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Polnische Sicherheitspolitik zwischen Souveränität und Integration

Die sicherheitspolitische Kultur und die GASP-/ESVP-Politik der Dritten Republik Polen

AutorThomas Winter
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl143 Seiten
ISBN9783638828130
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Politik - Internationale Politik - Region: Osteuropa, Note: 1,0, Universität Passau, 280 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Das vorliegende Werk beschäftigt sich eingehend mit der polnischen sicherheitspolitischen Kultur, also den wesentlichen Faktoren, welche die Wahrnehmungen äußerer Bedrohungen und das Verständnis nationaler Sicherheit der polnischen Entscheidungsträger bestimmen. Anlaß hierzu bieten das wiederholte Auftreten Polens als schwieriger Verhandlungspartner im Bereich der europäischen Integration, vor allem die ausgeprägte tansatlantische und nationalstaatliche Orientierung. Diese äußert sich etwa in der beharrlichen Weigerung, eine Minderung des polnischen Stimmengewichtes im Rat der EU hinzunehmen, oder im Veto gegen einen neuen Grundlagenvertrag mit Rußland. Hierzu wird der noch recht junge Ansatz der sicherheitspolitischen Kultur mit einer konstruktivistischen Außenpolitiktheorie und der Methode der Diskursanalyse kombiniert. Anhand von polnischen Parlamentsdebatten und Pressematerial werden die wesentlichen Elemente der polnischen sicherheitspolitischen Kultur herausgearbeitet, zu denen insbesondere die Angst vor Deutschland und Rußland, das Primat der NATO und der polnisch-amerikanischen Beziehungen, Demokratieförderung in Osteuropa und ein ausgeprägtes Souveränitäts- und Statusdenken gehören. Anschließend wird Polens Rolle in der Gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik einer genaueren Betrachtung unterzogen, um die gewonnenen Ergebnisse auf ihre praktische Relevanz hin zu überprüfen. Hierbei zeigt sich, daß Polen einer weiteren Integration in diesem Bereich grundsätzlich positiver gegenübersteht, als allgemein angenommen wird. Am Schluß steht die Erkenntnis, daß der Ansatz der sicherheitspolitischen Kultur ein wertvolles Instrument zur Erklärung und Prognose der polnischen Außen- und Europapolitik ist. Angesichts der Tatsache, daß dieses Instrument bisher noch recht unausgereift ist und zudem auf Polen kaum angewendet wurde, werden zudem mögliche Ansatzpunkte zur theoretischen Weiterentwicklung und weiteren Anwendung diskutiert.

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Leseprobe

1.  Einleitung


 

Drei Jahre sind bald vergangen, seit Polen Mitglied der Europäischen Union wurde. In diesen drei Jahren – zum Teil bereits vorher – hat sich Polen mit viel Engagement den Ruf wenn nicht eines Querulanten, dann zumindest eines nicht besonders pflegeleichten Mitglieds erarbeitet. Das mit mehr als 38 Millionen Einwohnern mit Abstand größte Beitrittsland der EU-Osterweiterung von 2004 hat sich nicht nur in Fragen der Geschichtsbewertung immer wieder vor allem mit Deutschland angelegt; man denke an die andauernde Kontroverse um das deutsche Zentrum gegen Vertreibungen oder den Beschluß des polnischen Sejms, die Regierung solle von Deutschland Kriegsreparationen verlangen, nachdem die Preußische Treuhand Entschädigungsklagen Vertriebener angekündigt hatte. Auch in „harten“ politischen Angelegenheiten hat sich Polen in der Vergangenheit nicht gescheut, seinen eigenen Standpunkt gegenüber den Altmitgliedern zu vertreten und zur Not sogar Gipfelver-handlungen platzen zu lassen. Die monatelange Weigerung, im Rahmen des EU-Verfassungsvertrages eine Minderung seines Stimmgewichts im Rat der Europäischen Union hinzunehmen („Nizza oder der Tod!“) hat ebensoviel Aufsehen erregt wie die Reaktionen auf die geplante deutsch-russische Gasleitung durch die Ostsee und damit um Polen herum, die der polnische Verteidigungsminister Radosław Sikorski mit dem Hitler-Stalin-Pakt verglich. Kürzlich blockierte Polen die Verhandlungen über ein neues Grundsatzabkommen zwischen der EU und Rußland aufgrund eines russischen Einfuhrverbots für polnische landwirtschaftliche Produkte. Höhepunkt der Differenzen bleibt sicherlich der Irakkrieg von 2003, in dem Polen sich in die erste Reihe des „neuen Europa“ stellte und sich mit der Unterzeichnung des „Briefes der Acht“ den Kommentar Jacques Chiracs einfing, es habe „eine großartige Gelegenheit verpasst, den Mund zu halten.“ Polens Solidarität mit der Bush-Regierung und seine Teilnahme am Irak-Krieg brachten dem Land sogar den Vorwurf ein, der „trojanische Esel“ der USA in Europa zu sein.

 

Auffällig ist, daß sich westeuropäische Politiker gerade in Deutschland und Frankreich und auch die Medien nur selten die Frage zu stellen scheinen, warum Polen sich so verhält. Eher noch wird immer wieder beklagt, wie sehr das Land übertreibe, wiederholt die Karten ausreize, die Solidarität der Partner verspiele und daß sein Verhalten schlicht nicht nachvollziehbar sei. Dabei ist das grundsätzliche Problem eher, daß die Äußerungen polnischer Politiker und die Politik des Landes nur oberflächlich wahrgenommen und auf der Grundlage der eigenen kulturellen Bewertungsmuster interpretiert werden. Auf diese Weise muß einem Deutschen zwangsläufig unverständlich bleiben, wieso Polen wichtige Verhandlungen mit Rußland wegen Lebensmittellieferungen blockiert und wieso die Ostsee-Gasleitung so schrille Töne aus Warschau provoziert. Darauf, daß es keine Frage des Einkommens polnischer Bauern oder der entgangenen Durchleitegebühren für Gas ist, wie in deutschen Medien oft zu hören und zu lesen war, deutet folgende Äußerung des polnischen Premierministers Jarosław Kaczyński in der polnischen Tageszeitung Dziennik hin, in der er das polnische Veto in den Verhandlungen mit Rußland erklärte:

 

„Würde Rußland das Signal erhalten, daß Polen sich grundsätzlich mit dem Status eines Nicht-Unions-Staates in den Beziehungen zu Rußland einverstanden erklärt, dann stünde die ganze Palette an Druckmitteln uns gegenüber zur Verfügung. Nur jemand, der extrem naiv ist, könnte annehmen, daß Rußland diese Gelegenheit nicht nutzen würde. […] Vor einem Vierteljahrhundert fragten wir uns „Kommen sie rein oder nicht“, und jetzt sollen wir uns fragen: „Drehen sie zu oder nicht“ – eine solche Politik können wir nicht verfolgen. Wir müssen möglichst ein gewisses System von Garantien schaffen, damit Rußland nicht mit solchen Methoden Druck auf uns ausüben kann.“[1]

 

Wer mit der polnischen Geschichte vertraut ist, weiß, daß „vor einem Vierteljahrhundert“ in Polen das Kriegsrecht verhängt wurde und die Führung dies mit einer drohenden sowjetischen Invasion rechtfertigte. Daß mit dem „Zudrehen“ jenes des Gashahns gemeint ist, ist ebenfalls offensichtlich. Die Äußerungen Kaczyńskis deuten darauf hin, daß es hier im Grunde nicht um Lebensmittellieferungen geht, sondern um die Sicherheit[2] des Landes, und daß bestimmte Verhaltensweisen und Ereignisse, die deutschen Politikern nicht wesentlich erscheinen mögen, in Polen aufgrund historischer Erfahrungen als Bedrohung wahrgenommen werden.

 

Zur Fragestellung


 

Daß historische Erfahrungen und kulturelle Besonderheiten sich in unterschiedlichen Ländern unterschiedlich auf die Sicherheitspolitik auswirken, ist schon seit einiger Zeit ein Thema in der politikwissenschaftlichen Disziplin der Internationalen Beziehungen (IB). Vor rund dreißig Jahren wurde das Konzept der „strategischen Kultur“ aus der Taufe gehoben, mit dem Jack Snyder zu erkären versuchte, daß sich die Sowjetunion im Falle eines begrenzten Atomkrieges nicht gemäß spieltheoretischer Modelle „rational“ verhalten würde. Man müsse eben diese strategische Kultur der Sowjets kennen, um ihr Verhalten in solch einem Fall voraussagen zu können. Mit dem Ende des Kalten Krieges hat das Konzept weiteren Schwung erhalten; insbesondere Deutschland war hier Forschungsobjekt, nachdem sich das wiedervereinigte, souveräne und erstarkte Land nicht jenen Großmachtambitionen hingeben wollte, wie führende IB-Forscher vorausgesagt hatten, sondern sich weiterhin um zivile Kontliktregelung, Integration und Multilateralismus bemühte. Die Ansicht, daß diese auf die Sicherheitspolitik bezogene Kultur – ich nenne sie „sicherheitspolitische Kultur“[3] – einen Einfluß auf die Sicherheitspolitik von Staaten hat und sich von Staat zu Staat erheblich unterscheiden kann, findet innerhalb der IB immer mehr Anhänger.

 

Die vorliegende Arbeit soll einen Beitrag zur Ermittlung der sicherheitspolitischen Kultur Polens leisten und damit helfen, das vielen oft unverständliche Verhalten Polens auf internationalem Parkett besser zu verstehen. Dabei soll die sicherheitspolitische Kultur Polens als unabhängige Variable ermittelt und dann überprüft werden, ob ein Einfluß auf die abhängige Variable „Sicherheitspolitik“ feststellbar ist. Da seit einigen Jahren die außen-, sicherheits- und verteidigungspolitische Integration der EU an Fahrt gewinnt und zu einem der kontroversesten Themen innerhalb der Union gehört, gerade auch weil sie klassische Zuständigkeitsbereiche und Souveränitätsrechte der Nationalstaaten im Bereich der nationalen Sicherheit berührt, soll die sicherheitspolitische Kultur Polens exemplarisch anhand seiner Politik bezüglich der GASP/ESVP überprüft werden. Somit sind folgende Fragen zu klären:

 

Wie ist die sicherheitspolitische Kultur der Dritten Republik Polen beschaffen? Welche Folgen hat dies für die Position und konkrete Politik Polens hinsichtlich der GASP/ESVP?

 

Forschungsstand und Literaturbericht


 

Der Ansatz der sicherheitspolitischen Kultur ist noch nicht sehr alt und war bis vor kurzem konzeptionell noch eher unterentwickelt. Erst durch die konstruktivistische Wende in den 1990er Jahren erhielt er einen konzeptionellen Schub und genießt seitdem zunehmende Anwendung und stetige Weiterentwicklung. Noch sind gründliche Falluntersuchungen allerdings nicht besonders zahlreich und meist auf „Schwergewichte“ der internationalen Politik bezogen. Zu Polen gab es hierzu bis vor kurzem noch gar keine Untersuchungen.

 

Erste Ergebnisse lieferten 2003 das Arbeitspapier Polnische Sicherheitspolitik von Cornelia Frank sowie der Sammelband Kultura bezpieczeństwa narodowego w Polsce i Niemczech („Nationale Sicherheitspolitik in Polen und Deutschland“), herausgegeben von Krzysztof Malinowski. 2004 widmete Marcin Zaborowski in seinem Arbeitspapier From America´s Protégé to Constructive European der „strategischen Kultur“ Polens einige Zeilen. 2006 erschien mit Polnische Sicherheitspolitik in der Transformation eine aktualisierte Fassung von Franks Untersuchung. Damit erschöpft sich allerdings bereits die Literatur zur sicherheitspolitischen Kultur Polens, wobei sich nur Malinowski und Zaborowski auch tatsächlich auf das genannte theoretische Konzept stützen.

 

Hiervon ausgehend wurde aufgrund seiner Aktualität das Buch Germany and the Use of Force von Kerry Longhurst herangezogen. Es enthält eine detaillierte Darstellung der konzep-tionellen Entwicklung, anhand derer Literatur zu diesem Thema ausgewählt wurden, um den Ansatz und seine Entwicklung darzustellen. Hierbei waren besonders die Werke von Snyder, Johnston, Duffield und Berger von Bedeutung. Für die Bestimmung des Begriffes „Kultur“ und „sicherheitspolitische Kultur“ waren auch die Sammelbände Culture and Foreign Policy von Hudson und The Culture of National Security von Katzenstein sehr hilfreich.

 

Aufgrund der spärlichen Literatur wurde eine eigene Analyse von Primärdaten durchgeführt. Hierzu zählen insbesondere Plenardebatten im polnischen Sejm und Äußerungen von Politikern in den Medien. Die Politik Polens bezüglich GASP und ESVP wurde anhand von Medienberichten, vor allem aber anhand...

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