Vorwort
Seit der Veröffentlichung der Theologie der Hoffnung 1964 stand eine Ethik der Hoffnung auf meiner Agenda. Ich hatte mich auch auf Kongressen mit Ärzten und pharmazeutischen Firmen mit bioethischen Fragen vertraut gemacht. Die politischen und alternativkulturellen Bewegungen nach »1968« hatten mich zu Stellungnahmen provoziert, für die die Politische Theologie und die Theologie der Befreiung den theologischen Rahmen lieferten. In der ökumenischen Bewegung lernte ich den Nord-Süd-Konflikt kennen und die theologischen Kämpfe um das Antirassismusprogramm. An der Universität Tübingen hielt ich regelmäßig Vorlesungen über Christliche Ethik. So wollte ich am Ende der siebziger Jahre eine Ethik der Hoffnung schreiben. Zur Enttäuschung meiner Freunde und Kollegen aber veröffentlichte ich 1980 mit Trinität und Reich Gottes stattdessen eine soziale Trinitätslehre. Warum?
In Diskussionen zu Fragen medizinischer Ethik erfuhr ich schmerzlich die Grenzen meiner Kenntnisse. Die Notwendigkeit einer ökologischen Ethik erwuchs erst aus der Wahrnehmung der Grenzen des Wachstums, die uns 1973 der Club of Rome klar machte. Ich hatte aber noch keine ökologische Schöpfungslehre und konnte die einzelnen konkreten Entscheidungen, die ich getroffen hatte, nicht in größeren Zusammenhängen plausibel machen. Die politischen Zeitumstände waren nach 1968 nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland so widerspruchsvoll, dass heutige Entscheidungen morgen schon obsolet waren. Kurzum: Ich war Ende der siebziger Jahre noch nicht so weit. Aber der Wunsch und die Verpflichtung haben bis heute auf meinem theologischen Gewissen gelastet. Darum will ich versuchen, zum Abschluss meiner Beiträge zu theologischen Diskussionen zu sagen, was ich mir unter einer Ethik der Hoffnung vorstelle und wie ich in ihrem Sinne ethisch wahrgenommen, geurteilt und gehandelt habe. Ich nehme damit auch Gedanken aus den Dissertationen, Aufsätzen und Büchern auf, die nach der Theologie der Hoffnung in diese Richtung vorgestoßen sind, und nenne stellvertretend für viele Timothy Harvie, Jürgen Moltmann’s Ethics of Hope. Eschatological Possibilities for Moral Action, London 2009.
Diese Ethik der Hoffnung ist kein Lehrbuch, das Übersichten vermittelt und in Methoden der Ethik einführt. Sie ist auch keine Politikberatung, wie sie in den Denkschriften der EKD geliefert wird. Ich wende mich an die Christenheit, um Handlungsvorschläge in Hoffnungshorizonten zu machen. Diese Ethik ist auf das Ethos im Blick auf das gefährdete Leben, die bedrohte Erde und vermisste Gerechtigkeit bezogen. Sie diskutiert nicht zeitlos allgemeine Prinzipien, sondern das, was im Angesicht der Gefahren mit dem Mut der Hoffnung heute und morgen zu tun ist. Ich habe darum die konkreten Stellungnahmen zur Bioethik, zur ökologischen und politischen Ethik, die ich in den letzten 40 Jahren verfasst und veröffentlicht habe, aufgenommen und in größere Zusammenhänge gestellt. Das war für mich auch eine kritische Revision meiner ethischen Entscheidungen.
Ich habe mich, seit ich 1964 Mitglied der ökumenischen Einheit von
Faith and Order wurde, an der ökumenischen Ethik orientiert, die seit der Vierten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Uppsala 1968 im Zeichen der transformierenden Hoffnung stand, wie die Botschaft von Uppsala sie aufzeigte:
»Im Vertrauen auf Gottes erneuernde Kraft rufen wir euch auf: Beteiligt euch an der Vorwegnahme des Reiches Gottes und lasst heute schon etwas von der Neuschöpfung sichtbar werden, die Christus an seinem Tag vollenden wird.«
Damals diente ökumenische Ethik der Erneuerung der Kirchen, und nicht nur – wie heute – ihrer Gemeinschaft in »versöhnter Verschiedenheit«. Ich verstehe die ökumenische Dimension dieser Ethik der Hoffnung darum nicht als Sammlung und Vergleich der ethischen Perspektiven und Stellungnahmen der verschiedenen Kirchen, die gewiss wünschenswert wären, sondern als Entwurf einer gemeinsamen Antwort der Weltchristenheit auf die alle bedrohenden Weltgefahren.
Diese Ethik der Hoffnung will eine bewusst christliche Ethik sein. Ich habe mich darum in entscheidenden Punkten an den Verheißungen und am Evangelium der Bibel orientiert. Christen wissen es nicht besser in den Fragen des Lebens, der Erde und der Gerechtigkeit als säkulare Menschen oder Menschen anderer Religionen, aber Christen müssen der Hoffnung Gottes und dem Anspruch Christi gerecht werden. Ich habe darum die großen Alternativen der Täufer zum Corpus Christianum, der konstantinischen Staatschristenheit in der Reformationszeit, dargestellt und kritisch in die Diskussion um den christlichen Charakter christlicher Ethik eingebracht. Für die nachchristliche Zeit, in die wir in den alten corpus-christianum-Ländern in Europa und Amerika eingetreten sind, sind ihre ethischen Alternativen im Friedensdienst, in der Gemeinschaftserfahrung und der Lebensführung so wichtig wie für die Ethik der katholischen Kirche das Ethos der Ordenschristenheit und für die herrschende Kultur der Westlichen Welt die counter-culture-Bewegungen.
Für diese
Ethik der Hoffnung gilt der Grundsatz:
• Aus Schwertern keine christlichen Schwerter machen;
• kein Rückzug von den Schwertern zu den Pflugscharen,
• sondern: Aus Schwertern Pflugscharen machen!
Die Hoffnung auf die eschatologische Transformation der Welt durch Gott führt zu einer transformativen Ethik, die dieser Zukunft im unzureichenden Material und mit den schwachen Kräften der Gegenwart gerecht zu werden versucht und sie vorwegnimmt.
In der Methode bin ich immer von der Theologie ausgegangen, um eine Ethik der Hoffnung vorzustellen und vorzuschlagen. Das soll nicht heißen: ›zuerst kommt die Theorie, dann die Praxis‹, oder ›christliche Ethik ist ein Teil der kirchlichen Dogmatik‹, wohl aber, dass alles, was getan und erlitten wird, dem, was geglaubt, geliebt und erhofft wird, entsprechen muss. Das Theorie-Praxis-Verhältnis ist kein einseitiges: Weder geht die Theorie, noch geht die Praxis voran. In der maßgebenden Hoffnung ist es ein dialektisches Verhältnis der gegenseitigen Beeinflussung und Korrektur.
Ich habe der Ethik des Lebens eine theologische Darstellung dessen, was im Sinne des Evangeliums »Leben« ist, vorangestellt. Ich habe die Ethik der Erde mit der Frage begonnen, was in der biblischen Botschaft die Erde sei. Ich beginne die politische Ethik mit einer Erörterung der Begriffe von Gerechtigkeit. Es gibt auch eine Ethik der Vorstellungen und Begriffsbestimmungen. Das wird in Fragen der Bioethik sofort klar, wenn diskutiert wird, ob dem Embryo menschliches Leben und also Lebensrechte zugesprochen werden müssen oder ob es sich nur um eine Vorstufe menschlichen Lebens oder um Menschenmaterial handelt. Auch in der ökologischen Ethik wissen wir nicht, ob wir von Umwelt, Mitwelt oder von der Natur der Erde sprechen sollen. Wenn sich eine Ethik ihre Begriffe aus der herrschenden Weltanschauung vorgeben lässt, kann sie nicht innovativ sein.
Mit der Ethik der Begriffsbestimmungen ist natürlich auch die Frage nach der Interpretationshoheit gestellt. Wer verordnet die political correctness der Begriffe? Wer ordnet die Sprachregelungen an? Ich lehne Autoritäten im Denken und Sprechen ab und beanspruche eine Demokratisierung der Begriffsbestimmungen. Es gibt zwar eine gewaltfreie, aber keine interesselose Kommunikation. Darum sind die Theoriebildungen ebenso ein Feld der Ethik wie die Praxisanweisungen in den Interessenkonflikten.
Zwei Defizite in diesem Entwurf einer
Ethik der Hoffnung muss ich im Vorwort erwähnen, um Enttäuschungen vorzubeugen:
1. Ich habe die Entwicklung der katholischen Soziallehre nicht eingearbeitet. In meinen Ethikvorlesungen an der Universität Tübingen bin ich immer auf die Naturrechtslehre und auf die richtungweisenden Sozialenzykliken der katholischen Kirche mit ihren Grundsätzen der Solidarität und der Subsidiarität eingegangen. Ich habe die Enzykliken »Gaudium et Spes« und »Populorum Progressio«, die den Veränderungen im 2. Vatikanischen Konzil entsprangen, ausführlich behandelt. Was mich aber hinderte, auf die katholische Soziallehre im Einzelnen einzugehen, sind zwei Umstände: Seit dem Mittelalter denkt die traditionelle katholische Theologie im Schema »Natur und Gnade« und versteht die Hoffnung zusammen mit dem Glauben und der Liebe als »übernatürliche Tugend«. Die Geburt der christlichen Hoffnung aus der Zukunft Gottes ist in diesem Denken nicht gut erkennbar. Die katholische Befreiungstheologie hat demgegenüber die eschatologische Erschließung der Geschichte der Befreiungen zum Orientierungspunkt genommen. Mir ist aber noch keine überzeugende Verschmelzung der katholischen Soziallehre mit der Befreiungstheologie in die Hände gekommen. Und weil ich in diesem Buch keine Übersichten über die verschiedenen ethischen Konzepte in der Ökumene christlicher Kirchen liefern will, habe ich das weite Feld katholischer Soziallehre nicht im Detail einbezogen. Ich bitte meine katholischen Kollegen und Leser um Nachsicht.
2. Ich habe mir ein Kapitel über ökonomische Ethik in diesem Buch noch nicht zugetraut. In meinen Vorlesungen bin ich immer auf die Ethik der Arbeit, des Eigentums, der Systeme demokratischer Freiheit und sozialer Gerechtigkeit eingegangen. Ich hoffe auch, dass in den Kapiteln dieses Buches über die Ethik des Lebens, der Erde und der Gerechtigkeit so viele Grundlinien einer ökonomischen Ethik enthalten sind, dass sie meine Vorstellungen über eine...