Auch Pflanzen können sich wehren (S. 170-171)
„Bäume, so scheint es seit neuestem, kommunizieren und werden ängstlich, wenn die Kettensäge kommt" – an diesem Ausspruch des amerikanischen Schrift stellers John Updike ist tatsächlich etwas Wahres dran: Bereits in den 1980er-Jahren fanden Wissenschaft ler erste Hinweise, dass attackierte Pflanzen mittels spezifischer Duftbotschaften benachbarte, gesunde Pflanzen alarmieren und vorbeugend in Verteidigungshaltung versetzen können.
Eine solche Abwehrstrategie ist durchaus sinnvoll, denn Pflanzen wurzeln in der Erde und können von daher nicht weglaufen. An Fraßfeinden mangelt es ihnen jedoch nicht: Rund 300.000 Pflanzen fressende Insektenarten gibt es weltweit. Hinzu kommen zahlreiche Pilze, Viren und Bakterien sowie eine – vergleichsweise bescheidene – Zahl von etwa 5.000 Pflanzen fressenden Säugern. Im Laufe der Evolution haben Pflanzen deshalb zahlreiche unterschiedliche Strategien entwickelt, um sich zu schützen.
Dazu gehören mechanische Verteidigungsmittel wie Dornen, Stacheln oder Brennhaare, klebrige Substanzen oder auch der Einsatz von Giften, die zum Teil sogar für den Menschen gefährlich sind. Dass beispielsweise die Früchte des Ge. eckten Schierlings (Conium maculatum) ein gefährliches Nervengift (Coniin) enthalten, war schon in der Antike bekannt. Daraus wurde der so genannte Schierlingsbecher zubereitet. Prominentestes Opfer war der berühmte griechische Gelehrte Sokrates.
Düfte und Verdauungshemmer
Viele andere Verteidigungsstrategien haben die Wissenschaftler aus der chemischen Ökologie, einer neueren Forschungsdisziplin, dagegen erst in den vergangenen Jahren entdeckt. Dazu gehören beispielsweise verschiedene chemische Substanzen in P. anzenzellen, die diese für Schädlinge schwer verdaulich machen oder ihr Wachstum verlangsamen. Diese chemische Abwehr wird aber in der Regel nur bei Bedarf eingeschaltet. Denn die Produktion solcher Substanzen ist für die P. anze sehr aufwändig. Sie muss Energiereserven, Eiweiße, Zucker und Fette verbrauchen, die dann nicht mehr für andere wichtige Prozesse, wie beispielsweise die Produktion von Samen, zur Verfügung stehen.
Dass Pflanzen zu Verteidigungszwecken auch Duftsto. e produzieren, um damit die Feinde ihrer Feinde zu Hilfe zu rufen, ist das Ergebnis jüngerer Forschungen, insbesondere am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena. Die angelockten räuberischen Insekten können die Pflanze sehr wirksam von unliebsamen Fraßfeinden befreien. Die Kommunikation erfolgt über . üchtige organische Substanzen, so genannte VOCs (englisch: volatile organic compounds). Allerdings ist es experimentell ausgesprochen schwierig, das Phänomen einer pflanzlichen „Sprache" nachzuweisen.
Gene und Signalketten Die Forscher versuchen nicht nur in aufwändigen Freilandversuchen die Duftbotschaften zu entschlüsseln, sie möchten zudem herausfinden, welche Gene die pflanzlichen Abwehrmechanismen steuern und wie diese Gene reguliert werden. Die Ökologen sind aber auch den Signalketten auf der Spur, die in den verschiedenen Pflanzen zur Produktion von Giftstoffen oder Duftbotschaften führen. Sie prüfen darüber hinaus, ob die Wahrnehmung und Verarbeitung dieser durch Schädlinge induzierten pflanzlichen Signale tatsächlich eine ökologische Relevanz haben.
Wettrüsten zwischen Pflanzen und Tieren Gifte, Verdauungshemmer, rutschige Blattoberflächen: So effektiv die chemischen Methoden der Pflanzen auch sein mögen, dauerhaften Schutz vor Schädlingen bieten sie nicht. Immer wieder gibt es Tiere im jeweiligen Ökosystem, die gegen die Wirkstoffe resistent sind. Oder sie entwickeln durch Anpassung geeignete Wege, den Schutzschild der Pflanzen zu knacken. Eine solche Adaptation hat es beispielsweise bei dem als „Senfölbombe" bezeichneten Glukosinolat-Myrosinase- System der Kreuzblütler gegeben. Dazu gehören zum Beispiel Rot-, Weiß- und Rosenkohl, Rettich, Radieschen oder die Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana – ein beliebter Modellorganismus der Pflanzenforscher weltweit.