medicolegal Issues in Pediatrics“ in der 7. Auflage ? [1]. In dem regelmäßig neu aufgelegten Buch werden Hilfen zur Fehlervermeidung gegeben, was ebenfalls mit diesem Buch erreicht werden soll. Das Lehrbuch „Avoiding Common Pediatric Errors“ vermittelt mehr kinderärztliches Basiswissen und geht nicht auf Fehler ein ? [15]. Das Buch „Avoiding Errors in Paediatrics“ stellt Fälle und Möglichkeiten der Fehlervermeidung vor, bezieht sich aber auf das englische Gesundheitssystem, bei dem Kinder primär durch Allgemeinärzte versorgt werden ? [14]. Die Häufigkeit der Fehldiagnosen hängt natürlich vom Ausbildungsgrad der Ärzte ab, die Kinder behandeln, und beziehen sich in diesem Buch hauptsächlich auf die relativ gut ausgebildeten deutschen Kinder- und Jugendärzte. Bei weniger gut Ausgebildeten, wo Basiswissen fehlt, muss natürlich auf ganz andere Dinge hingewiesen werden, wie das „daran Denken“ bei bestimmten Leitsymptomen, z.B. Ausschluss von Harnwegsinfekten und Diabetes mellitus bei Polyurie oder Ausschluss einer Leukämie bei Blässe und Knochenschmerzen. Hierzu gibt es fabelhafte „Leitsymptombücher“ wie „Leitsymptome der Kinderkrankheiten“ ? [6] oder „Vom Symptom zur Diagnose“ ? [4].

Da die Intensivmedizin für den niedergelassenen Arzt nur von geringer Bedeutung ist und umgekehrt „banale Impfvertauschungsfehler“ für den Krankenhausarzt, ist es sinnvoll, die Systematik der Fehlervermeidung in mindestens 2 Bücher aufzuteilen, eines für den ambulanten und eines für den stationären Bereich. Ich werde mich überwiegend auf den ambulanten Bereich konzentrieren, auch wenn es viele Gemeinsamkeiten und Schnittstellen mit dem stationärem Bereich gibt. Für ein 2. Buch über Fehlervermeidung in der Kinderklinik und Kinderintensivstation wäre es wünschenswert, einen erfahrenen Pädiater aus dem Krankenhaus zu gewinnen.

Ein Fehler ist ein vermeidbarer Faktor, der zum Nachteil eines Patienten führen kann oder führt. Solche Faktoren gibt es auf den verschiedensten Ebenen: auf derjenigen des Patienten, der Angehörigen, des ärztlichen Hilfspersonals, der behandelnden Ärzte, des Labors, der Apotheke, der Hilfsmittelerbringer, des Krankenhauses und weiteren Elementen der Gesundheitsversorgung. Der Internist Rudolf Gross definiert Fehldiagnosen als „Fälle, bei denen aus falschen diagnostischen Vorstellungen heraus für den Krankheitsablauf oder den Schutz der Allgemeinheit (ansteckende Krankheiten!) wesentliche Maßnahmen unterbleiben“ ? [3]. Braun spricht an dieser Stelle von „abwendbar gefährlichen Verläufen“. Fehldiagnosen müssen abgegrenzt werden von Differenzialdiagnosen und Arbeitsdiagnosen, worauf in „Fehldiagnosen in der Inneren Medizin“ ? [9] zu Recht hingewiesen wird.

In der Praxis ist nach einem kurzen Kontakt oft nur eine sehr allgemeine Diagnosestellung möglich, was dem Bedürfnis des Patienten oder der Eltern nach exakter „Festhaltediagnose“ zuwider läuft. Manche Diagnosen können wegen ihrer Komplexität erst im Verlauf gestellt werden (Verlaufsdiagnosen), und in unserer schnelllebigen Zeit wechseln viele Patienten den Arzt, wenn ihre Erwartungshaltung auf sofortige Erkenntnis der Krankheitssituation nicht erfüllt wird. Dies führt dann auf Seiten des Praktikers nicht selten zu einem Polypragmatismus, bei dem nicht abgewartet wird, bis eine exakte Diagnosestellung möglich ist, sondern bereits bei Verdacht frühzeitig behandelt wird. In vielen Fällen geht das gut, aber dies kann z.B. im Bereich der Infektiologie zu einem übermäßigen Gebrauch von Antibiotika führen, mit dem Nachteil der schnelleren Entwicklung von Resistenzen. Diese Diskrepanz zwischen dem Druck zur schnellen Diagnosestellung und der mangelnden Zeit in diesem Prozess ist vielen Krankenhausärzten nicht bewusst, die manchmal leichtfertig auf den Niedergelassenen herabblicken, in der irrigen Annahme, dass die im Krankenhaus voll entfalteten, über längere Zeit vorliegenden Symptome sich genauso dem Praktiker präsentiert hätten.

Die Fehlervermeidung beginnt mit der Ausbildung des Arztes. Daher richtet sich dieses Buch besonders an Medizinstudenten, aber auch an Kinder- und Jugendärzte und kinderärztlich Tätige wie Allgemeinmediziner, denn Fehler machen wir alle, und wir alle möchten vor gravierenden Fehlern bewahrt werden. Man muss nicht alles können, aber man sollte seine Grenzen kennen und Patienten rechtzeitig der adäquaten Behandlung zuführen. Eine gute Übung ist das Studieren von Fällen mit ausführlicher Differenzialdiagnose. Hierzu bieten die Fälle des „New England Journal of Medicine“, die „Fallbeschreibungen Pädiatrie“ ? [8] oder das „Fallbuch Pädiatrie“ ? [10] Gelegenheit. Bei unklaren Symptomen helfen zahlreiche Differenzialdiagnosebücher weiter, wie „Differentialdiagnose Pädiatrie“ ? [12], „Signs and Symptoms in Pediatrics“ ? [16], „Differentialdiagnose von Krankheiten im Kindesalter“ ? [2], „Pädiatrische Differentialdiagnose“ ? [5] und „Differenzialdiagnosen in der Kinder- und Jugendmedizin“ ? [13].

1.2 Intention für dieses Buch


Natürlich kann ein Buch zur Fehlervermeidung nicht eine gründliche Ausbildung ersetzen, zu der auch ein Studium zahlreicher Krankheitsfälle, der Entwicklungsstadien und der Variation des Normalen gehört ? [7]. Es kann aber dazu beitragen, besser gewappnet zu sein, insbesondere bezüglich bereits begangener Fehler. Hierzu soll die Fallsammlung beitragen, die umfangreich angelegt ist. Die verschiedenen Fälle stammen aus frei verfügbaren Veröffentlichungen, anonymen Schilderungen von Kollegen, einer Anzahl von Begutachtungsfällen der Schlichtungsstelle der norddeutschen Ärztekammern, die freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurden, eine im Aufbau befindliche Datenbank für gerichtlich verhandelte Fälle, einer juristischen Fallsammlung von Haftpflichtfällen und aus eigener Erfahrung. Die Fälle beziehen sich überwiegend auf die Situation in der Kinderarztpraxis, aber auch einige ausgewählte Fehler aus der Notfall- und Krankenhausmedizin und anderen Fachgebieten wurden aufgeführt. Wünschenswert wäre es, wenn das bisher noch wenig gebrauchte Fehlerberichtsystem www.CIRS-Paediatrie.de mehr in Anspruch genommen würde, in das jeder lehrreiche Fehler oder Beinahe-Fehler anonym zum Nutzen aller eingeben kann.

„Ex vitiis aliorum discimus.“ (Aus den Fehlern der anderen lernen wir.)

Das „Niveau der Fehler“ bezieht sich überwiegend auf gut ausgebildete Kinder- und Jugendärzte, von denen eine geringere Fehlerquote als bei Nichtkinderärzten oder Studenten zu erwarten ist. Bei einigen Fällen, die strafrechtlich verhandelt...

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